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RBOG 2004 Nr. 20

Verweigerung der Rechtsöffnung wegen Rechtsmissbrauchs


Art. 82 SchKG, Art. 2 Abs. 2 ZGB


1. Am 6. September 2000 trafen X und die Y AG die folgende Vereinbarung:

1.-3. (Vereinbarung von Teilzahlungen)

4. Sollte X eine Teilzahlung gemäss den vorstehenden Ziffern 1 3 nicht fristgerecht leisten, so wird er durch den Vertreter der Y AG ... mit eingeschriebenem Brief zwei Mal gemahnt unter Ansetzung einer Zahlungsfrist von je zwanzig Tagen. Die Mahngebühr beträgt je Mahnung Fr. 50.-- und ist mit der gemahnten Teilzahlung zu bezahlen.

5./6. ...

7. Im Sinn einer Verfallklausel vereinbaren die Parteien, dass X der Y AG den Betrag von Fr. 100'000.-- abzüglich bereits geleisteter Teilzahlungen (in bar und in WIR, WIR zu 100% angerechnet) schuldet und dieser Restbetrag sofort zur Rückzahlung fällig wird, sollte eine Teilzahlung inkl. Mahngebühr im Sinn der vorstehenden Ziffern 1-4 nicht fristgerecht geleistet werden.

Im Juni 2003 betrieb die Y AG X gestützt auf Ziff. 7 und verlangte Rechtsöffnung für Fr. 25'000.-- nebst Zins. Das Gerichtspräsidium verweigerte die Rechtsöffnung, worauf die Y AG Rekurs erhob.

2. Unter den Parteien ist unbestritten, dass der Rekursgegner die Gebühren für die Mahnungen im Mai 2002 bis heute nicht zahlte. Demnach liegt eine Verletzung von Ziff. 7 der Vereinbarung vor, und entsprechend sind sich die Parteien auch darüber einig, dass die provisorische Rechtsöffnung grundsätzlich zu erteilen ist.

3. Die Vorinstanz verweigerte indessen die Rechtsöffnung, weil die Rekurrentin rechtsmissbräuchlich vorgegangen sei.

a) Nach Art. 2 Abs. 2 ZGB findet der offenbare Missbrauch eines Rechts keinen Rechtsschutz. Eine Erscheinungsform von Rechtsmissbrauch stellt die verzögerte Rechtsausübung dar (Merz, Berner Kommentar, Art. 2 ZGB N 512 ff.). Die Tatbestände der Verwirkung fassen die Fälle unzulässiger Rechtsausübung wegen widersprüchlichen Verhaltens zusammen, in denen der Zeitablauf eine massgebende, für sich allein aber nicht ausschlaggebende Rolle spielt. Der Rechtsinhaber setzt sich durch die heutige Rechtsausübung in Widerspruch zu seiner früheren Untätigkeit (Merz, Art. 2 ZGB N 512). Blosses Zuwarten mit der Rechtsausübung begründet allerdings keinen Rechtsmissbrauch (BGE 127 III 513), sonst würde das Institut der Verjährung ausgehöhlt (Merz, Art. 2 ZGB N 522). Die Verwirkung ist als ausserordentlicher Rechtsbehelf daher nur mit grosser Zurückhaltung und nur, wenn besondere Umstände es rechtfertigen, anzunehmen (Merz, Art. 2 ZGB N 515). So müssen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Zeitablauf weitere Umstände hinzutreten, welche die Rechtsausübung mit der früheren Untätigkeit des Berechtigten in einem unvereinbaren Widerspruch erscheinen lassen (BGE 125 I 19). Die verzögerte Rechtsausübung kann durch verschiedene Umstände gerechtfertigt werden, so dass die Verwirkung nicht eintritt. Insbesondere darf mit der Rechtsausübung zugewartet werden, bis die Bedeutung und Tragweite der Verletzung feststehen. In allen Fällen zu rechtfertigender Verzögerung ist jedoch eine Verwarnung des Verletzers oder ein anderer Vorbehalt der Ansprüche angezeigt (Merz, Art. 2 ZGB N 537 f.).

b) aa) Auszugehen ist davon, dass der Rekursgegner die Ende März 2002 fällig gewordene Rate über Fr. 500.-- nicht bezahlte. Nach Massgabe von Ziff. 4 der Vereinbarung mahnte die Rekurrentin den Rekursgegner daraufhin das erste Mal am 16. April 2002 und das zweite Mal am 10. Mai 2002, wobei sie ihm je eine Zahlungsfrist von 20 Tagen ansetzte und ausserdem auf die anfallenden Mahngebühren hinwies. In der Folge zahlte der Rekursgegner die ausstehende Rate, während die Mahngebühren unbezahlt blieben. Während die Rekurrentin bei den sonstigen Zahlungsverzügen des Rekursgegners diesem jeweils innert weniger Tage nach dem Eintritt des Verzugs Mahnungen zukommen liess, erfolgte nach der nicht fristgerechten Zahlung der Mahngebühren Ende Mai/Anfang Juni 2002 seltsamerweise keinerlei Reaktion. Vielmehr ist als nächstes Schreiben erst die Geltendmachung des Betrags von Fr. 25'000.-- zuzüglich der ausstehenden Mahngebühren gestützt auf Ziff. 7 der Vereinbarung ausgewiesen, das erst annähernd zwei Jahre später, nämlich am 30. April 2004, verfasst wurde. Vielsagend ist in diesem Zusammenhang die offensichtlich unzutreffende Behauptung der Rekurrentin, die Vorinstanz habe falsch gelegen, wenn sie ihr vorwerfe, sich nicht sofort auf die Vertragsverletzung berufen zu haben; aus den ins Recht gelegten Schreiben sei ersichtlich, dass dem Rekursgegner jeweils unverzüglich angezeigt worden sei, dass seine Leistung nicht gemäss der Vereinbarung erfolgt sei. Eine entsprechende Mahnung oder eine Anzeige, dass sich die Rekurrentin die Geltendmachung der aus Ziff. 7 der Vereinbarung fliessenden Ansprüche vorbehalte, erfolgte nämlich nachweislich gerade nicht, denn es wurde kein entsprechendes Aktenstück eingereicht. Wenn die Rekurrentin im zweitinstanzlichen Verfahren aktenwidrig das Gegenteil behauptet, gesteht sie letztlich selber zu, dass auch sie diesem Umstand offenkundig ausschlaggebende Bedeutung zumisst. Sie liegt damit fraglos richtig, denn nachdem die Rekurrentin in den sonstigen Fällen von Verzug tatsächlich jeweils sofort mahnte, durfte der Rekursgegner in guten Treuen davon ausgehen, die Rekurrentin lasse die unbezahlten - und mit Blick auf die sonstige Abzahlungsverpflichtung ohnehin vollkommen vernachlässigbaren - Mahngebühren entweder gut sein oder werde sich mindestens nicht auf Ziff. 7 der Vereinbarung berufen. Dass die Rekurrentin dies dann knapp zwei Jahre später dennoch tat, ist somit als rechtmissbräuchlich zu werten, denn sie wartete mit der Geltendmachung eben gerade nicht einfach nur zu, sondern setzte sich durch das Absehen von einer sonst vollkommen üblichen Mahnung in offenkundigen und vor allen Dingen unvereinbaren Widerspruch zum früheren Verhalten.

bb) Der Grund für das rechtsmissbräuchliche Verhalten der Rekurrentin ist leicht durchschaubar, und er bestätigt den Rechtsmissbrauch eindrücklich. Hätte sie sich bereits im Juni 2002 auf Ziff. 7 der Vereinbarung berufen, so wären nicht nur wie heute Fr. 25'200.-- fällig geworden, sondern vielmehr Fr. 34'000.--, die zu zahlen der Rekursgegner aufgrund seiner - auch der Rekurrentin hinlänglich bekannten - finanziellen Lage nie und nimmer in der Lage gewesen wäre und für die fraglos ein Verlustschein resultiert hätte. Um einen Ausfall zu vermeiden, liess die Rekurrentin den Rekursgegner daher offensichtlich weiterhin seine monatlichen Ratenzahlungen abstottern, denn angesichts der dräuenden Ziff. 7 konnte sie davon ausgehen (was sich auch bestätigte), dass dies regelmässig geschehen werde. Dadurch nahm sie ab Juni 2002 bis zur vierzigsten Rate noch Fr. 9'000.-- ein, und erst als sie diese auf sicher hatte, machte sie mit Hinweis auf die noch ausstehenden Mahngebühren die Fr. 25'000.-- gemäss Ziff. 7 geltend. Damit bezweckte sie, die dem Rekursgegner "erlassenen" Fr. 25'000.-- wieder zu aktivieren und nach der Abzahlung von Fr. 75'000.-- dafür gegen den Rekursgegner vorzugehen.

Obergericht, 6. Oktober 2004, BR.2004.76


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