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RBOG 2022 Nr. 18

Keine Nachfrist bei versäumter Duplik


Art. 223 ZPO Art. 234 ZPO


  1. Zwischen den Parteien ist ein Forderungsprozess vor Bezirksgericht hängig. Dieses forderte den Beschwerdeführer im Rahmen des Schriftenwechsels auf, die Duplik bis 28. September 2021 einzureichen. Am 29. September 2021 liess der Beschwerdeführer ein auf den 28. September 2021 datiertes Fristerstreckungsgesuch der Schweizer Post übergeben. Das Bezirksgericht wies das Fristerstreckungsgesuch mit verfahrensleitender Verfügung ab, schloss den Schriftenwechsel und stellte die Vorladung zur Hauptverhandlung in Aussicht. Gegen diese prozessleitende Verfügung erhob der Beschwerdeführer Beschwerde.

  2. Unbestritten blieb, dass das Fristerstreckungsgesuch vom 28. September 2021 erst am 29. September 2021 der Schweizer Post übergeben wurde. Es erweist sich grundsätzlich als verspätet, was der Beschwerdeführer nicht bestreitet. Der Vollständigkeit halber ist zudem festzuhalten, dass der Beschwerdeführer kein Fristwiederherstellungsgesuch[1] gestellt hat. Es bleibt somit zu prüfen, ob der Beschwerdeführer aus Art. 223 Abs. 1 ZPO etwas zu seinen Gunsten ableiten kann.

  3. a)    aa)    Nach Art. 223 Abs. 1 ZPO setzt das Gericht der beklagten Partei eine kurze Nachfrist, wenn diese die Klageantwort versäumte. Nach unbenutzter Frist trifft das Gericht einen Endentscheid, sofern die Angelegenheit spruchreif ist. Andernfalls lädt es zur Hauptverhandlung vor. Der Beschwerdeführer macht im Kern geltend, Art. 223 Abs. 1 ZPO sei analog auf die Duplik anwendbar, wenn das Gericht einen zweiten Schriftenwechsel durchführe und die Klageschrift nicht alle oder nicht die wesentlichen Tatsachenbehauptungen enthalten habe.

          bb)    Das Gesetz findet auf alle Rechtsfragen Anwendung, für die es nach Wortlaut oder Auslegung eine Bestimmung enthält. Nach dem in Art. 1 Abs. 1 ZGB verankerten Auslegungsverständnis stellt der Wortlaut einer Rechtsnorm nicht die äusserste Grenze der Interpretation dar, sondern der korrekt ermittelte Normsinn. Folge dieses Methodenkonzepts ist, dass der Analogieschluss (noch) als Element der Auslegung im Sinn von Art. 1 Abs. 1 ZGB zu verstehen ist[2].

          cc)    Die (Gesetzes-)Analogie überträgt eine im Gesetz aufgefundene Regelung auf einen vergleichbaren, aber nicht gleich geregelten Lebenssachverhalt. Der Analogieschluss kommt infrage, wenn der Wortsinn einer oder mehrerer gesetzlicher Vorschriften zu kurz geraten ist und Sachverhalte nicht miteinschliesst, die nach den massgebenden Wertungen des Gesetzgebers erfasst werden sollten[3]. Die zulässige Analogie setzt erstens voraus, dass die gesetzliche Regelung tatsächlich ergänzungsbedürftig ist. Hat der Gesetzgeber eine Rechtsfrage nicht einfach übersehen, sondern stillschweigend - im negativen Sinn - mitentschieden, bleibt kein Raum für eine analoge Rechtsanwendung. Zweitens beschränkt sich die Gesetzesanalogie auf wertungsmässig gleich gelagerte Anwendungskonstellationen. Die Unterschiede zwischen dem gesetzlich geregelten und dem ungeregelt gebliebenen Sachverhalt dürfen nicht zu gross sein; im Gegenteil müssen diese wertungsmässig gleich liegen[4].

          dd)    Nach dem Konzept der ZPO können sich die Parteien zwei Mal uneingeschränkt zum Tatsächlichen äussern[5]. Als Regelfall sieht das Gesetz den einfachen Schriftenwechsel vor. Ein zweiter Schriftenwechsel findet statt, wenn es die Verhältnisse erfordern[6]. Nach einem doppelten Schriftenwechsel können die Parteien in der Hauptverhandlung nur unter den - engen - Voraussetzungen von Art. 229 Abs. 1 ZPO neue Tatsachen und Beweismittel vorbringen. Bleibt es beim einfachen Schriftenwechsel, können (und müssen) die Parteien ihren Tatsachenvortrag zu Beginn der Hauptverhandlung halten[7].

          ee)    Die Folgen der Säumnis regelt das Gesetz gesondert für die Klageantwort in Art. 223 ZPO[8]. Die Botschaft zur ZPO rechtfertigt diese Spezialregelung mit der Tragweite der Klageantwort. Es handle sich um eine "ganz entscheidende Parteiäusserung"[9]. Die durch eine Fristerstreckung eintretende Verfahrensverzögerung wird mit Blick auf die materielle Wahrheitsfindung bewusst in Kauf genommen[10]. Ausgehend von dieser Zwecksetzung, dem insofern klaren Wortlaut und der systematischen Stellung innerhalb der ZPO, ergibt sich, dass der Gesetzgeber in Art. 223 ZPO bewusst einen Sonderfall regelte. Somit ist bereits fraglich, ob eine Regelungslücke vorliegt, welche den vom Beschwerdeführer gewollten Analogieschluss zulässt.

          ff)     Bei einem einfachen Schriftenwechsel verschiebt sich der zweite Tatsachenvortrag der Parteien in die Hauptverhandlung. Art. 234 Abs. 1 ZPO regelt die Folgen der Säumnis an der Hauptverhandlung wie folgt: Bleibt eine Partei säumig, berücksichtigt das Gericht die Eingaben, die nach Massgabe des Gesetzes eingereicht worden sind. Im Übrigen kann es seinem Entscheid unter Vorbehalt von Art. 153 ZPO die Akten sowie die Vorbringen der anwesenden Partei zu Grunde legen[11]. Bei Säumnis beider Parteien wird das Verfahren als gegenstandslos abgeschrieben[12]. Bei einem einfachen Schriftenwechsel führt die Säumnis einer Partei mit dem zweiten ihr zustehenden Tatsachenvortrag also zur Weiterführung des Verfahrens. Diese Säumnisfolge unterscheidet sich deutlich von Art. 223 Abs. 1 ZPO. In der gesetzlichen Konzeption soll nur einmal - bei der Klageantwort - eine Verzögerung in Kauf genommen werden, weil die beklagte Partei säumig war[13]. Würde Art. 223 Abs. 1 ZPO auf die schriftliche Duplik angewendet, entstünde ein Wertungswiderspruch zu Art. 234 Abs. 1 ZPO. Die Folgen der Säumnis wären unterschiedlich je nachdem, ob das Gericht einen zweiten Schriftenwechsel durchführt oder nicht. Diese Konsequenz wäre wenig sachgerecht, zumal das Gericht in der Frage, ob es einen zweiten Schriftenwechsel anordnen will, über erhebliches Ermessen verfügt. Die analoge Anwendung von Art. 223 Abs. 1 ZPO auf die schriftliche Duplik würde demnach zu einer mit den gesetzgeberischen Wertungen schwer zu vereinbaren Privilegierung der beklagten Partei führen.

          gg)    Die Rechtsprechung hat es zudem bis jetzt abgelehnt, das Konzept des doppelten Sachvortrags der ZPO aufzuweichen. So entschied das Bundesgericht in BGE 144 III 481, die Rückdatierung der Rechtshängigkeit nach Art. 63 ZPO setze voraus, dass die klagende Partei die identische Rechtschrift einreiche. Könnte der Kläger in der Zwischenzeit seine Klage ändern oder verbessern, wäre er im Vergleich zur beklagten Partei, der nur zwei Sachvorträge zustehen, bevorteilt.

    b)    Der Beschwerdeführer weist an sich zutreffend auf die Problematik hin, dass die klagende Partei durch einen eher dürftigen ersten Tatsachenvortrag die gesamte Behauptungs- und Bestreitungslast auf den zweiten Tatsachenvortrag verschiebt. Indessen steht es der Klägerin - als Ausfluss der Verhandlungsmaxime[14] - frei, wann und wie sie dem Gericht die anspruchsbegründenden Sachverhalte darlegt[15]. Mit einem wenig gehaltvollen ersten Sachvortrag läuft die Klägerin selbst Gefahr, die anspruchsbegründenden Sachverhalte nicht rechtsgenüglich ins Verfahren einzuführen. Die beklagte Partei wiederum kann sich bei einem nicht substantiierten klägerischen Vortrag damit begnügen, die geltend gemachten Tatsachen allgemein zu bestreiten. Die Vor- und Nachteile einer solchen Prozessstrategie lasten mit anderen Worten nicht einseitig auf der beklagten Partei. Mit Blick auf die hier zu klärende Frage, ob ein Analogieschluss von Art. 223 Abs. 1 ZPO auf die Duplik angezeigt ist, führt die Argumentation des Beschwerdeführers daher nicht weiter.

    c)    Es ergibt sich somit, dass Art. 223 Abs. 1 ZPO eine in sich geschlossene Regelung enthält, die im Zusammenhang mit Art. 234 ZPO zu sehen ist. Nur bei versäumter Klageantwort ist eine Nachfrist zu gewähren, nicht aber bei einer versäumten Duplik. Letzteres würde zu einer Aufweichung des Konzepts des doppelten Sachvortrags und zu einer Privilegierung der beklagten Partei führen. Die Voraussetzungen für einen Analogieschluss sind demnach nicht erfüllt.

    Obergericht, 1. Abteilung, 22. Dezember 2021, ZR.2021.48


[1] Art. 148 Abs. 1 ZPO

[2] Emmenegger/Tschentscher, Berner Kommentar, Bern 2012, Art. 1 ZGB N. 160 und 379; Hausheer/Jaun, Die Einleitungsartikel des ZGB, Bern 2003, Art. 1 N. 202; BGE 134 IV 302; BGE 128 IV 274

[3] Hausheer/Jaun, Art. 1 ZGB N. 202

[4] Hausheer/Jaun, Art. 1 ZGB N. 205; vgl. auch Emmenegger/Tschentscher, Art. 1 ZGB N. 309

[5] BGE 144 III 67 ff.; BGE 141 III 486

[6]  Art. 225 ZPO

[7]  Art. 229 Abs. 2 ZPO; BGE vom 6. September 2021, 4A_50/2021, Erw. 2.3 (zur Publikation vorgesehen)

[8]  Marginalie: "Versäumte Klageantwort"

[9]  Die Botschaft zur Schweizerischen Zivilprozessordnung vom 28. Juni 2006, BBl 2006 S. 7339

[10] Killias, Berner Kommentar, Bern 2012, Art. 223 ZPO N. 6

[11] Art. 234 Abs. 1 ZPO

[12] Art. 234 Abs. 2 Satz 1 ZPO

[13] Für das vereinfachte Verfahren vgl. BGE 146 III 297 ff.

[14] Art. 55 Abs. 1 ZPO

[15] Vgl. dazu Leuenberger/Uffer-Tobler, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 2.A., N. 4.13 ff.


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