TVR 2015 Nr. 9
Sicht-, Hör- und Geruchkontakt zu einem anderen Pferd; Ausnahmebewilligung für ein allein gehaltenes altes Pferd
Art. 6 Abs. 1 TSchG, Art. 59 Abs. 3 TSchV
1. Art. 59 Abs. 3 TSchV ist in jedem Fall so zu verstehen, dass die Tiere effektiv einen Sozialkontakt pflegen können. Dies ist dann nicht mehr gegeben, wenn sie durch Wände getrennt in verschiedenen Ställen oder Ausläufen stehen (E. 3.2). Eine Ausnahme für sozialunverträgliche Pferde ist nicht vorgesehen (E. 3.4).
2. Eine Ausnahmebewilligung könnte nur für ein einzeln gehaltenes, altes Pferd in Frage kommen. Ein 14-jähriges Pferd kann noch nicht als alt bezeichnet werden (E. 4).
Anlässlich einer Kontrolle wurde vom Veterinäramt festgestellt, dass das Pferd A als einziges Tier seiner Gattung gehalten wurde, ohne Sicht-, Hör- und Geruchkontakt zu Artgenossen. In der Folge wurde der Halterin eine Frist angesetzt, um ihrem Pferd den vorgeschriebenen Sozialkontakt zu gewähren. Sollte sie den Anordnungen nicht Folge leisten oder die Frist ungenützt verstreichen lassen, so erfolge Strafanzeige bei der zuständigen Staatsanwaltschaft wegen Ungehorsams gegen amtliche Verfügungen. Ein dagegen erhobenen Rekurs wies das DIV ab. Die hiergegen erhobene Beschwerde weist das Verwaltungsgericht ebenfalls ab.
Aus den Erwägungen:
3.
3.1 Art. 6 TSchG ermächtigt den Bundesrat unter Berücksichtigung der wissenschaftlichen Erkenntnisse und nach dem Stand der Erfahrung und der technischen Entwicklung Vorschriften über das Halten von Tieren, namentlich Mindestanforderungen zu erlassen und Haltungsarten, die den Grundsätzen des Tierschutzes widersprechen, zu verbieten. Von dieser Rechtsetzungskompetenz hat er unter anderem in Art. 59 ff. TSchV mit Bezug auf Pferde Gebrauch gemacht. Die Bestimmung von Art. 59 TSchV wurde im Rahmen der Totalrevision der Tierschutzverordnung am 23. April 2008 in Kraft gesetzt. Die Übergangsfrist von fünf Jahren nach Inkrafttreten von Art. 59 TSchV (Anhang 5 zur TSchV) ist somit am 22. April 2013 abgelaufen. In Abs. 3 von Art. 59 TSchV wird der Sozialkontakt wie folgt geregelt: „Pferde müssen Sicht-, Hör- und Geruchkontakt zu einem anderen Pferd haben. Die kantonale Behörde kann in begründeten Fällen eine befristete Ausnahmebewilligung für ein einzeln gehaltenes, altes Pferd erteilen.“
3.2 Da für die Haltung eines einzelnen Pferdes eine ausdrückliche Ausnahmebewilligung nötig ist, bedeutet dies im Umkehrschluss, dass die Anforderungen an den Sicht-, Hör- und Geruchkontakt bei der Pferdehaltung eng auszulegen sind. Dies trägt denn auch dem Umstand Rechnung, dass das Pferd als Herdentier für sein Wohlbefinden grundsätzlich Kontakt mit anderen Artgenossen benötigt und im Gegensatz zum Hund - welchen die Beschwerdeführerin zum Vergleich anführt - nicht ersatzweise die Menschen als seine Herde bzw. sein Rudel betrachtet. Die technischen Weisungen über den baulichen und qualitativen Tierschutz Pferde vom 1. Oktober 2014 (Tierschutz-Kontrollhandbuch) führen ergänzend aus, dass Pferde mindestens Sicht-, Hör- und Geruchkontakt zu einem anderen Pferd, Pony, Esel, Maultier oder Maulesel auf demselben Betrieb haben müssen (Ziff. 8 des Tierschutz-Kontrollhandbuchs). Diese Weisungen stellen zwar keine für das Gericht verbindliche Rechtsgrundlage dar (BGE 131 II 1 E. 4.1). Sie sind aber Ausdruck der Anforderungen an den Vollzug des Bundesrechts in den Kantonen und sind auch unter dem Gesichtspunkt der Rechtsgleichheit von gewisser Bedeutung (BGE 120 V 224 E. 4c). Bereits aus der Tierschutzverordnung ergibt sich zudem, dass die Distanz zu anderen Equiden nicht zu gross sein darf, um einen minimalen, artgerechten Sozialkontakt zu ermöglichen. Insofern geht auch die Argumentation der Beschwerdeführerin fehl, dass die Anforderungen erfüllt wären, wenn sie den Hof ihrer Nachbarn übernehmen würde, wo zwei Pferde stehen. Vielmehr ist Art. 59 Abs. 3 TSchV in jedem Fall so zu verstehen, dass die Tiere effektiv einen Sozialkontakt pflegen können. Dies ist dann nicht mehr gegeben, wenn sie durch Wände getrennt in verschiedenen Ställen oder Ausläufen stehen (also sich nicht mehr sehen, hören und riechen können), unabhängig davon, ob sich die Ställe auf demselben oder einem anderen Betrieb befinden. Eine andere Auslegung kann sich auch aus Ziff. 8 des Tierschutz-Kontrollhandbuchs nicht ergeben.
3.3 Die Beschwerdeführerin macht geltend, dass auf drei Seiten ihres Betriebes Pferdeweiden angrenzen würden. Dies mag zwar einen gewissen Sozialkontakt ermöglichen, garantiert diesen jedoch nicht. Die Beschwerdeführerin kann nicht darüber entscheiden, auf welche Weiden ihre Nachbarn ihre Pferde wann herauslassen. Zudem ist ein Weidegang bei den schweizerischen Wetter- und Bodenverhältnissen nicht jeden Tag übers ganze Jahr hinaus gesichert und Reitpferde verbringen einen grossen Teil ihrer Zeit regelmässig in der Boxe oder auf befestigten Ausläufen. Auch Prof. S führt in seinem Gutachten aus, dass A bei „guten Wetterbedingungen“ regelmässig auf die Weide gelassen werde. Auch wenn A somit während ihres Weideganges zeitweise in Kontakt mit Artgenossen kommt, bedeutet dies nach wie vor, dass sie während vielen Stunden am Tag (insbesondere auch bei schlechtem Wetter) alleine in ihrer Boxe (von einem Auslauf hat Prof. S nicht gesprochen) verbringt. Dies entspricht grundsätzlich nicht der Natur des Herdentiers Pferd.
3.4 Art. 59 Abs. 3 TSchV sieht keine Ausnahme für sozialunverträgliche Pferde vor. Insofern kann von Gesetzes wegen auch dann nicht von dem verlangten Sicht-, Hör- und Geruchkontakt abgewichen werden, wenn ein Pferd sich als schwierig im Umgang mit Artgenossen erweist. Das verfahrensbeteiligte Amt konnte sich daher damit begnügen, festzustellen, dass der verlangte Sozialkontakt vorliegend nicht gegeben ist, und musste auch keine charakterspezifische Einzelfallbeurteilung vornehmen. Insofern gehen denn auch die diesbezüglichen Ausführungen der Beschwerdeführerin ins Leere und ihr wurde und wird auch nicht vorgeworfen, dass sich A in einem physisch oder psychisch schlechten Zustand befindet. Wenn Prof. S ausführt, dass es Pferde gebe, die sich im Zusammenleben und Zusammentreffen mit anderen Pferden nicht wohl fühlen würden, mag dies zwar in Ausnahmefällen zutreffen und dürfte sich vorab mit den heutigen teilweise unnatürlichen Haltungsformen von Sportpferden erklären lassen. Diese Meinung hat jedoch keinen Eingang in Art. 59 Abs. 3 TSchV gefunden, welcher - wie bereits gesagt - keine Ausnahme für sozialunverträgliche Pferde enthält und diesbezüglich keine Einzelfallbeurteilung und keinen Ermessensentscheid zulässt. Im Übrigen konnte Prof. S im vorliegenden Fall denn auch nicht selber feststellen, dass sich A mit anderen Pferden nicht verträgt, und auch Pferde haben bezüglich ihrer Gefährten Vorlieben und Abneigungen, so dass es ohne weiteres sein kann, dass sie sich mit einem Artgenossen verstehen und mit einem anderen nicht, oder beispielsweise ohne Probleme einen Wallach akzeptieren, sich jedoch mit einer anderen Stute nicht arrangieren können. Die schlechte Erfahrung mit der Araberstute muss daher in keiner Weise bedeuten, dass sich A nicht mit einem anderen Pferd anfreunden könnte und würde. Auch der kurze Besuch der Pferde von J im September 2014 vermag dies nicht zu belegen, da sich Pferde oftmals zuerst aneinander gewöhnen müssen. Dies ist aber aufgrund der Bestimmung von Art. 59 Abs. 3 TSchV gar nicht wesentlich. Wenn die Beschwerdeführerin zudem vorbringt, dass sie kein zweites Pferd halten und bewegen könne, so ist ihr diesbezüglich entgegen zu halten, dass beispielsweise auch ein kleineres Pony - welches im Unterhalt viel günstiger ausfällt und nicht geritten werden muss - als Stallgefährte möglich und zulässig wäre. Im Ergebnis ist daher festzuhalten, dass die Haltung von A den Anforderungen von Art. 59 Abs. 3 Satz 1 TSchV nicht entspricht.
4.
4.1 Im Weiteren ist daher zu prüfen, ob im vorliegenden Fall eine Ausnahmebewilligung gestützt auf Art. 59 Abs. 3 Satz 2 TSchV erteilt werden könnte. Diese Bestimmung hält fest, dass die kantonale Behörde in begründeten Fällen eine befristete Ausnahmebewilligung für ein einzeln gehaltenes, altes Pferd erteilen kann. Dazu führte das verfahrensbeteiligte Amt jedoch aus, dass ein Gesuch im vorliegenden Fall mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit abgelehnt werden müsste.
4.2 Eine Ausnahmebewilligung scheitert vorliegend klar am Alter von A. Die Stute ist 14 Jahre alt und daher in keiner Weise als altes Pferd zu bezeichnen. Auch Warmblut- und Vollblutpferde können theoretisch bis zu 30 Jahre alt oder älter werden und viele Pferde erreichen das 20. Altersjahr in guter Gesundheit und werden noch regelmässig geritten oder gefahren. Mit 14 Jahren ist auch ein Sportpferd zudem noch voll leistungsfähig und sogar auf der Höhe seines sportlichen Erfolges, welcher oft eine jahrelange Ausbildung und ein entsprechendes Training voraussetzt. A wurde sehr jung aus dem Trabrennsport genommen, weil sie offenbar nicht genügend Leistung erbracht hat. Dies lässt sie jedoch nicht frühzeitig altern und bei guter Betreuung - welche sie ja offenbar erhält - kann sie noch mehrere Jahre lang gesund leben. Ab wann genau von einem alten Pferd im Sinne von Art. 59 Abs. 3 Satz 2 TSchV gesprochen werden kann, muss vorliegend nicht abschliessend beantwortet werden. Dazu lässt sich im Übrigen auch aus dem in ähnlicher Sache kürzlich ergangenen Urteil des Bundesgerichts 2C_551/2015 vom 26. Juni 2015 nichts entnehmen. Mit ihren vierzehn Jahren erfüllt A aber diese Voraussetzung klar nicht und die Vorinstanz hat ihr diesbezügliches Ermessen somit auch nicht rechtsfehlerhaft ausgeübt. Insofern kann der Beschwerdeführerin keine Ausnahmebewilligung erteilt werden, auch wenn die Haltung als einzelnes Pferd im Fall von A offenbar keine negativen Auswirkungen entfaltet und allenfalls sogar ihrem Charakter entsprechen würde.
Entscheid des Verwaltungsgerichts VG.2015.93/E vom 21. Oktober 2015