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RBOG 2023 Nr. 7

Inhaltliche Anforderungen an einen Vorsorgeauftrag; mangels gegenteiliger Anordnung der beauftragenden Person gilt ein Vorsorgeauftrag für alle Aufgaben.

Art. 360 Abs. 2 ZGB Art. 363 Abs. 2 Ziff. 1 ZGB


Zusammenfassung des Sachverhalts:

Die Beschwerdeführerin errichtete einen Vorsorgeauftrag, dessen Validierung die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde ablehnte. Gegen diesen Entscheid erhoben die Beschwerdeführerin sowie zwei ihrer erwachsenen Kinder Beschwerde. Vor Obergericht ist umstritten, ob der Vorsorgeauftrag den inhaltlichen Mindestanforderungen entspricht, um als gültig errichtet zu gelten.

Aus den Erwägungen:

[…]

2.4.1.

Der Vorsorgeauftrag ist eigenhändig zu errichten oder öffentlich zu beurkunden. Er ist von der auftraggebenden Person von Anfang bis Ende von Hand niederzuschreiben, zu datieren und zu unterzeichnen[1]. Die Formvorschriften zur Errichtung des Vorsorgeauftrags sind unbestritten gegeben. Der Vorsorgeauftrag der Beschwerdeführerin wurde von Anfang bis Ende von Hand niedergeschrieben, datiert und unterzeichnet.

2.4.2.

2.4.2.1.

Nach Art. 360 Abs. 2 ZGB muss der Vorsorgeauftraggeber die Aufgaben, für welche er den Beauftragten einsetzen will, umschreiben und kann ihm diesbezüglich Weisungen erteilen. Im vorliegenden Fall interessiert die Frage, ob überhaupt ein Vorsorgeauftrag zustande kommt, wenn die Konkretisierung der übertragenen Aufgaben fehlt.

In der Lehre bestehen unterschiedliche Meinungen bezüglich der inhaltlichen Minimalanforderungen in gegenständlicher Hinsicht. Einigkeit besteht, dass der Auftrag für den Fall des Eintritts einer dauernden oder länger andauernden Urteilsunfähigkeit Wirkung entfaltet. Der Begriff der Urteilsunfähigkeit muss jedoch nicht ausdrücklich verwendet werden. Der Zustand kann auch mit anderen Worten umschrieben werden[2]. Aufgrund der verwendeten Überschrift ʺVorsorgeauftragʺ und dem Hinweis auf die zeitweilige oder dauernde Handlungsunfähigkeit bestehen keine Zweifel, dass die Beschwerdeführerin für den Fall ihrer Urteilsunfähigkeit das Vorsorgeverhältnis regeln wollte.

Uneinigkeit besteht hinsichtlich der Konkretisierung der Aufgabenbereiche. Gemäss Jungo muss der Aufgabenbereich des Beauftragten mindestens in genereller Weise bezeichnet und umschrieben werden, sofern er eingeschränkt werden soll. Es müsse also gegebenenfalls wenigstens ersichtlich sein, ob die Auftraggeberin eine Personen- oder eine Vermögenssorge wünsche. Werde der Aufgabenbereich nicht umschrieben (also nicht eingeschränkt), werde ein umfassender Vorsorgeauftrag aufgenommen, der mithin im Sinn von Art. 360 Abs. 1 ZGB die Personen- und Vermögenssorge sowie die Vertretung im Rechtsverkehr umfasse[3]. Nach Hausheer/Geiser/Aebi-Müller ist die Vollmacht genereller Natur und umfasst grundsätzlich neben der Vermögenssorge auch die Entscheidungsbefugnis in Bezug auf medizinische Massnahmen und die Personensorge im Allgemeinen, wobei die betroffene Person den Vorsorgeauftrag auf bestimmte Bereiche beschränken kann[4]. Widmer Blum hält unter Verweis auf die Praxis fest, dass man wohl das Erfordernis der Aufgabenumschreibung grosszügig handhaben müsse, solle nicht eine Vielzahl von Vorsorgeaufträgen für ungültig befunden werden. Sehr allgemein gehaltene Vorsorgeaufträge dürften allerdings nach einer Auslegung durch die Erwachsenenschutzbehörde verlangen[5]. Fassbind vertritt die Ansicht, dass im Zweifelsfall die Erwachsenenschutzbehörde die Aufträge und Kompetenzen nach dem Willensprinzip auszulegen hat. Dem Prinzip der Selbstbestimmung entspricht, dass eine generelle Umschreibung (alle Angelegenheiten zu besorgen und die Interessen zu wahren) genügt[6]. Langenegger führt aus, die Aufgabenbereiche der vorsorgebeauftragten Person müssten zumindest in genereller Weise bezeichnet werden. Dass die übertragenen Aufgaben möglichst genau beschrieben werden müssten, wie dies in der Botschaft zum Erwachsenenschutz ausgeführt werde, sei lediglich als Empfehlung anzunehmen, nicht jedoch als Minimalanforderung. Mangle es dem Auftrag an Präzision, solle deswegen dem Vorsorgeauftrag die Wirksamkeit nicht versagt werden, sondern die Erwachsenenschutzbehörde solle den Vorsorgeauftrag auslegen. Damit sie dies im Interesse der betroffenen Person tun könne, müsse diese aber zumindest zum Ausdruck gebracht haben, ob sich der Vorsorgeauftrag auf Personensorge oder Vermögenssorge oder beides erstrecken solle. Insbesondere bezüglich Personensorge sei Gewissheit wichtig, weil damit grundsätzlich auch Befugnisse im Bereich der medizinischen Massnahmen verbunden seien. Werde im Vorsorgeauftrag die Aufgaben der beauftragten Person lediglich mit einer Floskel in der Art ʺdiese solle meine Angelegenheiten besorgen und meine Interessen wahrenʺ umschrieben, reiche dies für sich allein nicht für eine Auslegung des Vorsorgeauftrags im Sinn, dass umfassende Personen- und Vermögenssorge gewollt sei[7]. Boente wendet gegen die Argumentation von Langenegger ein, damit werde verkannt, dass die eigene Vorsorge entsprechend der staatlichen Fürsorge grundsätzlich umfassend ausgestaltet sei. Die Beschränkung auf einzelne Aufgaben stelle in diesem System eine Ausnahme und insoweit ein Minus dar. Allein vor diesem Hintergrund sei es im Interesse der auftraggebenden Person, die Aufgaben der beauftragten Person so klar wie möglich zu umschreiben. Dem Schutzbedürfnis der vorsorgenden Person sei hingegen durch die Formvorschrift von Art. 361 ZGB genüge getan[8]. Renz schliesslich plädiert für eine aufgeschlossene Haltung der Erwachsenenschutzbehörde gegenüber einer Generalklausel. Zweck einer Generalklausel und damit Absicht der vorsorgenden Person sei das Erfassen aller möglichen Aufgaben. Miteingeschlossen seien damit sowohl die bedachten als auch alle unbedachten Aufgaben[9].

2.4.2.2.

Den für eine grosszügige Auslegung der formellen Voraussetzung der Validierung eintretenden Lehrmeinungen ist zu folgen. Die eigene Vorsorge ist grundsätzlich umfassend ausgestaltet. Sofern die auftraggebende Person diese umfassende Vorsorge einschränken will, hat sie dies im Vorsorgeauftrag zu bezeichnen und zu umschreiben. Wird der Aufgabenbereich nicht umschrieben, das heisst nicht eingeschränkt, ist von einem umfassenden Vorsorgeauftrag auszugehen. Der Vorsorgeauftrag ist im Sinn einer Generalklausel (Generalauftrag) zu verstehen. Absicht der vorsorgenden Person ist in diesem Fall das Erfassen aller möglichen Aufgaben.

Die Beschwerdeführerin will, dass alle Aufgaben durch die Vorsorgebeauftragten übernommen werden beziehungsweise sie von ihnen vertreten wird. Entsprechend liegt auch keine unklare Formulierung vor, welche gestützt auf Art. 364 ZGB ausgelegt werden müsste.

2.4.3.

Den Beschwerdeführern ist somit zuzustimmen, wenn sie geltend machen, die inhaltlichen Anforderungen an den Vorsorgeauftrag seien erfüllt und dieser sei gültig.

Obergericht, 3. Abteilung, 31. Mai 2023, KES.2023.14

Auf eine dagegen erhobene Beschwerde trat das Bundesgericht am 23. August 2023 nicht ein (5A_606/2023).


[1]    Art. 361 ZGB

[2]    Jungo, Basler Kommentar, 7.A., Art. 360 ZGB N. 32; Langenegger, in: Das neue Erwachsenenschutzrecht (Hrsg.: Rosch/Büchler/Jakob), 2.A., Art. 360 ZGB N. 21; Renz, Der Vorsorgeauftrag und seine Validierung, Diss. Zürich 2020, N. 476

[3]    Jungo, Art. 360 ZGB N. 32 mit Verweis auf Art. 364 Abs. 1 ZGB

[4]    Hausheer/Geiser/Aebi-Müller, Das neue Erwachsenenschutzrecht, Bern 2014, N. 2.06

[5]    Widmer Blum, in: Handkommentar zum Schweizer Privatrecht (Hrsg.: Breitschmid/Jungo), 3.A., Art. 360 ZGB N. 20

[6]    Fassbind, in: Zivilgesetzbuch, Kommentar (Hrsg.: Kren Kostkiewicz/Wolf/Amstutz/Fankhauser), 4.A., Art. 360 N. 3

[7]    Langenegger, Art. 360 ZGB N. 21

[8]    Boente, Zürcher Kommentar, Zürich 2015, Art. 360 ZGB N. 176

[9]    Renz, N. 564


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