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RBOG 2024 Nr. 38

Die behauptete Tatsache, dass die Sicherheitsleistung von der Ehefrau – und nicht vom Beschuldigten – erbracht wurde, ist kein Revisionsgrund.

Art. 410 Abs. 1 lit. a StPO


Zusammenfassung des Sachverhalts:

1.

Das Bezirksgericht sprach den Beschuldigten schuldig und verhängte eine teilbedingte Freiheitsstrafe. Das Zwangsmassnahmengericht bewilligte auf Antrag des Beschuldigten seine Entlassung aus dem vorzeitigen Strafvollzug gegen eine Sicherheitsleistung durch ihn oder seine Ehefrau. Später stellte das Bezirksgericht fest, dass die Sicherheit vom Beschuldigten erbracht worden war.

2.

Das Obergericht erkannte die gegen den Entscheid des Bezirksgerichts erhobene Berufung als unbegründet und auferlegte dem Beschuldigten die Verfahrenskosten. Die Sicherheitsleistung zog es dabei zur Anrechnung an die Verfahrenskosten ein. Dagegen erhob der Beschuldigte Beschwerde beim Bundesgericht und beantragte unter anderem, die Sicherheitsleistung sei nicht zur Anrechnung an die Verfahrenskosten einzuziehen, sondern seiner Ehefrau herauszugeben. Das Bundesgericht trat auf diesen Antrag nicht ein, da der Beschuldigte kein eigenes Rechtsschutzinteresse an der Rückerstattung der Sicherheitsleistung an seine Ehefrau substantiiert dargelegt habe und somit seiner Begründungspflicht nicht nachgekommen sei.

3.

Im Anschluss stellte die Ehefrau des Beschuldigten beim Obergericht ein Gesuch um Rück­erstattung der Sicherheitsleistung. Das Obergerichtsvizepräsidium nahm dieses Gesuch als Revisionsbegehren entgegen.

Aus den Erwägungen:

[…]

2.

2.1.

Das Obergerichtsvizepräsidium nahm das Gesuch der Gesuchstellerin um Freigabe der Sicherheit als Revision entgegen; dies, nachdem das Obergerichtspräsidium den gleichlautenden Antrag ihres Ehemanns abgelehnt hatte, weil darüber bereits entschieden worden war. Dagegen opponierte die Gesuchstellerin. Es ist somit fraglich, ob vor diesem Hintergrund, überhaupt auf das (Revi-sions-)Gesuch eingetreten werden kann. So erklärte die Gesuchstellerin ausdrücklich, keine Revision beantragt zu haben, und sie nennt auch keine Revisionsgründe. Wie es sich damit verhält, kann – wie sich nachfolgend herausstellt – offengelassen werden. Selbst wenn das Gesuch als Revisionsgesuch entgegengenommen würde, wäre es abzuweisen.

2.2.

Art. 410 StPO kennt verschiedene Revisionsgründe. Die gesetzlich genannten Gründe sind abschliessend zu verstehen[1]. Dabei ist zu unterscheiden zwischen absoluten und relativen Revisionsgründen. Erstere zeigen ungeachtet der Folgen für ein Strafurteil ihre Wirkungen (Art. 410 Abs. 1 lit. b und c StPO). Ist dagegen zusätzlich noch eine Erheblichkeit erforderlich, handelt es sich um relative Revisionsgründe (Art. 410 Abs. 1 lit. a StPO)[2]. Nach Art. 410 Abs. 1 lit. a StPO kann die Revision verlangen, wer durch ein rechtskräftiges Urteil, einen Strafbefehl, einen nachträglichen richterlichen Entscheid oder einen Entscheid im selbstständigen Massnahmenverfahren beschwert ist, wenn neue, vor dem Entscheid eingetretene Tatsachen oder neue Beweismittel vorliegen, die geeignet sind, einen Freispruch, eine wesentlich mildere oder wesentlich strengere Bestrafung der verurteilten Person oder eine Verurteilung der freigesprochenen Person herbeizuführen. Neue Tatsachen und Beweismittel sind somit erheblich, wenn sie geeignet sind, die tatsächlichen Feststellungen, auf die sich die Verurteilung stützt, zu erschüttern, und wenn die so veränderten Tatsachen einen deutlich günstigeren Entscheid zugunsten des Verurteilten ermöglichen[3]. Nach dem klaren Gesetzeswortlaut ist somit die Revision gestützt auf neue Tatsachen nur möglich, wenn sich diese Tatsachen auf die Bestrafung oder die Verurteilung der beschuldigten Person auswirken. Die Revision ist ein subsidiäres Rechtsmittel; sie setzt somit die formelle Rechtskraft des Urteils voraus[4].

Die Legitimation zur Einreichung eines Revisionsgesuchs richtet sich nach den allgemeinen Bestimmungen über die Rechtsmittel, mithin in erster Linie nach Art. 381 f. StPO[5]. Gemäss Art. 382 Abs. 1 StPO kann jede Partei ein Rechtsmittel ergreifen, die ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung eines Entscheids hat. Zur Einreichung eines Revisionsgesuchs legitimiert ist neben den direkten Verfahrensbeteiligten auch ein Dritter. Aktuell ist dies für den von einer Einziehung betroffenen Drittansprecher eines Vermögenswerts[6]. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung hat jeder, der ein Eigentumsrecht oder ein beschränktes dingliches Recht an den beschlagnahmten Vermögenswerten hat, ein rechtlich geschütztes Interesse[7]. Wird die Sicherheitsleistung von einer Drittperson geleistet, kommt dieser ein Rückübertragungsanspruch zu, was ein schutzwürdiges Interesse und damit eine Verfahrenslegitimation begründet[8].

Einer Revision zugänglich sind Urteile im weiteren Sinn. Im Vordergrund stehen zunächst Entscheide, die ein Verfahren in materieller Hinsicht grundsätzlich durch einen Freispruch oder eine Verurteilung mit einer dafür vorgesehenen Strafe beziehungsweise der Anordnung einer Massnahme abschliessen. Revisionsfähig sind Sachurteile im Sinn von Art. 80 Abs. 1 Satz 1 StPO aller Instanzen[9]. Dabei kann ein Urteil auch nur in Nebenpunkten angefochten werden[10], wie vorliegend die Verrechnung der Prozesskosten mit der Sicherheitsleistung. Bei den relativen Revisions­gründen nach Art. 410 Abs. 1 lit. a StPO ist zudem erforderlich, dass die neuen Tatsachen geeignet sind, einen Freispruch, eine wesentlich mildere oder wesentlich strengere Bestrafung der verurteilten Person oder eine Verurteilung der freigesprochenen Person herbeizuführen. Dies dürfte bei Nebenpunkten in der Regel nicht der Fall sein, weshalb die Revision von Nebenpunkten regelmässig absolute Revisionsgründe erfordern dürfte.

2.3.

Die Gesuchstellerin beruft sich darauf, dass sie die Sicherheitsleistung bezahlt habe, und nicht ihr Ehemann als beschuldigte Person. Im Berufungsverfahren beantragte die Verteidigerin des Beschuldigten, die bezahlte Sicherheit sei freizugeben beziehungsweise dem Beschuldigten zurückzuerstatten. Von einer Freigabe an die Ehefrau des Beschuldigten war seitens der Parteien nicht die Rede. Auch das Bezirksgericht stellte fest, die Sicherheit sei vom Beschuldigten bezahlt worden. In der Folge rechnete das Berufungsgericht die Sicherheitsleistung an die vom Beschuldigten zu tragenden Verfahrenskosten an, wobei ein allfälliger Überschuss dem Beschuldigten herauszugeben sei. Es stellt sich somit die Frage, ob die behauptete Tatsache, dass diese Sicherheit von der Ehefrau des Beschuldigten geleistet wurde, und nicht vom Beschuldigten selbst, neu im Sinn von ʺunberücksichtigtʺ beziehungsweise Art. 410 Abs. 1 lit. a StPO ist. Diese Frage kann vorliegend offengelassen werden. Wie ausgeführt handelt es sich bei den Revisionsgründen nach Art. 410 Abs. 1 lit. a StPO im Gegensatz zu jenen nach Art. 410 Abs. 1 lit. b und c StPO um relative Revisionsgründe, die zusätzlich eine Erheblichkeit erfordern und nicht ungeachtet ihrer Folgen für ein Strafurteil zur Revision berechtigen[11]. Die Tatsachen oder Beweismittel müssen erheblich sein, das heisst geeignet, eine bedeutende Änderung der rechtlichen Qualifikation oder des Strafmasses herbeizuführen[12]. Durch die nicht berücksichtigte Tatsache, dass die Sicherheit angeblich von der Ehefrau – und nicht vom Beschuldigten – geleistet worden sei, lässt sich kein Freispruch, keine wesentlich mildere oder wesentlich strengere Bestrafung der verurteilten Person oder eine Verurteilung der freigesprochenen Person herbeiführen. Die Verrechnung der Sicherheit wirkt sich nicht auf die Verurteilung oder Bestrafung der beschuldigten Person aus[13]. Somit muss nicht weiter auf diese Tatsache und deren Neuheit eingegangen werden. Sie ist nicht geeignet, eine Revision gemäss Art. 410 StPO herbeizuführen.

Ein anderer Revisionsgrund im Sinn von Art. 410 Abs. 1 lit. b und c oder Art. 410 Abs. 2 StPO lässt sich nicht erkennen. Auch liegt kein Zivilanspruch vor, da es vorliegend um eine Sicherheitsleitung im Zwangsmassnahmenverfahren geht; diese gründet auf einem öffentlich-rechtlichen Verhältnis zwischen einer natürlichen Person und dem Staat. Nicht betroffen ist eine Zivilforderung zwischen natürlichen Personen. Somit ist Art. 410 Abs. 4 StPO nicht einschlägig.

Sofern das Gesuch um Freigabe der Sicherheit als Revisionsgesuch entgegengenommen werden kann, ist dieses somit abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann.

[…]

Obergericht, 2. Abteilung, 19. Juli 2024, SAR.2024.1


[1]    Heer/Covaci, Basler Kommentar, 3.A., Art. 410 StPO N. 14; Fingerhuth, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung (Hrsg.: Donatsch/Lieber/Summers/Wohlers), 3.A., Art. 410 N. 52

[2]    Heer/Covaci, Art. 410 StPO N. 14; Fingerhuth, Art. 410 StPO N. 61; Jositsch/Schmid, Schweizerische Strafprozessordnung, Praxiskommentar, 4.A., Art. 410 N. 14 ff.

[3]    BGE 137 IV 59 E. 5.1.4; Urteil des Bundesgerichts 6B_277/2018 vom 12. Oktober 2018 E. 2

[4]    Fingerhuth, Art. 410 StPO N. 5; Jositsch/Schmid, Art. 410 StPO N. 2

[5]    Heer/Covaci, Art. 410 StPO N. 16; Fingerhuth, Art. 410 StPO N. 44

[6]    Heer/Covaci, Art. 410 StPO N. 16; Schödler, Dritte im Beschlagnahme- und Einziehungsverfahren, Zürich 2012, S. 199

[7]    Urteil des Bundesgerichts 6B_1199/2017 vom 6. Februar 2020 E. 2.3; Scholl, in: Kommentar Kriminelles Vermögen - Kriminelle Organisationen (Hrsg.: Ackermann), Zürich 2018, Art. 70 StGB N. 651

[8]    Urteile des Bundesgerichts 1B_278/2011 vom 13. Januar 2012 E. 2.1; 1B_286/2012 vom 19. November 2011 E. 1; BGE 135 I 63 E. 1.1.1; Cavallo, Die Sicherheitsleistung nach Art. 238 ff. StPO, Zürich 2013, S. 94

[9]    Heer/Covaci, Art. 410 StPO N. 21; Fingerhuth, Art. 410 StPO N. 12

[10] Heer/Covaci, Art. 410 StPO N. 16; Jositsch/Schmid, Art. 410 StPO N. 7

[11] Heer/Covaci, Art. 410 StPO N. 14; Fingerhuth, Art. 410 StPO N. 61; Jositsch/Schmid, Art. 410 StPO N. 14

[12] BGE 116 IV 353 E. 2.a; 92 IV 177 E. 1 zu Art. 397 aStPO; Fingerhuth, Art. 410 StPO N. 61

[13] Vgl. Entscheid des Obergerichts Solothurn STREV.2022.7 vom 5. Dezember 2022 E. 4.3


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