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RBOG 2012 Nr. 7

Steht die Uneinbringlichkeit der Parteientschädigung bereits vor Vorinstanz fest, ist der Entscheid darüber ins Dispositiv aufzunehmen


Art. 95 Abs. 3 ZPO, Art. 122 ZPO


1. Die Vorinstanz schrieb das Gesuch der Beschwerdeführerin um unentgeltliche Rechtspflege mit Offizialanwalt als gegenstandslos ab, da ihr infolge Obsiegens keine Kosten angefallen seien. Die Beschwerdeführerin verwies demgegenüber auf Art. 122 Abs. 2 ZPO und machte geltend, aufgrund des Verhaltens des Beschwerdegegners sei sicher, dass die Geltendmachung der Parteientschädigung nur über den Weg der Schuldbetreibung führen und langwierige Rechtsöffnungsverfahren nach sich ziehen würde.

2. a) Soweit die unentgeltlich prozessierende Partei im Prozess obsiegt, trägt die Gegenpartei die Prozesskosten, worunter auch eine Parteientschädigung nach Art. 95 Abs. 3 ZPO fällt. Das Gericht hat über den Honoraranspruch des Offizialanwalts allerdings auch dann zu entscheiden, wenn es die Prozesskosten vollumfänglich der Gegenpartei auferlegt, weil ein unentgeltlicher Rechtsbeistand, falls die Gegenpartei für die Parteientschädigung nicht mit Erfolg belangt werden kann, aus der Staatskasse zu entschädigen ist[1]. Die Festsetzung einer Parteientschädigung entbindet deshalb die zuständige Behörde nicht davon, über das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung zu entscheiden. Gegenstandslosigkeit ergibt sich allenfalls mit Bezug auf die Gerichtskosten: Sofern eine Partei grundsätzlich Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege hat, wird ein Gesuch um Befreiung der Gerichtskosten, falls im Verfahren keine Gerichtskosten gesprochen oder diese dem Prozessgegner auferlegt werden, gegen­standslos, weil die gesuchstellende Partei gerade keine Verfahrenskosten zu tragen hat[2].

b) Wie über das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung zu entscheiden ist, hängt – sofern die übrigen Voraussetzungen wie Bedürftigkeit, fehlende Aussichtslosigkeit und Notwendigkeit der anwaltlichen Vertretung erfüllt sind – davon ab, ob die Parteientschädigung vom Prozessgegner – allenfalls auf dem Weg der Zwangsvollstreckung – eingebracht werden kann. Uneinbringlichkeit ist gegeben, wenn die Zahlungsfähigkeit der Gegenpartei unsicher ist[3]. Steht die Zahlungsfähigkeit der Gegenpartei fest, wird die von ihr zu bezahlende Parteientschädigung im Urteil zugesprochen. Ist die Uneinbringlichkeit der Entschädigung hingegen bloss wahrscheinlich, ist die Parteientschädigung für den Fall der Uneinbringlichkeit ins Urteil aufzunehmen und von deren späterem Nachweis abhängig zu machen. Der Entscheid über die unentgeltliche Verbeiständung kann im Urteil auch ausgesetzt werden, um darüber erforderlichenfalls später und in Ergänzung des Urteils zu entscheiden. Zeigt sich erst hinterher, dass die Parteientschädigung nicht einbringlich ist, so setzt das Gericht die Entschädigung auf Gesuch hin alsdann nachträglich noch fest. Dem Offizialanwalt ist nicht gestattet, vom Verbeiständeten eine zusätzliche Entschädigung zu verlangen. Mit der Zahlung der Parteientschädigung aus der Staatskasse geht der Anspruch im Umfang der geleisteten Entschädigung auf den Kanton über. Für die allfällige Differenz der Offizialanwaltsentschädigung zum vollen ordentlichen Honorar verbleibt die Forderung gegenüber der Gegenpartei hingegen beim Offizialanwalt[4].

c) Den Nachweis der Uneinbringlichkeit hat der Offizialanwalt zu erbringen, wobei an diesen Nachweis keine allzu grossen Anforderungen zu stellen sind und blosses Glaubhaftmachen genügt. Der Offizialanwalt muss also zunächst versuchen, das (volle) Honorar bei der Gegenpartei erhältlich zu machen. Bleiben diese Bemühungen erfolglos oder sind sie von Beginn weg offensichtlich aussichtslos, kann gegenüber dem Kanton eine "angemessene" Entschädigung geltend gemacht werden[5].

3. a) Die Bedürftigkeit der Beschwerdeführerin ist offensichtlich. Sie ist Schülerin und besucht die Kantonsschule, die sie im Januar 2013 beenden wird. Ihren Lebensunterhalt finanzierte sie durch die monatlichen Unterhaltszahlungen des Beschwerdegegners von Fr. 1'200.00, welche dieser per 1. Oktober 2012 angeblich einstellte und vorher nur unvollständig bezahlte. Offenbar erhält die Beschwerdeführerin weder von ihrer Mutter noch vom Staat Unterstützungsbeiträge. Auch die übrigen Voraussetzungen zur Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege, wie die fehlende Aussichtslosigkeit und die Notwendigkeit anwaltlichen Beistands, sind hier ohne weiteres erfüllt.

b) Somit ist zu prüfen, ob die der Beschwerdeführerin zustehende Parteientschädigung vom Beschwerdegegner erhältlich gemacht werden kann. Vor Vorinstanz machte die Beschwerdeführerin nicht geltend, eine allfällige Parteientschädigung sei uneinbringlich. Daher hatte die Vorinstanz mangels Antrags auch nicht darüber zu befinden. Der Beschwerdegegner wies vor Vorinstanz darauf hin, er werde ab 1. Oktober 2012 arbeitslos sein. Zudem habe er eine neue Familie gegründet und bis anhin noch keine neue Stelle gefunden. Es sei zu berücksichtigen, dass der Lohn bei den offerierten Stellen bis anhin bei höchstens Fr. 160'000.00 pro Jahr liege. Dazu reichte er eine Lohnofferte der Firma A vom 10. August 2012 ein, wonach ihm ein Einkommen von Fr. 147'563.70 netto (einschliesslich Kinderzulagen, Familienzulage und Spesenpauschale von Fr. 350.00) zustehe. Ferner reichte er ein Schuldenverzeichnis des Jahres 2011 ein, welches indessen, da die Vermögensverhältnisse nicht bekannt sind, nicht aussagekräftig ist. Die Schulden von insgesamt Fr. 1'308'703.00 bestehen überdies zur Hauptsache aus einer Hypothek bei der Bank B von Fr. 1'155'500.00. Weitere Angaben über die finanziellen Verhältnisse des Beschwerdegegners finden sich in den Akten nicht. Folglich war eine allfällige Uneinbringlichkeit der Parteientschädigung vor Vorinstanz jedenfalls nicht offensichtlich.

c) Im Beschwerdeverfahren sind neue Tatsachenbehauptungen und Beweismittel ausgeschlossen[6], weshalb das von der Beschwerdeführerin eingereichte Schreiben des Beschwerdegegners vom 8. Oktober 2012 nicht berücksichtigt werden kann. Die Zahlungsunfähigkeit des Beschwerdegegners erscheint angesichts der hier zur Verfügung stehenden Akten auch nicht als wahrscheinlich, weshalb die Entschädigung ihres Anwalts auch nicht "für den Fall der Uneinbringlichkeit" hätte ins Urteil aufgenommen werden müssen. Zusammengefasst sind die Voraussetzungen für die Zusprache eines Offizialanwaltshonorars im Sinn von Art. 122 Abs. 2 ZPO daher (noch) nicht erfüllt.

4. a) Weiter stellt sich die Frage, ob die Vorinstanz den Entscheid über die unentgeltliche Prozessführung mit Offizialanwalt im Hinblick auf Art. 122 Abs. 2 ZPO wenigstens dem Grundsatz nach hätte entscheiden müssen. Praktische Überlegungen sprechen dafür, dass dieser Entscheid ausgesetzt und erst dann beurteilt wird, wenn die Parteientschädigung tatsächlich uneinbringlich ist. Es kann allerdings sinnvoll sein, das Offizialhonorar bereits im Urteil festzusetzen, vor allem wenn dieses nach dem Aufwand bemessen wird und dieser nach Abschluss des Verfahrens einfacher beurteilt werden kann als Monate später. Gegen die Aufschiebung des Entscheids spricht auch der Umstand, dass Gesuche um unentgeltliche Rechtspflege aufgrund der aktuellen Verhältnisse im Zeitpunkt des Entscheids zu prüfen sind; diese können sich innerhalb von zwei bis drei Jahren – insbesondere bei Jugendlichen – ändern, so dass die Bedürftigkeit erst nachträglich entstehen oder zwischenzeitlich wegfallen kann. Zusammenfassend erscheint es als gerechtfertigt, in – bezüglich Zahlungsfähigkeit der Gegenpartei – unklaren Situationen die Voraussetzungen der unentgeltlichen Rechtspflege mit Offizialanwalt bereits mit dem Entscheid in der Hauptsache zu prüfen. Hingegen kann darauf verzichtet werden, wenn (noch) keine Veranlassung zur Annahme besteht, die Parteientschädigung sei uneinbringlich.

b) Der Beschwerdegegner ersuchte aus finanziellen Gründen um Abänderung der Unterhaltszahlungen; er machte geltend, er habe eine neue Familie mit zwei, bald drei Kindern und erziele höchstens ein Einkommen von Fr. 160'000.00. Selbst wenn der Beschwerdegegner momentan arbeitslos wäre, hätte er Anspruch auf Taggelder der Arbeitslosenversicherung. Bei einem Jahreseinkommen von gegen Fr. 100'000.00 oder noch mehr darf angenommen werden, der Beschwerdegegner sei in der Lage, für die Parteientschädigung aufzukommen, auch unter Berücksichtigung seiner familiären Verhältnisse.

c) Der angefochtene Entscheid ist daher weder in Bezug auf die Verfahrenskosten noch die unentgeltliche Rechtspflege mit Offizialanwalt willkürlich. Folglich ist die Beschwerde unbegründet. Die Beschwerdeführerin kann, sollte die Parteientschädigung wider Erwarten nicht einbringlich sein, im Zusammenhang mit dem Nachweis der Uneinbringlichkeit um nachträgliche Prüfung des Gesuchs um unentgeltliche Rechtspflege ersuchen.

Obergericht, 1. Abteilung, 14. November 2012, ZR.2012.67


[1] Emmel, in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung (Hrsg.: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger), Zürich/Basel/Genf 2010, Art. 122 N 11

[2] BGE vom 9. Februar 2009, 5A_849/2008, Erw. 2.2.1

[3] BGE vom 9. Februar 2009, 5A_849/2008, Erw. 2.2.2

[4] Emmel, Art. 122 ZPO N 14 f.

[5] Huber, in: Schweizerische Zivilprozessordnung (Hrsg.: Brunner/Gasser/Schwander), Zürich/St. Gallen 2011, Art. 122 N 14; Rüegg, Basler Kommentar, Art. 122 ZPO N 4

[6] Art. 326 Abs. 1 ZPO

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