TVR 2021 Nr. 24
Gesuch um Kostengutsprache von Dritten; Übernahme von Notfallbehandlungskosten einer Touristin
§ 8 SHG, § 2 l SHV, § 4 SHV, § 5 SHV, Art. 21 ZUG
1. An der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts, wonach ein Anspruch auf Sozialhilfe nur der bedürftigen Person zusteht und Dritte grundsätzlich nicht befugt sind, im eigenen Namen ein Kostengutsprache- oder Kostenersatzgesuch zu stellen, ist festzuhalten (E. 3.2.3).
2. Ausnahmsweise können Ärztinnen und Ärzte bzw. Spitäler von Fürsorgebehörden für notfallmässig zu erbringende medizinische Leistungen bei Glaubhaftmachung entsprechender Voraussetzungen im eigenen Namen Kostengutsprachen verlangen oder Kostenersatz geltend machen (E. 3.3.1).
3. Stellt ein medizinischer Leistungserbringer im eigenen Namen ein Gesuch um Kostengutsprache bzw. Kostenersatz, trifft ihn gestützt auf den Grundsatz der Subsidiarität eine Abklärungspflicht. Er hat die Bedürftigkeit der hilfsbedürftigen Person und die Uneinbringlichkeit der Forderung bei Dritten bzw. seine entsprechenden Bemühungen hierzu nachzuweisen (E. 5.2).
N, thailändische Staatsangehörige, reiste als Touristin in die Schweiz ein, um ihren Lebenspartner V in der Politischen Gemeinde K zu besuchen. Bei der X AG bestand für N eine Reiseversicherung. Am 18. April 2018 wurde N notfallmässig ins Spital eingewiesen. V unterzeichnete am 19. April 2018 eine Schuldanerkennung und verpflichtete sich, die Kosten für die ambulanten und stationären Behandlungen vom 18. April 2018 vollumfänglich zu übernehmen und vorderhand eine Depotzahlung von Fr. 4'500.-- zu leisten. Am 2. Mai 2018 leistete V eine Depotzahlung im Betrag von Fr. 5'000.--. Am 8. Mai 2018 verstarb N im Spital. V erklärte sich am 9. Mai 2018 bereit, die Todesfallkosten zu übernehmen. Die Reiseversicherung X AG lehnte ihre Leistungspflicht für die entstandenen Behandlungskosten ab. Am 30. Juli 2018 ersuchte das Spital bei der Politischen Gemeinde K um subsidiäre Kostengutsprache für die Behandlung von N sel. Die Politischen Gemeinde K lehnte das Gesuch ab. Den hiergegen erhobenen Rekurs des Spitals hiess das DFS gut und verpflichtete die Politische Gemeinde K, die für N sel. angefallenen Behandlungskosten im Betrag von Fr. 90'376.80 zu übernehmen. Das Verwaltungsgericht heisst die Beschwerde gut und hebt den Entscheid des DFS auf.
Aus den Erwägungen:
3.
3.1 Ein Anspruch auf Sozialhilfe steht nach § 8 SHG grundsätzlich nur einer bedürftigen Person zu und nicht demjenigen, der für diese Leistungen erbringt.
3.2
3.2.1 Das Verwaltungsgericht hat in seinem Entscheid VG.2014.17/E vom 18. Juni 2014 in Bezug auf den von einem Frauenhaus gegen die Ablehnung eines Gesuchs um subsidiäre Kostengutsprache erhobenen Rekurs in E. 2.3 ausgeführt, der Anspruch auf Sozialhilfe stehe der hilfsbedürftigen Person und nicht Dritten, welche die hilfsbedürftige Person unterstützten, zu. Dass nur die hilfsbedürftige Person selber Sozialhilfeansprüche geltend machen könne, korrespondiere mit der Pflicht der hilfsbedürftigen Person gemäss § 19 SHG, zu Unrecht bezogene Leistungen grundsätzlich zurückzuerstatten sowie zu Recht bezogene Leistungen zurückzuerstatten, soweit dies zumutbar sei. Daran änderten weder § 4 SHV etwas, wonach die Hilfe in Form einer Kostengutsprache geleistet werden könne, wenn der Eintritt in ein Heim erforderlich sei, noch § 5 SHV, der die subsidiäre Kostengutsprache regle. Vielmehr weise § 5 Abs. 2 SHV gerade darauf hin, dass ein direktes Forderungsrecht gegenüber der Fürsorgebehörde bei einer subsidiären Kostengutsprache erst dann entstehen könne, wenn der Schuldner - bei gesprochener subsidiärer Kostengutsprache - die Rechnung nicht innert dreissig Tagen bezahle. Damit stehe also fest, dass dem Frauenhaus gestützt auf die Sozialhilfegesetzgebung kein direkter Forderungsanspruch gegenüber der Gemeinde zustehe. Dieser Rechtsanspruch stehe einzig und allein der hilfsbedürftigen Person zu. Demnach sei dem beteiligten Frauenhaus weder die Rekurserhebung noch eine allfällige anschliessende Beschwerdeerhebung im eigenen Namen möglich.
3.2.2 Im Entscheid VG.2015.170/E vom 6. Januar 2016 hielt das Verwaltungsgericht an dieser Rechtsprechung fest und führte in E. 3.4.1. ergänzend aus, ein Dritter, z. B. eine Institution, könne nur dann ein Gesuch um Kostenübernahme einreichen, wenn die unterstützte Person dazu ihr Einverständnis gegeben habe. Ein direktes Forderungsrecht des Dritten könnte dann bejaht werden, wenn eine entsprechende gesetzliche Regelung bestehe oder wenn die Sozialhilfebehörde dem Dritten eine Zusicherung abgegeben habe, auf die sich dieser nach dem Vertrauensgrundsatz berufen könne. Festgehalten wurde in diesem Entscheid weiter, dass Leistungserbringern, die in Notsituationen aufgrund ihrer Beistandspflicht Hilfe leisten müssten, ohne dass vorgängig ein Kostengutsprachegesuch gestellt werden könne, unter Umständen das Recht zugestanden werden könne, im eigenen Namen einen Rückerstattungsanspruch geltend zu machen.
3.2.3 An dieser Rechtsprechung, wonach Dritte grundsätzlich nicht befugt sind, im eigenen Namen ein Kostengutsprache- oder Kostenersatzgesuch zu stellen, ist festzuhalten. Dies rechtfertigt sich - nebst den in VG.2014.17/E genannten Gründen (insbesondere aufgrund der Rückerstattungspflicht der unterstützten Person und des fehlenden direkten Forderungsrechts des Leistungserbringers gegenüber der Fürsorgebehörde) - auch vor dem Hintergrund, dass der Anspruch auf Hilfeleistung höchstpersönlicher Natur ist, was sich gesetzlich darin äussert, dass die Sozialhilfe weder abgetreten, noch gepfändet oder verpfändet werden kann. Sinnvollerweise kann sie nicht gegen den Willen des Betroffenen ausgerichtet werden. Ferner ist wegen der Gefahr einer Persönlichkeitsrechtsverletzung eine gewisse Zurückhaltung bei der Anwendung der Kostengutsprache geboten. Je nach Falllage macht auch die (subsidiäre) Kostengutsprache die Abhängigkeit von der Sozialhilfebehörde nach aussen sichtbar. Im Übrigen will Sozialhilfe die Existenz des Einzelnen sichern und nicht primär das finanzielle Überleben von Institutionen sicherstellen (Hänzi, Die Richtlinien der schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe, Basel 2011, S. 109 f.; Wizent, Die sozialhilferechtliche Bedürftigkeit, Ein Handbuch, Zürich/St. Gallen 2014, S. 553).
3.2.4 Soweit sich die Verfahrensbeteiligte in ihrem Gesuch auf § 21a Abs. 1 Ziff. 2 SHG beruft, ist festzustellen, dass aus dieser Bestimmung kein direktes Forderungsrecht des medizinischen Leistungserbringers gegenüber der Fürsorgebehörde abgeleitet werden kann. § 21a SHG regelt unter anderem die Beiträge des Kantons an die Gemeinden für stationäre Aufenthalte von nicht versicherten Ausländern ohne festen Wohnsitz in der Schweiz (Abs. 1 Ziff. 2). Gestützt auf § 21a Abs. 2 SHG werden die näheren Voraussetzungen hierzu in §§ 28a ff. SHV geregelt. Die Beitragspflicht des Kantons setzt ein Kostengutsprachegesuch der zuständigen Gemeinde voraus (§ 21a Abs. 1 Satz 1 SHG und § 28h Abs. 3 SHV).
3.3
3.3.1 Wie in VG.2015.170/E vom 6. Januar 2016 ausgeführt wurde, ist "unter Umständen" Leistungserbringern, die in Notsituationen aufgrund ihrer Beistandspflicht Hilfe leisten müssen, ohne dass vorgängig ein Kostengutsprachegesuch gestellt werden kann, in Abweichung des Grundsatzes, wonach Dritte grundsätzlich nicht berechtigt sind, im eigenen Namen ein Kostengutsprache- oder Kostenersatzgesuch zu stellen (E. 3.2.3), das Recht einzuräumen, ausnahmsweise im eigenen Namen einen Kostenerstattungsanspruch geltend zu machen. Solche, aufgrund der vorstehenden Überlegungen nur restriktiv zuzulassende Umstände liegen bei notfallmässig von Ärztinnen und Ärzten bzw. Spitälern zu erbringenden medizinischen Leistungen vor. Weil aber die Frage, ob und in welchem Umfang und für welche Dauer solche medizinischen Leistungen den "Notfallbegriff" erfüllen, erst Gegenstand der vorzunehmenden materiellen Prüfung des Umfangs des Anspruchs auf Notfallhilfe bildet, soll das Recht der genannten medizinischen Leistungserbringer, solche Leistungen ausnahmsweise im eigenen Namen geltend zu machen, nicht vom Ergebnis der diesbezüglich zu treffenden Abklärungen abhängig gemacht werden. Gleichwohl ist zu verhindern, dass Leistungserbringer von dieser ausnahmsweise zuzugestehenden Möglichkeit ausserhalb medizinischer Notfälle Gebrauch machen können. Ärztinnen und Ärzte bzw. Spitäler können deshalb von Fürsorgebehörden für notfallmässig zu erbringende medizinische Leistungen nur dann im eigenen Namen Kostengutsprachen verlangen oder Kostenersatz geltend machen, wenn die folgenden zwei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind:
Erstens hat der Arzt oder die Ärztin bzw. das Spital das Vorliegen eines medizinischen Notfalls zumindest glaubhaft zu machen.
Zweitens hat der Arzt oder die Ärztin bzw. das Spital unter Nachweis der diesbezüglich unternommenen Anstrengungen zumindest glaubhaft zu machen, dass es unmöglich oder unzumutbar ist, den Patienten bzw. die Patientin zur Stellung eines Gesuches zu bewegen oder vom Patienten bzw. von der Patientin eine Vollmacht erhältlich zu machen, die es ermöglicht, den Anspruch in Vertretung des Patienten bzw. der Patientin geltend zu machen (z. B. Weigerung, Tod oder Unauffindbarkeit des Patienten oder der Patientin).
3.3.2 Das Beweismass der Glaubhaftmachung ist dann erbracht, wenn diese Tatsachen (medizinischer Notfall und Unmöglichkeit/Unzumutbarkeit einer Ermächtigung) aufgrund objektiver Anhaltspunkte mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit feststehen. Diese Tatsachen sind glaubhaft gemacht, wenn für deren Vorhandensein gewisse Elemente sprechen, selbst wenn noch mit der Möglichkeit zu rechnen ist, dass sie sich nicht verwirklicht haben könnten (Daum, in: Kommentar zum Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege des Kantons Bern, 2. Aufl., Bern 2020, Art. 19 N. 27; Plüss, in: Griffel [Hrsg.], Kommentar zum Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons Zürich [VRG], 3. Aufl., Zürich 2014, § 7 N. 29). Blosses Behaupten des Arztes oder der Ärztin bzw. des Spitals genügt aber nicht, sondern es bedarf des Belegs von Tatsachen, welche die vorstehend aufgeführten Voraussetzungen objektiv wahrscheinlich machen (Urteil des Bundesgerichts 4P.64/2003 vom 6. Juni 2003 E. 3.3). Können diese beiden Voraussetzungen nicht zumindest glaubhaft gemacht werden, hat die Fürsorgebehörde auf das vom Leistungserbringer im eigenen Namen gestellte Gesuch nicht einzutreten. Sind diese beiden Voraussetzungen aber kumulativ erfüllt, hat die örtlich zuständige Fürsorgebehörde auf das Gesuch um Kostengutsprache bzw. Kostenersatz einzutreten und die materiellen Voraussetzungen für die Gewährung der sozialhilferechtlichen Unterstützung zu prüfen.
3.4 Die Beschwerdeführerin ist auf das Gesuch der Verfahrensbeteiligten vom 30. Juli 2018 eingetreten. Dies ist nicht zu beanstanden, denn die vorstehend in Erwägung 3.3 genannten Voraussetzungen dafür, dass die Verfahrensbeteiligte im eigenen Namen um Kostenersatz für die Behandlung von N sel. ersuchen kann, sind erfüllt. Zwar fehlen ärztliche Berichte, in welchen eine Diagnose genannt und der Verlauf der Behandlung beschrieben wird. Aus der Rechnung vom 13. Dezember 2018 geht jedoch hervor, dass eine intensivmedizinische Komplexbehandlung von N erfolgte und es ist davon auszugehen, dass die Verfahrensbeteiligte alles unternahm, um den Tod dieser jungen Patientin zu verhindern. Das Vorliegen eines medizinischen Notfalls ist deshalb glaubhaft gemacht. Glaubhaft gemacht ist ebenso, dass es der Verfahrensbeteiligten in dieser Situation nicht möglich war, N zur Stellung eines Gesuchs zu bewegen oder von ihr eine Vollmacht erhältlich zu machen, die es ermöglicht hätte, den Anspruch in ihrer Vertretung geltend zu machen. Die Vorinstanz ging demnach (stillschweigend) zu Recht davon aus, dass der Rekurs der Verfahrensbeteiligten nicht aufgrund ihrer fehlenden Befugnis, im eigenen Namen ein Gesuch um Kostenersatz zu stellen, abzuweisen war.
4. (…)
5.
5.1 Sozial- und auch Nothilfe (Art. 12 BV) wird vom Subsidiaritätsprinzip beherrscht. Als Grundprinzip im Sozialhilferecht bedeutet die Subsidiarität, dass Sozialhilfe prinzipiell nur gewährt wird, soweit der Einzelne keinen Zugang zu einer anderweitigen, zumutbaren Hilfsquelle hat. Es ist damit Ausdruck der Pflicht zur Mitverantwortung und Solidarität gegenüber der Gemeinschaft, wie sie in Art. 6 BV verankert ist. Das Bestehen eines Anspruchs auf Sozialhilfe ist daher mit Blick auf den Subsidiaritätsgrundsatz zu klären (BGE 141 I 153 E. 4.2; BGE 137 V 143 E. 3.7.1; vgl. auch § 8 SHG ["keine andere Hilfe möglich ist"]). Die unterstützte Person ist in Ausschöpfung des Subsidiaritätsprinzips verpflichtet, Leistungsansprüche Dritten gegenüber geltend zu machen. Auch Leistungen Dritter, auf welche kein durchsetzbarer Rechtsanspruch besteht, die aber tatsächlich erbracht werden, gehen dem Leistungsanspruch gegenüber dem Staat vor (BGE 137 V 143 E. 3.7.1; TVR 2015 Nr. 22 E. 2.4).
5.2 Stellt ein medizinischer Leistungserbringer, wie vorliegend die Verfahrensbeteiligte, im eigenen Namen ein Gesuch um Kostengutsprache bzw. Kostenersatz, trifft ihn gestützt auf den Grundsatz der Subsidiarität eine Abklärungspflicht. Er hat die Bedürftigkeit der hilfsbedürftigen Person und die Uneinbringlichkeit der Forderung bei Dritten bzw. seine entsprechenden Bemühungen hierzu nachzuweisen.
Entscheid des Verwaltungsgerichts VG.2019.120/E vom 27. Januar 2021