TVR 2017 Nr. 7
Egoistische Verbandsbeschwerde, Rechtsmittellegitimation eines Vereins zur Anfechtung einer wasserbaurechtlichen Bewilligung
Die Legitimationsvoraussetzungen zur Erhebung einer egoistischen Verbandsbeschwerde gegen eine wasserbaurechtlichen Bewilligung (2. Thurgauer Thurkorrektion) sind seitens des beschwerdeführenden Vereins (Verband Thurgauer Landwirtschaft) im vorliegenden Fall nicht gegeben, da nicht ein Grossteil bzw. eine Vielzahl, sondern nur eine kleine Anzahl der Verbandsmitglieder im Projektperimeter Land bewirtschaftet (E. 2.2 - 2.4). Zur Ergreifung einer egoistischen Verbandsbeschwerde reicht es auch nicht aus, dass lediglich ein Grossteil derjenigen Mitglieder eines Verbandes, die im Einzugsgebiet des strittigen Bauprojektes Land besitzen oder bewirtschaften, zur Ergreifung eines Rechtsmittels legitimiert wären (E. 2.5 und 2.6). Ebenso unmassgeblich ist eine virtuelle Betroffenheit der übrigen Verbandsmitglieder (E. 2.8).
Im Rahmen der 2. Thurgauer Thurkorrektion sieht der Kanton Thurgau die Realisierung von Hochwasserschutzmassnahmen vor, wobei auch der Flussraum ökologisch aufgewertet werden soll. Nach mehrjähriger Planungsphase wurde das „Bauprojekt 2014“ für den 3,7 km langen Teilabschnitt zwischen Weinfelden und Bürglen erarbeitet. Gegen das am 24. Oktober 2014 publizierte Bauprojekt 2014 erhob unter anderem der Verband Thurgauer Landwirtschaft (VTL) Einsprache.
Mit Entscheid vom 11. November 2015 trat das DBU nicht auf die Einsprache des VTL ein. Dagegen liess der Verband Beschwerde erheben, welche das Verwaltungsgericht abweist.
Aus den Erwägungen:
2.
2.1 Streitgegenstand bildet im vorliegenden Verfahren die Frage, ob die Vorinstanz zu Recht nicht auf die Einsprache des Beschwerdeführers gegen das Hochwasserschutzprojekt zwischen Bürglen und Weinfelden (Bauprojekt 2014) eingetreten ist. (…)
2.2 Die Einsprache des Beschwerdeführers richtet sich gegen das „Bauprojekt 2014“ der 2. Thurgauer Thurkorrektion. Hierbei handelt es sich um ein Wasserbauprojekt, womit sich die Einsprachelegitimation nach § 11 Abs. 2 WBG richtet. Gemäss dieser Bestimmung kann, wer durch das Wasserbauprojekt berührt ist und ein schutz-würdiges Interesse hat, während der Auflagefrist bei der für die Korrektion zuständigen Behörde Einsprache erheben. Diese Regelung entspricht derjenigen für die Rekurslegitimation nach § 44 Abs. 1 Ziff. 1 VRG. Beim Beschwerdeführer handelt es sich gemäss Ziff. 1 seiner Statuten vom 9. April 2015 um einen Verein im Sinne von Art. 60 ff. ZGB mit eigener Rechtspersönlichkeit. (…) Ein ideelles Verbandsbeschwerderecht (im Sinne etwa von Art. 12 NHG bzw. von § 44 Ziff. 2 VRG oder Art. 89 Abs. 2 lit. d BGG) kommt dem Beschwerdeführer unbestrittenermassen nicht zu, nachdem er nicht im Anhang zur TG NHV als beschwerdeberechtigter Verband aufgeführt ist. Für den als Verein konstituierten Beschwerdeführer kommt somit einzig die sogenannte „egoistische Verbandsbeschwerde“ in Frage. Gemäss dieser kann laut Rechtsprechung des Bundesgerichts ein Verband insbesondere zur Wahrung der eigenen Interessen Beschwerde führen. Er kann aber auch die Interessen seiner Mitglieder geltend machen, wenn es sich um solche handelt, die er nach seinen Statuten zu wahren hat, die der Mehrheit oder doch einer Grosszahl seiner Mitglieder gemeinsam sind und zu deren Geltendmachung durch Beschwerde jedes dieser Mitglieder befugt wäre. ([…] BGE 136 II 539 E. 1.1 mit weiteren Hinweisen, namentlich auf BGE 131 I 198 E. 2.1, BGE 130 II 514 E. 2.3.3; vgl. auch Fedi/Meyer/Müller, Kommentar zum Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege des Kantons Thurgau, Basel 2014, § 44 N. 11). (…)
2.3 Der Vereinszweck des Beschwerdeführers besteht nach Ziff. 2 Abs. 1 seiner Statuten vom 9. April 2015 insbesondere darin, die Interessen seiner Mitglieder zu bündeln und sie wirkungsvoll zu vertreten, die Anliegen der Thurgauer Landwirtschaft fachtechnisch, wirtschaftlich und kulturell zu fördern, sowie die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Fachbereichen der Thurgauer Landwirtschaft zu fördern und zu stärken. Damit ist ein ausreichend enger, unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem strittigen Bauprojekt 2014, welches sich auch auf landwirtschaftlich genutzte Flächen auswirkt, und dem statutarischen Vereinszweck des Beschwerdeführers gegeben.
2.4 Zu prüfen ist - als kumulative Voraussetzung für die Berechtigung zur Erhebung einer „egoistischen Verbandsbeschwerde“ - weiter, ob auch die Beschwerdebefugnis der Mehrheit oder doch einer Grosszahl der Mitglieder des Beschwerdeführers gegeben ist.
2.4.1 Die Gerichtspraxis zu dieser Frage ist nicht einheitlich; tendenziell wurde sie im Verlaufe der Zeit eher grosszügiger. Einschlägige Entscheide finden sich insbesondere im Zusammenhang mit Rechtsmittelerhebungen von Verbänden gegen Verkehrsanordnungen. (…)
2.4.2 Im vorliegenden Verfahren geht es nicht um eine Verkehrsanordnung, sondern um ein Hochwasserschutzprojekt. Eine legitimationsbegründende Betroffenheit einzelner Mitglieder des Beschwerdeführers ergibt sich dabei aus der räumlichen Nähe zum Bauprojekt bzw. aus den Auswirkungen desselben auf die von den betreffenden Mitgliedern im Perimeter des Bauprojekts bewirtschafteten Landflächen. Der Beschwerdeführer hat über 2‘100 Mitglieder ([…] gemäss den Ausführungen des beschwerdeführerischen Rechtsvertreters […] sind es sogar ca. 2‘200 Mitglieder). Der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers führte anlässlich der öffentlichen mündlichen Verhandlung vom 8. November 2017 aus, es könne nicht genau gesagt werden, wie viele Mitglieder persönlich vom Korrektionsprojekt betroffen seien. Es hätten jedoch weniger als 20 Personen erstinstanzlich in eigenem Namen gegen das Projekt Einsprache erhoben. (…) Damit geht der Beschwerdeführer selbst davon aus, dass insgesamt weniger als 20 seiner Mitglieder vom Korrektionsprojekt direkt bzw. mehr als beliebige Dritte oder die Allgemeinheit betroffen sind. Dies erscheint angesichts des Projektumfanges durchaus plausibel. Mit weniger als 20 direkt betroffenen Mitgliedern sind nicht einmal 1% aller Mitglieder des Beschwerdeführers und damit auch nicht die Mehrheit oder zumindest ein Grossteil der Mitglieder des Beschwerdeführers selbst zur Einsprache legitimiert. Diese Voraussetzung für die Berechtigung zur Erhebung einer egoistischen Verbandsbeschwerde ist folglich nicht erfüllt.
2.5 Der Beschwerdeführer räumt ein, dass aufgrund der aktuellen Lehre und Rechtsprechung seine Einsprachelegitimation verneint werden müsste. Er stellt sich aber auf den Standpunkt, es sei unter dem Aspekt der in Art. 8 BV gewährleisteten Rechtsgleichheit nicht zulässig, grosse, überregionale Verbände „durch eine Diskriminierung beim Recht auf die Erhebung einer egoistischen Verbandsbeschwerde zu diskriminieren“. Die Beschwerdeberechtigung eines Verbands dürfe nicht daran scheitern, dass die egoistische Verbandsbeschwerde nicht zulässig sei, wenn aus geographischen Gründen nur einige Mitglieder eines Gesamtverbands betroffen seien, welche aber die grosse Mehrheit oder alle Verbandsmitglieder im Projektperimeter ausmachten, so dass eine egoistische Verbandsbeschwerde zulässig wäre, wenn diese Mitglieder eine Untersektion (oder einen eigenen Verband) bilden würden, welche dann beschwerdeberechtigt wäre. Zu Recht fänden sich in Lehre und Rechtsprechung keine Anknüpfungspunkte, wonach eine derartige Ungleichbehandlung und Diskriminierung zulässig wäre. Zudem wäre es diskriminierend und willkürlich gemäss Art. 9 BV sowie unverhältnismässig im Sinne von Art. 5 Abs. 2 BV, vom Beschwerdeführer zu verlangen, Untersektionen zu gründen, nur damit er jeweils zur egoistischen Verbandsbeschwerde bei Projekten mit einem beschränkten Einzugsgebiet berechtigt sei.
2.6 Der Beschwerdeführer geht mit seinem Standpunkt fehl. So finden sich in Lehre und Rechtsprechung keine Anhaltspunkte für seine Auffassung, wonach es zur Ergreifung einer egoistischen Verbandsbeschwerde ausreichen soll, dass lediglich ein Grossteil derjenigen Mitglieder eines Verbandes, die im Einzugsgebiet des strittigen Bauprojektes Land besitzen oder bewirtschaften, zur Ergreifung eines Rechtsmittels legitimiert sein müssten. Würde der Auffassung des Beschwerdeführers gefolgt, so würde der unzulässigen Popularbeschwerde Tür und Tor geöffnet. Im Extremfall würde es nämlich bei dieser Rechtsauffassung genügen, dass lediglich ein einziges Mitglied Land im Perimeter bzw. im Einflussgebiet irgendeines Bauprojektes bewirtschaften würde, damit der Verband als solcher einsprachelegitimiert wäre, ohne dass die anderen Verbandsmitglieder - im Falle des Beschwerdeführers über 2‘000 - vom Projekt in irgendeiner Art und Weise stärker als beliebige Dritte oder die Allgemeinheit betroffen wären. Von einer Diskriminierung bzw. einer Verletzung der Rechtsgleichheit (Art. 8 BV) kann nicht die Rede sein. Selbstverständlich steht es jedem Verband frei, Untersektionen zu bilden, deren Einsprachelegitimation jedoch wieder in jedem Einzelfall anhand der Voraussetzungen für die egoistische Verbandsbeschwerde und der konkreten Verhältnisse zu prüfen wäre. Die bundesgerichtliche Rechtsprechung zur egoistischen Verbandsbeschwerde gilt für sämtliche Verbände gleichermassen, das heisst auch anderen Verbänden/Vereinen, bei denen nicht die Mehrheit oder ein Grossteil ihrer Mitglieder in relevanter Weise von einem Entscheid betroffen ist, muss die Beschwerdeberechtigung abgesprochen werden. Inwiefern die Verneinung der Beschwerdelegitimation des Beschwerdeführers im vorliegenden Fall unter Anwendung der einschlägigen Rechtsprechung zur egoistischen Verbandsbeschwerde zu einem willkürlichen und/oder unverhältnismässigen Ergebnis führen sollte, wie dies der Beschwerdeführer geltend macht, ist ebenfalls nicht ersichtlich.
2.7 (…)
2.8 Der Beschwerdeführer erachtet das Nichteintreten der Vorinstanz auf seine Einsprache auch deshalb als stossend, weil alle übrigen Mitglieder, insbesondere jene, die Land im Einzugsgebiet der Thur bewirtschaften, vom Entscheid in diesem Verfahren zumindest virtuell in hohem Masse betroffen seien, da dem Entscheid für zahlreiche weitere, schon jetzt absehbare Wasserbauprojekte, bei denen Kulturland in Anspruch genommen werden soll, eine grosse präjudizielle Bedeutung zukomme. Dieser Auffassung kann ebenfalls nicht gefolgt werden. So hängt das Anfechtungsinteresse eines Verbandes von jenem der betroffenen Mitglieder ab, das sich nach den allgemeinen Grundsätzen richtet. Bei der Anfechtung von Entscheiden (bzw. - wie im vorliegenden Fall - bei der Einspracheerhebung gegen ein Bauprojekt) genügt daher eine virtuelle Betroffenheit der Mitglieder nicht. Entsprechend genügt auch das Interesse vieler Verbandsmitglieder an einem Präjudiz für ähnlich gelagerte Fälle nicht zur Anfechtung einer Anordnung, die sich nur an einzelne Mitglieder richtet. Insoweit kann die egoistische Verbandsbeschwerde nicht zum Führen von „Musterprozessen“ dienen (vgl. Bertschi, a.a.O., § 21 N. 97 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung, so insbesondere BGE 119 Ib 374 E. 2a/cc). Diese Grundsätze gelten gleichermassen für die Einspracheerhebung gegen ein Bauprojekt, von welchem - wie im vorliegenden Fall - nur einzelne Verbandsmitglieder betroffen sind. Aus der Argumentation des Beschwerdeführers ist abzuleiten, dass es ihm offensichtlich um die Führung eines entsprechenden Musterprozesses geht. Das virtuelle Betroffensein der übrigen Verbandsmitglieder oder zumindest eines Teils derselben und deren Interesse an einem Präjudiz genügt bei der egoistischen Verbandsbeschwerde jedoch aus den dargestellten Gründen nicht zur Begründung der Einsprachelegitimation des Beschwerdeführers.
Entscheid des Verwaltungsgerichts VG.2017.130/E vom 29. November 2017