Skip to main content

RBOG 2010 Nr. 7

Fortdauer der Unterhaltspflicht gestützt auf eine in der Schweiz ergangene Eheschutzverfügung trotz eines serbischen Scheidungsurteils


Art. 80 SchKG, Art. 137 ZGB, Art. 176 ZGB


1. Gestützt auf eine im Thurgau ergangene Eheschutzverfügung hob die Rekursgegnerin die Betreibung für Unterhaltsbeiträge an. Der Rekurrent anerkennt, dass er gemäss dieser Eheschutzverfügung für die Rekursgegnerin und die Tochter Unterhaltsbeiträge zu bezahlen hat(te). Er vertritt jedoch die Auffassung, mit dem in Serbien ausgefällten Scheidungsurteil sei diese Unterhaltspflicht dahingefallen.

2. a) Ob das Scheidungsverfahren in Serbien unter Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften durchgeführt wurde, kann offen bleiben. Die Rekursgegnerin anerkennt es immerhin in dem Sinn, dass sie die durch das Gemeindegericht in Serbien ausgesprochene Scheidung sowie die Zuteilung der elterlichen Sorge über die Tochter an sie und das Besuchsrecht des Rekurrenten akzeptiert. Im serbischen Scheidungsurteil wird die Zahlungspflicht des Rekurrenten nicht erwähnt.

b) Der Rekurrent geht zu Unrecht davon aus, durch das in Serbien ausgefällte Scheidungsurteil sei seine Zahlungspflicht aufgehoben worden. Nach serbischem Recht werden Unterhaltsanspruch und Ehescheidung getrennt beurteilt. Die Ehescheidung wird als Grundsatz in Art. 41 und im Detail sodann im 10. Teil "Verfahren in Zusammenhang mit Familienbeziehungen" des Familiengesetzes der Republik Serbien vom 24. Februar 2005 geregelt[1]. Das Scheidungsurteil beschränkt sich bei einvernehmlicher Scheidung auf die Feststellung der Scheidung als solche; in den Entscheid aufgenommen wird ferner die Vereinbarung der Ehegatten über die Ausübung des Elternrechts, sofern die Abmachung im besten Interesse des Kindes ist, sowie ihre Abrede über die Teilung des gemeinsamen Vermögens[2]. Ist die Scheidung strittig, ist das Gericht verpflichtet, mit dem Urteil in der Ehestreitsache über die Ausübung des Elternrechts zu entscheiden[3]. Ein Urteil, mit dem die Ehe einvernehmlich geschieden wurde, kann nur wegen wesentlicher Verletzungen der Bestimmungen über das Zivilprozessverfahren oder weil die einvernehmliche Scheidung unter Zwang oder im Irrtum geschlossen wurde, angefochten werden[4].

Das Unterhaltsrecht des Ehegatten ist im siebten Teil "Unterhalt" des Familiengesetzes geregelt[5]. Nach Art. 151 Abs. 1 Familiengesetz hat derjenige Ehegatte, der nicht genug Mittel für den Unterhalt hat und arbeitsunfähig oder arbeitslos ist, das Recht auf Unterhalt vom anderen Ehegatten im Verhältnis zu dessen Möglichkeiten. Der Unterhalt kann eine bestimmte oder unbestimmte Zeit dauern, nach Beendigung der Ehe aber nicht länger als fünf Jahre. Ausnahmsweise, wenn besondere Gründe den unterhaltsberechtigten Ehegatten an einer Arbeit hindern, kann der Unterhalt nach Ablauf dieser fünfjährigen Frist verlängert werden[6]. Kein Unterhalt ist mehr geschuldet, wenn der Unterhaltsberechtigte genügend Mittel für den Unterhalt erwirbt, der Unterhaltsschuldner die Möglichkeit zur Leistung des Unterhalts verliert oder diese Leistung für ihn offensichtlich ungerecht ist[7], oder wenn die unterhaltsberechtigte Person eine neue Ehe beziehungsweise nichteheliche Gemeinschaft eingeht[8]. Ist eine Scheidungsklage hängig, ist die Klage auf Unterhalt des Ehegatten spätestens bis zum Abschluss der Hauptverhandlung in der Ehestreitsache zu erheben. Ausnahmsweise kann der ehemalige Ehegatte, der aus berechtigten Gründen keine Unterhaltsklage in der Ehestreitsache erhoben hat, sie innerhalb der Frist eines Jahres vom Tag der Beendigung der Ehe beziehungsweise vom Tag an, an dem die letzte tatsächliche Leistung auf den Unterhalt erfolgte, anhängig machen[9].

Über die Scheidung eines Ehepaars und den Unterhaltsanspruch des einen Ehe­gatten gegenüber dem andern wird somit nach serbischem Recht in zwei voneinander unabhängigen, getrennten Verfahren entschieden. Dies erklärt, warum im Scheidungsurteil des serbischen Gemeindegerichts lediglich die Scheidung als solche und die Kinderbelange erwähnt werden. Glaubhaft ist auch der Hinweis der Rekursgegnerin, ihre Anwältin habe im Scheidungsverfahren keine Anträge hinsichtlich der Unterhaltsbeiträge gestellt, weil die Richterin gesagt habe, darüber würde das Gericht in der Schweiz entscheiden. Inzwischen machte die Rekursgegnerin denn auch im Kanton Thurgau eine Klage anhängig, mit welcher sie verlangt, das serbische Scheidungsurteil sei dahingehend zu ergänzen, dass ihr der Rekurrent persönlich rückwirkend Unterhaltsbeiträge zu bezahlen habe.

Kennt das serbische Recht eine gleichzeitige Regelung von Scheidung und Unterhaltsansprüchen nicht, ist hinsichtlich der Zahlungspflicht des Rekurrenten weiterhin die Eheschutzverfügung des Gerichtspräsidiums massgebend, und zwar so lange, bis das nun mit der eingereichten Klage befasste thurgauische Gericht diese Massnahmen ändert oder aufhebt[10]. Die den Eheschutzentscheid (allenfalls) ersetzenden vorsorglichen Massnahmen nach Art. 62 Abs. 2 IPRG würden sich ebenfalls nach schweizerischem Recht richten. Dass auch noch vorsorgliche Massnahmen erlassen werden können, wenn die Ehe aufgelöst ist, das Verfahren über die Scheidungsfolgen aber fortdauert, wird in Art. 137 Abs. 2 ZGB ausdrücklich vorgesehen.

Obergericht, 15. März 2010, BR.2010.11


[1] Art. 219 ff. Familiengesetz; vgl. Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Abteilung Serbien, S. 30 f. und 75 ff. (Stand 30. Juni 2006)

[2] Art. 225 Familiengesetz

[3] Art. 226 Familiengesetz

[4] Art. 227 Abs. 1 Familiengesetz

[5] Bergmann/Ferid/Henrich, S. 27 und 68 ff.

[6] Art. 163 Familiengesetz

[7] Die Unterhaltspflicht dauert ausnahmsweise weiterhin an, wenn der Unterhaltsberechtigte ein minderjähriges Kind ist.

[8] Art. 167 Familiengesetz

[9] Art. 279 Abs. 2 und 3 Familiengesetz

[10] Bopp, Basler Kommentar, Art. 62 IPRG N 20; RBOG 2003 Nr. 7

JavaScript errors detected

Please note, these errors can depend on your browser setup.

If this problem persists, please contact our support.