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TVR 2024 Nr. 11

Ausseramtliche Entschädigung im Rekursverfahren; Voraussetzung der schwierigen Rechtsfrage; keine Beschwerdelegitimation des Rechtsvertreters.


§ 76 Abs. 3 VRG, § 80 Abs. 2 VRG


  1. Der Rechtsvertreter ist weder legitimiert, in eigenem Namen ein Rechtsmittel betreffend die Nichtgewährung der unentgeltlichen Rechtspflege zu erheben, noch berechtigt, in eigenem Namen die Regelung der Parteientschädigung anzufechten (E. 1.2.2).

 

  1. Die Frage, ob vor der Möglichkeit des AHV-Vorbezugs bzw. vor Erreichen des AHV-Alters ein noch nicht ausbezahltes Freizügigkeitsguthaben der 2. Säule und der Säule 3a dem Sozialhilfeanspruch vorgeht (Subsidiarität), erweist sich unter Berücksichtigung der Rechtsgrundlagen, Lehre und Rechtsprechung als schwierige Rechtsfrage, weshalb ein Anspruch auf ausseramtliche Entschädigung im Rekursverfahren besteht. Der Untersuchungsgrundsatz ändert daran nichts (E. 5).


Die Sozialhilfebehörde Z verpflichtete die knapp 59-jährige Beschwerdeführerin 1, bis 31. Oktober 2023 einen Antrag zum Bezug ihres Freizügigkeitsguthabens (Fr. 102'685.75) zu stellen. Gleichzeitig verfügte sie die Einstellung der Sozialhilfe per 31. Dezember 2023. Dagegen erhob die Beschwerdeführerin 1 Rekurs. Mit Rekursvernehmlassung teilte die Sozialhilfebehörde Z mit, dass sie ihren Entscheid widerrufe. Daraufhin schrieb die Vorinstanz den Rekurs ab. In Ziff. 3 des Dispositivs wies die Vorinstanz das Gesuch der Beschwerdeführerin 1 um Bewilligung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes ab und in Ziff. 4 verneinte sie einen Anspruch auf ausseramtliche Entschädigung. Dagegen erhoben sowohl die Beschwerdeführerin 1 als auch ihr Rechtsvertreter (Beschwerdeführer 2) Beschwerde beim Verwaltungsgericht. Dieses tritt auf die Beschwerde des Rechtsvertreters (Beschwerdeführer 2) nicht ein. Die Beschwerde der Beschwerdeführerin 1 heisst es insoweit gut, als es den Anspruch auf eine ausseramtliche Entschädigung im Rekursverfahren bejaht.

 

Aus den Erwägungen:

 

1.2.1 Streitgegenstand ist die Abweisung des Gesuchs der Beschwerdeführerin 1 um Bewilligung des Beschwerdeführers 2 als unentgeltlicher Anwalt im Rekursverfahren (Dispositiv-Ziff. 3 des angefochtenen Entscheids) sowie die verweigerte Ausrichtung einer ausseramtlichen Entschädigung im Rekursverfahren (Dispositiv-Ziff. 4 des angefochtenen Entscheids). Die Kostenregelung kann selbständig angefochten werden (§ 76 Abs. 3 VRG). Hierzu legitimiert ist unbestrittenermassen die Beschwerdeführerin 1. Auf ihre Beschwerde ist vorbehältlich E. 7 einzutreten, nachdem auch alle weiteren Prozessvoraussetzungen erfüllt sind.

 

1.2.2 Vorliegend hat auch ihr Rechtsvertreter, der Beschwerdeführer 2, in eigenem Namen Beschwerde erhoben. Die Verweigerung der unentgeltlichen Verbeiständung kann nicht vom Rechtsbeistand angefochten werden. Die Praxis gesteht dem unentgeltlichen Rechtsbeistand das Beschwerderecht einzig zu, soweit es um die Höhe seiner Entschädigung durch den Staat geht (Wuffli/Fuhrer, Handbuch unentgeltliche Rechtspflege im Zivilprozess, 2019, Rz. 980; Urteil des Bundesgerichts 5P.417/2006 vom 7. Februar 2007 E. 1.2). Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers 2 gegen Dispositiv-Ziff. 3 des angefochtenen Entscheids ist daher nicht einzutreten. Der Anspruch auf Parteientschädigung steht der Partei und nicht der Rechtsvertretung zu. Der Beschwerdeführer 2 ist daher in Bezug auf die Regelung der Parteientschädigung nicht beschwert und folglich auch nicht zur Erhebung eines Rechtsmittels berechtigt (§ 44 VRG i.V. mit § 62 VRG). Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers 2 ist daher auch in Bezug auf Dispositiv-Ziff. 4 (verweigerte ausseramtliche Entschädigung) nicht einzutreten.

 

2. Vorliegend ist einzig strittig, ob die Vorinstanz der Beschwerdeführerin 1 zu Recht für das Rekursverfahren gestützt auf § 80 Abs. 2 VRG keinen Ersatz der ausseramtlichen Kosten zugesprochen hat (nachstehend E. 4 ff.) und ob die Vorinstanz den Beschwerdeführer 2 zu Recht nicht als unentgeltlichen Anwalt der Beschwerdeführerin 1 im Rekursverfahren bewilligt bzw. ihn zu Recht nicht gestützt auf § 81 Abs. 2 VRG entschädigt hat (nachstehend E. 7).

 

3.

3.1 Wie bei den amtlichen Kosten (vgl. § 77 VRG) gilt auch bei den ausseramtlichen Kosten (§ 80 VRG) der Grundsatz, dass die Kosten nach Massgabe des Obsiegens und Unterliegens verlegt werden (sogenanntes Erfolgsprinzip). Wird Ersatz ausseramtlicher Kosten zugesprochen, sind gemäss § 80 Abs. 3 VRG die unterliegende Partei oder das unterliegende Gemeinwesen zur Bezahlung der Entschädigung verpflichtet. Art. 106 ZPO wird sinngemäss angewendet. Demnach hat bei Nichteintreten und bei Rechtsmittelrückzug grundsätzlich der Rechtsmitteleinleger, bei Anerkennung des Rechtsmittels grundsätzlich die anerkennende Partei die Entschädigung zu bezahlen. Eine Parteientschädigung ist deshalb auch geschuldet, wenn die Vorinstanz einen Wiedererwägungsentscheid fällt, sofern und soweit dieser Entscheid einer Anerkennung des Rechtsmittels gleichkommt. Obsiegt eine Partei bloss teilweise, besteht ein Anspruch auf Zusprechung einer entsprechend gekürzten Parteientschädigung, entsprechend dem Ausgang des Verfahrens (Fedi/Meyer/Müller, Kommentar zum Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege des Kantons Thurgau, 2014, § 80 N. 12, mit Hinweis auf § 22 N. 8 und 52 N. 6).

 

3.2 Wenn ein Verfahren ohne materielle Prüfung abgeschlossen wird (Nichteintretens- und Abschreibungsentscheide), ist derjenige als unterliegend zu betrachten, dessen prozessuale Stellung vom Entscheid betroffen wurde. Wird eine Streitsache zufolge Gegenstandslosigkeit abgeschrieben, hat in der Regel jener Beteiligte die Kosten zu tragen, der die Gegenstandslosigkeit verursacht hat. Entscheidend ist dabei allerdings nicht, wer die formelle Prozesshandlung vornimmt, welche die Behörde unmittelbar zur Abschreibung veranlasst, sondern wer die Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse bewirkt hat. Wenn die Gegenstandslosigkeit keinem der Beteiligten anzulasten ist (z. B. bei einem Todesfall), können die Kosten nach dem mutmasslichen Verfahrensergebnis verlegt werden; allenfalls kann sich auch ein Verzicht rechtfertigen (§ 78 Abs. 2 VRG). Abschreibungsbeschlüsse aufgrund einer Wiedererwägung, Anpassung oder Rücknahme sind für den Rechtsmitteleinleger grundsätzlich kostenlos, wenn die Vorinstanz damit einen Mangel des Entscheids anerkennt (Fedi/Meyer/Müller, a.a.O., § 77 N. 7).

 

3.3        

3.3.1 Im Rahmen der Prüfung, ob Anspruch auf eine Parteientschädigung gemäss § 80 Abs. 2 Satz 2 VRG besteht, stellt sich somit zunächst die Frage, ob und in welchem Umfang die Beschwerdeführerin 1 überhaupt als obsiegend zu betrachten ist.

 

3.3.2 Vorliegend hat die verfahrensbeteiligte Gemeinde im Rekursverfahren ihren angefochtenen Entscheid vom 29. August 2023 "zurückgezogen", mithin widerrufen (§ 23 VRG). Daraufhin hat die Vorinstanz den Rekurs korrekterweise als gegenstandslos geworden abgeschrieben (§ 52 VRG). Sie hat festgehalten, dass die verfahrensbeteiligte Gemeinde unterlegen sei, indem sie ihren Entscheid vom 29. August 2023 wiedererwägungsweise aufgehoben und somit dem Rechtsbegehren der Beschwerdeführerin 1 (Rekurrentin) entsprochen habe. Die Vorinstanz ist somit zum Schluss gekommen, die Beschwerdeführerin 1 habe vollständig obsiegt. Diese Schlussfolgerung ist nicht zu beanstanden. Der mutmassliche Prozessausgang des Rekursverfahrens lässt sich vorliegend nicht ohne weiteres bestimmen, zumal die Akten der verfahrensbeteiligten Gemeinde nicht vorliegen. Es steht indes fest, dass die verfahrensbeteiligte Gemeinde mit dem Widerruf ihres Entscheids vom 29. August 2023 die Gegenstandslosigkeit des Rekursverfahrens verursacht hat. Auch hat sie das gegenstandslos gewordene Verfahren veranlasst, indem sie die Beschwerdeführerin 1 zum Vorbezug ihres Freizügigkeitsguthabens verpflichtet hat. Zufolge dieses vollständigen Obsiegens der Beschwerdeführerin 1 im Rekursverfahren stellte sich damit die Frage, ob sie gemäss § 80 Abs. 2 Satz 2 VRG Anspruch auf eine Parteientschädigung hatte. Dies hat die Vorinstanz - wie nachstehend in E. 4 und 5 dargelegt wird - zu Unrecht verneint.

 

4.

4.1 Für das Rekursverfahren bestimmt § 80 Abs. 2 VRG, dass die obsiegende Privatpartei in der Regel Anspruch auf Ersatz der ausseramtlichen Kosten durch die unterliegende Privatpartei hat, wenn sich Privatparteien gegenüberstehen. Im Übrigen - wie vorliegend - wird Ersatz ausseramtlicher Kosten im Rekursverfahren nur zugesprochen, wenn sich dies bei komplizierter Sachlage oder schwierigen Rechtsfragen rechtfertigt. Diese Voraussetzungen müssen nicht kumulativ erfüllt sein. Eine Sachlage erweist sich als kompliziert, wenn sie sich nicht einfach erfassen und darstellen lässt und zu ihrem Verständnis besondere Sach- und Rechtskenntnisse erforderlich sind. Als schwierig sind Rechtsfragen zu bezeichnen, die zu beantworten auch eine rechtskundige Person nicht ohne weiteres in der Lage ist, insbesondere, weil eine klare gesetzliche Regelung fehlt, keine oder nur eine widersprüchliche Praxis besteht oder eine massgebliche Rechtsfrage in der Lehre umstritten ist. Ist eine dieser Voraussetzungen erfüllt, ist eine Parteientschädigung geschuldet, wenn sich daraus für die Partei ein besonderer Aufwand ergab oder der Beizug eines Rechtsbeistandes erforderlich war. Sinn und Zweck des § 80 Abs. 2 VRG ist, dass namentlich die Gemeinden in dem Sinne privilegiert sein sollen, als sie nicht mit Anwaltskosten belastet werden, soweit nicht ein besonderer Fall vorliegt (Fedi/Meyer/Müller, a.a.O., § 80 N. 7; TVR 2020 Nr. 6 E. 2.4.3).

 

4.2 Anspruch auf Parteientschädigung im Rekursverfahren besteht nach der Praxis des Verwaltungsgerichts auch dann, wenn offensichtlich und in schwerer Weise wesentliche Rechtssätze verletzt wurden, was bei groben Verfahrensfehler praktisch immer der Fall ist (TVR 2011 Nr. 11 E. 2, TVR 2020 Nr. 6 E. 2.4.3 [Rückbauverfügung ohne vorgängige Durchführung eines nachträglichen Baubewilligungsverfahrens]; TVR 2000 Nr. 14; vgl. auch TVR 2013 Nr. 13 [bezüglich Umweltverträglichkeitsprüfung], TVR 2000 Nr. 14 [Verletzung der Ausstandspflicht]). Auch eine Summierung von Verfahrensfehlern einer Gemeindebehörde im Rahmen eines Baubewilligungsverfahrens, die zu erheblichem Mehraufwand der Beteiligten führte, rechtfertigt die Zusprechung einer Parteientschädigung zu Lasten der Gemeinde (TVR 2005 Nr. 11, Fedi/Meyer/Müller, a.a.O., § 80 N. 7). Sprachliches Unvermögen allein genügt nicht als Grund für eine Parteientschädigung im Rekursverfahren (TVR 2013 Nr. 14 mit Hinweis auf TVR 2001 Nr. 7). Unter Umständen rechtfertigt das Recht auf ein faires Verfahren (Art. 29 und Art. 29a BV) sowie der Grundsatz der Waffengleichheit eine Parteientschädigung (vgl. Fedi/Meyer/Müller, a.a.O., § 80 N. 8, TVR 2000 Nr. 14 E. 2b bb sowie Griffel [Hrsg.], Kommentar zum Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons Zürich, 3. Aufl. 2014, § 17 N. 44 mit Hinweisen, Waldmann/Krauskopf [Hrsg.], Praxiskommentar Verwaltungsverfahrensgesetz, 3. Aufl. 2023, Art. 64 N. 26).

 

4.3 Im Zusammenhang mit dem Anspruch auf unentgeltliche Rechtsverbeiständung hielt das Bundesgericht fest, die sachliche Notwendigkeit einer anwaltlichen Vertretung werde nicht allein dadurch ausgeschlossen, dass das in Frage stehende Verfahren von der Offizialmaxime oder dem Untersuchungsgrundsatz beherrscht werde, die Behörde also gehalten sei, an der Ermittlung des rechtserheblichen Sachverhaltes mitzuwirken. Im Geltungsbereich der Offizialmaxime rechtfertige es sich jedoch, an die Voraussetzungen, unter denen eine Verbeiständung durch einen Rechtsanwalt sachlich geboten sei, einen strengen Massstab anzulegen (Urteil des Bundesgerichts 8C_8/2022 vom 12. Mai 2022 E. 6.3). Im Bereich der Sozialhilfe, in welchem es vorab um die Darlegung der persönlichen Umstände gehe, sei die Notwendigkeit der anwaltlichen Verbeiständung regelmässig nur mit Zurückhaltung anzunehmen. Zur relativen Schwere des Falles müssten besondere rechtliche oder tatsächliche Schwierigkeiten hinzukommen, welche die ansprechende Person alleine nicht zu meistern vermöchte (Urteile des Bundesgerichts 8C_140/2013 vom 16. April 2013 E. 3.2.2, 8C_292/2012 vom 19. Juli 2012 E. 8.2, 8C_778/2008 vom 12. Dezember 2008 E. 3.2.2). Dennoch habe stets eine Einzelfallprüfung zu erfolgen, die den Besonderheiten des jeweiligen Verfahrens hinreichend Beachtung schenke. Die konkreten Widrigkeiten, denen die betroffene Person gegenüberstehe, dürften nicht ausser Acht gelassen werden. Als besondere Schwierigkeiten, die eine Verbeiständung zu rechtfertigen vermögen würden, fielen neben der Komplexität der Rechtsfragen und der Unübersichtlichkeit des Sachverhalts auch in der betroffenen Person liegende Gründe in Betracht. So seien zum Beispiel das Alter, die soziale Situation, Sprachschwierigkeiten, mangelnde Schulbildung und allgemein die Fähigkeit, sich im Verfahren zurechtzufinden, zu berücksichtigen (Urteil des Bundesgerichts 8C_8/2022 vom 12. Mai 2022 E. 6.4).

 

5.1 Die Vorinstanz verneinte den Anspruch auf Parteientschädigung nach § 80 Abs. 2 VRG mit der Begründung, weder seien komplexe Rechtsfragen zu klären, noch sei der Sachverhalt unübersichtlich. Der Streitgegenstand beschränke sich auf die Einstellung der Sozialhilfeunterstützung und den Bezug der Freizügigkeitsleistungen. Zudem gelte der Untersuchungsgrundsatz.

 

5.2 Im vorinstanzlichen Rekursverfahren stellte sich die Rechtsfrage, ob ein noch zu beziehendes Freizügigkeitsguthaben dem Sozialhilfeanspruch vorgeht bzw. ob die damals knapp 59-jährige Beschwerdeführerin 1 (geboren 23. Dezember 1964) aufgrund des in der Sozialhilfe geltenden Subsidiaritätsprinzips verpflichtet war, vor Erreichen des AHV-Alters (das heisst vor Eintritt des Versicherungsfalls) ihr Freizügigkeitsguthaben von Fr. 102'685.75 zu beziehen. Es ging somit letztlich um das Verhältnis zwischen dem das Sozialhilferecht beherrschenden Subsidiaritätsprinzip, wonach nur Anspruch auf Unterstützungsleistungen hat, wer nicht in der Lage ist, selbst für sich zu sorgen (vgl. § 8 SHG), und dem Vorsorgeschutz, wonach dem Berechtigten sein Freizügigkeitskapital zur Deckung der Lebenshaltungskosten nach Eintritt des Vorsorgefalls Alters effektiv zur Verfügung stehen soll (vgl. BGE 148 V 114 E. 7.1).

 

5.3 Eine klare gesetzliche Regelung diesbezüglich kennt weder das SHG noch die SHV. In § 8 SHG wird lediglich festgehalten, dass unterstützt wird, wer nicht über hinreichende Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts verfügt und in § 2b Abs. 3 SHV, dass der Anspruch auf Unterstützung entfällt, wenn die eigenen Mittel zur Deckung der materiellen Grundsicherung ausreichen (Austrittsschwelle) und eigenes Vermögen voll angerechnet wird.

 

5.4 In den SKOS-Richtlinien (Version vom 1. Januar 2023), welche gemäss § 2a Abs. 1 SHV für die Bemessung der Unterstützung in der Regel Anwendung finden, wird in Kapitel D.3.3 festgehalten, dass Leistungen und Vermögen der Altersvorsorge der Sozialhilfe grundsätzlich vorgehen. Es gelte jedoch sicherzustellen, dass eine angemessene Existenzsicherung im Alter nicht gefährdet werde (Abs. 1). Bezüglich der AHV-Leistungen wird ausgeführt, dass diese der Sozialhilfe vorgingen, weshalb unterstützte Personen grundsätzlich "zum frühestmöglichen Vorbezug verpflichtet" seien (Abs. 2). Mit Bezug auf die Altersvorsorge der 2. Säule und der Säule 3a halten die SKOS-Richtlinien sodann fest, dass Vermögen der 2. Säule und der Säule 3a grundsätzlich zusammen mit dem AHV-Vorbezug oder dem Bezug einer ganzen IV-Rente herauszulösen seien (Abs. 3). Älteren Arbeitslosen sei "bis zum AHV-Vorbezug" eine Weiterführung der Altersvorsorge in der 2. Säule bei ihrer bisherigen Vorsorgeeinrichtung zu ermöglichen (Abs. 4). Ausgelöste Guthaben der Altersvorsorge gehörten zum anrechenbaren Vermögen und seien für den aktuellen und zukünftigen Lebensunterhalt zu verwenden (Abs. 5). Gemäss SKOS-Richtlinien gilt somit der Grundsatz, dass eine Auflage zum Bezug der Mittel der gebundenen Vorsorge erst zusammen mit jener zum AHV-Vorbezug (oder beim Bezug einer ganzen IV-Rente) erfolgen soll. So könne der Zielsetzung der 2. und 3. Säule entsprochen werden, wonach die gebundene Vorsorge in Ergänzung zu den Leistungen der AHV/IV zur Sicherung einer gewohnten Lebenshaltung beitragen soll. Decken AHV- bzw. IV-Rente und der anrechenbare Vermögensverzehr aus dem Freizügigkeitsguthaben den Lebensunterhalt nicht, könnten Ergänzungsleistungen beantragt werden (SKOS-Richtlinien, Kapitel 3.3, Erläuterungen lit. b). Demnach geht gemäss SKOS-Richtlinien bei nicht ausbezahlten Freizügigkeitsguthaben der Vorsorgeschutz (Schutz der Mittel aus der beruflichen Vorsorge) grundsätzlich bis zum Vorbezug der AHV-Rente (oder einer ganzen Invalidenrente) dem Subsidiaritätsprinzip vor (vgl. auch SKOS-Merkblatt Altersvorsorge, Umgang mit Freizügigkeitsgutshaben in der Sozialhilfe, in der Fassung vom 2023, ergänzt 2024, sowie Urteil des Bundesgerichts 8C_333/2023 vom 1. Februar 2024 E. 7.1). Was als angemessene Existenzsicherung im Alter gilt bzw. wie diese zu berechnen ist, wird in den SKOS-Richtlinien nicht erläutert. 

 

5.5 Das Verwaltungsgericht hat in TVR 2020 Nr. 27 festgehalten, dass zum anrechenbaren Vermögen gemäss § 2b Abs. 3 SHV grundsätzlich auch (beziehbare) Freizügigkeitsleistungen zählten und der Vorbezug von Altersleistungen der 2. Säule und der Säule 3a zumutbar und zulässig sei, wenn dadurch die Alterssicherung nicht empfindlich geschmälert werde. Die Frage, ob die Alterssicherung nicht empfindlich geschmälert werde, sei unter Anwendung der Bestimmungen über den Vermögensverzehr bei den Ergänzungsleistungen (Art. 11 Abs. 1 lit. c ELG) zu beurteilen. Die Abweichung zu Ziff. E. 2.5 der SKOS-Richtlinien (entspricht Kapitel D. 3.3 der aktuell gültigen SKOS-Richtlinien) - wonach Freizügigkeitsguthaben grundsätzlich zusammen mit dem AHV-Vorbezug (oder dem Bezug einer ganzen IV-Rente) herauszulösen sind - sei begründet (vgl. § 2b Abs. 2 SHV), angezeigt und sachgerecht. Ob entsprechend den Bestimmungen zu den Ergänzungsleistungen ein Vermögensfreibetrag zu gewähren ist, liess das Verwaltungsgericht offen. In TVR 2022 Nr. 27 hat das Verwaltungsgericht seine Auffassung gemäss TVR 2020 Nr. 27 bestätigt und festgehalten, dass Leistungen und Vermögen der Altersvorsorge der Sozialhilfe grundsätzlich vorgingen. Dabei hat es betont, dass eine angemessene Existenzsicherung im Alter nicht gefährdet werden soll. Eine solche Gefährdung bestand im besagten Fall aufgrund des Vorbezugs der AHV-Altersrente und der zu erwartenden Ergänzungsleistungen nicht. Auch wenn das Verwaltungsgericht bisher somit bereits zwei Mal von der grundsätzlichen Pflicht, Freizügigkeitsleistungen vorzubeziehen, ausging, lassen diese zwei publizierten Entscheide (TVR 2020 Nr. 27 und TVR 2022 Nr. 27) gleichwohl nicht darauf schliessen, dass keine schwierige Rechtsfrage vorliegt, zumal die diesen Entscheiden zugrundeliegenden Sachverhalte mit dem vorliegenden Sachverhalt nicht identisch sind. Zudem ergibt sich aus den publizierten Entscheiden auch, dass der abzuklärende Sachverhalt nicht unkompliziert ist.

 

5.6        

5.6.1 Das Bundesgericht hat sich in BGE 148 V 114 damit auseinandergesetzt, ob mit bereits ausbezahlten Freizügigkeitsguthaben Sozialhilfeschulden zurückzuerstatten sind. Es hielt fest, dass mit dem Bezug des Freizügigkeitsguthabens grundsätzlich frei über die betreffenden Vermögenswerte verfügt werden könne und der Vorsorgeschutz gemäss Art. 2 ff. und Art. 20 ff. FZG sowie Art. 10 ff. FZV nicht mehr greife. Insofern könnten solche Mittel (gestützt auf Art. 16 Abs. 1 FZV bezogene Freizügigkeitsguthaben) - wie zur Begleichung anderer Schulden - grundsätzlich auch zur Rückerstattung bezogener wirtschaftlicher Sozialhilfe verwendet werden (E. 7.2.1 und 7.3.1). Die Forderung sei nach Massgabe der einschlägigen Regeln des SchKG vollstreckbar. Pfändbar sei nur jener Teil der Kapitalleistung, der während eines Jahres der hypothetischen Rente abzüglich des durch das übrige Einkommen nicht gedeckten betreibungsrechtlichen Existenzminimums entspreche (E. 7.2.3 und 7.4). Das Freizügigkeitsguthaben ist somit in eine hypothetische jährliche Rente umzurechnen. Pfändbar ist nur der das betreibungsrechtliche Existenzminimum übersteigende Teil. Eine vollständige Abschöpfung wurde somit unterbunden (Meier, Der Vorbezug von Freizügigkeitsguthaben in der Sozialhilfe, in: Jusletter 15. März 2023, Rz. 31 und 49). Zum Vorsorgeschutz für den Fall, da - wie vorliegend - noch kein Freizügigkeitsguthaben bezogen wurde, äusserte sich das Bundesgericht in BGE 148 V 114 nicht.

 

5.6.2 Mit dem Verhältnis Subsidiaritätsprinzip und Vorsorgeschutz hatte sich das Bundesgericht auch in seinem zur Publikation vorgesehenen Urteil 8C_333/2023 vom 1. Februar 2024 zu befassen. Es kam zum Schluss, dass eine Pflicht zum Bezug von Vorsorgeguthaben mit 60 Jahren nicht kategorisch ausgeschlossen werden könne. Es sei jedoch mit dem vorsorgerechtlichen Zweck dieser Mittel nicht vereinbar, wenn das ausbezahlte Freizügigkeitsguthaben im Zeitpunkt des AHV-Bezugs bereits vollständig aufgebraucht wäre. Eine Verpflichtung zum vorzeitigen Bezug von Freizügigkeitsguthaben müsse deshalb zumindest dann als unverhältnismässig gelten, wenn ein neuerlicher Rückfall in die Sozialhilfe drohe, bevor das Alter von 63 Jahren für einen Vorbezug der AHV-Rente erreicht sei. Beim mutmasslichen Verbrauch des Freizügigkeitskapitals sei vom Bedarf gemäss der Berechnung für Ergänzungsleistungen auszugehen, der höher liege als der sozialhilferechtliche Bedarf (E. 7.3.2 f.; vgl. auch SKOS-Merkblatt Altersvorsorge, Umgang mit Freizügigkeitsguthaben in der Sozialhilfe, 2023 ergänzt 2024). Dieses Urteil war zwar im Zeitpunkt des angefochtenen Entscheids noch nicht ergangen. Gleichwohl zeigt es, dass bisher keine bundesgerichtliche Rechtsprechung im Zusammenhang mit noch nicht ausbezahlten Freizügigkeitsguthaben bestand und sich die zu stellenden Rechtsfragen nicht ohne weiteres beantworten lassen.

 

5.7 In der Lehre wird die Rechtsfrage, ob Freizügigkeitsguthaben in Anwendung des Subsidiaritätsprinzips zum frühestmöglichen Zeitpunkt (fünf Jahre vor dem AHV-Rentenalter) und damit insbesondere vor der Möglichkeit des AHV-Vorbezugs (zwei Jahre vor dem ordentlichen AHV-Rentenalter) zu beziehen sind bzw. ob dies zumutbar ist, weder einstimmig noch abschliessend beantwortet. Landolt weist auf die SKOS-Richtlinien und die bisherige bundesgerichtliche Rechtsprechung hin, wonach eine Vorbezugspflicht in Ausnahmefällen - das heisst sofern dadurch die Altersvorsorge des Berechtigten keine empfindliche Schmälerung der Alterssicherung zur Folge habe - nicht unhaltbar sei. Eine wesentliche Schmälerung der Alterssicherung liege - so Landolt - von vornherein nicht vor, wenn (auch) der Rentenausfall der 2. und 3. Säule durch Ergänzungsleistungen aufgefangen werde (Landolt, Inwieweit darf die Sozialhilfebehörde am sozialversicherungsrechtlichen Honigtopf naschen?, in: AJP 2012, S. 645). Wizent weist lediglich auf den Vorsorgeschutz und die SKOS-Richtlinien hin (Wizent, Sozialhilferecht, 2. Aufl., 2023, Rz. 630). Meier geht eher davon aus, dass der frühestmögliche Bezug von Freizügigkeitsguthaben nicht unzumutbar sei, weil damit der Lebensstandard der betroffenen Person steigen könne (Meier, a.a.O., Rz. 55 ff.). Er weist auf die Vermögensschwelle im ELG (Fr. 100'000.-- bei alleinstehenden Personen, Art. 9a ELG), die einem (späteren) Bezug von Ergänzungsleistungen entgegenstehen könnte, und die unterschiedlichen fiskalischen Interessen der Gemeinde, des Kantons und der betroffenen Person hin (Meier, a.a.O., Rz. 49 ff.).

 

5.8 Unter Berücksichtigung der fehlenden gesetzlichen Regelung, der SKOS-Richtlinien, die einen Bezug erst zusammen mit dem AHV-Vorbezug empfehlen, der fehlenden bundesgerichtlichen Praxis sowie der uneinheitlichen Lehrmeinungen erweist sich die Rechtsfrage, ob die Beschwerdeführerin 1 verpflichtet war, vor Erreichen des AHV-Alters ihr Freizügigkeitsguthaben von Fr. 102'685.75 zu beziehen, entgegen der Auffassung der Vorinstanz als schwierig. Eine rechtliche Begründung war zwar mit dem Rekurs nicht gefordert. Zum Verständnis der Sachlage war indes eine gewisse Rechtskenntnis erforderlich. Die Beantwortung der Rechtsfrage ist denn auch für eine rechtskundige Person nicht ohne weiteres möglich. Demnach ist vorliegend ein Anspruch auf Ersatz der ausseramtlichen Kosten gemäss § 80 Abs. 2 VRG im Rekursverfahren zu bejahen.

 

6.1 Die Parteientschädigung bemisst sich gemäss § 1 Abs. 2 RRV VGV i.V. mit § 3 Abs. 1 ATVG nach Bedeutung und Schwierigkeit der Sache, dem für eine sachgerechte Vertretung notwendigen Zeitaufwand und den (ausgewiesenen) Barauslagen. Sie beträgt in der Regel zwischen Fr. 400.-- und Fr. 10‘000.--, zuzüglich der ausgewiesenen Barauslagen und der Mehrwertsteuer.

 

6.2 Eine Kostennote für die anwaltliche Vertretung wurde von der Beschwerdeführerin 1 im Rekursverfahren nicht eingereicht. Im vorliegenden Beschwerdeverfahren wurde eine Kostennote für das Rekursverfahren eingereicht. Es werden ein Aufwand von vier Stunden à Fr. 220.-- und damit eine Entschädigung von Fr. 880.-- sowie Barauslagen von Fr. 26.30 geltend gemacht. Unter Berücksichtigung der vorerwähnten Kriterien erweist sich der geltend gemachte Aufwand von vier Stunden für eine sachgerechte Vertretung als angemessen. Bei Vertretung durch Anwältinnen und Anwälte im Sinne von Art. 8 Abs. 2 BGFA, die bei anerkannten gemeinnützigen Organisationen angestellt sind, beträgt der Stundenansatz indes Fr. 150.-- (§ 3 Abs. 3 ATVG). Entsprechend gilt für die bei der gemeinnützigen Organisation Unabhängigen Fachstelle für Sozialhilferecht UFS tätigen Anwältinnen und Anwälte ein Stundenansatz von Fr. 150.--. Die Beschwerdeführerin 1 ist somit für das Rekursverfahren mit Fr. 600.-- (vier Stunden à Fr. 150.--) zuzüglich Fr. 26.30 Barauslagen von der verfahrensbeteiligten Gemeinde ausseramtlich zu entschädigen. Die Beschwerde der Beschwerdeführerin 1 ist somit teilweise gutheissen.

 

7. Die Beschwerdeführerin 1 beantragt (Rechtsbegehren 1), ihr sei im Rekursverfahren der Beschwerdeführer 2 als unentgeltlicher Anwalt zu bewilligen und dieser sei unter Anrechnung der Parteientschädigung (Rechtsbegehren 2) mit Fr. 906.30 zu entschädigen. Unter Berücksichtigung ihres vollständigen Obsiegens im Rekursverfahren und ihres vorstehend festgestellten Anspruchs auf Ersatz der ausseramtlichen Kosten nach § 80 Abs. 2 VRG ist auf dieses Begehren nicht einzutreten. Nachdem der mit Kostennote vom 11. Dezember 2023 geltend gemachte Aufwand von vier Stunden bereits entschädigt wurde (vorstehend E. 6.2), hat die Beschwerdeführerin 1 keinen praktischen Nutzen und damit kein schutzwürdiges Interesse (§ 62 VRG i.V. mit § 44 VRG; vgl. Fedi/Meyer/Müller, a.a.O., § 44 N. 4) an einer Entschädigung nach § 81 Abs. 2 VRG und damit an der Aufhebung oder Änderung von Ziff. 3 des angefochtenen Entscheids. Der Stundenansatz im Rahmen der unentgeltlichen Rechtsverbeiständung für Anwältinnen und Anwälte, die bei anerkannten gemeinnützigen Organisationen angestellt sind, beträgt wie bei der ausseramtlichen Entschädigung Fr. 150.-- (§ 3 Abs. 3 ATVG, vgl. vorstehend E. 6.2). Entsprechend würde die Entschädigung des Beschwerdeführers 2 als unentgeltlicher Anwalt - wäre die Beschwerdeführerin 1 unterlegen - gleich hoch ausfallen.

 

Entscheid des Verwaltungsgerichts VG.2023.151/E vom 26. Juni 2024

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