RBOG 1999 Nr. 13
Unabhängig von der Kenntnis des Ehegatten beginnt die Frist für das Verwertungsbegehren einer Familienwohnung von der letzten erfolgreichen Ergänzungspfändung an zu laufen
1. Die Beschwerdeführerin ist mit X, welcher von mehreren Gläubigern auf Pfändung betrieben wurde, verheiratet; das Ehepaar lebt in der X gehörenden Liegenschaft. Einer der Gläubiger verlangte sechs Monate nach der Pfändung dieser Liegenschaft deren Verwertung, worüber das Betreibungsamt X umgehend orientierte. Die Beschwerdeführerin erhob mit dem Hinweis, sie habe bis zum heutigen Zeitpunkt keine Kenntnis davon gehabt, dass die Liegenschaft des Ehemanns in einem Zwangsverwertungsverfahren stehe, Beschwerde und verlangte die Zustellung der Zahlungsbefehle und die Mitteilung der Pfändung und Verwertung der Familienwohnung an sie selbst. Die Vorinstanz erwog, auch wenn es sich beim gepfändeten Objekt um die Familienwohnung handle, sei es in der Betreibung auf Pfändung nicht erforderlich, den Zahlungsbefehl nicht nur dem Schuldner, sondern auch dessen Ehegatten zuzustellen; dieser habe lediglich Anspruch auf Mitteilung der Pfändung und des Verwertungsbegehrens. Die Fristen zur Stellung des Verwertungsbegehrens würden im Zeitpunkt des Pfändungsvollzugs zu laufen beginnen; sei die Pfändung wegen Teilnahme mehrerer Gläubiger ergänzt worden, liefen die Fristen (erst) von der letzten erfolgreichen Ergänzungspfändung an. Die Beschwerdeführerin beharrt demgegenüber darauf, die Verwertung dürfe erst erfolgen, wenn seit Zustellung des Verwertungsbegehrens an sie selbst sechs Monate verstrichen seien.
2. a) Der Gläubiger kann die Verwertung der gepfändeten Grundstücke frühestens sechs Monate und spätestens zwei Jahre nach der Pfändung verlangen (Art. 116 Abs. 1 SchKG). Ist die Pfändung wegen Teilnahme mehrerer Gläubiger ergänzt worden, läuft diese Frist von der letzten erfolgreichen Ergänzungspfändung an (Art. 116 Abs. 3 SchKG).
b) Pfändungsobjekt ist die Liegenschaft, welche den Eheleuten als Familienwohnung dient. Art. 116 Abs. 1 SchKG bestimmt, dass die Gläubiger die Verwertung dieses Grundstücks frühestens sechs Monate nach der Pfändung verlangen können. In BGE 115 III 109 hielt das Bundesgericht fest, der Wortlaut dieser Bestimmung sei "parfaitement clair et univoque dans les trois langues officielles". Diese Auffassung bezog sich zwar auf den spätest möglichen Zeitpunkt, in welchem ein Gläubiger die Verwertung verlangen kann (vor der Revision des SchKG war dies nicht zwei Jahre, sondern nur ein Jahr der Fall); es kann jedoch keinem Zweifel unterliegen, dass sie auch hinsichtlich des Beginns des Fristenlaufs (früher ein Monat, heute sechs Monate nach der Pfändung) ihre Gültigkeit hat. Das Bundesgericht präzisierte im gleichen Entscheid sodann noch, wann die Frist zu laufen beginne: Dies sei mit dem Vollzug der Pfändung durch das Betreibungsamt und nicht mit der Mitteilung der Pfändungsurkunde an die Gläubiger der Fall.
c) Die Beschwerdeführerin bestreitet dies nicht, macht jedoch geltend, das Präjudiz sei auf die hier zu beurteilende Streitsache nicht anwendbar: Dort sei es darum gegangen, wann der Gläubiger das Verwertungsbegehren erstmals stellen könne; hier sei darüber zu befinden, wann die Frist für eine durch Art. 169 ZGB geschützte Ehefrau zu laufen beginne. Art. 116 SchKG ist indessen vorbehaltlos formuliert. Auch die Revision des SchKG änderte nichts daran, dass die Frist zur Stellung des Verwertungsbegehrens nur in dem Sinn nicht absolut ist, dass sie dann, wenn die Pfändung wegen Teilnahme mehrerer Gläubiger ergänzt werden muss, erst von der letzten erfolgreichen Ergänzungspfändung an zu laufen beginnt. Andere Gründe, welche es rechtfertigen würden, den Fristenlauf hinauszuschieben, gibt es nicht. Insbesondere stellt Art. 169 ZGB keinen solchen Grund dar. Gemäss Abs. 1 dieser Bestimmung kann ein Ehegatte nur mit der ausdrücklichen Zustimmung des anderen einen Mietvertrag kündigen, das Haus oder die Wohnung der Familie veräussern oder durch andere Rechtsgeschäfte die Rechte an den Wohnräumen der Familie beschränken. Die "anderen Rechtsgeschäfte" können sowohl im Verzicht auf ein Recht wie auch in Handlungen bestehen, die geeignet sind, die Nutzung der Wohnung einzuschränken. Sie erfassen beispielsweise die Abtretung von Gesellschaftsanteilen, die zur Nutzung einer Wohnung berechtigen, den Verzicht auf ein Nutzniessungsrecht oder ein Wohnrecht, die Abtretung des Mietvertrags oder die Untervermietung, die Begründung eines Nutzniessungs- oder Wohnrechts und schliesslich in gewissen Fällen sogar die Begründung eines Pfandrechts. Diese Aufzählung ist nicht abschliessend; sie lässt dem Richter einen gewissen Ermessenspielraum (Pra 83, 1994, Nr. 9 S. 37).
Absicht des Gesetzgebers war es somit lediglich zu verhindern, dass der an der Familienwohnung berechtigte Gatte dem anderen gegen dessen Willen durch eigene aktive Handlung die für ihn lebenswichtige Wohnung entzieht (Hasenböhler, Zürcher Kommentar, Art. 169 ZGB N 8). Art. 169 ZGB erfasst nur das rechtsgeschäftliche Handeln eines Ehegatten, bietet hingegen keine Handhabe, wenn sich dieser zulasten der Familie passiv verhält bzw. wenn aus anderen Gründen als aus Rechtsgeschäften des Gatten der Verlust der Familienwohnung droht. Hausheer/Reusser/Geiser halten deshalb ausdrücklich fest, Art. 169 ZGB könne die Familie nicht vor der Zwangsverwertung der Familienwohnung schützen (Kommentar zum Eherecht, Bd. I, Bern 1988, Art. 169 und 271a ZGB N 34 f.). Dem an der Familienwohnung nur mittelbar berechtigten Gatten ist folglich zwar ein Mitspracherecht zugesichert, wenn sein Partner bzw. seine Partnerin beabsichtigt, durch ein Rechtsgeschäft die Nutzung der Familienwohnung einzuschränken; einen absoluten Wohnungsschutz gewährt Art. 169 ZGB jedoch nicht. Gleiches gilt für Art. 266m Abs. 1 OR: Auch die Tatsache, dass ein Ehegatte den Mietvertrag nur mit der ausdrücklichen Zustimmung des anderen kündigen darf, vermag letzteren nicht in jedem Fall vor dem Verlust der gemeinsamen Wohnung zu bewahren.
d) Der Beginn der Frist, innert welcher die Gläubiger die Verwertung der gepfändeten Liegenschaft verlangen können, verzögert sich somit nicht, wenn eine Ehefrau nicht sofort, sondern erst in einem späteren Zeitpunkt Kenntnis vom Verwertungsbegehren erhalten hat. Massgebend ist allein schon aus Gründen der Rechtssicherheit auch in einem solchen Fall, wann das Betreibungsamt die Pfändung, allenfalls die letzte erfolgreiche Ergänzungspfändung, vollzog. Die Beschwerdeführerin muss dann, wenn sie (im Nachhinein) über die Pfändung bzw. Verwertung orientiert wird, wohl die Möglichkeit haben, nachträglich Beschwerde nach Art. 17 SchKG betreffend Reihenfolge der Pfändung, allenfalls Nichtigkeit derselben zufolge Rechtsmissbrauchs, einzureichen; eine Schonfrist von sechs Monaten ab grundsätzlicher Orientierung über die erfolgte Pfändung steht ihr hingegen nicht zu.
Rekurskommission, 15. Januar 1999, BS.1998.29