TVR 2016 Nr. 34
Kostenüberwälzung für das Klageverfahren gestützt auf ein Kostenreglement; Verfahrenskosten und Parteientschädigung
Art. 61 lit. g ATSG, Art. 73 BVG, § 69 b VRG, § 77 VRG, § 80 Abs. 2 VRG
1. Die Kosten für das Klageverfahren können von der Vorsorgeeinrichtung nicht über ein Kostenreglement auf die beklagte Person abgewälzt werden. Dies widerspricht der grundsätzlichen Kostenlosigkeit des Verfahrens. Über eine allfällige Parteientschädigung hat das Gericht und nicht die Vorsorgeeinrichtung in ihrem Kostenreglement zu entscheiden (E. 4).
2. Von der Kostenlosigkeit des Verfahrens vor dem kantonalen Gericht sowie vom Grundsatz, dass den mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betrauten Organisationen keine Parteientschädigung zuzusprechen ist, kann bei mutwilliger oder leichtsinniger Prozessführung abgewichen werden (E. 8).
3. Eine Parteientschädigung rechtfertigt sich bei mutwilliger oder fahrlässiger Prozessführung dann, wenn die obsiegende Vorsorgeeinrichtung anwaltlich vertreten ist. Einer nicht vertretenen Vorsorgeeinrichtung wäre eine Parteientschädigung hingegen lediglich dann zuzusprechen, wenn es sich um eine komplizierte Sache mit hohem Streitwert handelt, die Interessenwahrung einen hohen Arbeitsaufwand notwendig macht, welcher die normale Betätigung während einiger Zeit erheblich beeinträchtigt, und zwischen dem betriebenen Arbeitsaufwand und dem Ergebnis der Interessenwahrung ein vernünftiges Verhältnis besteht (E. 8.4).
Mit Vertrag vom 28. Juni 2010 / 6. Juli 2010 schloss sich die B AG per 1. Juni 2010 der beruflichen Vorsorge der Pensionskasse P an. Zwischen 8. Mai 2014 und 5. Februar 2015 erfolgten vonseiten der P diverse Mahnungen wegen Prämienausständen. Mit Schreiben vom 30. April 2015 teilte die B AG der P mit, dass dem gesamten Personalbestand per 30. April 2015 gekündigt worden sei. Sie bat die P darum, den Vertrag aufzulösen und die Gelder an eine Auffangeinrichtung zu übertragen. In der Folge mahnte die P die B AG erneut für die ausstehenden Prämien. Für das Jahr 2015 seien noch sämtliche Prämien offen. Auch wenn es durch die Austritte zu Gutschriften kommen werde, seien die Prämien bis 30. April 2015 geschuldet. Am 20. November 2015 stellte die P beim Betreibungsamt M ein Betreibungsbegehren für den Betrag von Fr. 3‘144.45 nebst Zins zu 6% seit 17. August 2015. Gegen den Zahlungsbefehl erhob die B AG am 24. November 2015 Rechtsvorschlag. Am 30. August 2016 reichte die P Klage beim Versicherungsgericht ein. Dieses heisst die Klage teilweise gut und beseitigt den Rechtsvorschlag im entsprechenden Umfang.
Aus den Erwägungen:
4.
4.1 Die Klägerin macht zudem Kosten von Fr. 1‘250.-- für die Rechtsöffnung inklusive materielles Klagebegehren geltend. Im Grundsatz ist diesbezüglich festzuhalten, dass die Beklagte mit der Unterzeichnung des Anschlussvertrages die Ansätze der im Kostenreglement angeführten kostenpflichtigen Aufwendungen der Klägerin anerkannt hat (vgl. dazu auch Entscheid des Kantonsgerichts Basel-Landschaft 735 11 452 / 150 vom 7. Juni 2012, E. 3.3). Im Kostenreglement der Klägerin sind unter übrige Verfahrenskosten Kosten von Fr. 1‘250.-- für die Rechtsöffnung inklusive Klagebegehren festgehalten. Jedoch stellt sich die Frage, ob die Abwälzung dieser Kosten auf den säumigen Arbeitgeber gestützt auf ein Kostenreglement statthaft ist.
4.2 Das Verfahren vor dem kantonalen Gericht ist gemäss Art. 73 Abs. 2 BVG grundsätzlich kostenlos. Eine Einschränkung der Kostenfreiheit rechtfertigt sich lediglich im Falle mutwilliger oder leichtsinniger Prozessführung. Beim Grundsatz der Einschränkung der Kostenfreiheit im Falle mutwilliger oder leichtsinniger Prozessführung handelt es sich um einen allgemeinen prozessualen Grundsatz des Bundessozialversicherungsrechts (BGE 118 V 316 E. 3c; Meyer/Uttinger in: Schneider/Geiser/ Gächter [Hrsg.], Handkommentar zum BVG und FZG, Bern 2010, Art. 73 N. 89). Demgegenüber regelt Art. 73 Abs. 2 BVG nicht, unter welchen Voraussetzungen eine Partei Anspruch auf Ersatz der Kosten für die Vertretung hat. Die Verlegung der Parteikosten hat deshalb grundsätzlich nach dem massgebenden kantonalen Prozessrecht zu erfolgen (vgl. dazu Entscheid des Kantonsgerichts Basel-Landschaft 735 15 134 vom 18. Februar 2016, E. 5). § 69b Abs. 2 VRG erklärt für das Klageverfahren nach § 69a Abs. 1 Ziff. 2 VRG mit Ausnahme der Kostenlosigkeit Art. 35 bis 54 und Art. 61 lit. a bis c und e bis i ATSG für anwendbar. Art. 61 lit. g ATSG schränkt den Anspruch auf Ersatz der Parteikosten auf die beschwerdeführende Person ein. Damit wird klargestellt, dass dem Versicherungsträger grundsätzlich kein Parteientschädigungsanspruch zusteht (Kieser, ATSG-Kommentar, 3. Aufl., Zürich/ Basel/Genf 2015, Art. 61 Rz. 199). Dies entspricht auch der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, wonach obsiegenden Behörden oder mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betrauten Organisationen in der Regel keine Parteientschädigung zuzusprechen ist. In Anwendung dieser Regel hat das Bundesgericht der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt und den privaten UVG-Versicherern sowie - von Sonderfällen abgesehen - den Krankenkassen keine Parteientschädigungen zugesprochen, weil sie als Organisationen mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben zu qualifizieren sind (BGE 112 V 361 E. 6). Dies hat grundsätzlich auch für die Trägerinnen oder Versicherer der beruflichen Vorsorge gemäss BVG zu gelten (BGE 126 V 361 E. 6 und Entscheid des Bundesgerichts 9C_463/2015 vom 19. November 2015 E. 5). Wird jedoch eine mutwillige oder leichtsinnige Prozessführung bejaht, führt dies auch im Anwendungsbereich von Art. 61 lit. g ATSG, auf welchen § 69b Abs. 2 VRG verweist, zur Pflicht, die obsiegende Vorsorgeeinrichtung zu entschädigen (BGE 128 V 323 E. 1a; Stauffer, Rechtsprechung des Bundesgerichts zur beruflichen Vorsorge, 3. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2013, S. 279 ff.).
4.3 Indem die Klägerin vorliegend ihre Kosten für das Klageverfahren (in welchem auch der Rechtsvorschlag beseitigt wird) über ihr Kostenreglement auf die Beklagte abzuwälzen versucht, umgeht sie die Regelung von § 69b Abs. 2 VRG i.V. mit Art. 61 lit. g ATSG sowie die oben genannte bundesgerichtliche Praxis, wonach Organisationen mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben im kantonalen Rechtsmittelverfahren in der Regel ihre Prozesskosten nicht ersetzt werden. Zwar kann - wie bereits ausgeführt wurde - einer Vorsorgeeinrichtung ausnahmsweise im Falle mutwilliger oder leichtsinniger Prozessführung eine Parteientschädigung zugesprochen werden (vgl. dazu auch Vetter-Schreiber, BVG / FZG Kommentar, 3. Aufl., Zürich 2013, BVG Art. 73 N. 50 ff.). Darüber hat jedoch das Gericht anlässlich des Klageverfahrens und nicht die Vorsorgeeinrichtung in ihrem Kostenreglement zu entscheiden. Für die Rechtsöffnung inklusive des materiellen Klagebegehrens können somit ausserhalb des noch zu prüfenden Anspruchs auf eine Parteientschädigung im Gerichtsverfahren keine Kosten gemäss Kostenreglement in Höhe von Fr. 1‘250.-- geltend gemacht werden (vgl. dazu auch Entscheid des Sozialversicherungsgerichts Zürich BV.2015.00077 vom 2. Februar 2016).
5. - 7. (…)
8.
8.1 Zu beurteilen bleibt die Frage nach der Auferlegung von Verfahrenskosten und der Zusprache einer Parteientschädigung an die Klägerin. Von der Kostenlosigkeit des Verfahrens vor dem kantonalen Gericht gemäss Art. 73 Abs. 2 BVG sowie vom Grundsatz, dass den mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betrauten Organisationen keine Parteientschädigung zuzusprechen ist (§ 69b Abs. 2 VRG i.V. mit Art. 61 lit. g ATSG), kann bei mutwilliger oder leichtsinniger Prozessführung abgewichen werden (vgl. E. 4.2 oben).
8.2 Mutwilligkeit liegt nicht schon dann vor, wenn die beklagte Partei auf eine Stellungnahme zu den Vorbringen in der Klageschrift verzichtet. Mit Bezug auf Prämienstreitigkeiten in der beruflichen Vorsorge gilt es indessen auf die besondere Natur des Verfahrens hinzuweisen. In diesen Fällen ist das prozessuale Verhalten des Zahlungspflichtigen nicht für sich allein, sondern in Verbindung mit seinem vorprozessualen Verhalten zu würdigen. Bei Prämienstreitigkeiten wie vorliegend geht es dem Arbeitgeber nicht darum, einen richterlichen Entscheid zur Klärung der Sach- und Rechtslage zu erhalten. Vielmehr zielt er darauf ab, die Zahlungspflicht durch Passivität möglichst lange hinauszuschieben. Dies wird ihm insofern erleichtert, als die Vorsorgeeinrichtungen Beitragsstreitigkeiten nicht verfügungsweise regeln können, sondern für die Rechtsverbindlichkeit ihrer Forderungen den Klageweg nach Art. 73 BVG beschreiten müssen. Im Gegensatz zu den verfügungsberechtigten Verwaltungsbehörden können sie daher auch nicht selber über die Aufhebung des Rechtsvorschlages befinden. Dieser besonderen prozessualen Situation im Bereich von Art. 73 BVG ist Rechnung zu tragen. Wer als Arbeitgeber oder Versicherter Rechnungen und Mahnungen nicht beachtet, sich deswegen von der Vorsorgeeinrichtung betreiben lässt, diese - bei materiell offensichtlich unbegründetem Standpunkt - mittels Rechtsvorschlag zwingt, den Rechtsweg zu beschreiten, in eben diesem selber veranlassten Prozess nichts von sich hören lässt und somit nicht das geringste zur Klärung des Sachverhalts beiträgt, handelt mutwillig. Eine solche Prozessverursachung verbunden mit der durch Untätigkeit geprägten Haltung im Gerichtsverfahren, welche insgesamt auf eine Verzögerungstaktik des Zahlungspflichtigen hinausläuft, darf durch Auferlegung von Gerichtskosten sanktioniert werden (BGE 124 V 285 E. 4). Im vorliegenden Fall sind die Prämienforderungen ausgewiesen und die Beklagte wurde mehrmals zur Bezahlung der Ausstände aufgefordert. Die Beklagte hat die Forderungen nie bestritten und sich auch vor Verwaltungsgericht nicht vernehmen lassen. Es ist somit von einer Verzögerungstaktik und mutwilligen Prozessführung auszugehen.
8.3 Gemäss § 77 VRG trägt in streitigen Verfahren in der Regel der Unterliegende die Kosten. Mit § 77 VRG besteht somit eine genügende gesetzliche Grundlage im kantonalen Recht, um der Beklagten vorliegend die Prozesskosten aufzuerlegen. (…)
8.4 Im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht besteht gemäss § 80 VRG in der Regel Anspruch auf Ersatz der ausseramtlichen Kosten. Somit besteht auch eine gesetzliche Grundlage im kantonalen Recht für die Zusprechung einer Parteientschädigung an die Klägerin. Eine solche rechtfertigt sich bei mutwilliger oder fahrlässiger Prozessführung dann, wenn die obsiegende Vorsorgeeinrichtung - wie vorliegend - anwaltlich vertreten ist (vgl. BGE 128 V 323 E. 1.a). Einer nicht vertretenen Vorsorgeeinrichtung wäre eine Parteientschädigung hingegen nur dann zuzusprechen, wenn es sich um eine komplizierte Sache mit hohem Streitwert handelt, die Interessenwahrung einen hohen Arbeitsaufwand notwendig macht, welcher die normale Betätigung während einiger Zeit erheblich beeinträchtigt, und zwischen dem betriebenen Arbeitsaufwand und dem Ergebnis der Interessenwahrung ein vernünftiges Verhältnis besteht (BGE 127 V 205). (…)
Entscheid des Versicherungsgerichts VV.2016.240/E vom 14. Dezember 2016