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RBOG 2022 Nr. 1

Unzulässige Verpflichtung des unterhaltpflichtigen Elternteils, dem subrogierenden Gemeinwesen jährlich unaufgefordert und lückenlos Auskunft über seine finanziellen Verhältnisse zu geben


Art. 170 Abs. 1 ZGB Art. 289 Abs. 1 ZGB Art. 289 Abs. 2 ZGB Art. 296 Abs. 1 ZPO


  1. Die Berufungsklägerin und A sind die verheirateten Eltern von zwei minderjährigen Kindern. Die beiden Kinder sind fremdplatziert und die Eltern leben getrennt. Die Berufungsbeklagte, eine Gemeinde im Kanton Thurgau, reichte beim Bezirksgericht eine Unterhaltsklage gegen die Eltern ein. Das Bezirksgericht verpflichtete die Berufungsklägerin und A, sämtliche Unterlagen zu ihrer finanziellen Situation, insbesondere die Lohn- beziehungsweise Rentenausweise des jeweiligen Vorjahres und die Steuererklärungen, bis Juni des laufenden Jahres, der Berufungsbeklagten unaufgefordert vorzulegen. Dagegen erhob die Berufungsklägerin Berufung.

  2. a)  Nach Art. 296 Abs. 1 ZPO erforscht das Gericht den Sachverhalt bei Kinderbelangen in familienrechtlichen Angelegenheiten von Amtes wegen. Es handelt sich dabei jedoch um eine Bestimmung prozessualer Natur, welche nicht ausserhalb eines Prozesses angewendet werden kann.

    b)    Zutreffend ist im Weiteren, dass Art. 170 Abs. 1 ZGB eine Auskunftspflicht zwischen Ehegatten über finanzielle Belange statuiert. Auf Begehren eines Ehegatten kann das Gericht den andern Ehegatten oder Dritte verpflichten, die erforderlichen Auskünfte zu erteilen und die notwendigen Urkunden vorzulegen [1]. Selbst nach Auflösung der Ehe kann über noch offene Rechtsansprüche Auskunft verlangt werden, nach Ansicht der Literatur aber nicht bei einer Klage auf Abänderung eines im Scheidungsurteil festgesetzten nachehelichen Unterhaltsanspruchs [2]. Die Vor­instanz wendet die Bestimmung zur ehelichen Auskunftspflicht analog an, wohl im Sinn von "a maiore ad minus". Ein Auskunftsrecht zugunsten der Kinder wäre aber kein "Minus", sondern eine separate Verpflichtung und müsste daher eine gesetzliche Grundlage haben. Auch Art. 314e ZGB, der im Kindesschutzverfahren die Mitwirkungspflicht zur Abklärung des Sachverhalts vor der Kindesschutzbehörde regelt, kann nicht auf Unterhaltsklagen des Kindes analog angewendet werden. Auch dort ist die Mitwirkungspflicht im Rahmen eines aktuellen Kindesschutzverfahrens vorgesehen und gilt nicht generell. Soweit die Vorinstanz die analoge Auskunftspflicht der Eltern über die Vermögensverwaltung durch den Beistand herleitet, fehlt es ebenfalls an einer gesetzlichen Grundlage. Der Beistand beziehungsweise allenfalls die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde können sich zwar bezüglich einer Mitwirkungspflicht der Berufungsklägerin auf Art. 314e ZGB stützen und haben nach Art. 314e Abs. 4 ZGB auch das Recht, bei Verwaltungsbehörden und Gerichten die notwendigen Akten, Berichte und Auskünfte einzufordern. Eine Auskunftspflicht der Berufungsklägerin gegenüber der Berufungsbeklagten ergibt sich daraus aber nicht.

    c)    Im Weiteren statuieren auch Art. 289 Abs. 1 ZGB, wonach der Anspruch auf Unterhaltsbeiträge dem Kind zusteht, und Art. 289 Abs. 2 ZGB, der den Übergang des Unterhaltsanspruchs auf das vorfinanzierende Gemeinwesen regelt, keine entsprechende Auskunftspflicht. Dasselbe gilt für den von der Vorinstanz angerufenen Art. 286a Abs. 3 ZGB, der wiederum bei Mankofällen die rückwirkende Geltendmachung des gebührenden Unterhalts durch das Gemeinwesen regelt. Auch diese Bestimmungen gelten im Rahmen von Unterhaltsklagen [3]. Dem minderjährigen Kind und dem subrogierenden Gemeinwesen wird im Rahmen der ZPO bei selbstständigen Klagen die Aufgabe lediglich dadurch erleichtert, dass nach Art. 295 ZPO das vereinfachte Verfahren und nach Art. 296 ZPO der Untersuchungs- und Offizialgrundsatz gelten. Weitere Erleichterungen sind weder im ZGB noch in der ZPO vorgesehen. Zu Recht hält auch die Berufungsklägerin Art. 272 ZGB, wonach Eltern und Kinder einander allen Beistand, alle Rücksicht und Achtung schuldig sind, die das Wohl der Gemeinschaft erfordert, vorliegend nicht für anwendbar beziehungsweise einschlägig. Es handelt sich dabei nicht um ein klagbares Recht[4].

    d)    Damit besteht keine gesetzliche Grundlage, um die Berufungsklägerin zu verpflichten, jährlich lückenlos und von sich aus Auskunft über ihre finanziellen Verhältnisse zu geben.

Obergericht, 2. Abteilung, 11. Januar 2022, ZBR.2021.24


[1]  Art. 170 Abs. 2 ZGB

[2]  Vgl. Schwander, Basler Kommentar, 6.A., Art. 170 ZGB N. 6a mit Verweis auf weitere Lehrmeinungen und BGE 143 III 114 ff.

[3]  Vgl. Marginale "D. Klage" vor Art. 279 ZGB

[4]  Schwenzer/Cottier, Basler Kommentar, 6.A., Art. 272 ZGB N. 9

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