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TVR 2015 Nr. 14

Gestaltungsplanpflicht bei einem Baugrundstück, welches in der ISOS-Umgebungszone liegt


§ 23 PBG, § 72 Abs. 1 Ziff. 4 PBG, § 72 Abs. 2 PBG


Liegt ein Baugrundstück gemäss ISOS in einer Umgebungszone mit dem Erhaltungsziel „a“, ist zur Herbeiführung der planerischen Baureife im Sinne von § 72 Abs. 1 Ziff. 4 PBG der vorgängige Erlass eines Gestaltungsplans erforderlich, wenn die Vorgaben der kommunalen Nutzungsplanung bzw. die Bestimmungen des kommunalen Baureglements zum Schutz des Ortsbildes gemäss ISOS nicht ausreichen.


Am 23. September 2013 stellten A und B bei der Politischen Gemeinde P ein Baugesuch für den Neubau von zwei Mehrfamilienhäusern mit Tiefgarage auf der sich in der Dorfzone D befindenden Liegenschaft Nr. XX. Am 22. Dezember 2012 wurde nachträglich das Gesuch für den Abbruch des auf diesem Grundstück bereits bestehenden Wohnhauses mit angebauter Scheune und separatem Schopf gestellt. Mit Entscheid vom 20. Januar 2014 wies der Gemeinderat P eine dagegen von der benachbarten Grundeigentümerin C erhobene Einsprache ab. Am 12. März 2014 wurde die Baubewilligung für das geplante Bauprojekt erteilt. Einen von C erhobenen Rekurs wies das DBU ab. Dagegen liess C Beschwerde erheben, welche das Verwaltungsgericht - unter Aufhebung des Rekursentscheids, des Einspracheentscheids und der Baubewilligung - gutheisst.

Aus den Erwägungen:

2.4 Die Ortschaft P figuriert als ehemaliges Bauern- und Fischerdorf im ISOS. Dabei stellt sich die Frage, inwiefern auch aufgrund der Vorgaben des ISOS auf eine Gestaltungsplanpflicht bezüglich des streitbetroffenen Baugrundstücks geschlossen werden muss.

2.4.1 Die Liegenschaft Nr. XX, auf welcher das strittige Bauprojekt geplant ist, sowie die westlich und südlich anstossenden Grundstücke Nrn. YY und ZZ liegen gemäss ISOS - mit der Aufnahmekategorie „ab“ und dem Erhaltungsziel „a“ - in der Umgebungszone IV. Diese wird wie folgt umschrieben: „Leicht zur Bahnlinie abfallendes Wiesland mit verschiedenen Bauten aus den letzten 160 Jahren und Obstbäumen, Trennbereich zwischen historischer Siedlung und Neuquartier“. Den Erläuterungen zum ISOS ist zu entnehmen, dass entsprechende Umgebungszonen mit der Aufnahmekategorie „a“ einen unerlässlichen Teil des Ortsbildes, das heisst unverbaut oder mit Bauten, die der ursprünglichen Beschaffenheit der Umgebung entsprechen, darstellen. Unter die Aufnahmekategorie „b“ fällt ein empfindlicher Teil des Ortsbildes, der häufig überbaut ist. Für das Erhaltungsziel „a“ gilt gemäss den Erläuterungen zum ISOS, dass die Beschaffenheit als Kulturland oder Freifläche zu erhalten ist. Die für das Ortsbild wesentliche Vegetation und Altbauten sind zu bewahren und störende Veränderungen zu beseitigen. Als Erhaltungshinweise werden dabei namentlich „strenge Gestaltungsvorschriften für standortgebundene Bauten“ angeführt. Im Hinblick auf die praktische Anwendung des ISOS werden in den Erläuterungen als geeignete Massnahmen für eine Umgebungszone mit dem Erhaltungsziel „a“ namentlich die Einführung eines Gestaltungsplanobligatoriums angeführt.

2.4.2 Zwar weist die verfahrensbeteiligte Bauherrschaft zu Recht darauf hin, dass das ISOS nicht grundeigentümer-, sondern lediglich behördenverbindlich ist. Sodann handelt es sich bei der Erteilung einer Baubewilligung grundsätzlich auch nicht um eine Bundesaufgabe im Sinne von Art. 6 Abs. 2 NHG. Allerdings ist der Schutz von wertvollen Ortsbildern von nationaler Bedeutung, die im ISOS eingetragen sind, auch bei der Erfüllung von kantonalen und kommunalen Aufgaben durch das kantonale und kommunale Recht zu gewährleisten. Damit sind die Bundesinventare wie das ISOS auch bei der Erfüllung von kantonalen und kommunalen Aufgaben, wozu namentlich die Erteilung einer Baubewilligung zählt, von Bedeutung. Ihrer Natur nach kommen sie Sachplänen und Konzepten im Sinne von Art. 13 RPG gleich. Im Rahmen der allgemeinen Planungspflicht der Kantone (Art. 2 RPG) legen diese die Planungsgrundlagen in ihrer Richtplanung im Allgemeinen fest (Art. 6 RPG) und berücksichtigen die Bundesinventare als besondere Form von Konzepten und Sachplänen im Speziellen (Art. 6 Abs. 4 RPG). Aufgrund der Behördenverbindlichkeit der Richtplanung (Art. 9 RPG) finden die Schutzanliegen des Bundesinventars auf diese Weise Eingang in die Nutzungsplanung (Art. 14 ff. RPG), insbesondere in die Ausscheidung von Schutzzonen (Art. 17 Abs. 1 RPG) und in die Anordnung von anderen Schutzmassnahmen (Art. 17 Abs. 2 RPG). Die derart ausgestaltete Nutzungsplanung ist auch für die Eigentümer verbindlich. Insoweit besteht für die Kantone und Gemeinden eine Pflicht zur Berücksichtigung der Bundesinventare. Die Pflicht zur Beachtung findet zum einen ihren Niederschlag in der Anwendung der die Schutzanliegen umsetzenden (Nutzungs-)Planung. Zum andern darin, dass im Einzelfall erforderliche Interessenabwägungen im Lichte der Heimatschutzanliegen vorgenommen werden. Das ist insbesondere der Fall, wenn von der Grundnutzungsordnung abgewichen werden soll (vgl. BGE 135 II 209 E. 2.1 mit zahlreichen Hinweisen).
Mittels der Nutzungspläne werden Zweck, Ort und Mass der Bodennutzung allgemeinverbindlich festgelegt. Dazu zählen nicht nur die im RPG materiell geregelten Zonenpläne, sondern insbesondere auch Erschliessungs-, Überbauungs- und Gestaltungspläne (vgl. Leimbacher, Rechtsgutachten zur Bedeutung des BGE Rüti [BGE 135 II 209] für das ISOS und das IVS, Bern 2011, herausgegeben vom BAK bzw. ASTRA, November 2012, S. 53 und 79 f.).

2.4.3 Hinsichtlich der Umsetzung der Vorgaben des ISOS in der kantonalen Nutzungsplanung ist festzustellen, dass die Ortschaft P im kantonalen Richtplan (KRP) im Anhang A1 (Liste der Ortsbildschutzgebiete) unter dem Titel „Ausgangslage“ mit der „Kapelle S“ (besonders wertvoll) und als „P mit Schlossgebiet“ (wertvoll) eingetragen ist. Im Sinne von Planungsgrundsätzen ist im Text zum KRP (1.8 Ortsbildschutzgebiete) festgelegt, dass die erhaltenswerten Ortsbilder in Erscheinung, Substanz und Struktur zu schützen, zu pflegen und zu gestalten seien. In den auf der Richtplankarte mit Symbolen eingezeichneten Ortsbildschutzgebieten - zu welchen auch das Dorf P gehört - ist bei der Beurteilung von Eingriffen in die bestehende Bausubstanz ein strenger Massstab anzuwenden. Ergänzende Neubauten haben sich in die Struktur einzufügen. Sodann ist zur Klassifikation „Ausgangslage“ in der Liste in Anhang A1 zum KRP vermerkt, dass hierzu jene Ortsbilder gehören, „deren Schutz durch Pläne und Vorschriften gesichert ist“. Dieser Klassifikation ist, wie erwähnt, auch das Dorf P zugeordnet.
Der - behördenverbindliche - KRP geht somit davon aus, dass der Schutz des Ortsbildes von P durch Pläne und Vorschriften gesichert sei. Zu diesen „Plänen und Vorschriften“ gehört jedoch insbesondere die kommunale Nutzungsplanung, das heisst der Zonenplan und das Baureglement, und damit auch die in Art. 3 Abs. 3 BR statuierte Gestaltungsplanpflicht für Neubauten in der Dorfzone.

2.4.4 Mit einem Gestaltungsplan für Neubauten in Dorfzonen soll gemäss dieser Bestimmung insbesondere der Erhalt der wertvollen Bauten, der Ersatz bestehender Bauten, Stellung und Erscheinung der Neubauten sowie Art und Mass ihrer Nutzung geregelt werden. Zumindest in Bezug auf den Regelungsinhalt ist damit wohl den Vorgaben des ISOS auf Stufe der kommunalen Nutzungsplanung Genüge getan und der Schutz des Ortsbildes - entsprechend dem Vermerk im KRP - gesichert.
Wird allerdings auf den Erlass eines Gestaltungsplanes mit den in Art. 3 Abs. 3 BR vorgegebenen Regelungsinhalten verzichtet, wie es offenbar der Praxis der verfahrensbeteiligten Gemeinde entspricht, ist dieser Schutz nicht gewährleistet. Wird die festgelegte Gestaltungsplanpflicht bei Neubauten in der Dorfzone durch die kommunale Baubehörde mit anderen Worten nicht berücksichtigt, stellt dies eine Verletzung sowohl der behördenverbindlichen Schutzbestimmungen des ISOS als auch der - ebenfalls behördenverbindlichen - Vorgaben des KRP dar. Der Schutz des Ortsbildes von P, wie er sich aus den Erhaltungszielen gemäss dem ISOS ergibt, ist mithin auch durch die übrigen Zonenvorschriften für die Dorfzone (insbesondere Art. 3 Abs. 1 und 4 BR) nicht ausreichend gewährleistet. In diesen Bestimmungen wird lediglich festgehalten, dass die Dorfzone eine baustilgerechte Erhaltung der vorhandenen Bauten sowie die sorgfältige Eingliederung von Neu-, An- und Umbauten in das bestehende Ortsbild „bezweckt“. In Abs. 4 von Art. 3 BR wird sodann einzig hinsichtlich der Dachform vorgeschrieben, dass für Hauptbauten nur die herkömmlichen steileren Dachformen zulässig seien und die Höhe des Dachstuhles in der Regel der halben Gebäudebreite zu entsprechen habe. Weitere konkretere Vorgaben für die Gestaltung und Einordnung von Neubauten in der Dorfzone, mit welchen der Ortsbildschutz auch ohne Gestaltungsplan gewährleistet wäre, sind im BR nicht enthalten. Insbesondere wird im BR auch nicht auf die einzelnen Erhaltungsziele, wie sie im ISOS - namentlich für die vorliegend zur Diskussion stehende Umgebungszone IV - definiert sind, eingegangen. Andere geeignete Massnahmen im Sinne von Art. 17 Abs. 2 RPG (vgl. BGE 135 II 209 E. 2.1), welche den Schutz des Ortsbildes gemäss ISOS auf Stufe der grundeigentümerverbindlichen kommunalen Nutzungsplanung der verfahrensbeteiligten Gemeinde sicherstellen würden, bestehen - soweit ersichtlich - nicht.

2.4.5 Um den Schutzvorgaben des ISOS gerecht zu werden, erweist sich der vorgängige Erlass eines Gestaltungsplanes mit den in Art. 3 Abs. 3 BR beispielhaft umschriebenen Regelungsinhalten somit als unabdingbar. Dies entspricht nicht zuletzt auch den Empfehlungen in den Erläuterungen zum ISOS, gemäss welchen - unter dem Titel „Praktische Anwendung des ISOS“ - für Umgebungszonen mit dem Erhaltungsziel „a“ die Einführung eines Gestaltungsplanobligatoriums als geeignete Massnahme erwähnt wird. Selbst wenn somit die in Art. 3 Abs. 3 BR statuierte Gestaltungsplanpflicht für Neubauten in der Dorfzone nicht explizit im Baureglement erwähnt wäre, müssten angesichts der sensiblen Lage des Baugrundstücks bzw. des Gebietes zwischen F-, G-, H- und I-Strasse, wie sie sich aus den Vorgaben des ISOS ergibt, im Falle eines Neubauprojektes die notwendigen Eckpunkte mittels vorgängigen Erlasses eines Gestaltungsplanes festgelegt werden. Der Fortsetzung der offensichtlich bislang geübten rechtswidrigen Praxis der verfahrensbeteiligten Gemeinde stehen damit erhebliche/überwiegende öffentliche Interessen zum Schutz des Ortsbildes von P entgegen. Damit ist - auch unabhängig von Art. 3 Abs. 3 BR - für die Herbeiführung der planerischen Baureife des Baugrundstücks im Sinne von § 72 Abs. 1 Ziff. 4 PBG der vorgängige Erlass eines Gestaltungsplanes unabdingbar.

2.4.6 und 2.5 (…)

3. Zusammenfassend ergibt sich, dass sich das Erfordernis eines Gestaltungsplanes bereits aus § 72 Abs. 2 PBG ergibt. Die in Art. 3 Abs. 3 BR statuierte Gestaltungsplanpflicht für Neubauten und massgebliche Veränderungen der Bausubstanz in der Dorfzone ist als unabdingbare Konkretisierung der behördenverbindlichen Vorgaben des ISOS auf Stufe Nutzungsplanung zu qualifizieren. Angesichts seiner sensiblen Lage, die sich insbesondere aus den Erhaltungszielen des ISOS ergibt, wäre das strittige Bauprojekt mit erheblichen Auswirkungen auf das Ortsbild im Sinne von § 72 Abs. 2 PBG verbunden und für eine zukünftige (Sondernutzung-)Planung in diesem Gebiet von präjudizieller Wirkung. Für die Erteilung der Baubewilligung hätte daher auch nicht ausnahmsweise im Sinne von § 72 Abs. 1 Ziff. 4 Satz 2 PBG vom vorgängigen Erlass eines Gestaltungsplanes abgesehen werden können. (…) Mangels eines entsprechenden Gestaltungsplanes ist dem Baugrundstück die planungsrechtliche Baureife im Sinne von § 72 Abs. 1 Ziff. 4 PBG abzusprechen. Die Baubewilligung für das strittige Bauprojekt auf der Liegenschaft Nr. XX wurde daher zu Unrecht erteilt. Die Beschwerde erweist sich als begründet und ist gutzuheissen (…).

Entscheid des Verwaltungsgerichts VG.2014.202/E vom 18. März 2015

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