RBOG 2020 Nr. 6
Begründungspflicht bei Beschwerden auf dem Gebiet der fürsorgerischen Unterbringung, insbesondere im Verfahren vor der zweiten kantonalen Beschwerdeinstanz
§ 29 Abs. 1 KESV, Art. 450 e ZGB, Art. 450 f ZGB, Art. 321 Abs. 1 ZPO
1. Der Beschwerdeführer wurde mit ärztlicher Verfügung in die Psychiatrische Klinik eingewiesen. Eine von ihm dagegen eingelegte Beschwerde wies die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde ab. Gegen den abweisenden Entscheid erhob er beim Obergericht Beschwerde ohne nähere Begründung.
2. a) aa) Die Beschwerde gegen einen Entscheid auf dem Gebiet der fürsorgerischen Unterbringung muss gemäss Art. 450e Abs. 1 ZGB nicht begründet werden. Das schriftliche Begehren um gerichtliche Beurteilung des angefochtenen Entscheids reicht folglich aus. Ein formeller Antrag ist nicht notwendig[1]. Es genügt, wenn aus der schriftlichen Eingabe erkennbar ist, dass der Beschwerdeführer die Anfechtung der angeordneten Massnahme beabsichtigt[2]. Art. 450e ZGB regelt allerdings nur das Verfahren vor der ersten Beschwerdeinstanz, hier somit jenes vor Vorinstanz. Die in Art. 450 bis 450e ZGB enthaltenen Verfahrensvorschriften finden auf das Verfahren vor der zweiten kantonalen Beschwerdeinstanz – hier dem Obergericht – keine Anwendung. Vielmehr untersteht dieses mangels ausdrücklicher bundesrechtlicher Regelung laut Art. 450f ZGB dem kantonalen Recht. Nach § 29 Abs. 1 KESV[3] gelten die Bestimmungen der ZPO sinngemäss. Gemäss Art. 321 Abs. 1 ZPO ist eine Beschwerde schriftlich und begründet einzureichen. Entscheidet das Obergericht auf dem Gebiet der fürsorgerischen Unterbringung als zweite Beschwerdeinstanz, ist die Beschwerde daher grundsätzlich zu begründen. Der Beschwerdeführer hat in den Anträgen anzugeben, welche Punkte im Dispositiv zu ändern sind. Er trägt die Begründungslast[4]. Liegt keine Begründung vor, so ist auf die Beschwerde nicht einzutreten[5].
bb) Nach der Praxis des Obergerichts werden bei Personen, welche nicht anwaltlich vertreten sind, im Zusammenhang mit der fürsorgerischen Unterbringung sehr geringe Anforderungen an die formellen Voraussetzungen einer Beschwerdeschrift gestellt. In der Regel genügt es, dass aus der schriftlichen Eingabe erkennbar ist, dass der Beschwerdeführer mit der angeordneten Massnahme nicht einverstanden ist, was schon der Fall ist, wenn er ein mit handschriftlichen Bemerkungen versehenes Entscheidexemplar mit Hinweisen wie «stimmt nicht» oder «falsch» einreicht.
b) Die Beschwerde enthält weder Antrag noch Begründung; ihr lässt sich einzig entnehmen, dass der Beschwerdeführer «Rekurs» gegen den Entscheid der Vorinstanz einlegen will. Damit steht fest, dass der nicht anwaltlich vertretene Beschwerdeführer mit dem Entscheid der Vorinstanz beziehungsweise mit der fürsorgerischen Unterbringung nicht einverstanden ist. Die Beschwerde genügt somit den formellen Anforderungen, weshalb darauf einzutreten ist.
Obergericht, 1. Abteilung, 16. März 2020, KES.2020.10
[1] Geiser, Basler Kommentar, 5.A., Art. 450e ZGB N. 10
[2] Steck, in: FamKommentar Erwachsenenschutz (Hrsg.: Büchler/Häfeli/Leuba/Stettler), Bern 2013, Art. 450e ZGB N. 6
[3] Kindes- und Erwachsenenschutzverordnung, RB 211.24
[4] Spühler, Basler Kommentar, 3.A., Art. 321 ZPO N. 4
[5] Spühler, Art. 311 ZPO N. 18