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RBOG 2020 Nr. 8

Verrechenbarkeit von Unterhaltsforderungen mit einer Forderung des Vaters gegenüber der Mutter; Identität


Art. 120 OR, Art. 279 ZGB, Art. 286 Abs. 3 ZGB, Art. 318 Abs. 1 ZGB


1. Die Beschwerdeführerin und der Beschwerdegegner sind Eltern von zwei gemeinsamen Kindern. Sie schlossen eine umfassende Scheidungskonvention ab. Das auf diese Konvention gestützte Scheidungsurteil erwuchs nach erfolgloser Berufung ans Obergericht vollumfänglich in Rechtskraft. Gestützt auf eine Klagebewilligung reichte die Beschwerdeführerin Klage beim Bezirksgericht ein und beantragte, der Beschwerdegegner habe ihr den Betrag von gesamthaft Fr. 9'088.00 nebst 5% Zins seit 5. November 2018 zu bezahlen. Der Beschwerdegegner beantragte die Abweisung der Klage. Die Klage wurde teilweise geschützt und der Beschwerdegegner verpflichtet, der Beschwerdeführerin den Betrag von Fr. 276.70 (Kostenbeteiligung an medizinisch notwendigen Kosten der gemeinsamen Kinder) nebst 5% Zins seit 21. November 2018 zu bezahlen. Zudem wurde die Beschwerdeführerin verpflichtet, die Verfahrensgebühr von Fr. 750.00 zu bezahlen und den Beschwerdegegner mit Fr. 2'400.00 inklusive Barauslagen und Mehrwertsteuer zu entschädigen. Gegen diesen Entscheid liess die Beschwerdeführerin Beschwerde erheben und beantragen, die Klage sei in Gutheissung der Beschwerde im Umfang der Unterhaltsforderung von Fr. 3'084.70 nebst 5% Zins seit 5. November 2018 zu schützen. Der Beschwerdegegner beantragte die Abweisung der Beschwerde.

2. a) Die Vorinstanz hielt in ihren Erwägungen zur Verrechnung fest, dass die Forderung des Beschwerdegegners im Umfang von Fr. 2'808.00 urkundlich ausgewiesen, fällig und deren bisherige Nichtbezahlung vonseiten der Beschwerdeführerin ausdrücklich anerkannt werde. Da verrechnungsweise geltend gemachte Gegenforderungen nicht mit dem eingeklagten Streitgegenstand in irgendeinem gearteten sachlichen Zusammenhang stehen müssten, sei die Beschwerdeführerin mit ihrem Argument, die Gegenforderung gehöre nicht in das vorliegende Verfahren, nicht zu hören. Die Voraussetzungen von Art. 120 Abs. 1 OR seien erfüllt.

b) Die Beschwerdeführerin macht demgegenüber geltend, dass die Verrechnung der vorinstanzlich als berechtigt erachteten Unterhaltsforderung mit einer früheren, geschuldeten Parteientschädigung unzulässig sei. Sie mache mit ausserordentlichem Kindesunterhalt nach Art. 286 Abs. 3 ZGB eine für die Kinder bestimmte Forderung geltend, während die Parteientschädigung sie als Schuldnerin persönlich treffe. Daher fehle es an der Voraussetzung der Identität der Parteien. Gemäss Art. 125 Ziff. 2 OR sei die Verrechenbarkeit von Unterhalt, selbst bei vollständiger Parteiidentität, eingeschränkt, soweit der Unterhalt für die Kinder notwendig sei. Dies treffe für den hier strittigen ausserordentlichen Unterhalt für Gesundheitskosten zu, regle doch diese Bestimmung unumgänglich notwendige Kosten, welche den Rahmen des laufenden Unterhalts sprengen würden. Solche Verpflichtungen, deren besondere Natur die tatsächliche Erfüllung an die Gläubiger verlange, könnten nicht durch Verrechnung getilgt werden. Im Hinblick auf den vom Gesetz bezweckten sozialen Schutz sei eine weite Auslegung von Art. 125 Ziff. 2 OR angebracht. Erst mit Volljährigkeit des Kindes ende die elterliche Sorge und folglich die gesetzliche Vertretung. Das heisse, dass vor Mündigkeit der berechtigte Elternteil nicht aus eigenem Recht, sondern nur als Vertreter des Kindes handle.

c) Der Beschwerdegegner bringt vor, es sei unbestritten geblieben, dass die Beschwerdeführerin ihm aus einem früheren Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 2'808.00 schulde. Sollte die von der Vorinstanz zugelassene Verrechnung der gegenseitigen Forderungen nicht bestätigt werden, hätte sie ihm diesen Betrag dennoch in jedem Fall zu bezahlen. Die Beschwerdeführerin habe die von ihr geltend gemachte Forderung ausdrücklich in eigenem Namen und nicht als gesetzliche Vertreterin der Kinder eingeklagt. Ein solches Vertretungsverhältnis sei von der Beschwerdeführerin nie behauptet worden. Darauf sei sie zu behaften. Die Vorinstanz habe daher zu Recht die Verrechnung zugelassen. Aus der unbestritten gebliebenen vorinstanzlichen Urteilsbegründung gehe hervor, dass er seiner ordentlichen Unterhaltspflicht gegenüber seinen Kindern immer uneingeschränkt nachgekommen sei und der von der Beschwerdeführerin geltend gemachte Forderungsanspruch auf der Rückerstattung der von der Beschwerdeführerin für die Psychotherapie der zwei Kinder bereits bezahlten und von der Krankenkasse nicht übernommenen Beträge beruhe. Die Beschwerdeführerin mache geltend, dass sie diese Kostenanteile bereits selbst bezahlt und damit gegenüber dem Beschwerdegegner quasi bevorschusst habe. Bei der Anwendung von Art. 125 Ziff. 2 OR gehe es dagegen um Verpflichtungen, deren besondere Natur die tatsächliche Erfüllung an den Gläubiger verlange, wie insbesondere bei Unterhaltsansprüchen, die zum Unterhalt des Gläubigers und seiner Familie unbedingt erforderlich seien, was hier eben gerade nicht der Fall sei.

3. a) Wenn zwei Personen einander Geldsummen oder andere Leistungen, die ihrem Gegenstand nach gleichartig sind, schulden, so kann jede ihre Schuld, sofern beide Forderungen fällig sind, mit ihrer Forderung verrechnen[1]. Verpflichtungen, deren besondere Natur die tatsächliche Erfüllung an den Gläubiger verlangt, wie Unterhaltsansprüche und Lohnguthaben, die zum Unterhalt des Gläubigers und seiner Familie unbedingt erforderlich sind, können wider den Willen des Gläubigers nicht durch Verrechnung getilgt werden[2].

b) Von besonderen Vereinbarungen abgesehen, erlischt eine Forderung durch Verrechnung, wenn folgende Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind: Erfüllbarkeit der Forderung, Klagbarkeit und Fälligkeit der Verrechnungsforderung, Gegenseitigkeit der Forderungen, Gleichartigkeit der Forderungen, kein Ausschluss der Verrechnung durch Vertrag oder Gesetz und ausdrückliche oder stillschweigende Verrechnungserklärung[3]. Gegenseitigkeit im Sinn von Art. 120 Abs. 1 OR liegt vor, wenn die Gläubiger- und Schuldnerstellungen zweier Obligationen sich derart auf zwei Personen verteilen, dass jede der beiden gleichzeitig Gläubiger der einen und Schuldner der anderen ist[4]. Eine Verrechnungslage entsteht, «wenn zwei Personen einander (etwas …) schulden», und setzt somit den Bestand mindestens zweier Schuldpflichten beziehungsweise Forderungen zwischen denselben Personen voraus. Der Schuldner der Hauptforderung ist Gläubiger der Verrechnungsforderung und umgekehrt[5]. Eine Verrechnung kann nur stattfinden, wenn sich die Verrechnungsforderung gegen den Verrechnungsgegner und die Hauptforderung gegen den Verrechnenden richtet und, sofern relevant, wie zum Beispiel im Konkurs oder im Gesellschaftsrecht, beide Forderungen je dieselbe Vermögensmasse betreffen[6].

4. a) Die Eltern sorgen gemeinsam, ein jeder Elternteil nach seinen Kräften, für den gebührenden Unterhalt des Kindes und tragen insbesondere die Kosten von Betreuung, Erziehung, Ausbildung und Kindesschutzmassnahmen[7]. Bei nicht vorhergesehenen ausserordentlichen Bedürfnissen des Kindes kann das Gericht die Eltern zur Leistung eines besonderen Beitrags verpflichten[8].

b) Der Anspruch auf Unterhaltsbeiträge steht dem Kind zu[9] und wird, solange das Kind minderjährig ist, durch Leistung an dessen gesetzlichen Vertreter oder den Inhaber der Obhut erfüllt, soweit das Gericht es nicht anders bestimmt[10]. Bei gemeinsamer elterlicher Sorge ist an den Inhaber der Obhut zu leisten, wobei unter Obhut die tatsächliche häusliche Gemeinschaft zu verstehen ist[11]. Gläubiger des Unterhaltsanspruchs ist somit ebenfalls das Kind und gemäss Art. 279 ZGB ist es zur prozessualen Durchsetzung des Unterhaltsanspruchs aktivlegitimiert. Es ist denn auch ab seiner Geburt parteifähig, wobei der gesetzliche Vertreter für das Kind handelt, so lange es noch nicht prozessfähig ist. Die bundesgerichtliche Rechtsprechung hat es hingegen nicht bei dieser Vertretungsbefugnis[12] bewenden lassen, sondern darüber hinaus dem Inhaber der elterlichen Sorge gestützt auf Art. 318 Abs. 1 ZGB die Befugnis zuerkannt, die Rechte des unmündigen Kindes in vermögensrechtlichen Angelegenheiten[13] im eigenen Namen auszuüben und vor Gericht oder in einer Betreibung selber geltend zu machen, indem der Sorgerechtsinhaber persönlich als Partei, das heisst als sogenannter Prozessstandschafter, handelt[14]. Diese Befugnis setzt das Bestehen der elterlichen Sorge voraus und endet demnach mit der Volljährigkeit des Kindes[15].

c) Richtigerweise hat die Vorinstanz festgestellt, dass es bei dem im Beschwerdeverfahren massgebenden und vor Vorinstanz eingeklagten Anspruch um eine Forderung für nicht vorhergesehene ausserordentliche Bedürfnisse der gemeinsamen Kinder im Sinn von Art. 286 Abs. 3 ZGB geht. Dabei muss es sich nicht um strikt einmalige, aber doch lediglich vorübergehende und nach absehbarer Zeit voraussichtlich wieder entfallende Bedürfnisse handeln, welche im Zeitpunkt der Festlegung des Unterhaltsbeitrags nicht in Betracht gezogen wurden und auch nicht in Betracht gezogen werden konnten[16]. Dies blieb von den Parteien im Übrigen unbestritten. Ebenfalls unbestritten ist die Höhe der von der Vorinstanz festgestellten Forderungen im Umfang von Fr. 3'084.70. Die Beschwerdegegnerin kann als Inhaberin der elterlichen Sorge und der Obhut über die gemeinsamen Kinder diese Ansprüche der Kinder im eigenen Namen vor Gericht als Prozessstandschafterin geltend machen. Der Anspruch auf Leistung eines besonderen Beitrags aufgrund von nicht vorhergesehenen ausserordentlichen Bedürfnissen des Kindes (hier: Auslagen für die Zahnbehandlung und die Psychotherapie der Kinder) steht jedoch den Kindern und nicht der Beschwerdeführerin persönlich zu. Folglich stehen die Kinder als Gläubiger auf der einen, der Beschwerdegegner als Schuldner auf der anderen Seite.

d) Die Forderung des Beschwerdegegners in der Höhe von Fr. 2'808.00 wurde mit Entscheid des Einzelrichters des Bezirksgerichts vom 15. Dezember 2017 rechtskräftig festgestellt und entspricht der ausseramtlichen Parteientschädigung. Der Bestand dieser Forderung sowie die Fälligkeit werden denn auch von der Beschwerdeführerin nicht bestritten. Bei dieser verrechnungsweise geltend gemachten Forderung stehen der Beschwerdegegner als Gläubiger auf der einen und die Beschwerdeführerin als Schuldnerin auf der anderen Seite.

e) Die Voraussetzung der Identität von Gläubiger und Schuldner ist bei dieser Ausgangslage nicht gegeben. Es hat auch keine Subrogation nach Art. 110 OR oder eine Abtretung einer Forderung nach Art. 164 ff. OR stattgefunden. Insofern ist eine Verrechnung der Forderungen nicht möglich. Vor diesem Hintergrund erübrigt sich eine nähere Prüfung, ob das Verrechnungsverbot von Art. 125 Ziff. 2 OR[17] zur Anwendung kommen würde. Ein solches betrifft Verpflichtungen, deren besondere Natur die tatsächliche Erfüllung an den Gläubiger verlangen, wie Unterhaltsansprüche und Lohnguthaben, die zum Unterhalt des Gläubigers und seiner Familie unbedingt erforderlich sind. Zwar steht es dem Beschwerdegegner frei, die rechtskräftig festgestellte Forderung gegenüber der Beschwerdeführerin – allenfalls auch im Rahmen eines Betreibungsverfahrens – einzufordern. Der Weg über die Verrechnung mit von ihm geschuldeten ausserordentlichen Kindesunterhaltsbeiträgen steht ihm jedoch nicht offen.

Obergericht, 1. Abteilung, 7. Juli 2020, ZR.2020.10


[1] Art. 120 Abs. 1 OR

[2] Art. 125 Ziff. 2 OR

[3] Huguenin, Obligationenrecht, 3.A., N. 759

[4] BGE 132 III 349 mit weiteren Hinweisen

[5] Kessler, Obligationenrecht, Kurzkommentar (Hrsg.: Honsell), Basel 2014, Art. 120 N. 1; Huguenin, N. 762

[6] Müller, Basler Kommentar, 7.A., Art. 120 OR N. 5

[7] Art. 276 Abs. 2 ZGB

[8] Art. 286 Abs. 3 ZGB

[9] Fountoulakis/Breitschmid/Kamp, Basler Kommentar, 6.A., Art. 279 ZGB N. 7

[10] Art. 289 Abs. 1 ZGB

[11] Fountoulakis/Breitschmid/Kamp, Art. 289 ZGB N. 4

[12] Handeln in fremdem Namen

[13] Insbesondere betreffend Unterhaltsbeiträge

[14] Fountoulakis/Breitschmid/Kamp, Art. 279 ZGB N. 7

[15] BGE 142 III 80 mit weiteren Hinweisen

[16] Fountoulakis/Breitschmid/Kamp, Art. 286 ZGB N. 15

[17] Vgl. dazu auch Kessler, Art. 125 OR N. 5

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