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RBOG 2002 Nr. 5

Schicksal eines Eheschutzbegehrens, wenn sich die Parteien anlässlich ihrer Anhörung auf ein gemeinsames Scheidungsbegehren einigen


Art. 137 Abs. 2 (Art. 145 aZGB) ZGB, Art. 176 ZGB, § 172 Ziff. 3a ZPO, § 172 Ziff. 8 ZPO


1. In einem vom Ehemann eingeleiteten Eheschutzverfahren beantragte die Ehefrau in der Gesuchsantwort Unterhaltsbeiträge. Anlässlich der Eheschutzverhandlung/persönlichen Anhörung unterzeichneten die Parteien ein gemeinsames Begehren um Ehescheidung. In der Folge schrieb das Vizegerichtspräsidium das Eheschutzverfahren zufolge Gegenstandslosigkeit ab.

Die Ehefrau reichte Rekurs ein mit dem Begehren auf Verpflichtung des Ehemanns zu Unterhaltszahlungen. Dass die Vorinstanz das Eheschutzgesuch nicht behandelt habe, stelle eine Rechtsverweigerung dar. Sie habe bis zur Rechtshängigkeit der Scheidungsklage Anspruch auf Unterhaltsleistungen.

2. Strittig ist, ob die Abschreibungsverfügung des Vizegerichtspräsidiums zu Recht erging. Die Vorinstanz bejaht dies mit dem Hinweis darauf, die Parteien hätten sich auf ein gemeinsames Scheidungsbegehren geeinigt. Die Ehefrau habe ihrerseits gar kein Eheschutzgesuch eingereicht, so dass sie durch die Abschreibung des Verfahrens nicht beschwert sei.

a) Wie der Kläger an der Klage bzw. der Gesuchsteller an seinem Gesuch muss auch der Rechtsmittelkläger am Rechtsmittel interessiert sein, was zutrifft, wenn er mit seinem Rechtsbegehren nicht oder nicht vollumfänglich durchgedrungen, durch den Entscheid somit beschwert ist. Die Zulässigkeit eines Rechtsmittels setzt folglich eine Beschwer und ein Rechtsschutzbedürfnis voraus (BGE 116 II 729; RBOG 1989 Nr. 38). Ein Rechtsschutzinteresse fehlt der Partei, die durch eine Entscheidung nicht betroffen oder nicht benachteiligt ist. Der von der Partei angestrebte Entscheid muss ferner geeignet sein, ihr den gewünschten Erfolg zu verschaffen (Merz, Die Praxis zur thurgauischen Zivilprozessordnung, Bern 2000, Rechtsmittel, Allgemeines N 4a).

b) Die Vorinstanz weist zu Recht darauf hin, der Ehemann habe in seinem Eheschutzgesuch keine konkreten Anträge gestellt. Dagegen äusserte sich die Ehefrau in ihrer Stellungnahme innert der durch die Vorinstanz angesetzten Frist detailliert zu allen zu regelnden Aspekten, nämlich zur Aufhebung des gemeinsamen Haushalts, zur Kinderzuteilung sowie den Unterhaltsbeiträgen. In ihrer Eingabe bezeichnete sie sich ausdrücklich als Gesuchstellerin. Dass sie ihre Anträge im Lauf der Eheschutzverhandlung/Anhörung zurückzog, ergibt sich weder aus dem entsprechenden Protokoll noch wird dies seitens der Vorinstanz oder des Ehemanns geltend gemacht. Hingegen einigten sich die Parteien bei jener Gelegenheit auf ein gemeinsames Scheidungsbegehren. Dies bedeutete jedoch nicht, dass die im Eheschutzverfahren von der Ehefrau gestellten Anträge hinfällig wurden; die Anhängigmachung der Scheidungsklage bewirkte einzig, dass nunmehr nicht mehr der Eheschutzrichter für die Regelung der Verhältnisse zuständig war - eine Konsequenz, die bereits unter der Herrschaft des bis Ende 1999 geltenden Scheidungsrechts Geltung hatte und durch die Revision keine Änderung erfuhr.

Verändert haben sich zwischenzeitlich indessen die Kompetenzen des Massnahmerichters. Für Anordnungen, die den Zeitraum vor Einreichung eines Scheidungsbegehrens betrafen, war nach altem Recht ausschliesslich der Eheschutzrichter zuständig, wobei dessen Entscheid aber auch für die Dauer des Scheidungsverfahrens Rechtswirkungen entfalten konnte. Nach neuem Scheidungsrecht ist der Massnahmerichter nicht mehr bloss befugt, einer Partei ab Rechtshängigkeit der Scheidungsklage Unterhaltsbeiträge zuzusprechen; solche können im Massnahmeverfahren nun auch für das Jahr vor Einreichung des Begehrens gefordert werden. Dies wird nicht nur in Art. 137 Abs. 2 Satz 4 ZGB ausdrücklich festgehalten, sondern ergibt sich auch aus der Verweisung auf die sinngemässe Anwendung der Bestimmungen über den Eheschutz (Art. 173 i.V.m. Art. 176 Ziff. 1 ZGB). Damit hat der Gesetzgeber - dem Grundsatz der Prozessökonomie folgend - die Zuständigkeit des Massnahmerichters anstelle des Eheschutzrichters begründet, rückwirkend für eine gewisse Zeitspanne vor Anhängigmachung des Scheidungsverfahrens Unterhaltsbeiträge zusprechen zu können (Leuenberger, in: Praxiskommentar Scheidungsrecht [Hrsg.: Schwenzer], Basel/Genf/München 2000, Art. 137 ZGB N 10; vgl. auch Bräm/Hasenböhler, Zürcher Kommentar, Art. 180 ZGB N 4 f.; Hinderling/Steck, Das schweizerische Ehescheidungsrecht, 4.A., S. 532; BGE 101 II 2 f.).

c) In der hier zu beurteilenden Streitsache hätte der Eheschutzrichter somit, nachdem sich die Parteien über die vom Ehemann zu entrichtenden Unterhaltszahlungen nicht einig waren, entweder bezüglich dieses Aspekts das Eheschutzverfahren fortsetzen und einen Entscheid fällen oder aber den Streitpunkt dem Massnahmerichter unterbreiten müssen. Nachdem das Vizegerichtspräsidium für die Beurteilung sowohl von Eheschutz- als auch von Massnahmebegehren zuständig ist (§ 172 Ziff. 3a und 8 ZPO), der Eheschutz- und der Massnahmerichter somit personell identisch sind, wird das Eheschutzbegehren in aller Regel formlos als Massnahmebegehren weiterbehandelt; denkbar ist indessen auch, dass der Eheschutzrichter das Verfahren, sei es mit einer Aktennotiz, sei es mit einem formellen (kostenlosen) Entscheid unter Hinweis, dass das Verfahren nunmehr als Massnahmeverfahren im Scheidungsprozess weitergeführt wird, abschliesst. Unzulässig ist es hingegen, das Eheschutzverfahren unter Verzicht auf jedwelche weitere Schritte abzuschreiben und Rechtsbegehren der einen oder anderen Partei unberücksichtigt zu lassen. Daran ändert nichts, dass die Rekurrentin zwischenzeitlich offenbar ein Massnahmebegehren einreichte. Unbekannt ist, ob sich ihre Anträge auch auf die Zeit vor Einreichung des gemeinsamen Scheidungsbegehrens beziehen. Ist dies der Fall, wäre der im Eheschutzgesuch gestellte Antrag auf Bezahlung von Unterhaltsbeiträgen gegenstandslos; beantragte die Rekurrentin hingegen im Massnahmeverfahren erst ab Klageerhebung die Zusprechung von Unterhaltsbeiträgen, müsste festgestellt werden, dass das von ihr im Eheschutzverfahren gestellte Begehren um Alimente ab Datum der Hängigkeit des Eheschutzverfahrens nunmehr im Rahmen des Massnahmeverfahrens zu behandeln ist.

Obergericht, 18. November 2002, ZR.2002.114


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