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RBOG 1997 Nr. 38

Prozesskostenvorschusspflicht eines Auslandschweizers gegenüber seinem Ehegatten für einen von diesem in der Schweiz geführten Forderungsprozess; anwendbares Recht


Art. 48 IPRG, Art. 159 ZGB, §§ 80 ff. ZPO


1. Die Berufungsklägerin ersucht im Forderungsprozess gegen X um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung. Sie lebt mit ihrem Ehemann in Frankreich.

2. Die Pflicht des Staates zur Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung geht der Beistands- und Beitragspflicht aus Familienrecht nach (RBOG 1995 Nr. 31 und 1992 Nr. 27); letztere besteht auch für die Kosten vermögensrechtlicher Prozesse mit einem Dritten (Sträuli/Messmer, Kommentar zur Zürcherischen Zivilprozessordnung, 2.A., § 84 N 3).

3. a) Der Ehemann der Berufungsklägerin verfügt über ein Vermögen von ca. Fr. 500'000.-- und ein Einkommen von zwischen Fr. 25'000.-- (gemäss Beitragsverfügung des Generalkonsulats) und Fr. 50'000.-- (gemäss eigenen Angaben). Zu prüfen ist, ob er seiner Ehefrau die Prozesskosten vorzuschiessen hat.

b) Zu beachten ist, dass die Berufungsklägerin und ihr Ehemann in Frankreich leben. Die ehelichen Rechte und Pflichten unterstehen dem Recht des Staates, in dem die Ehegatten ihren Wohnsitz haben (Art. 48 Abs. 1 IPRG); für die Unterhaltspflicht zwischen Ehegatten gilt das Haager-Übereinkommen vom 2. Oktober 1973 (SR 0.211.213.01) über das auf die Unterhaltspflichten anzuwendende Recht (Art. 49 IPRG), welches seinerseits in Art. 4 für die Unterhaltspflichten auf das am gewöhnlichen Aufenthalt des Unterhaltsberechtigten geltende innerstaatliche Recht verweist. Selbst wenn indessen für die Frage, ob der Ehemann der Berufungsklägerin zur Leistung eines Vorschusses aus ehelicher Beistands- bzw. Unterhaltspflicht verpflichtet werden kann, französisches Recht massgebend wäre, entspricht Art. 212 CCfr. dem schweizerischen Art. 159 ZGB, und es ist nicht anzunehmen, dass die französische Gerichtspraxis bei der Auslegung dieser Bestimmung wesentlich von schweizerischen Rechtsgrundsätzen abweicht. Jedenfalls wäre es im Rahmen ihrer Mitwirkungspflicht (RBOG 1994 Nr. 24; Art. 16 Abs. 1 Satz 2 IPRG) Sache der Berufungsklägerin gewesen, auf eine solche Abweichung gegebenenfalls hinzuweisen.

Allerdings wäre es sinnwidrig, für die Prozesskostenvorschusspflicht eines Auslandschweizers gegenüber seinem Ehegatten für einen in der Schweiz mit einem Dritten geführten Prozess um eine in der Schweiz gelegene, verarrestierte Immobilie auf ausländisches Recht abstellen zu wollen, vorab wenn es wie im vorliegenden Fall um eine Streitsache geht, bei welcher der in Frage stehende Vermögensgegenstand des bedürftigen Ehegatten für eine Schuld, die von beiden Ehegatten eingegangen worden war, in Arrest genommen wurde. In einem solchen Fall vom betroffenen Ehegatten zu verlangen, den Prozesskostenvorschuss vom anderen Ehegatten gestützt auf das ausländische Recht einzuverlangen, wäre im Sinne von Art. 47 IPRG offensichtlich unzumutbar, womit sich zwangsläufig die Zuständigkeit der schweizerischen Gerichte am Heimatort ergibt und gleichzeitig gestützt auf Art. 48 Abs. 3 IPRG schweizerisches Recht anwendbar wird. Nicht anders verhält es sich nach dem Haager-Übereinkommen über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht vom 2. Oktober 1973; zwar ist diesbezüglich der von der Schweiz angebrachte Vorbehalt nicht anwendbar, doch muss die Unzumutbarkeit, vom anderen Ehegatten einen Prozesskostenvorschuss nach ausländischem Recht zu erreichen, in Fällen wie dem vorliegenden im Sinne von Art. 11 des Übereinkommens als mit der öffentlichen Ordnung offensichtlich unvereinbar gelten. Schliesslich bleibt Art. 15 Abs. 1 IPRG zu beachten. Es handelt sich dabei zwar um eine Ausnahmeklausel im eigentlichen Sinn, die nur im Notfall angewendet werden darf, wenn die beiden aufgestellten Voraussetzungen (ein nur geringer Zusammenhang mit dem Recht, auf das die Kollisionsnorm verweist, und ein viel engerer Zusammenhang mit einem anderen Recht) kumulativ erfüllt sind (Pra 81, 1992, Nr. 233). Im vorliegenden Fall ist aber augenfällig, dass für die Frage der Prozesskostenvorschusspflicht jeglicher Zusammenhang mit dem französischen Wohnsitz der Berufungsklägerin und ihres Ehemannes fehlt, wogegen ein enger Zusammenhang mit dem schweizerischen Recht besteht (schweizerische Staatsangehörigkeit beider Ehegatten, schweizerischem Recht unterstehender Kredit als Grundlage der Arrestforderung, schweizerischem Immobiliarsachenrecht unterstehender Arrestgegenstand).

Ausserdem wäre es ausgesprochen stossend, wenn sich eine im Ausland lebende Partei in einem Fall wie dem vorliegenden gegenüber dem schweizerischen Staat darauf berufen könnte, das auf die eherechtlichen Beziehungen anwendbare ausländische Recht lasse es nicht zu, dass sie vom ebenfalls im Ausland lebenden Ehegatten einen Prozesskostenvorschuss für ein Zivilverfahren mit einem Dritten einverlangt, und gleichzeitig unentgeltliche Prozessführung beantragen könnte, indem sie auf das in Art. 47 und 48 Abs. 3 IPRG vorgesehene Auslandschweizerprivileg verzichtet.

Der international-privatrechtlichen Frage näher nachzugehen, erübrigt sich freilich insofern, als die grundsätzliche Möglichkeit, vom Ehemann der Berufungsklägerin einen Prozesskostenvorschuss einzuverlangen, letztlich auch ihrerseits unbestritten blieb. Auch objektiv ist aber davon auszugehen, dass sie gegenüber dem Ehemann aus eherechtlichen Gründen Anspruch darauf hat, von ihm einen Vorschuss für den in der Schweiz geführten Prozess zu erhalten. Massgebend muss dabei schweizerisches Recht sein.

c) Die Prozesskostenvorschusspflicht kann - unabhängig davon, ob sie sich aus der Beistands- oder Unterhaltspflicht ableitet (vgl. Bräm, Berner Kommentar, Art. 159 ZGB N 131 f. mit Hinweisen) - auch dann bestehen, wenn es um einen Prozess gegen einen Dritten geht (Bräm, Art. 159 ZGB N 130; Hausheer/Reusser/ Geiser, Kommentar zum Eherecht, Bern 1988, Art. 159 ZGB N 38; Hegnauer/Breitschmid, Grundriss des Eherechts, 3.A., N 15.18; BGE 85 I 5; ABOW 1990/91 S. 44 f.). Ob solche Mittel dem ehelichen Unterhalt zugeordnet werden können, bestimmt sich anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls (Bräm, Art. 159 ZGB N 137), genauso wie auch das Ausmass einer solchen Prozesskostenvorschusspflicht nach den Umständen des Einzelfalls zu bestimmen ist.

Bezogen auf den vorliegenden Fall mag es durchaus zutreffen, dass selbst bei einem Vermögen von Fr. 500'000.--, welches aber offenbar nicht oder nicht ohne weiteres liquid ist, eine Pflicht zur Leistung eines Gerichtskostenvorschusses in Höhe von Fr. 40'000.-- nicht ohne weiteres bejaht werden kann. Umgekehrt kann aber sicher nicht davon ausgegangen werden, es bestehe ohne weiteres Sozialhilfebedürftigkeit mit der Wirkung, dass der Staat vollumfänglich zur Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung mit Offizialanwalt verpflichtet ist (vgl. RBOG 1992 Nr. 27). Für den Fall, dass es um einen von der Ehefrau gegenüber einem Dritten geführten Prozess ginge, von welchem der Ehemann gar nicht betroffen wäre, müsste nun nach den Umständen des Einzelfalls entschieden werden, in welchem Ausmass sich eine allenfalls bloss teilweise Prozesskostenvorschusspflicht des Ehemanns bewegen würde.

Im vorliegenden Fall stellen sich die Probleme indessen anders dar: Verarrestiert ist zwar ein Vermögenswert der Berufungsklägerin allein, doch betrifft die Arrestforderung eine seitens der Bank gekündigte Kreditschuld, die von beiden Ehegatten gemeinsam als Solidarschuldner eingegangen worden war und für welche beide gemeinsam haften. Unter diesen Umständen liesse es sich aber unter keinem Titel rechtfertigen, bloss von einer beschränkten Prozesskostenvorschusspflicht des Ehemanns auszugehen, umso weniger, als ein Unterliegen der Ehefrau im fraglichen Zivilprozess nur zur Folge hätte, dass die betroffene Gläubigerbank aufgrund des Solidarschuldverhältnisses ihre Ansprüche dem Ehemann gegenüber geltend machen würde. Damit besteht nicht bloss eine beschränkte, sondern offensichtlich eine vollumfängliche Pflicht des Ehemanns der Berufungsklägerin, ihr die nötigen Gerichts- und Anwaltskosten vorzuschiessen.

4. Zusammenfassend ist mit Bezug auf die finanziellen Verhältnisse der Berufungsklägerin festzustellen, dass aufgrund ihrer eigenen Angaben und trotz Abklärungen seitens des Obergerichtspräsidiums nicht feststeht, inwieweit sie selber über kreditfähiges Vermögen verfügt, und dass selbst dann, wenn dies nicht der Fall ist, für die in Frage stehenden Gerichts- und Anwaltskosten eine vollumfängliche Prozesskostenvorschusspflicht seitens des Ehemanns der Berufungsklägerin gegeben ist. Unter diesen Umständen kann von Mittellosigkeit im Sinne von § 80 Abs. 1 bzw. § 82 Abs. 1 ZPO bei der Berufungsklägerin nicht gesprochen werden, und schon aus diesem Grunde ist ihr Gesuch um unentgeltliche Prozessführung mit Offizialanwalt abzuweisen.

Obergericht, 10. Juni 1997, ZP 97 8


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