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RBOG 2000 Nr. 15

Keine Ansprüche nach OHG bei Verstössen gegen das kantonale Strafrecht. Fehlt es am genügenden Nachweis, dass eine Straftat begangen wurde, kommt die Zusprache von Leistungen aus OHG nicht in Betracht


Art. 2 aOHG, Art. 11 ff. aOHG


1. Anlässlich eines Arbeitsunfalls bei der Z AG erlitt X schwerste Verbrennungen, welche ihn dauernd äusserlich entstellen und psychisch stark beeinträchtigen. Obwohl sich die Brandursache nicht eindeutig feststellen liess, wurde der Geschäftsführer Y der Z AG vom Bezirksamt wegen Umgangs mit Zündquellen in einem feuergefährdeten Raum und somit wegen Missachtung des kantonalen Feuerschutzgesetzes und von Brandschutznormen schuldig gesprochen und zu einer Busse verurteilt. X beantragte eine Entschädigung für den Arbeitsunfall sowie eine Genugtuung gestützt auf das OHG. Das Bezirksgericht wies die Klage ab. X erhob Berufung und beantragte die unentgeltliche Prozessführung mit Offizialanwalt.

2. a) Y wurde wegen einer Widerhandlung gegen das kantonale Feuerschutzgesetz bestraft, das heisst wegen der Verletzung eines Straftatbestands des kantonalen Rechts. Dieser Straftatbestand stützt sich auf Art. 335 StGB, wonach den Kantonen - vorbehältlich der Strafbestimmungen zum Schutz des kantonalen Steuerrechts - die Gesetzgebung über das Übertretungsstrafrecht insoweit vorbehalten bleibt, als es nicht Gegenstand der Bundesgesetzgebung ist. Für dieses kantonale Strafrecht gilt der Allgemeine Teil des StGB nicht von Bundesrechts wegen (BGE 71 IV 51). Der Kanton kann aber den Allgemeinen Teil grundsätzlich übernehmen und Ausnahmen vorsehen; übernimmt er den Allgemeinen Teil, wird das Recht des Allgemeinen Teils in diesem Fall zu kantonalem Recht (BGE 72 IV 141, 71 IV 51, 69 IV 211). Gemäss § 28 EG StGB finden denn auch die allgemeinen Bestimmungen des StGB Anwendung auf Tatbestände, die in kantonalen Gesetzen mit Strafe bedroht sind, sofern diese Gesetze nicht selbst Bestimmungen aufstellen. § 28 EG StGB bezieht sich indessen nur auf den Allgemeinen Teil des StGB und schliesst das OHG nicht ein. Daran ändert auch nichts, dass das kantonale Recht in dem Fall, wo es die Regeln des Allgemeinen Teils des StGB übernimmt, sich automatisch späteren Revisionen des Bundesrechts anschliesst (BGE 96 I 33): Das Opferhilferecht bildet weder einen Bestandteil noch auch nur eine Ergänzung des Strafgesetzbuches, sondern ist ein eigenständiges Gesetz, welches einerseits Ansprüche des Opfers begründet und andererseits ins Strafprozessrecht eingreift, nicht aber ins Strafrecht; das OHG besteht letztlich aus drei Teilen, nämlich dem strafprozessualen Bereich, dem Bereich der Sozialhilfe (Beratung) und dem Bereich des staatlichen Leistungsrechts (Entschädigung und Genugtuung; Gomm/Stein/Zehntner, Kommentar zum Opferhilfegesetz, Bern 1995, Vorbemerkungen zu Art. 1 und 2 OHG, N 12 f.). Damit aber fehlt es einerseits an einer bundesrechtlichen Bestimmung und andererseits an einer kantonalen Gesetzesvorschrift, welche das OHG für den Bereich des kantonalen Strafrechts für anwendbar erklären würde.

b) Selbst wenn dies indessen der Fall wäre, schliesst der Charakter des von Y begangenen Delikts die Anwendung des OHG aus: Der Verstoss gegen Brandschutzvorschriften ist ein reines Gefährdungsdelikt, welches definitionsgemäss keine Beeinträchtigung eines Rechtsgutes beinhaltet, so dass es in der Regel vom Anwendungsbereich des OHG ausgeschlossen ist (BBl 1990 II 977; Weishaupt, Die verfahrensrechtlichen Bestimmungen des Opferhilfegesetzes, Diss. Zürich 1998, S. 29 und 36 f.). Zwar gibt es von diesem Grundsatz Ausnahmen, wie etwa dann, wenn die Gefährdung eine Beeinträchtigung der vom Tatbestand (mit-)geschützten psychischen Integrität in der für die Begründung der Opferstellung vorausgesetzten Intensität bewirkt. So kann dem Betroffenen ausnahmsweise Opfereigenschaft zuerkannt werden, zum Beispiel bei der Verursachung eines schweren Schocks durch eine Lebensgefährdung im Sinn von Art. 129 StGB oder bei einer Drohung (Weishaupt, S. 36 f. und Anm. 206). Ein solcher Zusammenhang ist im vorliegenden Fall indessen zu verneinen, da Art. 2 Abs. 1 OHG voraussetzt, dass es sich bei der Beeinträchtigung der körperlichen, sexuellen und psychischen Integrität um eine Folge der Straftat handelt, und zwar um eine unmittelbare Folge (vgl. Weishaupt, S. 32 f.). An einem solchen Zusammenhang fehlt es im vorliegenden Fall gerade, wie die Vorinstanz zu Recht ausführte: Es besteht keinerlei Kausalzusammenhang zwischen dem vorschriftswidrig im Raum aufgestellten Gasbrenner und dem Brandausbruch; vielmehr besteht lediglich die blosse Möglichkeit, dass der Gasbrenner, wäre er in Betrieb gewesen, die brennbare Beschleunigungsflüssigkeit entzündet hätte, wobei selbst nach den Angaben von X völlig unklar ist, ob der Gasbrenner überhaupt in Betrieb war.

c) Damit steht fest, dass die von X aus OHG geforderten Ansprüche nicht an die Straftat anknüpfen können, derentwegen Y verurteilt wurde.

3. Zu prüfen ist im Weiteren, ob unabhängig von der Verurteilung von Y seitens des X Leistungen aus OHG verlangt werden können.

a) X macht geltend, aus dem Umstand, dass das Gesetz ausdrücklich einen Entschädigungs- oder Genugtuungsanspruch unabhängig davon stipuliere, ob der Täter ermittelt worden sei und ob er schuldhaft gehandelt habe, ergebe sich, dass der Richter - wenn er den Anspruch aus dem OHG nicht im Strafverfahren gegen den möglichen Straftäter behandle - vorfrageweise die mögliche Straftat nach OHG rechtlich zu qualifizieren habe; dies gelte im vorliegenden Fall umso mehr, als X im Strafverfahren keine Möglichkeit gehabt habe, im Strafverfahren mitzuwirken.

Der Adhäsionsrichter ist grundsätzlich an seine eigenen Feststellungen gebunden; diese Regel gilt auch dann, wenn er bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen des OHG das Opfer an das Zivilgericht verweist: Sofern das Opfer seine Zivilansprüche im Strafverfahren geltend gemacht hat, ist demnach der Strafrichter im Adhäsionsverfahren oder der Zivilrichter im Verfahren nach Art. 9 Abs. 3 OHG von Bundesrechts wegen an das Urteil des Strafrichters im rechtlichen Sinn gebunden (BGE 120 Ia 108). Dieser Grundsatz kann indessen offensichtlich dann nicht gelten, wenn das Opfer keine Möglichkeit hatte, sich am Strafverfahren zu beteiligen, wie das im vorliegenden Fall gestützt auf Art. 9 Abs. 4 OHG i.V.m. § 54a Abs. 2 StPO der Fall ist. Das Obergericht ist demgemäss an die rechtliche Würdigung der in Frage stehenden Straftat durch das Bezirksamt in diesem Verfahren betreffend Ansprüche aus OHG nicht gebunden.

b) X macht geltend, die Feuersbrunst sei strafrechtlich von Y zu vertreten. Der Sachverhalt, weswegen Y verurteilt worden sei, stehe in einem Zusammenhang zur schweren Körperverletzung des Opfers; jedenfalls sei erstellt, dass es ohne die Sorgfaltspflichtverletzung von Y nicht zum Brand hätte kommen können, umso mehr, als dieser es zu vertreten habe, dass ein "offener" Gasofen überhaupt in der Werkstatt aufgestellt worden sei. Als möglicher Straftatbestand, welcher gegenüber Y hätte zur Anwendung kommen können, wird die fahrlässige schwere Körperverletzung genannt.

Gerade mit Bezug auf diesen Straftatbestand fehlt es indessen am adäquaten Kausalzusammenhang, nachdem nach wie vor nicht klar ist, ob der Gasbrenner überhaupt in Betrieb war, und ob er gegebenenfalls nicht von X selbst in Betrieb genommen wurde. Abgesehen davon sagte X anlässlich der Brandermittlungen bei der Polizei aus, er glaube, dass eine Verstopfung am Mischkopf eingetreten sei und zum Bersten eines Schlauches geführt habe, worauf sich die austretende Flüssigkeit entzündet habe; vermutlich hätten am Mischkopf Funken bestanden, die die Flüssigkeit entzündet hätten. Damit fehlt es nicht nur an einer Täterschaft von Y, sondern schon am Nachweis, dass überhaupt eine Straftat begangen wurde.

c) X verkennt in diesem Zusammenhang die Beweisdichte, die als Voraussetzung für Leistungen nach OHG gegeben sein muss. Bei den als Beratung beanspruchten Hilfen (Art. 3 ff. OHG) muss es - entsprechend ihrem Charakter als Soforthilfen - genügen, wenn eine Person ihre Opferstellung glaubhaft macht und eine die Opfereigenschaft begründende Straftat in Betracht fällt; dasselbe gilt auch für die Leistung eines Kostenvorschusses gemäss Art. 15 OHG (Weishaupt, S. 44; BGE 122 II 216 und 321, 121 II 119). Da die Abklärung der Voraussetzungen einer Straftat erst Gegenstand des Strafverfahrens bildet, ist im Bereich des Strafprozesses (Art. 5 ff. OHG) das OHG anzuwenden, sobald eine die Opferstellung begründende Straftat im Sinn eines tatbeständlichen und rechtswidrigen Verhaltens in Betracht fällt und deswegen ein Strafverfahren eröffnet wird (Weishaupt, S. 45; BGE 122 II 216, 321). Anders verhält es sich dagegen bei den Ansprüchen auf Entschädigung und Genugtuung gemäss Art. 11 - 14 OHG: Da es sich dabei um die definitive Zusprache von staatlichen Leistungen (Entschädigung und Genugtuung) handelt, müssen alle anspruchsbegründenden Voraussetzungen erfüllt sein; es genügt daher im Gegensatz zu den Voraussetzungen für die Ausübung der Rechte im Strafverfahren und die Beanspruchung der Hilfe gemäss Art. 3 OHG nicht, dass eine entsprechend qualifizierte Straftat bloss in Betracht kommt (Weishaupt, S. 45; BGE 122 II 216). Faktisch bedeutet dies, dass die blosse Glaubhaftmachung nicht genügt, sondern ein Nachweis erfolgen muss, dass eine Straftat vorliegt; daran fehlt es im vorliegenden Fall offensichtlich.

Das Bundesgericht hat immerhin die Frage offen gelassen, ob an den Nachweis der Straftat ausnahmsweise weniger strenge Anforderungen als in einem Straf- oder Zivilverfahren zu stellen sind, wenn auch die Ausschöpfung aller möglichen und zumutbaren Beweismittel einen schlüssigen Beweis nicht erbringen kann (BGE 122 II 216). Es mag zutreffen, dass solche Erleichterungen der Mindestanforderungen, die an den Beweis gestellt werden, im Bereich des Opferhilferechts in Einzelfällen zugelassen werden müssen. Dabei wird es indessen nicht möglich sein, noch unter den im Sozialversicherungsrecht üblichen Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit zu gehen, wonach der Richter jener Sachverhaltsdarstellung zu folgen hat, die er von allen möglichen Geschehensabläufen als die wahrscheinlichste würdigt (BGE 117 V 379, 115 V 142, 113 V 312 und 322). Auch nach diesen Grundsätzen genügt indessen die blosse Möglichkeit, dass sich ein bestimmter Sachverhalt verwirklicht hat, nicht (vgl. Maurer, Bundessozialversicherungsrecht, 2.A., S. 423; Locher, Grundriss des Sozialversicherungsrechts, Bern 1994, S. 308).

4. Aus diesen Gründen erweist sich die Berufung als aussichtslos, weshalb das Gesuch um unentgeltliche Prozessführung abzuweisen ist.

Präsident des Obergerichts, 12. Oktober 2000, SBO.2000.12


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