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RBOG 2017 Nr. 14

Keine Klageanerkennung oder Gegenstandslosigkeit des Prozesses, wenn der Beklagte dem Rechtsbegehren des Klägers bloss teilweise nachkommt; Kostenfolgen


Art. 106 f ZPO, Art. 241 f ZPO


1. a) Der Beschwerdegegner erhob gegen den Beschwerdeführer mit folgendem Rechtsbegehren Klage beim Bezirksgericht:

"Die beklagte Partei sei zu verpflichten, die Verzichtserklärung einzuhalten:

'Der Beklagte bestätige, dass er den gegenwärtigen lärmverminderten Zustand auch in Zukunft beibehalten werde, das heisst insbesondere, dass er auch in Zukunft auf zusätzliche Lärmemissionen verzichtet, wobei unter diesen zusätzlichen Lärmemissionen Folgendes zu verstehen ist:

Abgesehen von der bereits beanstandeten Haltung des Hahns sämtliche anderen Emissionen, welche einem solchen Hahn gleichbedeutend sind, wie etwa Papageien, Pfauen usw., geschweige auch solche, die angeblich noch lauter sind als Hähne, wie zum Beispiel Gänse.'"

b) In der Folge teilte der Beschwerdeführer mit, er habe den Hahn weggegeben.

c) Die Einzelrichterin des Bezirksgerichts schrieb die Klage zufolge Gegenstandslosigkeit ab, auferlegte die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer und verpflichtete diesen, den Beschwerdegegner für das Verfahren zu entschädigen. Der Beschwerdeführer habe den Hahn weggegeben, womit das Rechtsschutzinteresse des Beschwerdegegners weggefallen sei. Die Weggabe des Hahns sei einer Klageanerkennung ähnlich, weshalb es angemessen sei, die Prozesskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen.

d) Dagegen erhob der Beschwerdeführer Beschwerde. Die Weggabe des Hahns sei als Klageanerkennung eingestuft worden. Er sei aber nicht damit einverstanden, dass er die Gerichtskosten tragen müsse.

2. a) Wird ein Vergleich, eine Klageanerkennung oder ein Klagerückzug dem Gericht zu Protokoll gegeben, so haben die Parteien das Protokoll zu unterzeichnen[1]. Art. 241 Abs. 1 ZPO umschreibt die massgebenden Formvorschriften. Wird die gesetzlich vorgeschriebene Form nicht eingehalten, so ist die Parteierklärung unwirksam und führt zur Mangelhaftigkeit eines darauf basierenden Abschreibungsbeschlusses[2]. Die Auffassung, die Bezahlung der eingeklagten Forderung stelle eine Klageanerkennung durch konkludentes Verhalten dar, trifft nicht zu, denn die "konkludente" Abstandserklärung wird weder formgerecht noch gegenüber dem Gericht erklärt; vielmehr handelt es sich um einen Fall der Gegenstandslosigkeit durch nachträgliches Wegfallen des Streitgegenstands[3] beziehungsweise des Rechtsschutzinteresses der klagenden Partei. Gegenstandslos wird ein Prozess namentlich, wenn der Streitgegenstand oder das Rechtsschutzinteresse der klagenden Partei nach Eintritt der Rechtshängigkeit definitiv wegfällt[4]. Zwar ist umstritten, ob der Prozess infolge Wegfalls des Rechtsschutzinteresses gegenstandlos wird, wenn der eingeklagte Anspruch im Lauf des Verfahrens vollständig erfüllt wird, doch die Rechtsprechung und die Mehrheit der Lehre bejahen für einen solchen Fall eine Abschreibung des Verfahrens infolge Gegenstandslosigkeit[5].

b) Das Rechtsbegehren der Klage ist etwas speziell gefasst. Faktisch geht es aber um die Verpflichtung, "auf zusätzliche Lärmemissionen" zu "verzichten", nämlich abgesehen von der "Haltung des Hahns sämtliche anderen Emissionen, welche einem solchen Hahn gleichbedeutend sind, wie etwa Papageien, Pfauen usw., geschweige auch solche, die angeblich noch lauter sind als Hähne, wie zum Beispiel Gänse". Das Rechtsbegehren umfasst mithin keineswegs nur die Haltung eines Hahns, sondern auch die Haltung anderer Tiere, wie Papageien, Pfauen oder Gänse. Damit, dass der Beschwerdeführer den Hahn weggegeben hat, kam er diesem Rechtsbegehren – wenn überhaupt, da er keine Verpflichtung einging – keineswegs vollständig nach, so dass weder von einer faktischen Klageanerkennung noch von Gegenstandslosigkeit des Prozesses ausgegangen werden kann; das Rechtsschutzinteresse des Beschwerdegegners ist nicht weggefallen, nur weil derzeit kein Hahn mehr kräht.

c) Allerdings richtet sich die Beschwerde nicht gegen die Erledigung des Prozesses als solche, sondern nur gegen die Kostenfolgen. Zwar rügte der Beschwerdeführer, dass sinngemäss von einer Klageanerkennung ausgegangen worden sei, doch offensichtlich nur, weil ihm die Kosten auferlegt wurden; abgesehen davon kann er als beklagte Partei auch kein Interesse an der Fortführung des Prozesses haben. Der Beschwerdegegner seinerseits beantragte die Abweisung der Beschwerde. Damit ist die Abschreibung des Prozesses zufolge Gegenstandslosigkeit rechtskräftig.

3. a) Für die Kostenfolgen können Art. 106 Abs. 1 Satz 2 und Art. 107 Abs. 1 lit. e ZPO keine Anwendung finden, da weder eine Klageanerkennung noch Gegenstandslosigkeit gegeben ist. Vielmehr ist nach Art. 106 Abs. 2 ZPO vorzugehen.

b) Obsiegt keine Partei vollständig, sind die Prozesskosten gemäss Art. 106 Abs. 2 ZPO entsprechend dem Verfahrensausgang verhältnismässig aufzuteilen. In vermögensrechtlichen Streitigkeiten wird für die Aufteilung der Kosten regelmässig das Verhältnis zwischen dem im Rechtsbegehren geforderten und dem im Urteil zugesprochenen Forderungsbetrag von Bedeutung sein. Dies ist jedoch nicht das einzige Kriterium. Auch das Gewicht einzelner Rechtsbegehren kann unterschiedlich sein; so ist der Grundsatz der Haftung stärker zu gewichten als die Höhe der Forderung, wenn diese vom richterlichen Ermessen abhängig war, wie etwa bei Schadenersatz- oder Genugtuungsforderungen; dem Entscheid, dass eine Partei grundsätzlich haftet, kann mehr Bedeutung zukommen als dem zu leistenden Betrag. Bei nicht vermögensrechtlichen Streitigkeiten ist das Ausmass des Obsiegens nach Ermessen festzulegen[6].

c) Der Beschwerdegegner hat ein Prozessresultat akzeptiert, welches sein Rechtsbegehren nur teilweise erfüllt, und umgekehrt hat der Beschwerdeführer der Klage teilweise nachgegeben, indem er den Hahn entfernte. Insofern ist der Prozesserfolg für beide Parteien etwa gleich zu gewichten, so dass es sich rechtfertigt, die Prozesskosten einschliesslich der Kosten des Schlichtungsverfahrens zu halbieren und die Parteikosten wettzuschlagen.

Obergericht, 1. Abteilung, 4. Oktober 2017, ZR.2017.49


[1] Art. 241 Abs. 1 ZPO

[2] Leumann Liebster, in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung (Hrsg.: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger), 3.A., Art. 241 N 12; AGVE 1988 S. 59

[3] Leumann Liebster, Art. 241 ZPO N 13

[4] Killias, Berner Kommentar, Art. 242 ZPO N 1

[5] Killias, Art. 242 ZPO N 15

[6] Urwyler/Grütter, in: Schweizerische Zivilprozessordnung (Hrsg.: Brunner/Gasser/ Schwander), 2.A., Art. 106 N 6; vgl. Sterchi, Berner Kommentar, Art. 106 ZPO N 7

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