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RBOG 2000 Nr. 30

Im Adhäsionsverfahren ist bei der Festlegung der Parteientschädigung des mit dem Verurteilten verwandten Opfers, dessen Genugtuungsforderung überhöht war, § 75 Abs. 2 und 3 ZPO analog anwendbar


§ 58 Abs. 1 StPO, § 58 Abs. 2 StPO, § 75 Abs. 2, 3 ZPO


1. Die Bezirksgerichtliche Kommission sprach X der sexuellen Handlungen mit einem Kind schuldig. Sie verpflichtete X, seiner Tochter als Opfer Fr. 1'500.-- Schadenersatz sowie eine Genugtuung von Fr. 4'000.-- zu bezahlen. Im Übrigen stellte das Gericht fest, X hafte dem Opfer für allfälligen weiteren Schaden. Einen Entschädigungsanspruch des Opfers für die anwaltliche Vertretung verneinte das Gericht mit der Begründung, dass dem Begehren um Genugtuung lediglich im Umfang von einem Drittel entsprochen worden sei.

Dagegen erhoben das Opfer und seine Mutter Beschwerde mit dem Antrag, X habe seine Tochter für das Strafverfahren mit Fr. 2'127.50 zu entschädigen.

2. a) Gestützt auf § 58 StPO hat der Angeschuldigte die Verfahrenskosten ganz oder teilweise zu tragen, sofern er einer strafbaren Handlung schuldig erklärt wird oder durch Verletzung gesetzlicher Pflichten Anlass für ein Strafverfahren gegeben oder dessen Durchführung erschwert hat. In diesen Fällen hat er auch die notwendigen Kosten des Geschädigten in angemessenem Umfang zu ersetzen und seine eigenen zu tragen.

b) Gemäss ständiger, vom Bundesgericht bestätigter Praxis (Bundesgerichtsurteil 6P.88/1991 vom 10. April/22. Mai 1992, S. 17) werden Parteientschädigungen für Geschädigte und Opfer im Adhäsionsprozess nicht nach dem Streitwert festgelegt, sondern nach dem Aufwand (RBOG 1996 Nr. 37 S. 191). Obsiegt der Geschädigte im Adhäsionspunkt, hat er Anspruch auf Ersatz seiner Kosten und Umtriebe, die einerseits mit der Wahrung seiner strafprozessualen Verfahrensrechte, andererseits aber besonders durch die Geltendmachung seiner zivilrechtlichen Ansprüche entstanden sind. Wird die Zivilklage abgewiesen, bleibt der Entschädigungsanspruch des Geschädigten für seine strafprozessualen Umtriebe an sich erhalten (Donatsch/Schmid, Kommentar zur Strafprozessordnung des Kantons Zürich, Zürich 1999, § 192 N 64 ff.). So bestimmt § 58 Abs. 2 StPO, dass in Fällen, in welchen der Angeschuldigte einer strafbaren Handlung schuldig erklärt wird, er die notwendigen Kosten des Geschädigten in angemessenem Umfang zu ersetzen hat. Was unter dem Begriff "notwendige Kosten" zu verstehen ist, wird im Gesetz nicht ausgeführt. Gemeinhin wird angenommen, Aufwendungen für die private Vertretung seien gerechtfertigt, wenn der Geschädigte als Strafkläger durch seine Mitwirkung massgeblich zur Abklärung einer Strafsache und zur Verurteilung des Angeschuldigten beitrug, namentlich durch die Beschaffung von wesentlichen Beweisen oder Benennung von zusätzlichen wichtigen Zeugen. Auch kann etwa die sorgfältige Mandatsausübung in einem Zivilprozess von grosser Tragweite erfordern, dass der Anwalt des Geschädigten schon im Strafverfahren einlässlich tätig wird (Hansjakob, Kostenarten, Kostenträger und Kostenhöhe im Strafprozess am Beispiel des Kantons St. Gallen, Diss. St. Gallen 1988, S. 110 f.; Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht, AT, 5.A., § 2 N 39). In Bagatellstreitigkeiten, mithin Übertretungsstrafsachen, ist eine Entschädigung für die Kosten der Vertretung des Strafklägers nur ausnahmsweise gerechtfertigt, wenn beispielsweise die Folgen für den Kläger bei Freispruch des Angeschuldigten gewichtig sind (Hansjakob, S. 112; vgl. ZR 77, 1978, Nr. 16, 1970, Nr. 68 sowie 69, 1969, Nr. 63). Soweit Aufwendungen für das Untersuchungsverfahren geltend gemacht werden, geht das Bundesgericht davon aus, die Vertretung des Geschädigten in der Strafuntersuchung erweise sich in aller Regel als relativ einfach, weshalb ein durchschnittlicher Bürger in der Lage sein sollte, seine Interessen als Geschädigter selbst wahrzunehmen (BGE 116 Ia 460 f.; Oberholzer, Grundzüge des Strafprozessrechts, Bern 1994, S. 194 f.). Aus diesem Grund kann derjenige, welcher die Strafanzeige von einem Anwalt abfassen lässt, ohne sich weiter am Verfahren zu beteiligen, dafür in der Regel ebenso wenig eine Entschädigung verlangen, wie auch die mit der Einreichung einer privaten Strafklage verbundenen Aufwendungen im Allgemeinen unberücksichtigt bleiben, weil es sich nicht um besondere Umtriebe handelt (Hansjakob, S. 110 und 112; RBOG 1996 Nr. 35).

3. Streitig ist, inwiefern ein Entschädigungsanspruch des Opfers für dessen anwaltliche Vertretung besteht, wenn es mit seinem Begehren um Genugtuung nur teilweise durchgedrungen ist. Es ist daher zu entscheiden, ob für diesen Fall auf die Regelung in der ZPO zurückgegriffen werden soll.

a) Im Zivilprozess werden die Kosten in der Regel anteilsmässig verlegt, soweit das Verfahren nicht vollständig zugunsten einer Partei ausgeht oder eine Partei unnötige Kosten verursacht hat. In Streitigkeiten aus Familienrecht oder unter nahen Verwandten kann das Gericht die Kosten anders verlegen (§ 75 Abs. 2 und 3 ZPO).

Die Vorinstanz verpflichtete den Beschwerdegegner, der Beschwerdeführerin Fr. 1'560.-- Schadenersatz sowie eine Genugtuung von Fr. 4'000.-- zu bezahlen. Im Übrigen stellte sie fest, dass der Beschwerdegegner dem Opfer gegenüber für allfälligen weiteren Schaden hafte. Die Beschwerdeführerin unterlag daher mit Bezug auf die verlangte Genugtuung von Fr. 12'000.-- teilweise. Damit ist davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin, da ihr dem Grundsatz nach eine Genugtuung zugesprochen und auch die generelle Schadenersatzpflicht festgestellt wurde, mehrheitlich obsiegte, zumal der Beschwerdegegner sowohl die Abweisung des Schadenersatz- als auch des Genugtuungsbegehrens beantragt hatte.

b) Nach der - auf den Adhäsionsprozess nicht einfach zu übertragenden - Regel von § 75 Abs. 2 ZPO müssen die Kosten grundsätzlich anteilsmässig verlegt werden. Allerdings darf, wie der Formulierung, wonach die unterliegende Partei "in der Regel" die Kosten trägt, entnommen werden kann, auch im Zivilprozess von einer Kostenverlegung nach Obsiegen abgewichen werden. Als möglicher Grund einer anderen Kostenverlegung kann beispielsweise das Obsiegen und Unterliegen in der grundsätzlichen Frage betrachtet werden (Frank/Sträuli/Messmer, Kommentar zur zürcherischen Zivilprozessordnung, 3.A., § 64 N 16). So kann unter Umständen der Tatsache, dass die Festlegung von Genugtuungsforderungen vom richterlichen Ermessen abhängig ist und daher für die Parteien ein erhöhtes Risiko für eine Überforderung besteht, Rechnung getragen werden (vgl. Leuch/Marbach/Kellerhals/Sterchi, Die Zivilprozessordnung für den Kanton Bern, 5.A., Art. 58 N 7a). Ist daher bereits im Zivilprozess die Möglichkeit vorgesehen, von einer anteilsmässigen Verlegung der Kosten abzusehen, muss dies erst recht bei der analogen Anwendung von § 75 Abs. 2 ZPO auf das Adhäsionsverfahren gelten. Bei einer Adhäsionsklage ist ausserdem der Faktor zu berücksichtigen, dass die Parteientschädigung nicht nach dem Streitwert, sondern nach dem Aufwand festgelegt wird.

c) Zwar war die Genugtuungsforderung der Beschwerdeführerin offensichtlich überhöht; dass dem Gericht oder der Gegenpartei aber dadurch bezüglich der Festlegung der Genugtuung ein Mehraufwand entstanden wäre, ist nicht ersichtlich. Angesichts der Tatsache, dass der Beschwerdeführerin dem Grundsatz nach eine Genugtuung zugesprochen und auch die generelle Schadenersatzpflicht des Vaters ihr gegenüber festgestellt wurde, ist es gerechtfertigt, die Kosten X aufzuerlegen. Dabei darf mit Blick auf § 75 Abs. 3 ZPO bei der Kostenverlegung berücksichtigt werden, dass es sich beim Beschwerdegegner um den Vater der Beschwerdeführerin handelt. Abgesehen davon gehört es zu den allgemeinen Fürsorgepflichten der Eltern, ihrem Kind im Rahmen ihrer finanziellen Mittel für ein Gerichtsverfahren Beistand zu leisten und ihm zu einer Rechtsverbeiständung zu verhelfen, soweit dies zur Wahrung seiner Rechte notwendig ist (BGE 119 Ia 134).

Obergericht, 3. Juli 2000, SW.2000.9


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