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RBOG 2024 Nr. 26

Die Beschlagnahme des gesamten Tierbestands eines Tierhalters durch das Veterinäramt seines Wohnortkantons erstreckt sich auch auf Tiere, die sich ausserhalb des Wohnortkantons befinden.

Art. 289 StGB Art. 24 Abs. 1 TSchGArt. 212a TschV Art. 6 Abs. 1 TSchG Art. 23 Abs. 1 TSchG Art. 23 Abs. 2 TschG


Zusammenfassung des Sachverhalts:

Das Bezirksgericht sprach die Berufungsklägerin unter anderem wegen mehrfachen, teilweise versuchten Bruchs amtlicher Beschlagnahme schuldig. Sie habe mehrere Pferde des Tierhalters A., die durch das Veterinäramt mit Beschlag belegt worden seien, in Kenntnis dessen von einer Sömmerungsalp in einem anderen Kanton abtransportiert beziehungsweise abzutransportieren versucht. Die Berufungsklägerin machte im Berufungsverfahren geltend, das Veterinäramt habe Tiere ausserhalb des Kantons Thurgau nicht beschlagnahmen können. Das von ihr eingeholte Rechtsgutachten habe die rechtliche Zulässigkeit einer kantonsübergreifenden Beschlagnahme untersucht. Ohne Rechts- oder Amtshilfegesuche sei eine Beschlagnahme auf dem Gebiet eines anderen Kantons nicht zulässig, wenn eine rechtliche Grundlage dafür fehle. Der Gutachter komme richtigerweise zum Schluss, dass eine solche Beschlagnahme nichtig sei.

Aus den Erwägungen:

[…]

5.1.

5.1.1.

Des Bruchs amtlicher Beschlagnahme macht sich schuldig, wer eine Sache, die amtlich mit Beschlag belegt ist, der amtlichen Gewalt entzieht[1].

Der Tatbestand von Art. 289 StGB schützt die staatliche Autorität[2]. Tatobjekt ist eine rechtsgültig mit amtlichem Beschlag belegte Sache[3]. Erfasst ist nicht nur die strafprozessuale Beschlagnahme, sondern namentlich auch die Beschlagnahme als Mittel des Verwaltungszwangs, wie sie in Art. 24 TSchG[4] vorgesehen ist[5]. Ein nichtiger Beschlag schliesst die Anwendung von Art. 289 StGB aus, nicht aber ein anfechtbarer[6]. Der Strafrichter hat die Zweckmässigkeit der Beschlagnahme nur im Sinn einer Vorfrage zu prüfen[7]. Der amtliche Beschlag stellt einen Akt der staatlichen Autorität dar, durch den eine Sache der Verfügungsgewalt der bisher berechtigten Person ganz oder nur in bestimmtem Umfang entzogen und in gesetzlich bestimmtem Umfang der Verfügungsgewalt einer Behörde beziehungsweise eines Beamten oder einer Beamtin unterstellt wird[8]. Nicht erforderlich ist, dass die Behörden Besitz am beschlagnahmten Gegenstand erwerben[9].

Unter die Tathandlung des Entziehens fällt jedes Verhalten, das den staatlichen Verfügungsanspruch ganz oder teilweise, dauernd oder vorübergehend aufhebt[10].

Die Tat kann nur vorsätzlich begangen werden, wobei Eventualvorsatz genügt[11]. Vorsatz liegt vor, wenn der Täter oder die Täterin Kenntnis von der amtlichen Beschlagnahme der betroffenen Sache hat und sie der amtlichen Gewalt entziehen will; eine besondere Absicht wird nicht gefordert[12].

5.1.2.

Fehlerhafte Entscheide oder amtliche Verfahrenshandlungen sind nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung in der Regel nur anfechtbar und werden durch Nichtanfechtung rechtsgültig. Als nichtig erweisen sie sich erst dann, wenn der ihnen anhaftende Mangel besonders schwer ist, wenn er sich als offensichtlich oder zumindest leicht erkennbar erweist und die Rechtssicherheit durch die Annahme der Nichtigkeit nicht ernsthaft gefährdet wird. Inhaltliche Mängel einer Entscheidung führen nur ausnahmsweise zur Nichtigkeit. Als Nichtigkeitsgründe fallen vorab funktionelle und sachliche Unzuständigkeit der entscheidenden Behörde sowie krasse Verfahrensfehler in Betracht[13]. Die Nichtigkeit eines Entscheids ist jederzeit und von sämtlichen rechtsanwendenden Behörden von Amtes wegen zu beachten[14].

5.1.3.

Tierhalter beziehungsweise -halterin im Sinn von Art. 56 OR ist, wer die tatsächliche Herrschaft über das Tier ausübt beziehungsweise über dieses verfügen kann[15], auch wenn er oder sie die Beaufsichtigung des Tiers zeitweilig einer Hilfsperson anvertraut hat[16]. Dabei ist das dauerhafte wirtschaftliche Interesse oder der Nutzen – auch ideeller Art – von entscheidender Bedeutung, um die Tierhalterin beziehungsweise den Tierhalter von der Hilfsperson abzugrenzen[17]. Das Tierschutzgesetz enthält selbst keine spezifische Umschreibung, wer als Tierhalter oder -halterin zu gelten hat, unterscheidet aber etwa in Art. 6 Abs. 1 TSchG zwischen betreuender Person und Tierhalter beziehungsweise -halterin. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist der Kreis der aufgrund von Art. 6 Abs. 1 TSchG für ein Tier verantwortlichen Personen weit auszulegen[18]. Die Fürsorgepflichten können sowohl von Halter oder Halterin als auch von betreuenden Personen verletzt werden. Als Halter oder Halterin gilt, wer hinsichtlich Betreuung, Pflege, Verwendung oder Beaufsichtigung die tatsächliche Bestimmungsmacht über ein Tier hat, die er oder sie in eigenem Interesse ausübt und die nicht nur vorübergehender Natur ist[19]. Entscheidend ist die tatsächliche Verfügungsgewalt, nicht die rechtliche Beziehung zum Tier, weshalb irrelevant ist, ob das Tier im Eigentum des Halters oder der Halterin steht[20]. Auch die Betreuereigenschaft beruht auf der tatsächlichen Beziehung zwischen Mensch und Tier. Sie kann im Gegensatz zu jener des Halters oder der Halterin aber auch kurzfristig sein und in fremdem Interesse, etwa nach den Weisungen von Halter oder Halterin, erfolgen[21]. Die Übernahme einzelner Aufgaben, wie Fütterung oder Transport, reicht für die Qualifizierung als betreuende Person bereits aus. Die betreuende Person bildet somit eine Art Auffangbegriff für jene Fälle, in denen einer Person zwar keine Haltereigenschaft zukommt, aber in denen sie über eine gewisse Einwirkungsmöglichkeit auf ein Tier verfügt[22]. Die Vorschriften über die Tierhaltung richten sich folglich auch an jene Personen, die nur vorübergehend die Verantwortung für ein Tier übernehmen. Das Halten und das Betreuen lassen sich unter den Begriff der Obhut zusammenfassen. Nur wer die Obhut über ein Tier hat, den trifft auch eine Fürsorgepflicht[23]. Aufgrund dieses Gewahrsamsverhältnisses tragen Tierhalter oder -halterinnen, ebenso wie die bloss vorübergehend betreuenden Personen, eine Verantwortung für das Wohlergehen des Tiers[24]. In den wohl meisten Fällen befindet sich das Tier beim Tierhalter oder bei der Tierhalterin. Jedenfalls wird es immer von einer Person betreut beziehungsweise "gehalten", die auch als Tierhalter oder -halterin im Sinn des TSchG gilt. Eine Mehrzahl von Haltern ist denkbar, wenn sämtliche Personen die Herrschaft über das Tier ausüben und ein dauerhaftes Interesse daran haben[25].

5.1.4.

5.1.4.1.

Die zuständige Behörde kann nach Art. 23 Abs. 1 TSchG das Halten oder die Zucht von Tieren, den Handel oder die berufsmässige Beschäftigung mit Tieren auf bestimmte oder unbestimmte Zeit den Personen verbieten, die wegen wiederholter oder schwerer Zuwiderhandlung gegen Vorschriften des TSchG und seiner Ausführungserlasse oder gegen Verfügungen bestraft worden sind (lit. a) oder die aus anderen Gründen unfähig sind, Tiere zu halten oder zu züchten (lit. b). Ein solches von einem Kanton ausgesprochenes Verbot ist in der ganzen Schweiz gültig[26]. Wird festgestellt, dass Tiere vernachlässigt oder unter völlig ungeeigneten Bedingungen gehalten werden, so schreitet die zuständige Behörde unverzüglich ein. Sie kann die Tiere vorsorglich beschlagnahmen und auf Kosten der Halterin oder des Halters an einem geeigneten Ort unterbringen; wenn nötig lässt sie die Tiere verkaufen oder töten. Sie kann dafür die Hilfe der Polizeiorgane in Anspruch nehmen[27].

5.1.4.2.

Das Tierhalteverbot ist die strengste verwaltungsrechtliche Massnahme im Tierschutz. Einer fehlbaren Person wird damit sowohl untersagt, Tiere zu halten, als auch solche in ihre Obhut zu nehmen[28]. Dazu führt das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) ein Verzeichnis aller Verbote, das von den kantonalen Fachstellen zur Erfüllung ihrer Aufgabe eingesehen werden kann[29].

Das Tierhalteverbot gilt – im Gegensatz zum alten Recht, gemäss welchem dieses lediglich in dem Kanton Anwendung fand, indem es ausgesprochen wurde – in der ganzen Schweiz[30]. Der Bundesrat hält dazu in seiner Botschaft zur Revision des TSchG fest: "Damit ein Tierhalteverbot gesamtschweizerisch durchgesetzt werden kann, muss die Information den kantonalen Tierschutzfachstellen unabhängig von einem konkreten Verdacht einer Tierschutzverletzung sichergestellt sein. Nur so kann ein Tierhalteverbot auch tatsächlich seine präventive Wirkung entfalten. In der Praxis muss immer wieder festgestellt werden, dass Tierhalterinnen und Tierhalter, denen in einem Kanton ein Tierhalteverbot auferlegt worden ist, in einem anderen Kanton Tiere halten. Auch soll in Fällen, in denen nach Art. 7 TSchG um eine Haltebewilligung ersucht werden muss, die zuständige Behörde im Rahmen der Überprüfung des Gesuchs auch das Verzeichnis der ausgesprochenen Tierhalteverbote konsultieren können. Art. 23 Abs. 3 TSchG soll deshalb so geändert werden, dass die kantonalen Fachstellen nach Art. 33 TSchG das vom BVET[31] geführte Verzeichnis zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben vor einem erneuten mutmasslichen Verstoss gegen das TSchG einsehen können"[32].

Die Aufhebung des Territorialitätsprinzips im Tierschutzgesetz wird somit mit der Durchsetzung des Tierhalteverbots begründet und mit der Verpflichtung an das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen ein entsprechendes Verzeichnis zu führen, ergänzt.

5.1.4.3.

Die Beschlagnahme von Tieren drängt sich dann auf, wenn ein Halter seine beziehungsweise eine Halterin ihre Tiere derart schlecht hält, dass das Tierwohl gefährdet ist. Die Beschlagnahme kann auch nur vorsorglich erfolgen[33]. Das Vorgehen richtet sich dabei nach den kantonalen Verfahrensbestimmungen[34]. Wird die Beschlagnahme definitiv ausgesprochen, verliert der Tierhalter beziehungsweise die Tierhalterin sämtliche Eigentumsrechte an den Tieren[35].

Bei der Beschlagnahme handelt es sich um einen klassischen Fall von unmittelbarem Zwang gegen Tierhalter und Tierhalterinnen, um die Wiederherstellung des gesetzlichen Zustands zu erreichen. Es handelt sich um eine Ersatzvornahme, bei der die zuständige Behörde oder eine durch diese beauftragte Drittperson anstelle des Verfügungsadressaten (Tierhalter oder Tierhalterin) handelt[36]. Die Beschlagnahme dient ausschliesslich als Sicherungsmassnahme zum Schutz der Tiere[37].

5.1.5.

5.1.5.1.

Jedes Gemeinwesen hat seine eigene Rechtsordnung. Unter Umständen kann sich die Frage stellen, welches Recht auf einen Fall, dessen Sachverhalt zu zwei oder mehr Gemeinwesen Berührungspunkte aufweist, anwendbar ist. Die Frage beantwortet im öffentlichen Recht das Territorialitätsprinzip, wonach öffentliches Recht nur in dem Staat Rechtswirkungen entfaltet, der es erlassen hat. Schweizerisches öffentliches Recht wird somit bloss auf Sachverhalte angewendet, die sich in der Schweiz zutragen. Schweizerische Behörden dürfen ausschliesslich schweizerisches öffentliches Recht anwenden, es sei denn, die Anwendung ausländischen öffentlichen Rechts sei aufgrund eines Staatsvertrags geboten[38]. Dasselbe gilt zwischen den verschiedenen Kantonen[39].

Gemäss dem Territorialitätsprinzip gilt das öffentliche Recht nur für Sachverhalte, die sich im räumlichen Herrschaftsbereich des rechtssetzenden Gemeinwesens ereignen. Es kann aber unklar sein, welchem Gemeinwesen ein Sachverhalt zuzuordnen ist. Es stellt sich in solchen Fällen die Frage, an welche Kriterien anzuknüpfen ist, um ein Rechtsverhältnis einem Gemeinwesen zuzuordnen. Dabei besteht keine einheitliche Regelung, die für alle Bereiche des Verwaltungsrechts Anwendung findet. Für die verschiedenen verwaltungsrechtlichen Massnahmen gelten unterschiedliche Anknüpfungen. Massgeblich sein kann Wohnsitz, Niederlassung oder Aufenthalt einer Person, der Ort der gelegenen Sache, der Ort der Ausübung einer Tätigkeit, der Ort der Auswirkung einer Tätigkeit oder das Staats-, Kantons- oder Gemeindebürgerrecht einer Person. Die verschiedenen möglichen Anknüpfungspunkte können zu Kompetenzkonflikten führen, wenn zwei Gemeinwesen eine Regelungszuständigkeit beanspruchen. Die relevanten Anknüpfungspunkte für eine örtliche Zuständigkeit sind bloss vereinzelt durch das Bundesgericht oder den Gesetzgeber geklärt worden, beispielweisse im Rahmen der Einkommensbesteuerung[40].

5.1.5.2.

Im Tierschutzgesetz findet sich keine allgemeine Regelung zur Anknüpfung der Zuständigkeit der Kantone. Solange der Tierhalter oder die Tierhalterin den Wohnsitz und die Tiere ihren Aufenthalt im gleichen Kanton haben, ist dieser zuständig. Wenn aber Tiere nicht im Wohnsitzkanton der Tierhalterin oder des Tierhalters gehalten werden, stellt sich die Frage der örtlichen Zuständigkeit der kantonalen Veterinärämter. Das Tierschutzgesetz selbst enthält diesbezügliche keine Regelung.

Eine Regelung ist jedoch in der Tierschutzverordnung auffindbar. Gemäss Art. 212a TSchV[41] ist für die Verfügung eines Tierhalteverbots nach Art. 23 TSchG die Behörde des Kantons zuständig, in dem die betroffene Person Wohnsitz hat oder in dem die Tiere gehalten oder gezüchtet werden. Durch diese Regelung kann beispielsweise im Fall, dass ein Nutztierhalter seine Tiere in einem Stall im benachbarten Kanton hält und Gründe für ein Tierhalteverbot vorliegen, entweder die Behörde des Wohnsitzkantons oder diejenige des Kantons, auf dessen Gebiet sich der Stall befindet, ein Tierhalteverbot aussprechen[42]. Nachdem für das Tierhalteverbot die Behörden am Wohnort des Tierhalters oder der Tierhalterin und am Aufenthaltsort der Tiere ausdrücklich zuständig sind, ist nicht ersichtlich, weshalb diese Bestimmung nicht analog für die Anordnung von Beschlagnahmungen von Tieren gelten soll, die von Halterin oder Halter nicht im Wohnsitzkanton gehalten werden. Schliesslich richten sich beide Massnahmen zum Schutz von Tieren gegen eine bestimmte Person.

Da das Territorialitätsprinzip sowohl eine Anknüpfung an den Wohnsitz der betroffenen Person als auch an den Ort der gelegenen Sache, hier der Tiere, zulässt und das TSchG die Frage der Anknüpfung nicht regelt, stellt sich die Frage, ob in einer Zuständigkeit des Wohnsitzkantons für eine (gesamtschweizerische) Beschlagnahme nach Art. 24 TSchG überhaupt ein Verstoss gegen das Territorialitätsprinzip zu sehen ist. Für eine Anknüpfung an den Wohnsitz spricht in einer solchen Konstellation insbesondere, dass sich die Beschlagnahme von Tieren gegen den Tierhalter oder die Tierhalterin richtet, weil er seiner beziehungsweise sie ihrer Halterpflichten nicht nachkommt. Sie greift in erster Linie in die Rechte des Tierhalters oder der Tierhalterin ein. Die Gefahr für die Tiere geht zudem von der Person des Tierhalters beziehungsweise der Tierhalterin aus. Es kann daher argumentiert werden, eine Zuständigkeit des Wohnsitzkantons sei mit dem Territorialitätsprinzip vereinbar, zumal eine entsprechende (alternative) Anknüpfung der Zuständigkeit dem Tierschutzgesetz nicht fremd ist.

5.1.5.3.

Eine Zuständigkeit des Wohnortkantons von Halter oder Halterin drängt sich sodann insbesondere dann auf, wenn die Tiere in verschiedenen Kantonen gehalten werden und sich die Massnahme – wie dies bei einem gesamtschweizerischen Tierhalteverbot der Fall ist – gegen den gesamten Tierbestand richten soll. Dies insbesondere deshalb, weil die Behörde am Aufenthaltsort der Tiere nur dann eine Veranlassung hat, die Tiere selbst zu beschlagnahmen, wenn sie dort dem Tierwohl widersprechend gehalten werden. Wenn aber – wie hier – auf der Sömmerungsweide keine unmittelbare Gefahr für die Tiere besteht, sondern die Gefahr vom Halter oder von der Halterin ausgeht, so kann die Behörde am Aufenthaltsort der Tiere nicht eingreifen und die Tiere vor dem Zugriff des Halters oder der Halterin schützen. In einer solchen Konstellation kommt die Gefahr für das Tierwohl nicht von der Haltung vor Ort oder von den Tieren selbst aus, sondern vom Tierhalter oder von der Tierhalterin, der oder die die Verfügungsmacht über die Tiere hat. Zuständig für die Anordnung von Massnahmen, in denen sich die Gefahr für das Wohl der Tiere aus der Person des Halters oder der Halterin ergibt, muss deshalb (auch) die Behörde am Wohnort sein, selbst wenn die Tiere sich vorübergehend oder auch dauerhaft an einem anderen Ort befinden. Nur so kann auch die Rückführung der ausserkantonal untergebrachten Tiere verhindert werden, da die Behörde am Aufenthaltsort der Tiere – zumindest solange es den Tieren dort gut geht – keine Veranlassung für eine Beschlagnahme haben. Befinden sich die Tiere vorübergehend oder auch dauerhaft an einem anderen Ort, so muss eine Beschlagnahme auch für diese gelten können, selbst wenn sie sich in einem anderen Kanton aufhalten.

5.1.5.4.

Selbst wenn indes davon ausgegangen würde, das Territorialitätsprinzip lasse bloss eine Beschlagnahme am Aufenthaltsort der Tiere zu, wäre die Anordnung durch den Wohnsitzkanton hier zulässig, wie die folgenden Ausführungen zeigen.

Während sich beim Tierhalteverbot eine gesamtschweizerische Geltung in jedem Fall aufdrängt, damit ein Tierhalteverbot überhaupt Sinn macht und nicht einfach mit einem Wohnortwechsel umgangen werden kann, richtet sich die Beschlagnahme in der Regel gegen die Haltung des Tiers an dessen Aufenthaltsort. Wenn ein Tier schlecht gehalten wird, so wird es in der Regel von der Behörde desjenigen Kantons beschlagnahmt, in dem sich das Tier befindet und – von wem auch immer – "gehalten" wird. Mit der Beschlagnahme am Aufenthaltsort kann das Tierwohl somit im Regelfall geschützt werden, ohne dass sich – wie beim Tierhalteverbot – eine Aufhebung des Territorialitätsprinzips aufdrängen würde. Das Tierhalteverbot ist in ein vom BLV geführtes Register eingetragen, in das alle kantonalen Behörden Einsicht nehmen können. Eine analoge Regelung über die Beschlagnahme fehlt im TSchG.

Der Gesetzgeber hat die Aufhebung des Territorialitätsprinzips nur für die Verfügung betreffend Tierhalteverbot ausdrücklich vorgesehen. Zur Anordnung des Verbots erachtet er aber sowohl den Wohnsitzkanton von Halter oder Halterin als auch den Aufenthaltskanton der Tiere für zuständig. In Bezug auf die Beschlagnahme besteht für das Auseinanderfallen von Wohnsitzkanton der Halterin oder des Halters und des Aufenthaltsorts der Tiere keine analoge Regelung im Gesetz. Wie die Überlegungen oben zeigen ist allerdings davon auszugehen, dass der Gesetzgeber darauf nicht bewusst verzichtet hat, sondern es sich um eine unechte Lücke handelt, die im Sinn des Gesetzgebers ausgelegt werden muss. Dient eine Beschlagnahme der Durchsetzung eines gesamtschweizerischen Tierhalteverbots, macht sie nur dann Sinn, wenn sie auch Tiere einschliesst, die der Tierhalter oder die Tierhalterin vorübergehend oder dauerhaft in einem anderen Kanton hält, da ansonsten die ausserkantonalen Tiere nicht geschützt werden könnten. Dies widerspräche Sinn und Zweck des schweizweit geltenden Tierhalteverbots. Kommt hinzu, dass das Tierschutzgesetz im Zweifel im Sinn des Tierwohls auszulegen ist[43]. So sieht Art. 1 des TSchG vor, dass das Gesetz die Würde und das Wohlergehen des Tiers schütze. Bei der Rechtsanwendung sind regelmässig Güterabwägungen zwischen den verschiedenen Interessen vorzunehmen und eine tieradäquate Interpretation legt eine Interessenabwägung "in dubio pro animali" nahe[44]. Nachdem der Gesetzgeber bereits in Art. 23 Abs. 2 TSchG zugunsten des Tierwohls die Aufhebung des Territorialitätsprinzips vorgesehen hat und die Zuständigkeit der Kantone in Art. 212a TSchV alternativ an Wohnsitz und Aufenthaltsort der Tiere anknüpfte, muss dieses nach dem Gesagten auch für die Massnahmen nach Art. 24 TSchG, insbesondere zur Vollstreckung eines umfassenden Tierhalteverbots, gelten. Das Interesse am Tierschutz hat der Gesetzgeber in Bezug auf das Tierhalteverbot höher gewichtet, als das Interesse an der Autonomie der Kantone. Dass muss auch für die Auslegung von Art. 24 TSchG gelten. Selbst wenn die ausserkantonale Beschlagnahme also als Verstoss gegen das Territorialitätsprinzip angesehen würde, wäre eine solche bei der Beschlagnahme des gesamten Tierbestands ausnahmsweise analog zur Verfügung eines Tierhalteverbots zulässig.

5.1.5.5.

Daran ändert auch das von der Berufungsklägerin eingereichte "Kurzgutachten" nichts. Auf dieses kann bereits deshalb nicht abgestellt werden, weil es sich nicht mit der sich hier stellenden Frage auseinandersetzt. Einerseits berücksichtigt es nicht, dass es sich um einen Fall handelt, in dem der Tierhalter im anordnenden Kanton wohnt. Andererseits wird ebenfalls ausser Acht gelassen, dass es sich bei den Tieren, die in einem anderen Kanton beschlagnahmt wurden, um Teile eines über verschiedene Kantone verteilten Tierbestands handelte und der gesamte Tierbestand, nicht bloss ein einzelnes Tier, beschlagnahmt wurde. Zu Unrecht ging das Kurzgutachten zudem davon aus, dass es sich nicht um eine Situation gehandelt habe, in der Gefahr in Verzug war. Davon ging das Veterinäramt aus, andernfalls es nicht eine vorsorgliche Beschlagnahme angeordnet und einem allfälligen Rekurs die aufschiebende Wirkung entzogen hätte. Ebenfalls unzutreffend hält das Kurzgutachten in allgemeiner Weise fest, es könne "grundsätzlich keine konkurrierenden Vollzugsgrundlagen in den Kantonen geben". Dabei verkennt es gerade, dass die Tierschutzverordnung in Art. 212a TSchV eine solche alternative oder konkurrierende Zuständigkeit von Kantonen vorsieht. Soweit sich das Gutachten auf den Standpunkt stellt, das Territorialitätsprinzip schliesse eine (Zuständigkeits-)Kollision aus, ist dem nicht zu folgen, ist doch im Tierschutzgesetz insbesondere nicht ausdrücklich geregelt, ob an den Wohnsitz des Tierhalters beziehungsweise der Tierhalterin oder den Aufenthaltsort des Tiers anzuknüpfen ist. Die tierschutzrechtlichen Gesetzesbestimmungen jedenfalls sehen in der einzigen ausdrücklichen Regelung der örtlichen Zuständigkeit der kantonalen Veterinärämter eine alternative Zuständigkeit beider Kantone vor.

Das Kurzgutachten behandelt zusammengefasst eine Frage, die sich hier gar nicht stellt. Es übersieht wesentliche Regelungen aus dem Tierschutzgesetz selbst und befasst sich nicht mit der Frage des massgeblichen Anknüpfungspunkts des Territorialitätsprinzips. Es vermag damit nichts am vorherigen Auslegungsergebnis zu ändern.

5.1.5.6.

Somit ist es zulässig, wenn die Behörde am Wohnsitz einer Tierhalterin oder eines Tierhalters auch den Teil des Tierbestands beschlagnahmt, der sich in einem anderen Kanton befindet.

[…]

5.2.

5.2.1.

Die Berufungsklägerin wandte ein, die fraglichen Pferde hätten sich in einem anderen Kanton befunden. Demzufolge sei das Veterinäramt des Kantons Thurgau örtlich gar nicht zuständig gewesen und die Beschlagnahmeverfügung aus diesem Grund nichtig.

Art. 24 Abs. 1 TSchG statuiert, dass die zuständige Behörde unverzüglich einschreitet, wenn sie feststellt, dass Tiere vernachlässigt oder unter völlig ungeeigneten Bedingungen gehalten werden. Sie kann die Tiere namentlich vorsorglich beschlagnahmen. Auf letztere Bestimmung stützte sich das Thurgauer Veterinäramt. A. hatte unbestrittenermassen Wohnsitz im Kanton Thurgau. Dementsprechend war das Veterinäramt des Kantons Thurgau nach Art. 212a Abs. 1 TSchG offensichtlich zuständig, ihm gegenüber ein Tierhalteverbot nach Art. 23 TSchG auszusprechen. Wie gezeigt war das Veterinäramt des Kantons Thurgau auch für die vorsorgliche Beschlagnahme des von A. gehaltenen Tierbestands örtlich zuständig. Dass sich einzelne dieser Tiere vorübergehend auf ausserkantonalen Sömmerungsweiden befanden, vermag daran nichts zu ändern. Dass das Veterinäramt sachlich zuständig war, ergibt sich aus § 4 Abs. 1 der – damals noch anwendbaren – kantonalen TG TSchV[45].

Selbst wenn im Übrigen entgegen den vorstehenden Ausführungen davon ausgegangen würde, das Veterinäramt Thurgau sei in diesem Fall nicht befugt gewesen, die Pferde auf der Alp eines anderen Kantons zu beschlagnahmen, lägen keine funktionelle und sachliche Unzuständigkeit des Veterinäramts Thurgau oder andere krasse Verfahrensfehler vor. Denn es ist auf jeden Fall nicht offensichtlich örtlich unzuständig, gegen den gesamten Tierbestand eines im Kanton Thurgau wohnhaften Tierhalters die Beschlagnahme seines gesamten Tierbestands zu verfügen. Selbst unter der Annahme der Unzuständigkeit des Veterinäramt Thurgau läge somit keine (Teil-)Nichtigkeit vor, sondern höchstens eine Anfechtbarkeit der Verfügung. Entgegen den Ausführungen der Parteien in der Berufungsverhandlung schliesst aber die Anfechtbarkeit einer Verfügung die Strafbarkeit nach Art. 289 StGB nicht aus beziehungsweise gilt die amtliche Beschlagnahme einer anfechtbaren Verfügung solange, bis sie im Rechtsmittelverfahren wieder aufgehoben wird[46]. Die Beschlagnahmeverfügung des Veterinäramts Thurgau wurde gerade nicht in einem anschliessenden Rechtsmittelverfahren wieder aufgehoben. Damit liegt ein Beschlag der Pferde vor, der die Voraussetzungen von Art. 289 StGB erfüllt.

[…]

Obergericht, 1. Abteilung, 4. Juni 2024, SBR.2024.27

Eine dagegen erhobene Beschwerde ist beim Bundesgericht hängig (6B_818/2024).


[1]    Art. 289 StGB

[2]    Urteile des Bundesgerichts 7B_7/2021 und 7B_6/2021 vom 5. März 2024 E. 6.1.1; 6B_750/2012 vom 12. November 2013 E. 3.2, nicht publiziert in: BGE 140 IV 11

[3]    Vgl. Hagenstein, Basler Kommentar, 4.A., Art. 289 StGB N. 5

[4]    Tierschutzgesetz, SR 455

[5]    Hagenstein, Art. 289 StGB N. 9; Trechsel/Vest, in: Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar (Hrsg.: Trechsel/Pieth), 4.A., Art. 289 N. 2

[6]    RBOG 1985 Nr. 30; Hagenstein, Art. 289 StGB N. 5 und 24 mit weiteren Hinweisen; Trechsel/Vest, Art. 289 StGB N. 7

[7]    Trechsel/Vest, Art. 289 StGB N. 7

[8]    Urteil des Bundesgerichts 6B_750/2012 vom 12. November 2013 E. 3.2

[9]    Hagenstein, Art. 289 StGB N. 6

[10]  Urteil des Bundesgerichts 6B_750/2012 vom 12. November 2013 E. 3.2

[11]  Urteil des Bundesgerichts 6B_750/2012 vom 12. November 2013 E. 3.2

[12]  Trechsel/Vest, Art. 289 StGB N. 6

[13]  BGE 147 IV 93 E. 1.4.4; 145 III 436 E. 4; 144 IV 362 E. 1.4.3

[14]  BGE 144 IV 362 E. 1.4.3

[15]  BGE 104 II 23 E. 2.a; Urteil des Bundesgerichts 2C_958/2014 vom 31. März 2015 E. 4.4

[16]  BGE 110 II 136 E. 1; Urteil des Bundesgerichts 2C_958/2014 vom 31. März 2015 E. 4.4

[17]  Urteil des Bundesgerichts 2C_958/2014 vom 31. März 2015 E. 4.4

[18]  Richner, Heimtierhaltung aus tierschutzstrafrechtlicher Sicht, Zürich 2014, S. 125

[19]  Urteil des Bundesgerichts 6B_660/2010 und 6B_661/2010 vom 8. Februar 2011 E. 1.2.2

[20] Bolliger/Richner/Rütimann/Stohner, Schweizer Tierschutzstrafrecht in Theorie und Praxis, 2.A., S. 193; Richner, S. 126

[21]  Urteil des Bundesgerichts 6B_660/2010 und 6B_661/2010 vom 8. Februar 2011 E. 1.2.2

[22]  Urteil des Bundesgerichts 6B_660/2010 und 6B_661/2010 vom 8. Februar 2011 E. 1.2.2; Richner, S. 125 f.

[23]  Urteil des Bundesgerichts 6B_660/2010 und 6B_661/2010 vom 8. Februar 2011 E. 1.2.3; Richner, S. 126; vgl. auch Rüttimann/Richner/Lüchinger/Flückiger, Pferd im Recht Transparent, Zürich 2015, S. 52

[24]  Bolliger/Richner/Rütimann/Stohner, S. 193

[25]  BGE 110 II 136 E. 1; Urteile des Bundesgerichts 2C_470/2021 vom 22. November 2021 E. 4.2.2; 2C_958/2014 vom 31. März 2015 E. 4.4

[26]  Art. 23 Abs. 2 TSchG

[27]  Art. 24 Abs. 1 TSchG

[28]  Rüttimann/Richner/Lüchinger/Flückiger, S. 43

[29]  Art. 24 Abs. 3 Satz 1 TSchG; vgl. auch Botschaft des Bundesrats zur Revision des TSchG vom 7. September 2011, BBl 2011 S. 7065

[30]  Richner, S. 118

[31]  Bundesamt für Veterinärwesen

[32]  Botschaft, S. 7065

[33]  Götschel/Ferrari, GAL Tierleitfaden 1.1 für Schweizerische Vollzugsbehörden, Zürich 2018, S. 25; Richner, S. 118; Rüttimann/Richner/Lüchinger/Flückiger, S. 44

[34]  Rüttimann/Richner/Lüchinger/Flückiger, S. 44

[35]  Götschel/Ferrari, S. 26; Rüttimann/Richner/Lüchinger/Flückiger, S. 45

[36]  Götschel/Ferrari, S. 25

[37]  Götschel/Ferrari, S. 36

[38]  Häfelin/Müller/Uhlmann, Allgemeines Verwaltungsrecht, 8.A., N. 308 ff.

[39]  Häfelin/Müller/Uhlmann, N. 319

[40]  Häfelin/Müller/Uhlmann, N. 308 ff.

[41]  Tierschutzverordnung, SR 455.1

[42]  Erläuterungen zur Änderung der Tierschutzverordnung vom 23. April 2008 (SR 455.1) des Bundesamts für Veterinärwesen BVET, S. 24

[43]  Kunz, Tierrecht der Schweiz, Basel 2023, § 5 N. 79

[44]  Kunz, § 5 N. 80

[45]  Tierschutzverordnung, RB 450.41, in der Fassung vom 17. Mai 1983, Stand 1. Juni 2012, in Kraft bis 25. Oktober 2019

[46]  Vgl. E. 5.1.1


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