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RBOG 2023 Nr. 14

Die Erbenvertretung handelt im Rahmen ihrer Zuständigkeit in eigenem Namen in Prozessstandschaft für die Erbengemeinschaft.

Art. 602 Abs. 3 ZGB Art. 602 Abs. 2 ZGB Art. 59 ZPO


Zusammenfassung des Sachverhalts:

Die "Erbengemeinschaft A", vertreten durch Rechtsanwalt B, erhob gegen die Ehepartner C je separat Betreibung. Auf der Rückseite der Zahlungsbefehle ist unter Bemerkungen aufgeführt, die Erbengemeinschaft bestehe aus W, X, Y und Z. Beide Ehegatten C erhoben Rechtsvorschlag. W, X, Y und Z, alle vertreten durch Rechtsanwalt B, Erbenvertreter, ersuchten in der Folge um provisorische Rechtsöffnung, welche das Bezirksgericht gewährte. Dagegen erhob das Ehepaar C Beschwerde.

Aus den Erwägungen:

[…]

3.

3.1.

3.1.1.

Nach Art. 602 Abs. 3 ZGB kann die zuständige Behörde auf Begehren eines Miterben für die Erbengemeinschaft bis zur Teilung eine Vertretung bestellen. Die Vertretung kann für bestimmte einzelne Handlungen bestellt werden, über die sich die Erben nicht zu einigen vermögen. Die Behörde kann dem Vertreter aber auch einen generellen Auftrag erteilen und ihm die ganze Verwaltung der Erbschaft anvertrauen; in diesem Fall gleicht sich seine Rechtsstellung derjenigen des amtlichen Erbschaftsverwalters an. Der Erbenvertreter ist im Rahmen seines Auftrags gesetzlicher Vertreter der Erbengemeinschaft, die er ohne ihre Zustimmung oder nachträgliche Genehmigung berechtigen und verpflichten kann[1]. Im Rahmen des übertragenen Tätigkeitsbereichs ist eigenes Handeln der Erben für den Nachlass ausgeschlossen, können doch die Erben nur "unter Vorbehalt der vertraglichen oder gesetzlichen Vertretungs- und Verwaltungsbefugnisse über die Rechte der Erbschaft gemeinsam verfügen"[2]. Prozesse führt der Erbenvertreter in eigenem Namen anstelle der materiell Berechtigten als Partei. Nach heutiger Begrifflichkeit handelt es sich dabei im technischen Sinn nicht um die Zuerkennung der Aktiv- und Passivlegitimation[3], sondern um einen Fall von Prozessstandschaft[4].

Mit anderen Worten schliesst die Einsetzung eines Erbenvertreters in dem ihm übertragenen Tätigkeitsbereich die Verwaltungs-, Verfügungs- und Prozessführungsbefugnisse der Erben aus[5]. Der Erbenvertreter besitzt – wie der Willensvollstrecker – exklusive Prozessführungsbefugnis, soweit ihm die materielle Verfügungsmacht übertragen wurde. Die Prozessführungsbefugnis verdrängt sowohl diejenige der Gesamtheit der Erben als auch die der einzelnen Erben[6]. Die Handlungen des Erbenvertreters wirken für und gegen die Erbengemeinschaft; bei Prozessen des Erbenvertreters als Prozessstandschafter geht das Bundesgericht von einer subjektiven Rechtskrafterstreckung auf die Erben aus[7].

Was die Rechtsfolgen sind, wenn die Voraussetzungen einer Prozessstandschaft nicht vorliegen, hat das Bundesgericht bislang nicht in der gewünschten Klarheit entschieden. Wenn einer Partei die Aktivlegitimation fehlt, beispielsweise bei einer fehlerhaften Zession, ergeht ein materieller Abweisungsentscheid[8]. Wenn jedoch eine Person ein Recht eines Dritten im eigenen Namen geltend macht, ohne zur Prozessführung befugt zu sein, fehlt es an einer Prozessvoraussetzung, was zum Erlass eines Nichteintretensentscheids führt[9]. Die Begriffe der Sachlegitimation und der Prozessführungsbefugnis werden vom Bundesgericht leider oft nicht sauber auseinandergehalten mit der Folge, dass in Fällen, in denen es an der aktiven oder passiven Prozessführungsbefugnis fehlt, die Beschwerde (mitunter als unbegründet) abgewiesen wird[10].

3.1.2.

Im Beschwerdeverfahren gilt ein strenger Noven- und Beweismittelausschluss. Neue Tatsachen können gemäss Art. 326 Abs. 1 ZPO – unter Vorbehalt besonderer Bestimmungen des Gesetzes – vor Obergericht nicht (mehr) geltend gemacht werden. Das gilt selbst in Verfahren, die erstinstanzlich dem beschränkten Untersuchungsgrundsatz unterlagen[11]. Noven dürfen aber in der Beschwerde insoweit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt[12].

3.2.

3.2.1.

Mit den Rechtsöffnungsgesuchen vor Vorinstanz reichten die Beschwerdegegner die Verfügung eines Notariats ein. Darin wurden die im vorliegenden Verfahren als Beschwerdegegner 1-4 auftretenden Personen als Erben anerkannt. Weitere Erben gehen aus dieser Verfügung nicht hervor. Zudem wurde verfügt, dass im Nachlass von A selig Rechtsanwalt B als Erbenvertreter im Sinn von Art. 602 Abs. 3 ZGB eingesetzt werde, wobei sich dessen Aufgabe auf die Verwaltung und Erhaltung des gesamten Nachlasses sowie das Vornehmen der notwendigen Handlungen beziehe. Insofern handelt es sich um eine Generalvollmacht.

Die Zahlungsbefehle führen als Gläubiger die Erbengemeinschaft A selig und als deren Vertreter Rechtsanwalt B auf. In den Rechtsöffnungsgesuchen sind als Gesuchsteller 1-4 die vier einzigen Erben von A selig genannt, vertreten durch Rechtsanwalt B, Erbenvertreter. Desgleichen sind diese auch im Rubrum des angefochtenen Entscheids aufgeführt. Die Betreibungen und die Rechtsöffnungsgesuche datieren nach der Einsetzung von Rechtsanwalt B als Erbenvertreter. Aufgrund seiner Generalvollmacht stand ihm im Zeitpunkt der Betreibungen und der Rechtsöffnungsgesuche die exklusive Verwaltungs-, Verfügungs- und Prozessführungsbefugnis zu, womit die entsprechenden Befugnisse der Beschwerdegegner als Erben ausgeschlossen waren. Deshalb hatte der Erbenvertreter die Betreibungen wie auch das Rechtsöffnungsverfahren in eigenem Namen als Partei einzuleiten. Der Erbenvertreter leitete das Rechtsöffnungsverfahren jedoch lediglich als Vertreter der Erbengemeinschaft beziehungsweise der Erben ein, nicht – wie erforderlich – in eigenem Namen als Partei. Die Rechtsöffnungsbegehren wurden folglich nicht rechtsgültig eingereicht.

Da – wie ausgeführt – nicht eine Frage der Sachlegitimation, sondern der Prozessführungsbefugnis tangiert ist, ist auf die Rechtsöffnungsgesuche nicht einzutreten.

3.2.2.

Die Legitimation von Rechtsanwalt B als Vertreter der Beschwerdegegner rügten die Beschwerdeführer bereits vor Vorinstanz. Mit der Beschwerdeantwort vom 4. September 2023 reichten die Beschwerdegegner diesbezüglich neue Beweismittel ein, so insbesondere einen beglaubigten Auszug der Vereinbarung der Erben, die eine Vertretungsvollmacht zugunsten von Rechtsanwalt B betreffend das Inkasso "Guthaben C" enthält. Nachdem dieses (unechte) Novum erst im Beschwerdeverfahren und somit verspätet eingereicht wurde, ist nicht weiter zu prüfen, ob gestützt auf dieses Dokument die Betreibung und das Rechtsöffnungsverfahren rechtsgültig eingeleitet wurden[13].

3.3.

Zusammenfassend ist die Beschwerde zu schützen, und der angefochtene Entscheid ist antragsgemäss aufzuheben. Auf die Rechtsöffnungsgesuche in den Betreibungen ist nicht einzutreten.

[…]

Obergericht, 2. Abteilung, 7. November 2023, BR.2023.32


[1]    BGE vom 8. Juli 2003, 5P.83/2003, Erw. 1

[2]    Art. 602 Abs. 2 ZGB

[3]    So noch BGE 53 II 208

[4]    BGE vom 26. Juli 2013, 5A_416/2013 und 5A_424/2013, Erw. 3.1; Weibel, in: Praxiskommentar Erbrecht (Hrsg.: Abt/Weibel), 5.A., Art. 602 ZGB N. 37

[5]    BGE vom 20. Dezember 2017, 5A_781/2017, Erw. 2.3; Lötscher, Das schwarze Schaf in der Erbengemeinschaft, in: successio 2019 S. 185; Vokrraj, Die prozessualen Befugnisse des Willensvollstreckers bei den erbrechtlichen Klagen, Zürich 2022, S. 7

[6]    Künzle, Berner Kommentar, Bern 2011, Art. 517-518 ZGB N. 467; Erk, in: Fachhandbuch Zivilprozessrecht (Hrsg.: Haas/Marghitola), Zürich 2020, S. 342 f.

[7]    BGE vom 26. Juli 2013, 5A_416/2013 und 5A_424/2013, Erw. 3.1; Lötscher, S. 185

[8]    BGE 142 III 786

[9]    Erk, S. 337

[10] BGE 142 III 82 f.; Erk, S. 337 mit Hinweisen

[11] BGE 141 III 576 f.; BGE 138 III 627 f.

[12] BGE 139 III 471

[13] Dies ist zu verneinen; vgl. Erw. 3.2.1


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