Skip to main content

RBOG 2005 Nr. 37

Kompetenzattraktion beim Obergericht bei einem sowohl gegen den Gerichtsvorsitzenden als auch gegen den Gerichtsschreiber gerichteten Ausstandsbegehren; keine Befangenheit im Verhältnis zu einer Partei im Fall einer Auseinandersetzung zwischen einem Gerichtsfunktionär und einem Zeugen


Art. 319 ff. OR, § 52 aZPO (TG), § 55 Ziff. 2 und 3 aZPO (TG)


1. Beim Einzelrichter X ist eine Forderungsklage gegen die Gesuchstellerin hängig.

2. a) Die Gesuchstellerin lässt beim Obergericht ein Ablehnungsbegehren gegen Gerichtspräsident X als Einzelrichter und Gerichtssekretär Y einreichen. Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgebracht, X und Y würden gemeinsam ein Advokaturbüro betreiben und somit den Berufsregeln gemäss BGFA unterstehen. Anwälte hätten namentlich jeden Konflikt zwischen den Interessen ihrer Mandanten und den Personen, mit denen sie geschäftlich oder privat in Beziehung stünden, zu meiden. In den Sachverhalt involviert sei weiter A, die von ihr im hängigen Forderungsprozess als Zeugin offeriert worden sei. A habe den Bürokollegen des Rechtsvertreters der Gesuchstellerin mit der Durchsetzung einer Forderung gegenüber Y beauftragt. Diese Forderung habe sich daraus ergeben, dass Y in einem Baurechtsverfahren ohne Auftrag und Ermächtigung als Vertreter von A aufgetreten sei. Dagegen sei eine Aufsichtsbeschwerde bei der Anwaltskammer des Kantons St. Gallen eingereicht worden. Demnach müsse Y in allen mit A zusammenhängenden Angelegenheiten als befangen, wenn nicht gar verfeindet gelten. Der Konflikt von Y übertrage sich auf X, der als Kanzleipartner mit Y in geschäftlicher Beziehung stehe.

b) X und Y beantragten die Abweisung des Ausstandsbegehrens. Gerichtspräsident X teilte mit, die Zeugin A sei ihm nicht persönlich bekannt, so dass er nicht wüsste, weshalb er ihr oder der Gesuchstellerin gegenüber befangen sein sollte. Gerichtssekretär Y reichte ein Schreiben der Anwaltskammer des Kantons St. Gallen ein und hielt fest, diese habe festgestellt, dass keine Anhaltspunkte für eine Verletzung des eidgenössischen oder kantonalen Anwaltsgesetzes vorlägen. Die Behauptungen, auf die sich die Gesuchstellerin stütze, seien tatsachenwidrig und haltlos. Alle in der Beschwerde an die Anwaltskammer erhobenen Vorwürfe hätten widerlegt werden können. Er kenne die Zeugin A nicht. Im fraglichen Bauverfahren sei es darum gegangen, dass ihn B als Vertreterin von 13 Einsprecherinnen mandatiert habe, wobei zu diesen 13 Personen auch A gehört habe. Seine Ansprechperson sei B gewesen. Wie sich die insgesamt 13 Einsprecherinnen untereinander organisiert hätten, sei ausserhalb seines Einfluss- und Verantwortungsbereichs gelegen. Dass A bezüglich seines Vertretungsverhältnisses anderer Ansicht gewesen sei, laste er ihr nicht persönlich an; er sehe deshalb keine Veranlassung, gegenüber A befangen zu sein.

3. a) Über ein bestrittenes Ausstandsbegehren gegen den Gerichtspräsidenten als Einzelrichter entscheidet gemäss § 55 Ziff. 2 ZPO das Obergericht; richtet sich das Begehren gegen den Schreiber einer Gerichtsbehörde, so entscheidet diese selbst (§ 55 Ziff. 3 ZPO).

b) Diese Regelung ist nicht auf den Fall zugeschnitten, dass gleichzeitig ein Ausstandsbegehren sowohl gegen den Einzelrichter als auch gegen den Gerichtsschreiber erhoben wird und sich dieses bezüglich beider Funktionäre auf denselben Lebenssachverhalt abstützt. In dieser Konstellation hätte bei gleichzeitiger Geltendmachung der Ausstandsbegehren gemäss § 55 Ziff. 2 ZPO vorerst das Obergericht über den Ausstand des Einzelrichters zu befinden, während das gegen den Schreiber gerichtete Begehren zufolge des sofortigen Ausstands des Einzelrichters (vgl. RBOG 1990 Nr. 25) vorderhand unbehandelt bliebe. Erst nach dem Beschluss des Obergerichts könnte über dieses Gesuch je nach Ausgang des Verfahrens vor Obergericht durch den Einzelrichter oder dessen Stellvertreter entschieden werden. Dabei liegt auf der Hand, dass dieser Entscheid gleich ausfallen würde wie der Beschluss des Obergerichts, da derselbe Sachverhalt zu entscheiden wäre und gegen die Verfügung nach § 55 Ziff. 3 ZPO ausserdem der Rekurs an das Obergericht zulässig ist (§ 234 Ziff. 6 ZPO). Bei dieser Sachlage ist es daher einzig sachgerecht, für beide Begehren eine Kompetenzattraktion beim Obergericht zu begründen.

4. Ein Gerichtsschreiber oder Richter kann gemäss § 52 ZPO abgelehnt werden, wenn andere als die in § 51 ZPO genannten Umstände vorliegen, die ihn als befangen erscheinen lassen. Voreingenommenheit ist gegeben, wenn Umstände gegeben sind, die geeignet sind, Misstrauen in die Unparteilichkeit des Richters zu erwecken. Für die Ablehnung muss nicht nachgewiesen werden, dass der Richter tatsächlich befangen ist. Es genügt vielmehr bereits der objektiv gerechtfertigte Anschein, die für ein gerechtes Urteil notwendige Offenheit des Verfahrens sei nicht mehr gewährleistet. Dabei kann allerdings nicht auf das subjektive Empfinden einer Partei abgestellt werden. Das Misstrauen gegenüber einem Richter muss vielmehr wegen gewisser Umstände oder eines bestimmten, den Verdacht der Parteilichkeit erweckenden Verhaltens in objektiver Weise begründet erscheinen; blosse Befürchtung der Befangenheit genügt nicht. Massgebend ist, ob vom Standpunkt der betroffenen Partei aus genügend objektive Gründe vorliegen, die in den Augen eines vernünftigen Menschen geeignet sind, berechtigte Zweifel an der Unparteilichkeit zu hegen (Merz, Die Praxis zur thurgauischen Zivilprozessordnung, Bern 2000, § 52 N 1; vgl. BGE 126 I 73).

5. a) Dreh- und Angelpunkt der Rüge der Befangenheit ist A. Sie steht in einem Arbeitsverhältnis zur Gesuchstellerin, die Beklagte in dem beim Einzelrichter hängigen Forderungsprozess ist und in jenem Verfahren A als Zeugin anmeldete. A liess gegen Y, den Büropartner von Rechtsanwalt X, bei der Anwaltskammer des Kantons St. Gallen eine Beschwerde einreichen; sie liess sich dabei durch den Büropartner des Rechtsanwalts der Gesuchstellerin vertreten. Rechtsanwalt Y wurde zur Hauptsache vorgeworfen, A und andere Personen in einer Bausache vor mehreren Instanzen ohne Mandat vertreten zu haben. Daneben machte A gegenüber Rechtsanwalt Y eine Schadenersatzforderung geltend. Y bezahlte diesen Betrag, allerdings offenbar nur, um eine bereits eingeleitete Betreibung und damit einen Eintrag im Betreibungsregister abzuwenden.

b) aa) Aufgrund dieses Sachverhalts steht von vornherein fest, dass die Rüge der Befangenheit gegenüber Gerichtspräsident X mit Bezug auf den Streit zwischen A und Y an den Haaren herbeigezogen ist. Auch der Hinweis, Gerichtspräsident X habe im Forderungsprozess gegen die Gesuchstellerin einen Beweisbeschluss zu einer nicht relevanten Frage gefällt, der von der Gesuchstellerin schwieriger zu beweisen sei als die tatsächlich massgebende Frage, ändert daran offenkundig nichts: Es war das Obergericht, das in Gutheissung einer Berufung der Gesuchstellerin die Vorinstanz und damit Gerichtspräsident X als Einzelrichter anwies, Beweis über die nun als unwichtig behauptete Frage abzunehmen.

bb) Mit Blick auf Gerichtssekretär Y ist eine Auseinandersetzung mit A erwiesen. Wohl konnte der Vorwurf, er habe A ohne Mandat vertreten, gegenüber der Anwaltskammer des Kantons St. Gallen entkräftet werden, sah diese doch mangels Anhaltspunkten für eine Verletzung des eidgenössischen oder kantonalen Anwaltsgesetzes von vornherein von der Eröffnung eines Disziplinarverfahrens ab. Indessen ist nicht bekannt, wie wenn überhaupt die Differenzen im Zusammenhang mit der von A geltend gemachten Schadenersatzforderung erledigt wurden. Eine solche Auseinandersetzung zwischen einem Gerichtsschreiber und einer Partei mag unabhängig davon, inwieweit die Vorwürfe zutreffen, objektiv durchaus den Anschein der Befangenheit rechtfertigen. Hier aber ist nicht das Verhältnis zwischen einem Gerichtsschreiber und einer Partei durch eine Auseinandersetzung belastet, sondern dasjenige zu einer Zeugin. In dieser Konstellation kann solange, als nicht eine Partei konkrete Anhaltspunkte geltend macht, die objektiv darauf schliessen lassen, dass die zwischen diesen Personen bestehenden Differenzen das Verhältnis des Gerichtsfunktionärs zu ihr belasten könnten, nicht von Befangenheit gegenüber der Partei ausgegangen werden. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, von welcher Partei der Zeuge offeriert wurde. Inwiefern die Tatsache, dass A bei der Gesuchstellerin arbeitet, Y dieser gegenüber befangen erscheinen lassen sollte, ist jedenfalls nicht ersichtlich und wurde auch nicht dargetan, genauso wenig, wie offen gelegt wurde, inwiefern zwischen A und der Gesuchstellerin neben dem geschäftlichen ein privates Verhältnis bestehen sollte.

Obergericht, 4. April 2005, ZPR.2005.3


JavaScript errors detected

Please note, these errors can depend on your browser setup.

If this problem persists, please contact our support.