TVR 2017 Nr. 26
Für vorläufig aufgenommene Ausländer gelten im Kanton Thurgau sozialhilferechtlich grundsätzlich die gleichen Ansätze, wie sie für Asylsuchende empfohlen werden
Art. 86 Abs. 1 AuG, § 1 Abs. 3 SHG, § 8 SHG, § 2 i SHV, § 6 c SHV
1. Personen, die der Asylgesetzgebung unterstehen, haben nur Anspruch auf die Sicherung ihrer Existenz. Für vorläufig aufgenommene Personen ist die Unterstützung nach Möglichkeit in Form von Sachleistungen auszurichten und der Ansatz für die Unterstützung muss unter dem Ansatz für die einheimische Bevölkerung liegen (E. 3.2).
2. Für vorläufig aufgenommene Ausländer gelten im Kanton Thurgau gemäss dem Leitfaden Asyl grundsätzlich die gleichen Ansätze, wie sie für Asylsuchende empfohlen werden (E. 3.3).
3. Sozialhilfeleistungen sind immer situationsbedingt, können angepasst und auch gekürzt werden. Sie begründen kein wohlerworbenes Recht (E. 4).
A, geboren 1964 im Kosovo und Staatsangehöriger der Republik Serbien, erhielt im Jahr 2000 vom damaligen Bundesamt für Flüchtlinge (BFF) den Status F für vorläufig aufgenommene Ausländer, wobei die vorläufige Aufnahme zunächst nur ein Jahr dauern sollte. Eine Prüfung der Aufhebung der vorläufige Aufnahme durch das Staatssekretariat für Migration (SEM) erfolgte offenbar nicht.
A geht keiner Erwerbstätigkeit mehr nach, nachdem er im August 2003 einen Autounfall erlitten hatte. Eine IV-Rente wird ihm nicht ausgerichtet. Aktuell wird ihm vom behandelnden Psychiater eine volle Arbeitsunfähigkeit bescheinigt. Nachdem er weder über Einkommen noch Vermögen verfügt, wird er seit vielen Jahren von der Politische Gemeinde B sozialhilferechtlich unterstützt. Die Sozialhilfeausgaben belaufen sich per 12. Juli 2017 auf Fr. 159‘950.97.
Mit Entscheid vom 13. März 2017 hielt die Politische Gemeinde B fest, dass A aufgrund seines Status als vorläufig aufgenommener Ausländer nur noch Unterstützung im Umfang des Leitfadens Asyl ausgerichtet werde. Der Unterstützungsansatz betrage Fr. 11.-- pro Tag zuzüglich eines Taschengeldes von Fr. 3.-- pro Tag. Zusätzlich habe A Anrecht auf die Vergütung der Kosten der Unterkunft von Fr. 580.-- pro Monat sowie auf die direkte Begleichung der Gesundheitskosten (Krankenkassenprämien, Selbstbehalte und Franchise). Die neuen Ansätze würden ab sofort gelten und einem allfälligen Rekurs werde die aufschiebende Wirkung entzogen.
Den dagegen von A erhobenen Rekurs hiess das DFS mit Entscheid vom 8. Juni 2017 in dem Sinne teilweise gut, als es die Politische Gemeinde B verpflichtete, A für die Monate März bis September 2017 noch ordentliche Sozialhilfe in bisheriger Höhe auszurichten. Die dagegen von A erhobene Beschwerde weist das Verwaltungsgericht ab.
Aus den Erwägungen:
2. Der Beschwerdeführer verfügt aktuell weder über eine Aufenthaltsbewilligung B noch über eine Niederlassungsbewilligung C. Vielmehr ist er als vorläufig aufgenommener Ausländer im Sinne von Art. 83 Abs. 1 AuG zu betrachten und verfügt über einen Ausweis F.3.
3.1 Gemäss § 8 SHG sorgt die Gemeinde für die notwendige Unterstützung, wenn jemand nicht über hinreichende Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhaltes für sich und seine Angehörigen mit gleichem Wohnsitz verfügt, sofern vom Hilfsbedürftigen nicht verlangt werden kann, sich Mittel durch eigene Arbeit zu beschaffen und keine andere Hilfe möglich ist.
3.2 Nach Art. 86 Abs. 1 AuG regeln die Kantone die Festsetzung und die Ausrichtung der Sozialhilfe und der Nothilfe für vorläufig aufgenommene Personen im Sinne von Art. 83 Abs. 1 AuG, wobei die Art. 80a - 84 AsylG anwendbar sind. Für vorläufig aufgenommene Personen ist die Unterstützung nach Möglichkeit in Form von Sachleistungen auszurichten und der Ansatz für die Unterstützung muss unter dem Ansatz für die einheimische Bevölkerung liegen (Art. 86 Abs. 1 AuG).
3.3 Der Regierungsrat des Kantons Thurgau hat gestützt auf die bundesrechtliche Grundlage (Art. 86 Abs. 1 AuG) in Absprache mit den Gemeinden besondere Vorschriften für die fürsorgerische Betreuung von Personen, die der Asylgesetzgebung unterstehen, erlassen (§ 1 Abs. 3 SHG). Diese Personen haben gestützt auf § 6c SHV nur Anspruch auf die Sicherung ihrer Existenz. Massgebend hierfür ist der Leitfaden Asyl vom September 2015, welcher von der Vorinstanz am 9. Oktober 2015 (gestützt auf § 2i SHV) erlassen bzw. genehmigt wurde. Empfohlen werden für erwachsene Personen mit N-Ausweis (Asylsuchende) oder F-Ausweis (vorläufig aufgenommene Personen) als Ansatz für die Unterstützung ein Taggeld von Fr. 11.-- sowie ein Taschengeld von Fr. 3.--, was einen monatlichen Betrag von rund Fr. 420.-- (30 x Fr. 14.--) ausmacht. Dazu kommen die effektiven Kosten für Unterkunft, Krankenversicherung, Selbstbehalt und Franchise, welche von der Sozialhilfebehörde in der Regel direkt beglichen werden. Inzwischen wurde der Leitfaden überarbeitet und von der Vorinstanz am 3. August 2017 genehmigt. Darin werden dieselben Unterstützungsansätze empfohlen. Die Kosten für Unterkunft, Krankenversicherung, Selbstbehalt und Franchise sind effektiv zu übernehmen (Ziff. 8.6 des Leitfadens vom 3. August 2017). Für vorläufig aufgenommene Ausländer gelten im Kanton Thurgau gemäss dem Leitfaden grundsätzlich die gleichen Ansätze, wie sie für Asylsuchende empfohlen werden. Der Beschwerdeführer geht zudem seit Jahren keiner Erwerbstätigkeit mehr nach, weshalb er nicht von einer situationsbedingten Leistung gemäss § 2c SHV, Integrationszulagen gemäss §§ 2d und 2e SHV oder einem Einkommensfreibetrag gemäss § 2f SHV profitieren kann (vgl. Ziff 8.3 des Leitfadens vom 3. August 2017). Dass der Ansatz für die Unterstützung von vorläufig aufgenommenen Personen unter dem Ansatz für die einheimische Bevölkerung liegen muss, wird denn auch bereits von Art. 86 Abs. 1 AuG verbindlich festgelegt. Diesem Grundsatz entspricht die getroffene Regelung in § 6c SHV und im Leitfaden Asyl. Zudem erklärt Art. 86 Abs. 1 AuG die Art. 80a - 84 AsylG explizit für anwendbar, was folglich für vorläufig aufgenommene Personen zur Anwendung von § 6c SHV bzw. des gestützt auf § 2i SHV erlassenen Leitfadens Asyl für die Bemessung der Unterstützung führt. Der Leitfaden Asyl nimmt denn auch ausdrücklich Bezug auf vorläufig aufgenommene Personen und stellt sie bezüglich der Bemessung der Unterstützung explizit den Personen, die der Asylgesetzgebung unterstehen, gleich.
4. An diesem Ergebnis vermag auch eine mehrjährige Aufenthaltsdauer in der Schweiz oder eine langjährige Ausrichtung von Sozialhilfe nach den SKOS-Ansätzen grundsätzlich nichts zu ändern. Durch die Leistungsausrichtung hat der Beschwerdeführer kein wohlerworbenes Recht begründet, auf das er sich berufen könnte. Vielmehr sind Sozialhilfeleistungen immer situationsbedingt, können angepasst und auch gekürzt werden (vgl. § 2a ff. SHV). Zudem wären auch die Voraussetzungen für einen Widerruf eines früheren Entscheides im Sinne von § 23 Abs. 1 VRG grundsätzlich erfüllt, nachdem das Interesse an einer korrekten Rechtsanwendung vorliegend hoch zu gewichten ist. Im Weiteren ist nicht ersichtlich, weshalb dem Beschwerdeführer eine Rückkehr in die Republik Serbien, welche seit 1. März 2012 den Status eines Beitrittskandidaten der Europäischen Union besitzt, nicht zumutbar sein sollte, auch wenn er sich seit längerer Zeit in der Schweiz aufhält. Ihm wurde denn auch nicht gestützt auf Art. 84 Abs. 5 AuG eine Aufenthaltsbewilligung erteilt und er verfügt nach wie vor lediglich über eine Bewilligung F. Zu berücksichtigen gilt es zudem auch, dass der Beschwerdeführer seit Jahren keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgeht - obwohl kein Anspruch auf eine Invalidenrente besteht und die Invalidenversicherung somit entgegen den Ausführungen des behandelnden Psychiaters offenbar von einer verwertbaren Arbeitsfähigkeit ausgeht - und hohe Sozialhilfeausstände vorliegen. Folglich ist nicht zu beanstanden, dass die verfahrensbeteiligte Gemeinde die Sozialhilfe nachträglich den korrekterweise anzuwendenden Ansätzen gemäss dem Leitfaden Asyl angepasst hat. Durch die ab 1. Oktober 2017 ausgerichteten Ansätze wird die Existenz des Beschwerdeführers denn auch nach wie vor gesichert (§ 6c SHV).
Entscheid des Verwaltungsgerichts VG.2017.92/E vom 6. September 2017