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RBOG 2021 Nr. 2

Verzicht auf Regelung des Besuchsrechts durch die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde und Übertragung dieser Kompetenz an den Beistand


Art. 273 Abs. 1 ZGB, Art. 273 Abs. 3 ZGB, Art. 308 Abs. 2 ZGB


1. Die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde entzog den Beschwerdeführern das Aufenthaltsbestimmungsrecht über ihre beiden Kinder und platzierte diese fremd. Sie sah davon ab, ein Besuchsrecht zu regeln und passte den Aufgabenbereich der Beistandsperson an. Dagegen erhoben die Beschwerdeführer Beschwerde beim Obergericht.

2. a) Die Vorinstanz sah davon ab, das Besuchsrecht zwischen den Eltern und den Kindern zu regeln. Sie beauftragte die Beistandsperson, "sofern erforderlich der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde einen Antrag auf Regelung des persönlichen Verkehrs mit konkreten Vorschlägen einzureichen".

b) aa) Gemäss Art. 273 Abs. 1 ZGB haben Eltern, denen die elterliche Obhut oder Sorge nicht zusteht, und das minderjährige Kind gegenseitig Anspruch auf angemessenen persönlichen Verkehr. Die Beziehung des Kindes zu beiden Elternteilen ist von elementarer Bedeutung und kann eine entscheidende Rolle in seiner Persönlichkeitsfindung spielen. Als oberste Richtschnur für die Ausgestaltung des Besuchsrechts gilt das Kindeswohl, das anhand der Umstände des konkreten Einzelfalls zu beurteilen ist; allfällige Interessen der Eltern haben zurückzustehen[1]. Würde die Wahrnehmung des Besuchsrechts das Kindeswohl gefährden, kann es verweigert oder entzogen werden. Erforderlich sind konkrete Hinweise für eine Kindeswohlgefährdung[2]. Von besonderer Bedeutung bei der Festlegung des Besuchsrechts sind insbesondere das Alter des Kindes, die körperliche und geistige Gesundheit des Kindes und des Berechtigten, die Persönlichkeit und Bedürfnisse der Beteiligten, die Beziehung des Kindes zum Berechtigten, die Beziehung der Eltern untereinander, die zeitliche Verfügbarkeit aller Beteiligten, die Entfernung und Erreichbarkeit der Wohnorte, die Wohnverhältnisse beim besuchsberechtigten Elternteil sowie die berechtigten Wünsche und Meinungen des urteilsfähigen Kindes[3]. Für die Berücksichtigung des Willens des Kindes sind dessen Fähigkeit zu autonomer Willensbildung, welche ungefähr ab dem 12. Altersjahr anzunehmen ist, das Aussageverhalten und die Konstanz des geäusserten Willens zentral[4]. Häufigkeit und Dauer der Besuche sind im Übrigen dem Einzelfall anzupassen[5].

bb) Der angefochtene Entscheid verzichtet darauf, das Besuchsrecht zu regeln. Zumindest vorläufig entspricht es dem Kindeswohl, Besuchskontakte zwischen den Beschwerdeführern und den Kindern zu sistieren. Vor der Fremdplatzierung eskalierte die Situation im elterlichen Haushalt. Um den Kindern den Start ins neue Umfeld zu erleichtern, scheint es sinnvoll, die persönlichen Kontakte zu den Eltern auszusetzen. Fraglich ist jedoch, wann Kontakte wieder stattfinden sollen. Gründe für eine dauerhafte Sistierung werden im angefochtenen Entscheid keine genannt und sind auch nicht ersichtlich. Die Vorinstanz überantwortete es dem Beistand, ein zukünftiges Besuchsrecht an die Behörde heranzutragen.

c) aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist es unzulässig, kein Besuchsrecht anzuordnen und einer Beistandsperson die Aufgabe zu übertragen, "alle Vorkehren im Hinblick auf die Wiederannäherung" zu treffen[6]. In der Literatur wird diese Rechtsprechung dahingehend relativiert, es könne Konstellationen geben, in denen es sinnvoll sei, den Entscheid über "Ob" und "Wie" der elterlichen Sorge einem Beistand zu überantworten[7]. Unter Umständen könne gerade der ernsthafte Konflikt die nötige Voraussetzung für die Errichtung einer Beistandschaft darstellen. Art. 308 ZGB sehe ein flexibles System vor; und das Gesetz erwähne in Art. 308 Abs. 2 ZGB ausdrücklich die Beistandschaft zur Wahrung "anderer Rechte". Deshalb sei eine Beistandschaft mit dem Ziel, das Besuchsrecht anzubahnen und allenfalls "Entkrampfungsaktivitäten" zu entfalten, zulässig[8].

bb) Das Besuchsrecht ist keine Komponente der elterlichen Sorge, sondern steht den Eltern (wie dem Kind) aufgrund ihrer Persönlichkeit zu. Deshalb haben die Eltern (wie auch das Kind) einen Rechtsanspruch auf verbindliche Festsetzung eines Besuchsrechts. Gerade in Bezug auf den persönlichen Verkehr sind - in strittigen Verhältnissen - verbindliche Behördenvorgaben wesentlich, um einen strukturierten Rahmen für die effektive Wahrnehmung dieses Pflichtrechts zu schaffen. Wird eine Beistandsperson damit beauftragt, das "Ob" und "Wie" eines Besuchsrechts festzulegen oder dessen Voraussetzungen erst zu schaffen, fehlt der strukturgebende Rahmen eines (anfechtbaren) behördlichen Entscheids. Es droht auf der einen Seite ein Entscheidungsvakuum. Auf der anderen Seite kann eine Beistandsperson weitaus flexibler auf Sachverhaltsänderungen reagieren als eine entscheidende Behörde. Die Delegation von Kompetenzen im Zusammenhang mit dem Besuchsrecht entspricht nicht nur einem praktischen Bedürfnis, sie kann der zeitnahen Verwirklichung der gegenseitigen Ansprüche von Eltern und Kind dienen.

cc) Die in der Literatur geäusserten Vorbehalte zu BGE 126 III 219 sind vor diesem Hintergrund berechtigt. Das Gesetz sieht in Art. 308 Abs. 2 ZGB ausdrücklich vor, dass eine Beistandsperson allgemein zur Wahrung von "anderen Rechten" eingesetzt werden kann. Eine teleologische Interpretation dieser Bestimmung muss dem vorerwähnten Spannungsfeld von effektiver Umsetzung des Besuchsrechts und drohendem Entscheidungsvakuum Rechnung tragen. Es ist im Einzelfall zu prüfen, ob es sinnvoll ist, eine Beistandsperson mit der Vorbereitung und/oder dem Ausbau von Besuchskontakten zu mandatieren. Von vornherein sinnlos wäre die Massnahme, wenn Besuchskontakte aktuell und zukünftig kategorisch auszuschliessen wären[9]. Geht es hingegen darum, einen bestimmten Zustand einstweilen zu belassen, und besteht prognostisch die Möglichkeit einer Verbesserung, kann die Beistandsperson für die zukünftige Anpassung eingesetzt werden. Eine solche Kindesschutzmassnahme erweist sich als verhältnismässig, weil die Alternative darin bestünde, gestützt auf den aktuellen Wissensstand das Besuchsrecht ganz zu verweigern. Durch die Mandatierung einer Beistandsperson kann die Kontaktregelung entwicklungsoffen gefasst werden. Allerdings darf sich die Behörde nicht durch Einsetzung einer Beistandsperson der eigenen Entscheidungsverantwortung entschlagen. Dort, wo ein Besuchsrecht konkret festgelegt werden kann, muss es die Behörde definieren. Vorliegend ist es, wie dargelegt, jedoch angebracht, das Besuchsrecht vorübergehend zu sistieren. Nach erzielter Beruhigung sprechen hingegen keine Gründe gegen Kontakte zwischen den Kindern und den Beschwerdeführern. Folglich entsteht kein Entscheidungsvakuum, und das Vorgehen der Vorinstanz mit Mandatierung des Beistands ist nicht zu beanstanden. Der Beistand hat dabei die Aufgabe, eine einvernehmliche Besuchsregelung mit den Beteiligten zu erarbeiten. Kommt keine Einigung zustande, hat hingegen die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde zu entscheiden. Dem Beistand fehlt die Kompetenz, das Besuchsrecht autoritativ festzulegen.

Obergericht, 1. Abteilung, 24. Februar 2021, KES.2021.5


[1] BGE 130 III 587 f.; BGE vom 19. Januar 2005, 5C.199/2004, Erw. 2 (nicht publiziert in BGE 131 III 209)

[2] BGE 122 III 407 f.

[3] Schwenzer/Cottier, Basler Kommentar, 6.A., Art. 273 ZGB N. 10

[4] BGE vom 12. August 2015, 5A_367/2015, Erw. 5.1.3

[5] Im Einzelnen RBOG 2017 Nr. 2 mit ausführlichen Hinweisen

[6] BGE 126 III 219

[7] Affolter-Fringeli/Vogel, Berner Kommentar, Bern 2016, Art. 308 ZGB N. 94; vgl. Eitel, Kein Raum für eine Beistandschaftserrichtung nach Art. 308 ZGB bei gleichzeitiger Besuchsrechtsverweigerung nach Art. 274 Abs. 2 ZGB?, in: Jusletter 11. Dezember 2000, N. 17

[8] Biderbost, Wenn zwei sich streiten, leidet der Dritte, in: Jusletter 1. November 2004, N. 18

[9] In diesem Sinn BGE 126 III 219

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