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RBOG 2021 Nr. 13

Die Abweisung des Wiederherstellungsgesuchs betreffend Rechtsvorschlagsfrist durch die untere Aufsichtsbehörde in Schuldbetreibungssachen stellt keine Betreibungshandlung dar, weshalb die Sperrfristen nach Art. 56 ff. SchKG nicht zu berücksichtigen sind.


Art. 31 SchKG, Art. 63 SchKG, Art. 145 Abs. 4 ZPO


1. Das Betreibungsamt teilte dem Beschwerdeführer mit, er habe den Rechtsvorschlag in einer Betreibung verspätet erhoben. Der Einzelrichter des Bezirksgerichts als untere Aufsichtsbehörde in Schuldbetreibungssachen wies das Gesuch um Wiederherstellung der versäumten Rechtsvorschlagsfrist mit Entscheid vom 3. Dezember 2020 ab. Dagegen reichte der Beschwerdeführer am 11. Januar 2021 Beschwerde ein.

2. a) Gegen Entscheide des Einzelrichters des Bezirksgerichts als untere Aufsichtsbehörde in Schuldbetreibungssachen können die am Verfahren beteiligten Personen gemäss Art. 18 Abs. 1 SchKG innert zehn Tagen nach der Eröffnung Beschwerde erheben. Zuständig ist das Obergericht als obere kantonale Aufsichtsbehörde[1].

b) Art. 31 SchKG verweist für die Berechnung, die Einhaltung und den Lauf der Fristen auf die Bestimmungen der ZPO, sofern das SchKG nichts anderes bestimmt[2].

aa) Fristen, die durch eine Mitteilung ausgelöst werden, beginnen am folgenden Tag zu laufen[3]. Eingaben müssen spätestens am letzten Tag der Frist beim Gericht eingereicht oder zu dessen Handen der Schweizerischen Post oder einer schweizerischen diplomatischen oder konsularischen Vertretung übergeben werden[4]. Fällt der letzte Tag der Frist auf einen Samstag, einen Sonntag oder einen am Gerichtsort vom Bundesrecht oder vom kantonalen Recht anerkannten Feiertag, so endet sie am nächsten Werktag[5].

bb) Die betreibungsrechtliche Beschwerde nach Art. 17 ff. SchKG ist keine gerichtliche Angelegenheit des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts gemäss Art. 1 lit. c ZPO. Die Gerichtsferien gemäss Art. 145 Abs. 1 ZPO und die Pflicht zur Belehrung über die Nichtgeltung von Gerichtsferien gelten demnach für die Beschwerde von vornherein nicht. Vielmehr richtet sich die Frage der Fristwahrung nach Art. 56 Ziff. 2 SchKG (Betreibungsferien) und Art. 63 SchKG (Wirkungen der Betreibungsferien auf den Fristenlauf)[6]. Aus Art. 31 SchKG lässt sich nichts Gegenteiliges ableiten. Zusätzlich behält Art. 145 Abs. 4 ZPO die Bestimmungen des SchKG über die Betreibungsferien und den Rechtsstillstand ausdrücklich vor. Die ZPO selber verweist damit auf Art. 56 ff. SchKG zurück. Somit gehen Art. 56 ff. SchKG als Spezialbestimmungen den Bestimmungen der ZPO zu den Gerichtsferien vor[7].

Während der Sperrzeiten nach Art. 56 ff. SchKG[8] dürfen Betreibungshandlungen nicht vorgenommen werden. Betreibungshandlungen sind alle Handlungen der Vollstreckungsbehörden, die auf die Einleitung oder Fortsetzung des Verfahrens gerichtet sind, das darauf abzielt, den Gläubiger auf dem Wege der Zwangsvollstreckung aus dem Vermögen des Schuldners zu befriedigen und die in die Rechtsstellung des Schuldners eingreifen[9]. Gemäss Bundesgericht richtet sich das Verbot der Vornahme von Betreibungshandlungen an die Aufsichtsbehörden nur insofern, als diese selbständig ins Verfahren eingreifen und dem Betreibungsbeamten die Vornahme einer Betreibungshandlung vorschreiben oder den Parteien von sich aus eine Frist ansetzt[10]. Keine Betreibungshandlungen der Aufsichtsbehörden sind etwa der Nichteintretensentscheid der Aufsichtsbehörde zufolge Fristversäumnis, die Bestätigung einer Lohnpfändung auf Beschwerde des Betriebenen hin oder die Abweisung der Beschwerde des Betriebenen gegen die Zustellung des Zahlungsbefehls[11].

Betreibungsferien und Rechtsstillstand hemmen den Fristenlauf nicht. Fällt jedoch für den Schuldner, den Gläubiger oder den Dritten das Ende einer Frist in die Zeit der Betreibungsferien oder des Rechtstillstands, so wird die Frist bis zum dritten Tag nach deren Ende verlängert. Bei der Berechnung der Frist von drei Tagen werden Samstag und Sonntag sowie staatlich anerkannte Feiertage nicht mitgezählt[12]. Die Fristerstreckung nach Art. 63 SchKG ist gemäss Bundesgericht allerdings nur anwendbar, wenn Betreibungshandlungen angefochten werden, welche während Betreibungsferien und Rechtsstillstand nicht vorgenommen werden dürfen[13].

cc) Die Zustellung von Entscheiden erfolgt durch eingeschriebene Postsendung oder auf andere Weise gegen Empfangsbestätigung[14]. Eine eingeschriebene Postsendung, die nicht abgeholt worden ist, gilt am siebten Tag nach dem erfolglosen Zustellungsversuch als zugestellt, soweit der Empfänger mit der Sendung rechnen musste[15]. Holt der Adressat die eingeschriebene Sendung nicht innerhalb der siebentägigen Abholungsfrist ab, behilft sich die Zivilprozessordnung somit einer Fiktion: Der Adressat wird so behandelt, wie wenn er die Sendung am letzten Tag der Frist abgeholt hätte (Zustell- oder Zustellungsfiktion)[16]. Gestützt auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes[17] kann sich jedoch eine Rechtsmittelfrist verlängern, wenn das Gericht der Partei noch vor Ende der Frist eine vertrauensbegründende Auskunft erteilt oder das Gericht durch sein widersprüchliches Verhalten ein derartiges Vertrauen erweckt. Eine solche Auskunft kann darin bestehen, dass der Partei der Entscheid mit vorbehaltloser Rechtsmittelbelehrung vor Ablauf der Frist erneut zugestellt wird[18].

c) aa) Der Beschwerdeführer bewirkte mit Einreichung des Fristwiederherstellungsgesuchs bei der Vorinstanz die Rechtshängigkeit des Verfahrens und begründete somit ein Prozessverhältnis, welches ihn verpflichtete, sich nach Treu und Glauben zu verhalten, das heisst unter anderem dafür zu sorgen, dass ihm Entscheide zugestellt werden können[19]. Als Prozesspartei musste er somit mit einer Zustellung des Gerichts rechnen. Damit greift hier die Zustellfiktion gemäss Art. 138 Abs. 3 lit. a ZPO.

bb) Dem Beschwerdeführer wurde die Postsendung mit dem angefochtenen Entscheid am Freitag, 4. Dezember 2020, avisiert. Die siebentägige Abholfrist endete somit am Freitag, 11. Dezember 2020. Die zehntägige Beschwerdefrist begann gemäss Art. 142 Abs. 1 ZPO am darauffolgenden Tag zu laufen, das heisst am Samstag, 12. Dezember 2020.

Der Einzelrichter des Bezirksgerichts als untere Aufsichtsbehörde in Schuldbetreibungssachen verfügte im angefochtenen Entscheid die Abweisung des Wiederherstellungsgesuchs betreffend Rechtsvorschlagsfrist. Er griff nicht von sich aus ins Betreibungsverfahren ein oder schrieb den Betreibungsbeamten die Vornahme einer Betreibungshandlung vor. Das Betreibungsverfahren wird durch den abweisenden Entscheid der Aufsichtsbehörde nicht in ein vorgerückteres Stadium gebracht und die Rechtsstellung des Schuldners wird dadurch auch nicht präjudiziert. Der Beschwerdeführer nimmt aufgrund des angefochtenen Abweisungsentscheids lediglich diejenige Position ein, welche er auch ohne Einreichung einer Beschwerde gehabt hätte. Der angefochtene Entscheid stellt deshalb keine Betreibungshandlung dar. Die Sperrfristen nach Art. 56 ff. SchKG und damit insbesondere auch die Betreibungsferien oder ein allfälliger Rechtsstillstand sind nicht zu berücksichtigen. Die Frist zur Einreichung einer Beschwerde an das Obergericht als obere Aufsichtsbehörde endigte somit am Montag, 21. Dezember 2020.

Die erst am 11. Januar 2021 erhobene Beschwerde ist somit verspätet, weshalb darauf nicht einzutreten ist. Eine gestützt auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes angesichts der zweiten Zustellung des angefochtenen Entscheids mit A-Post allenfalls zu bejahende Verlängerung der Rechtsmittelfrist ist hier nicht ersichtlich, zumal die Vorinstanz mit dieser zweiten Zustellung den Beschwerdeführer unmissverständlich darauf aufmerksam machte, dass für die Auslösung von Rechtsmittelfristen nicht das Datum der zweiten Zustellung massgeblich sei.

Selbst wenn man zugunsten des Beschwerdeführers die Betreibungsferien beim Fristenlauf berücksichtigen würde, wäre die Beschwerde zu spät: sie wäre am 6. Januar 2021 abgelaufen[20].

Sodann ist darauf hinzuweisen, dass für den Beschwerdeführer in der massgeblichen Zeitspanne auch kein bundesrätlicher Beschluss gegolten hätte, welcher im vorliegenden Betreibungsverfahren zu einem Rechtsstillstand infolge der COVID-19-Pandemie nach Art. 62 SchKG hätte führen können.

cc) Die Nichteinhaltung der Frist ist von Amtes wegen zu beachten[21].

4. Damit wird auf die Beschwerde nicht eingetreten.

Obergericht, 1. Abteilung, 27. Januar 2021, BS.2021.1


[1] § 59 ZSRG (Gesetz über die Zivil- und Strafrechtspflege, RB 271.1)

[2] Cometta/Möckli, Basler Kommentar, 2.A., Art. 17 SchKG N. 53; Nordmann, Basler Kommentar, 2.A., Art. 31 SchKG N. 19

[3] Art. 142 Abs. 1 ZPO

[4] Art. 143 Abs. 1 ZPO

[5] Art. 142 Abs. 3 ZPO

[6] BGE 141 III 171

[7] BGE 141 III 171 f.

[8] In den geschlossenen Zeiten, nämlich an Werktagen zwischen 20 Uhr und 7 Uhr sowie an Sonntagen und staatlich anerkannten Feiertagen (Art. 56 Ziff. 1 SchKG); während der Betreibungsferien, nämlich sieben Tage vor und sieben Tage nach Ostern und Weihnachten sowie vom 15. Juli bis zum 31. Juli (Art. 56 Ziff. 2 SchKG); gegen einen Schuldner, dem der Rechtsstillstand nach Art. 57-62 SchKG gewährt wurde (Art. 56 Ziff. 3 SchKG)

[9] Bauer, Basler Kommentar, 2.A., Art. 56 SchKG N. 25

[10] Bauer, Art. 56 SchKG N. 27

[11] Bauer, Art. 56 SchKG N. 27a

[12] Art. 63 SchKG

[13] Bauer, Art. 63 SchKG N. 7

[14] Art. 138 Abs. 1 ZPO

[15] Art. 138 Abs. 3 lit. a ZPO

[16] BGE 143 III 18 f., 138 III 227

[17] Art. 5 Abs. 3 und Art. 9 BV, Art. 52 ZPO

[18] BGE vom 14. Mai 2019, 4A_53/2019, Erw. 4.4.2

[19] Vgl. BGE 130 III 399

[20] Beginn: 12. Dezember 2020, eigentliches Ende: 21. Dezember 2020, das heisst in den Betreibungsferien vom 18. Dezember 2020 bis 1. Januar 2021 + 3 Tage (ohne Samstag und Sonntag), das heisst Ende: 6. Januar 2021

[21] Cometta/Möckli, Art. 17 SchKG N. 50

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