RBOG 1999 Nr. 4
Auflösung eines Mietverhältnisses trotz formungültiger Kündigung; Rechtsmissbrauch; Beweislast
Art. 266 l OR, Art. 82 SchKG, Art. 2 Abs. 2 ZGB, Art. 8 ZGB
1. Die Rekurrentin (Vermieterin) stützt ihre Forderung auf einen Mietvertrag. Dass dieser dann, wenn er noch immer Bestand hat, hinsichtlich der fälligen Mietzinse einen provisorischen Rechtsöffnungstitel darstellt (Art. 82 SchKG), ist unbestritten. In Betreibung gesetzt hat die Rekurrentin die Mietzinse von Oktober 1998 bis Januar 1999. Die Rekursgegner bestreiten ihre Zahlungspflicht mit dem Hinweis darauf, sie hätten den Mietvertrag per 30. September 1998 aufgelöst. Darüber, dass sie der Rekurrentin eine Kündigung zukommen liessen, besteht zwischen den Parteien Einigkeit; uneinig sind sie sich hingegen darüber, ob diese Kündigung gültig ist.
2. a) Gemäss Art. 266l Abs. 1 OR müssen Vermieter und Mieter von Wohn- und Geschäftsräumen schriftlich kündigen. Die Einhaltung der Schriftform ist somit bei der Kündigung Gültigkeitserfordernis. Wenn gesetzlich die schriftliche Form vorgesehen ist, muss die entsprechende Eingabe die eigenhändige Unterschrift derjenigen Person enthalten, die eine Rechtswirkung erzielen will (vgl. Art. 13 f. OR). Eine Kündigung muss folglich vom Mieter (oder von dessen Stellvertreter) unterzeichnet sein. Kündigungen sind einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärungen, mit denen der Erklärende ein Gestaltungsrecht ausübt. Ihr Ziel ist es, klare Verhältnisse zu schaffen. Dies ist nur dann der Fall, wenn sie aufgrund der eigenhändigen Unterschrift eindeutig der die Kündigung erklärenden Person zugeordnet werden können; nur und erst in der eigenhändigen Unterschrift zeigt sich der Erklärungswille deutlich (Higi, Zürcher Kommentar, Art. 266l OR N 10 f.).
Die Beweislast dafür, dass eine dem Vermieter eingeschrieben zugesandte Sendung eine Art. 266l Abs. 1 OR entsprechende Kündigung enthielt, d.h. unterzeichnet war, liegt nach den allgemeinen beweisrechtlichen Regeln (Art. 8 ZGB) beim Kündigenden (Higi, Art. 266l OR N 15). Kann er diesen Beweis nicht erbringen oder ist erstellt, dass die Kündigung nicht unterzeichnet war, ist letztere ungültig. Formungültigkeit ist indessen im Gegensatz zur Nichtigkeit gemäss Art. 266o OR heilbar: Die Kündigung kann nachträglich noch unterzeichnet werden. Dem Vermieter steht es ferner frei, die fehlerhafte Kündigung als gültig anzuerkennen. Selbstverständlich ist er aber auch berechtigt, sich auf die Formungültigkeit zu berufen, sofern diese Einrede nicht rechtsmissbräuchlich ist. Rechtsmissbrauch liegt vor, wenn ein Formfehler für die Gegenpartei unschwer erkennbar bzw. augenfällig ist, sie aber darauf verzichtet, unverzüglich auf den Mangel aufmerksam zu machen (Higi, Art. 266l OR N 26).
b) Die Rekurrentin reicht im Rekursverfahren eine Kopie der von den Rekursgegnern verfassten Kündigung ein. Sie enthält keine Unterschrift, hingegen den handschriftlichen Vermerk: "Bitte Kurzbrief mit Kopie dieses Briefes, sollen Kündigung unterschreiben, sonst nicht gültig." Nach ihren Angaben wurde den Rekursgegnern sodann ein Kurzbrief mit folgenden Bemerkungen zugestellt: "Wir haben von Ihnen ein Kündigungsschreiben erhalten, welches jedoch nicht unterzeichnet ist. Bitte stellen Sie uns ein unterzeichnetes Exemplar zu, andernfalls wir die Kündigung in der bestehenden Form nicht akzeptieren können." Ihr Vorgehen begründet sie mit dem Hinweis, es sei nicht nur ihr Recht, sondern gleichermassen ihre Pflicht gewesen, "zur Schaffung klarer Verhältnisse dafür zu sorgen, dass sichergestellt wird, dass die Kündigung auch tatsächlich von den Mietern ausgesprochen wurde."
Die Rekurskommission teilt diese Auffassung: Nachdem die Rekurrentin - nach ihrer Sachdarstellung - sofort sah, dass die Kündigung formungültig war, war sie verpflichtet, die Mieter hierauf hinzuweisen und ihnen die Möglichkeit der nachträglichen Unterzeichnung einzuräumen. Nun bestreiten diese jedoch den Erhalt des Kurzbriefs. Versandt worden war er mit normaler Post, d.h. nicht eingeschrieben. Den Beweis dafür, dass die Rekurrentin die Rekursgegner zur Unterzeichnung aufgefordert hatte, muss erstere erbringen. Mit der Einreichung einer Kopie des Briefs ist diesem Erfordernis nicht Genüge getan; hiefür ist unabdingbar, dass die Vermieterin zumindest belegen kann, dass das Schreiben in den Empfangsbereich der Rekursgegner gelangte. Da es daran fehlt, gilt die Aufforderung zur Unterzeichnung der Kündigung als nicht erfolgt. Unter diesen Umständen kann sich die Vermieterin im jetzigen Zeitpunkt aber nicht mehr zu ihren Gunsten auf Formungültigkeit der Kündigung berufen; das Kündigungsschreiben der Rekursgegner gilt vielmehr als akzeptiert.
c) Selbst wenn indessen davon auszugehen wäre, die Rekurrentin hätte die Rekursgegner nicht um Behebung des Mangels ersuchen müssen, kann sie sich nicht auf nach wie vor bestehende Gültigkeit des Mietvertrags berufen. Erstellt ist nämlich, dass ihr die Mieter mitteilten, sie würden das der Vermieterin geleistete Depot gestützt auf Art. 265 und Art. 120 Abs. 2 OR mit dem fälligen September-Mietzins verrechnen. Die Verwaltung akzeptierte diesen Vorschlag ohne jeden Vorbehalt: "Wir ... bestätigen Ihnen hiermit, dass wir das Depot mit der September 1998-Miete gutschreiben werden. Wir hoffen, Ihnen damit gedient zu haben." Daraus muss zwingend geschlossen werden, sie habe sich mit der - nach ihrer Darstellung - nicht unterzeichneten Kündigung einverstanden erklärt. Die Modalitäten zur Herausgabe der Sicherheit, welche der Mieter im Sinn von Art. 257e Abs. 1 OR leistete, sind im dortigen Abs. 3 abschliessend geregelt. Als Grundsatz gilt die jederzeitige Herausgabe aufgrund einer gemeinsamen Verfügung der Parteien, und zwar unbeschadet darum, ob das Mietverhältnis besteht oder aufgelöst worden ist. Anstelle der gemeinsamen Verfügung kann ein rechtskräftiger Entscheid treten, und schliesslich muss die Herausgabe im Fall des beendeten Mietverhältnisses zwingend innert einem Jahr erfolgen (Higi, Art. 257e OR N 35).
Ob die Vermieterin in der hier zu beurteilenden Streitsache ihrer Verpflichtung, das Depot bei einer Bank zu hinterlegen (Art. 257e Abs. 1 OR), nachgekommen ist, erscheint eher unwahrscheinlich; aus den Ausführungen der Rekursgegner ist jedenfalls zu schliessen, die Vermieterin habe ihnen nie den Namen der Bank und die genaue Bezeichnung der Hinterlage (Art und Nummer des Kontos usw.) im Anschluss an die Hinterlegung bekanntgegeben (vgl. Higi, Art. 257e OR N 29). Der (allenfalls) nicht gesetzmässigen Hinterlegung kommt indessen vorliegend keine Bedeutung zu. Entscheidend ist vielmehr, dass in den Augen eines objektiven Dritten das Einverständnis der Rekurrentin mit der Verrechnung seinen Grund nur in der Beendigung des Mietvertrags haben konnte. Wäre die Vermieterin, exakte zwei Monate nach ihrer Aufforderung, die Kündigung zu unterzeichnen, tatsächlich davon ausgegangen (oder hätte davon ausgehen dürfen), das Mietverhältnis habe weiterhin Bestand, hätte sie wohl nicht akzeptiert, dass nun plötzlich trotz weiterbestehendem Mietvertrag die Septembermiete nicht eingeht, sondern mit einem knapp vier Jahre zuvor geleisteten Depot verrechnet wird. Zumindest hätte sie dann, wenn sie diesen Eindruck nicht hätte erwecken wollen, einen entsprechenden Vermerk anbringen, d.h. darauf hinweisen müssen, dass die Kündigung nicht gültig sei und die Rückerstattung der Sicherheitsleistung deshalb rein entgegenkommenderweise erfolge. Da sie dies unterliess, durften die Rekursgegner davon ausgehen, es bestehe allseits Einigkeit darüber, dass der Mietvertrag entsprechend ihrer Kündigung per 30. September 1998 aufgelöst werde.
Rekurskommission, 23. April 1999, BR.1999.24, 25, 31 und 32