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RBOG 2018 Nr. 12

Verfahrenseinheit bei BetmG-Delikten


Art. 19 Abs. 1 BetmG, Art. 25 StGB, Art. 29 StPO, Art. 33 StPO


1. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau führt seit Dezember 2016 gegen den Beschwerdeführer eine Strafuntersuchung wegen des Verdachts der Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz durch den Betrieb einer Hanfindooranlage. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich führte zeitgleich eine Strafuntersuchung gegen X. Dieser wurde im gegen den Beschwerdeführer geführten Strafverfahren als Auskunftsperson durch die Kantonspolizei Thurgau delegiert einvernommen. Der Beschwerdeführer ersuchte die Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau, die Strafuntersuchung gegen X mit der laufenden Untersuchung gegen ihn zu vereinigen; gemäss den Aussagen von X sei dieser der Mittäterschaft oder Teilnahme an den ihm zur Last gelegten Straftaten verdächtig.

2. a) Mit Strafbefehl sprach die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich X des mehrfachen Vergehens gegen das Betäubungsmittelgesetz und der mehrfachen Übertretung des Betäubungsmittelgesetzes schuldig. Der Strafbefehl ist in Rechtskraft erwachsen.

b) Eine Vereinigung der gegen den Beschwerdeführer und gegen X geführten Verfahren ist damit nicht mehr möglich[1], womit der Antrag des Beschwerdeführers auf Vereinigung der gegen ihn und X geführten Strafuntersuchungen und Bestimmung eines einheitlichen Gerichtsstands gegenstandslos geworden ist. Es gibt keine gegen X geführte Strafuntersuchung mehr, die mit der gegen den Beschwerdeführer geführten Strafuntersuchung noch vereinigt werden könnte. Auch die Gerichtsstandsfrage und damit die Frage der örtlichen Zuständigkeit zur Verfolgung und Beurteilung von Straftaten des Beschwerdeführers und von X endete mit dem Erlass des rechtskräftigen Strafbefehls gegen X[2]. Ohne gültige Einsprache wird der Strafbefehl zum rechtskräftigen und vollstreckbaren erstinstanzlichen Urteil[3]. Dagegen ist allenfalls nur noch die Revision nach Art. 410 StPO möglich[4].

3. Vorbehalten bleibt der Fall der Nichtigkeit des Strafbefehls der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich. Dies machte der Beschwerdeführer geltend, nachdem er vom rechtskräftigen Strafbefehl gegen X erfahren hatte.

4. Die Frage der Nichtigkeit des Strafbefehls stellt sich nur, wenn feststeht, dass der Beschwerdeführer und X in einem gemeinsamen Verfahren hätten verfolgt und beurteilt werden müssen.

5. a) aa) Straftaten werden gemäss Art. 29 Abs. 1 StPO gemeinsam verfolgt und beurteilt, wenn eine beschuldigte Person mehrere Straftaten verübt hat (lit. a) oder wenn Mittäterschaft oder Teilnahme vorliegt (lit. b). Dies ist der Grundsatz der Verfahrenseinheit, der schon seit langem ein Wesensmerkmal des schweizerischen Strafprozessrechts bildet. Er bezweckt die Verhinderung sich widersprechender Urteile und gewährleistet insofern das Gleichbehandlungs- und Fairnessgebot. Überdies dient er der Prozessökonomie[5].

bb) Handelt es sich um Straftaten, die teilweise in die Zuständigkeit des Bundes fallen oder die in verschiedenen Kantonen und von mehreren Personen begangen wurden, so gehen die Art. 25 und 33-38 StPO vor[6]. Allerdings bestimmt auch Art. 33 StPO, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer Straftat von den gleichen Behörden verfolgt und beurteilt werden wie die Täterin oder der Täter, und ist eine Straftat von mehreren Mittäterinnen oder Mittätern verübt worden, so sind die Behörden des Ortes zuständig, an dem zuerst Verfolgungshandlungen vorgenommen wurden. Art. 33 StPO soll als gerichtsstandsmässige Entsprechung zu Art. 29 StPO sicherstellen, dass die an einer Straftat Beteiligten durch dieselbe Behörde in einem Verfahren verfolgt und beurteilt werden können[7].

cc) Daran vermag hier auch Art. 38 StPO nichts zu ändern, da sich aus den Akten ergibt, dass die Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau und die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich keinen von Art. 33 StPO abweichenden Gerichtsstand vereinbart haben. Mehr als der Aktenbeizug der Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau vom 28. März 2018 und das Schreiben vom 14. Juni 2018, mit dem die Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau die Zürcher Behörde um Übernahme des Verfahrens anfragte, und die Ablehnung einer Verfahrensübernahme durch die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich vom 20. Juli 2018 findet sich nicht in den Akten.

b) aa) aaa) Gemäss Art. 19 Abs. 1 BetmG macht sich unter anderem strafbar, wer unbefugt Betäubungsmittel anbaut, herstellt oder auf andere Weise erzeugt (lit. a), veräussert, verordnet, auf andere Weise einem andern verschafft oder in Verkehr bringt (lit. c), besitzt, aufbewahrt, erwirbt oder auf andere Weise erlangt (lit. d). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts hat jede der in Art. 19 Abs. 1 BetmG aufgeführten Handlungen die Bedeutung eines selbstständigen Straftatbestands, sodass Täter ist und der vollen Strafdrohung untersteht, wer in eigener Person einen dieser gesetzlichen Tatbestände objektiv und subjektiv erfüllt[8].

bbb) Die allgemeinen Bestimmungen des Strafgesetzbuchs finden gemäss Art. 26 BetmG auch im Betäubungsmittelstrafrecht Anwendung, soweit das Betäubungsmittelgesetz nicht selbst Bestimmungen aufstellt. Die allgemeinen Regeln über Täter und Teilnahme gelten daher grundsätzlich auch im Bereich der Betäubungsmitteldelikte. In diesem Zusammenhang ist jedoch zu beachten, dass Art. 19 Abs. 1 BetmG nahezu alle Unterstützungshandlungen als selbstständige Handlungen umschreibt. Aufgrund der hier gegebenen hohen Regelungsdichte besteht kein Bedürfnis, unterstützende Tatbeiträge über die Regel der Mittäterschaft, Anstiftung oder Gehilfenschaft in die eigentliche Tat einzubeziehen. Diese Dichte hat insbesondere eine starke Einschränkung des Anwendungsbereichs von Art. 25 StGB (Gehilfenschaft) zur Folge. Gehilfenschaft liegt folglich nur vor, wenn die objektive Mitwirkung an der Tat eines anderen sich auf einen untergeordneten, vom Gesetz nicht als selbständiges Delikt erfassten Beitrag beschränkt[9].

ccc) Wer Betäubungsmittel kauft, ist daher bezüglich der gekauften Drogen grundsätzlich (nur) Täter beziehungsweise Käufer nach Art. 19 Abs. 1 lit. d BetmG und nicht gleichzeitig Mittäter des Verkäufers (lit. c). Dies gilt auch dann, wenn er die Drogen seinerseits auf eigene Rechnung weiterverkauft. In diesem Fall macht er sich zwar ebenfalls eines Verkaufs schuldig, beteiligt sich damit aber noch nicht am Verkauf durch seinen Lieferanten an ihn, denn der Lieferant hat mit dem Verkauf an den Wiederverkäufer keine Herrschaft mehr über das weitere Geschehen, das allein in der Hand des Ausführenden liegt. Hinzu kommt, dass dieser Verkauf an den Wiederverkäufer meist nur einen Teil der tatsächlich durch den Lieferanten abgesetzten Menge ausmachen dürfte. Dies zeigt, dass im Interesse einer vernünftigen Begrenzung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit auf eigene Handlungen die Anforderungen an die Annahme einer Mittäterschaft hoch anzusetzen sind. Eine solche ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts deshalb nur dann zu bejahen, wenn der Wiederverkäufer von seinem Lieferanten in einem weiteren Ausmass abhängig ist, als nur betreffend den blossen Bezug der Ware, oder wenn er nach dessen Weisungen handelt, und ihm dadurch die alleinige Tatherrschaft für die von ihm getätigten Weiterverkäufe fehlt. Dies ist regelmässig dann der Fall, wenn der betreffende Wiederverkäufer einer eigentlichen Organisation (Rauschgiftbande) angehört, in welcher er bestimmte, ihm zugedachte Aufgaben übernimmt. Nur in diesem Fall muss er sich auch fremde, nicht von ihm selber begangene Handlungen zuschreiben lassen. In aller Regel dürfte daher in den als Mittäterschaft in Frage kommenden Fällen gleichzeitig bandenmässiges Handeln gegeben sein, das sich dadurch charakterisiert, dass eine Tätergemeinschaft bewusst zur Ausübung des unerlaubten Betäubungsmittelverkehrs zusammenwirkt[10]. Die Lehre hat sich dieser Rechtsprechung angeschlossen[11].

bb) aaa) X werden im gegen ihn erlassenen Strafbefehl zwei Delikte vorgeworfen, die mit dem Beschwerdeführer im Zusammenhang stehen. Im ersten Delikt wird ihm angelastet, er habe im Februar 2018 insgesamt rund 2,5 kg Marihuana, das er vom Beschwerdeführer erhalten habe, an verschiedene Konsumenten in der Stadt A verkauft und dadurch einen Gewinn von rund Fr. 10'000.00 erzielt. Sowohl durch den Erwerb[12] als auch durch den Verkauf[13] hat X je einen selbstständigen Straftatbestand eigenständig erfüllt, sodass er jeweils Täter ist und der vollen Strafdrohung untersteht. Es handelt sich somit nicht um Gehilfenschaft im Sinn von Art. 25 StGB. Nur weil jeder, der Drogen will oder braucht, auf Dritte angewiesen ist, und es in diesem Bereich die Regel ist, dass jeweils mehrere Täter agieren, besteht zwischen ihnen keine wesentliche Abhängigkeit oder ein Subordinationsverhältnis im Sinn der bundesgerichtlichen Rechtsprechung.

Beim zweiten Delikt wird X angelastet, an seinem Wohnort rund 3 kg Marihuana (feucht) aufbewahrt zu haben, das er als Entgelt für Hilfeleistungen beim Anbau und bei der Ernte von Cannabis beim Beschwerdeführer in B beziehungsweise C erhalten habe. Auch dadurch hat X den Straftatbestand von Art. 19 Abs. 1 lit. d BetmG selbständig erfüllt und ist Täter und nicht Gehilfe im Sinn von Art. 25 StGB. Auch die gemäss Strafbefehl von X erbrachten "Hilfeleistungen bei Anbau und Ernte von Hanf beim Beschwerdeführer in C" sind nicht als Gehilfenschaft zu qualifizieren. Konkret will X Folgendes gemacht haben: "Wir haben dort ein paar Stunden geschnitten. Nach ein paar Stunden, ich schätze ungefähr 5-6 Stunden, bin ich wieder gegangen. Ich bekam von Y [Beschwerdeführer] etwas Gras, also Marihuana. Das war quasi die Bezahlung für meine Hilfe". Auch dafür ist X als Täter nach Art. 19 Abs. 1 lit. a BetmG bestraft worden. Der Beschwerdeführer und X halfen sich nur gegenseitig, um ihre jeweiligen eigenen Ziele zu erreichen. Dementsprechend erkannte die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich X im Strafbefehl auch nicht bloss der Gehilfenschaft schuldig im Sinn von Art. 19 Abs. 1 lit. a BetmG i.V.m. Art. 25 StGB. Art. 25 StGB wird weder auf der ersten Seite des Strafbefehls aufgeführt noch auf der vierten Seite. Dort steht vielmehr, der beschuldigte X habe mehrfach (als Täter) Betäubungsmittel unbefugt angebaut, hergestellt oder auf andere Weise erzeugt. Dass er mit Bezug auf die Anlage des Beschwerdeführers in C nur Gehilfe nach Art. 25 StGB gewesen wäre, geht aus dem Strafbefehl nicht hervor.

bbb) Entscheidend ist, dass aus den Akten der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich und der Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau klar hervorgeht, dass es zwischen dem Beschwerdeführer und X zu keinen weiteren gemeinsamen Tathandlungen gekommen ist, was vom Beschwerdeführer auch nicht bestritten wird. Übereinstimmend sagten der Beschwerdeführer und X aus, sie hätten sich erst im Dezember 2017 oder Januar 2018 kennengelernt und danach nur wenige Male getroffen. Es mag allenfalls sein, dass X, der Beschwerdeführer und die Vermieterin der Räumlichkeiten in C eine Übernahme durch X besprachen. Selbst wenn dies zutreffend sein sollte, bildeten der Beschwerdeführer und X deswegen keine eigentliche Organisation im Sinn einer Rauschgiftbande, und es war gestützt darauf kein bandenmässiges Handeln gegeben, das sich dadurch charakterisierte, dass die beiden als Tätergemeinschaft bewusst zur Ausübung des unerlaubten Betäubungsmittelverkehrs zusammenwirkten. Wie es sich bezüglich X und dem vom Beschwerdeführer erwähnten Bulgaren verhält, der laut Beschwerdeführer die Hanfindooranlage in C betrieben haben soll, ist nicht entscheiderheblich; hier geht es um die Frage, ob der Beschwerdeführer und X im Sinn der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zusammenwirkten. Nur weil der Beschwerdeführer X bezichtigt, sich in grösserem Umfang strafbar gemacht zu haben als gemäss Strafbefehl, und gleichzeitig den ihm von X angelasteten Betrieb der Hanfindooranlage in C bestreitet, ergibt sich nicht, dass der Beschwerdeführer und X im Sinn der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zusammengewirkt haben sollen. Zudem anerkannte der Beschwerdeführer zunächst, X habe mit dem Betrieb der Hanf­indooranlage in C nichts zu tun.

ccc) Zusammenfassend geht weder aus der Sachverhaltsdarstellung der beiden Staatsanwaltschaften noch aus den Aussagen des Beschwerdeführers und von X hervor, dass der Beschwerdeführer und X im Sinn der bundesgerichtlichen Rechtsprechung als Tätergemeinschaft bewusst zur Ausübung des unerlaubten Betäubungsmittelverkehrs zusammengewirkt hätten. Richtig ist einzig, dass X den Beschwerdeführer betreffend dessen Rolle bei der Anlage in C belastet hat, und umgekehrt. Allein deshalb aber sind die beiden noch nicht Mittäter im erwähnten Sinn.

6. Damit liegt hier kein Fall von Art. 29 Abs. 1 lit. b StPO vor, weshalb die Führung von zwei getrennten Strafuntersuchungen gegen den Beschwerdeführer und gegen X nicht zu beanstanden ist. Die vom Beschwerdeführer geltend gemachte Nichtigkeit des Strafbefehls entfällt. Die Beschwerde ist somit abzuweisen, soweit sie nicht gegenstandslos geworden ist, und soweit auf sie eingetreten wird.

Obergericht, 2. Abteilung, 23. Oktober 2018, SW.2018.53


[1] BGE vom 11. Mai 2015, 1B_30/2015, Erw. 2.1

[2] Vgl. Kuhn, Basler Kommentar, Art. 42 StPO N 7

[3] Art. 354 Abs. 3 StPO; Riklin, Basler Kommentar, Art. 354 StPO N 18

[4] Schwarzenegger, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung (Hrsg.: Donatsch/Hansjakob/Lieber), 3.A., Art. 354 N 9

[5] BGE 138 IV 31, 138 IV 219; BGE vom 12. August 2016, 1B_124/2016, Erw. 4.4; BGE vom 23. Mai 2016, 1B_11/2016, Erw. 2.2

[6] Art. 29 Abs. 2 StPO

[7] BGE 138 IV 31 f.

[8] BGE 133 IV 193, 119 IV 269, 118 IV 400

[9] BGE 133 IV 193

[10] BGE 118 IV 400 f.

[11] Fingerhuth/Schlegel/Jucker, Kommentar BetmG, 3.A., Art. 19 N 138

[12] Art. 19 Abs. 1 lit. d BetmG

[13] Art. 19 Abs. 1 lit. c BetmG

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