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TVR 2018 Nr. 37

Kostenübernahme durch die Invalidenversicherung für eine Orthesebehandlung bei Plattfüssen als Geburtsgebrechen


Art. 999 Ziff. 193 Anhang GgV, Art. 13 IVG


1. Es ist sinnvoll, dass zur Abgrenzung zwischen einem angeborenen Plattfuss im Sinne von Ziff. 193 Anhang GgV und einem erworbenen Plattfuss grundsätzlich auf den Zeitpunkt der Diagnosestellung abgestellt wird (E. 2).

2. Ziff. 193 Anhang GgV setzt bei der IV-rechtlichen Anerkennung eines angeborenen Plattfusses als Geburtsgebrechen voraus, dass eine Operation oder ein Gipsverband notwendig ist. Eine Orthesebehandlung ist einem Gipsverband nicht gleichzusetzen. Eine Erweiterung der notwendig durchgeführten bzw. durchzuführenden Behandlungen ist von Ziff. 193 Anhang GgV nicht vorgesehen (E. 3).


A, geboren 2014, leidet unter Plattfüssen. Mit Verfügung vom 6. Juli 2018 verneinte die IV-Stelle eine Kostengutsprache für medizinische Massnahmen mit der Begründung, dass die Voraussetzungen für die Anerkennung eines Geburtsgebrechens nach Ziff. 193 des Anhangs zur GgV nicht erfüllt seien. Die dagegen erhobene Beschwerde weist das Verwaltungsgericht als Versicherungsgericht ab.

Aus den Erwägungen:

2.3 In Rz. 193 des KSME hält das BSV Folgendes fest: „Der kongenitale Plattfuss (Talus verticalis) ist eine seltene, meist einseitige Fehlbildung, welche bereits im Neugeborenenalter deutlich ausgeprägt ist. Er ist durch eine Röntgenuntersuchung vom erworbenen Knickplattfuss (Talus valgus) abgrenzbar. In der Regel ist der kongenitale Plattfuss bereits bei der Geburt fixiert und bedarf eines redressierenden Gipsverbandes und anschliessender Behandlung durch Nachtschienen und Einlagen. Oft sind operative Eingriffe an den Weichteilen unumgänglich. Zur Anerkennung eines Geburtsgebrechens unter der Ziffer 193 GgV ist deshalb erforderlich: 1. Diagnose in der Regel innerhalb der ersten Lebenswochen, spätestens innerhalb des ersten Lebens­jahres. 2. Dokumentation der Talusfehlstellung und der Subluxation im Talonavikulargelenk durch einen Röntgenstatus.“

2.4 Das KSME ist als Instruktion der vorgesetzten Behörden an die Vollzugsorgane zu verstehen, die darauf ausgerichtet ist, eine möglichst gleichförmige Rechtsanwendung zu gewährleisten (Murer, Invalidenversicherungsgesetz [Art. 1 - 27bis IVG], Bern 2014, Art. 13 Rz. 32). Solche Verwaltungsweisungen sind für das Sozialversicherungsgericht nicht bindend. Sie sind jedoch soweit zu berücksichtigen, als sie eine dem Einzelfall angepasste und gerecht werdende Auslegung der anwendbaren gesetzlichen Bestimmungen zulassen (vgl. BGE 127 V 57 E. 3a). Ein angeborener Plattfuss ist eher selten und tritt meist mit weiteren Fehlbildungen und Erkrankungen auf. Normalerweise ist eine entsprechende Behandlung (schrittweise Gipsredression und/oder Operation) im Babyalter notwendig. Insofern erscheint es als sinnvoll, dass zur Abgrenzung zwischen einem angeborenen Plattfuss im Sinne von Ziff. 193 Anhang GgV und einem erworbenen Plattfuss einmal grundsätzlich auf den Zeitpunkt der Diagnosestellung abgestellt wird. Je grösser die Zeitspanne zwischen Geburt und Diagnose wird, umso schwieriger dürfte es denn auch sein, eine Unterscheidung zwischen angeboren und erworben vorzunehmen. Dies darf jedoch gemäss einem Entscheid des Eidgenössischen Versicherungsgerichts vom 3. August 1998 (SVR 1999 IV Nr. 10 und nicht, wie vom Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin zitiert, SVR 1999 IV Nr. 27, wo es um Hilfsmittel bei einem neu erstellten Eigenheim geht) nicht ausschliessen, dass mit dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit auch zu einem späteren Zeitpunkt nachgewiesen werden kann, dass es sich beim Plattfuss um ein angeborenes und nicht um ein erworbenes Leiden handelt. Im vorliegenden Fall weist die Bezeichnung von Dr. B als „congenital“ sowie die Tatsache, dass auch die Mutter und Schwester der Beschwerdeführerin vom gleichen Leiden betroffen sind, auf einen angeborenen Gesundheitsschaden hin. Demgegenüber spricht die späte Diagnosestellung und Behandlungsbedürftigkeit eher für ein erworbenes Leiden. Aufgrund dieser Umstände kann somit nicht mit dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass es sich um ein angeborenes und nicht um ein erworbenes Leiden handelt. Daher ist schon aus diesem Grund die Beschwerde abzuweisen.

3.
3.1 Die GgV als selbständige Verordnung kann vorfrageweise gerichtlich auf ihre Gesetzes- und Verfassungsmässigkeit überprüft werden. Wegen des weiten Ermessensspielraums und des ausgesprochen technischen Charakters der Bestimmungen ist der Richter jedoch zu einer grossen Zurückhaltung verpflichtet. Seine Kognition beschränkt sich praktisch auf eine Willkürkontrolle (Murer, a.a.O., Art. 13 Rz. 31).

3.2 Ziff. 193 Anhang GgV setzt bei der IV-rechtlichen Anerkennung eines angeborenen Plattfusses als Geburtsgebrechen voraus, dass eine Operation oder ein Gipsverband notwendig sind. Diese Einschränkung erscheint als sinnvoll. Einerseits beinhaltet sie die Voraussetzung einer gewissen Erheblichkeit des Gesundheitsschadens. Zum anderen trägt sie dem Umstand Rechnung, dass ein angeborener Plattfuss im Normalfall bereits zu einer Behandlung mit Gipsredression und allfälliger Operation im Babyalter führt. Gerade diese frühzeitigen Behandlungen sollen nach dem Willen des Gesetzgebers von der Invalidenversicherung getragen werden. Dabei übernimmt die Invalidenversicherung in solchen Fällen die Funktion der Krankenversicherung (Murer, a.a.O., Art. 13 Rz. 22). Eine Erweiterung der notwendig durchgeführten bzw. durchzuführenden Behandlungen sind von Ziff. 193 Anhang GgV nicht vorgesehen. Im Gegensatz zu Ziff. 194 Anhang GgV (angeborene Luxation des Kniegelenks) nennt Ziff. 193 Anhang GgV eine Apparateversorgung zudem nicht, und es ist diesbezüglich auch nicht von einer echten Lücke auszugehen. Bei der Beschwerdeführerin erfolgte weder eine Operation, noch wurde ein Gipsverband verordnet oder als sinnvoll erachtet. Eine Orthesebehandlung im Alter von 3 1/2 Jahren ist einem Gipsverband nicht gleichzusetzen. Offenbar wurde bei der Beschwerdeführerin im Babyalter ein Gipsverband denn auch nicht als notwendig angesehen und die Mutter gibt an, dass ihre Tochter gut rennen könne, beim Bewegen keine Probleme bestehen würden und sie keine Schmerzen angebe, weshalb auch nicht davon auszugehen ist, dass eine notwendige Behandlung unterlassen wurde. Ob die Talusfehlstellung und die Subluxation im Talonavikulargelenk durch einen Röntgenstatus genügend dokumentiert wurden, kann offen gelassen werden. Es liegt somit keine Konstellation vor, welche zu einer Kostenübernahme der Invalidenversicherung gemäss Ziff. 193 Anhang GgV führen würde. Die Beschwerdegegnerin hat den Anspruch auf medizinische Massnahmen nach Art. 13 IVG somit auch aus diesem Grund zu Recht verneint.

Entscheid des Verwaltungsgerichts als Versicherungsgericht VV.2018.204/E vom 12. Dezember 2018

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