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RBOG 2018 Nr. 14

Kein Ausstand von Polizeibeamten, die im Auftrag des Gerichts im Hauptverfahren Beweise erheben und gleichzeitig die Staatsanwaltschaft unterstützen; Zuständigkeit zum Entscheid über das Ausstandsgesuch


Art. 56 lit. f StPO, Art. 58 Abs. 1 StPO, Art. 59 Abs. 1 StPO


1. a) Die Staatsanwaltschaft führte seit 2010 gegen A und weitere Personen eine Strafuntersuchung wegen Tötung und anderer Delikte. Im Januar 2015 erhob sie gegen A und die übrigen Mitbeschuldigten Anklage beim Bezirksgericht. Sie beantragte, A sei wegen vorsätzlicher Tötung und weiterer Straftaten mit einer Freiheitsstrafe von 15,5 Jahren zu bestrafen. A hatte bereits während des Untersuchungsverfahrens den Ausstand der beiden ermittelnden Staatsanwälte verlangt. Mit Entscheid vom 27. April 2015 stellte das Bundesgericht die Ausstandspflicht der beiden Staatsanwälte im Verfahren gegen A seit 28. November 2013 fest[1]. Deshalb verfügte die Verfahrensleitung des Bezirksgerichts die Entfernung verschiedener Akten[2].

b) Infolge des Ausstands der beiden verfahrensleitenden Staatsanwälte wurde die Generalstaatsanwaltschaft mit der Vertretung der Anklage betraut. Sie liess sich an der Hauptverhandlung, namentlich anlässlich des Verhandlungsblocks über das Tötungsdelikt, vom Polizeibeamten X begleiten; das hatte sie dem Bezirksgericht bereits im Januar 2017 mitgeteilt.

c) An der Hauptverhandlung im September 2017 beantragte A, es seien alle Funktionäre der Kantonspolizei, die seit dem 15. Januar 2015 im "Strafverfahren T" Ermittlungstätigkeiten ausgeführt hätten, insbesondere X und Y, in den Ausstand zu versetzen. Es sei der Kantonspolizei zu verbieten, in diesem Strafverfahren für die Staatsanwaltschaft tätig zu sein, und es sei der Staatsanwaltschaft zu verbieten, im Hauptverfahren "T" polizeiliche Kapazitäten beizuziehen.

Das Bezirksgericht holte bei X und Y Stellungnahmen ein und wies das Ausstandsgesuch gegen die beiden Polizeibeamten ab.

d) Gegen diesen Entscheid erhob A Beschwerde und hielt an seinem Ausstandsbegehren fest.

2. Eine in einer Strafbehörde tätige Person tritt gemäss Art. 56 StPO in den Ausstand, wenn sie in der Sache ein persönliches Interesse hat (lit. a), wenn sie in einer anderen Stellung in der gleichen Sache tätig war (lit. b), wenn sie mit einer am Prozess beteiligten Person in einer verwandtschaftlichen oder schwägerschaftlichen Beziehung steht (lit. c, d und e), oder wenn sie aus anderen Gründen befangen sein könnte (lit. f). Will eine Partei den Ausstand einer in einer Strafbehörde tätigen Person verlangen, hat sie der Verfahrensleitung gemäss Art. 58 Abs. 1 StPO ohne Verzug ein entsprechendes Gesuch zu stellen, sobald sie vom Ausstandsgrund Kenntnis hat; die den Ausstand begründenden Tatsachen sind glaubhaft zu machen. Die betroffene Person nimmt zum Gesuch Stellung[3]. Wird ein Ausstandsgrund nach Art. 56 lit. a oder f StPO geltend gemacht oder widersetzt sich eine in einer Strafbehörde tätige Person einem Ausstandsgesuch einer Partei, das sich auf Art. 56 lit. b bis e StPO abstützt, entscheidet ohne weiteres Beweisverfahren und endgültig die Staatsanwaltschaft, wenn die Polizei betroffen ist, und die Beschwerdeinstanz, wenn die Staatsanwaltschaft oder die erstinstanzlichen Gerichte betroffen sind[4]. Der Entscheid ergeht schriftlich und ist zu begründen[5]. Bis zum Entscheid übt die betroffene Person ihr Amt weiter aus[6]. Amtshandlungen, an denen eine zum Ausstand verpflichtete Person mitgewirkt hat, sind aufzuheben und zu wiederholen, sofern dies eine Partei innert fünf Tagen verlangt, nachdem sie vom Entscheid über den Ausstand Kenntnis erhalten hat[7].

3. a) Mit Blick auf Art. 59 Abs. 1 StPO stellt sich zunächst die Frage, ob der Entscheid über den Ausstand der Polizeibeamten überhaupt in der Zuständigkeit der Vorinstanz lag.

b) Dazu erwog die Vorinstanz im angefochtenen Entscheid, ein Ausstandsentscheid durch die Generalstaatsanwaltschaft komme hier nicht in Betracht, da es gerade diese selbst gewesen sei, die zumindest einen der beiden vom Ausstandsgesuch betroffenen Polizeibeamten nach der Anklageerhebung zur Unterstützung beigezogen habe. Ausserdem könne die Generalstaatsanwaltschaft zum Entscheid über den Ausstand von Polizeibeamten nur so lange zuständig sein, als noch nicht Anklage erhoben worden sei. Sinn und Zweck der Zuständigkeitsregel von Art. 59 Abs. 1 StPO sei, dass eine andere als die vom Ausstand betroffene Behörde über das Ausstandsgesuch entscheide. Sei die Sache beim erstinstanzlichen Gericht anhängig, mache es Sinn, wenn dieses über die gegen Polizeifunktionäre geltend gemachten Ausstandsgründe entscheide. Zudem stellten sich hier Fragen betreffend die Verwertbarkeit von Verfahrenshandlungen, welche die beiden vom Ausstandsgesuch betroffenen Polizeibeamten nach Anklageerhebung getätigt hätten. Offen seien somit insbesondere Fragen betreffend Zulässigkeit und Verwertbarkeit von Amtshandlungen, die X und Y im Auftrag des Gerichts erledigt hätten. Das Gericht habe von Amtes wegen zu prüfen, ob die bereits in die Verfahrensakten eingeführten Verfahrenshandlungen zu berücksichtigen seien oder ob sie – soweit möglich – zu wiederholen seien. Es stelle sich die Frage der Verwertbarkeit jener Handlungen. Folglich sei die Vorinstanz zuständig für die Prüfung, ob X und Y bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens in den Ausstand zu versetzen seien, ob die von ihnen seit dem 15. Januar 2015 vorgenommenen Amtshandlungen verwertbar seien, und ob sie auch für die Ausführung künftiger Aufträge und Weisungen seitens des Gerichts in Betracht kämen.

c) aa) Einleuchtend und auch unbestritten ist, dass nicht die Generalstaatsanwaltschaft, die sich im Hauptverfahren von einem Polizeibeamten begleiten liess, über den Ausstand der Polizeibeamten zu entscheiden hat.

bb) Ihre eigene Zuständigkeit stützt die Vorinstanz auf einen Entscheid des Obergerichts des Kantons Zürich vom 28. Oktober 2016 ab. Darin erwog das Zürcher Obergericht, bei richtiger Betrachtungsweise könne die Beschwerdeinstanz für die Behandlung von Ausstandsgesuchen gegen die Staatsanwaltschaft und die Übertretungsstrafbehörden nur zuständig sein, wenn das Verfahren noch vor der Behörde anhängig sei, die als Ganzes oder teilweise vom Ausstand betroffen sei. Sinn und Zweck der Zuständigkeitsregel von Art. 59 Abs. 1 StPO sei, dass eine andere als die vom Ausstand betroffene Behörde über das Ausstandsgesuch entscheide. Sei die Sache beim erstinstanzlichen Gericht – in aller Regel, weil Anklage erhoben worden sei – oder bereits bei der Berufungsinstanz anhängig, habe nicht die Beschwerdeinstanz über die gegen die Staatsanwaltschaft oder die Übertretungsstrafbehörde geltend gemachten Ausstandsgründe zu entscheiden. Dies gelte jedenfalls, wenn sich die Verwirklichung des behaupteten Ausstandsgrunds auf das Stadium des staatsanwaltschaftlichen Verfahrens oder des Übertretungsstrafverfahrens (und nicht erst des gerichtlichen Verfahrens) beziehe. Diesbezüglich stünden keine Amtshandlungen der betreffenden Amtsperson mehr an, bei denen sie in den Ausstand treten könnte oder müsste. Offen sei nur noch die Zulässigkeit und Verwertbarkeit von bereits erfolgten Erhebungen im Untersuchungsverfahren. Das erstinstanzliche Gericht habe – wie auch die Berufungsinstanz – über die Anklagevorwürfe zu entscheiden, wobei es auch die im Vorverfahren erhobenen Beweise berücksichtige. Das Gericht ergänze unvollständig erhobene Beweise und erhebe im Vorverfahren nicht ordnungsgemäss erhobene Beweise nochmals. Werde im gerichtlichen Verfahren in Bezug auf Staatsanwaltschaft oder Übertretungsstrafbehörde zu Recht ein sich vor Anklageerhebung verwirklichter Ausstandsgrund geltend gemacht, liege hinsichtlich der nach der Verwirklichung des Ausstandsgrunds vom Betroffenen vorgenommenen prozessrechtlichen Handlungen in aller Regel ein Verfahrensfehler vor. Das Gericht müsse daher von Amtes wegen prüfen, ob jene Handlungen dennoch zu berücksichtigen oder ob sie – soweit noch möglich – zu wiederholen seien. Mit anderen Worten stelle sich die Frage der Verwertbarkeit jener Handlungen. Müsse das Sachgericht gestützt auf ein gestelltes Ausstandsgesuch im genannten Sinn ohnehin über dessen Berechtigung und allfällige Folgen entscheiden, könne es nicht Sinn und Zweck der StPO sein, dass über den Ausstand gleichzeitig auch noch die Beschwerdeinstanz entscheide, zumal diese gegebenenfalls nur das Ausstandsgesuch gutheissen würde, ohne sich zu den daraus resultierenden prozessualen Folgen zu äussern[8].

cc) Im Entscheid des Obergerichts des Kantons Zürich ging es um den Ausstand von Polizeibeamten im Vorverfahren, wobei im Hauptverfahren nur noch die Verwertbarkeit von deren Amtshandlungen fraglich war. Hier geht es demgegenüber um den Ausstand von Polizeibeamten, die im Hauptverfahren im Auftrag und auf Weisung des Strafgerichts tätig waren. Insofern kann der von der Vorinstanz für ihre eigene Zuständigkeit herangezogene Entscheid vom 28. Oktober 2016 des Obergerichts des Kantons Zürich nicht einschlägig sein. Vielmehr ist bereits aufgrund des Wortlauts von Art. 59 Abs. 1 lit. b StPO die Beschwerdeinstanz zur Behandlung eines solchen Ausstandsgesuchs zuständig. Die Ermittlungsaufträge an die Polizei erteilte nämlich die Vorinstanz als erstinstanzliches Gericht; insofern ist die Polizei "Gehilfe" der Vorinstanz, weshalb diese betroffen ist[9].

dd) Die Vorinstanz hätte dementsprechend nicht über das Ausstandsgesuch entscheiden dürfen, sondern hätte dieses an die Beschwerdeinstanz zum Entscheid weiterleiten müssen. Die Beschwerde ist somit zu schützen und der angefochtene Entscheid aufzuheben. Das Verfahren vor Obergericht ist kein Beschwerde-, sondern ein Ausstandsverfahren. Bei der "Beschwerdeschrift" handelt es sich demnach nicht um eine eigentliche Beschwerde im Sinn von Art. 393 StPO, sondern um ein Ausstandsgesuch. Die Beschwerdeinstanz entscheidet laut Art. 59 Abs. 1 lit. b StPO erstinstanzlich und endgültig über Ausstandsgesuche, das heisst, das Obergericht entscheidet unabhängig vom angefochtenen Entscheid über das Ausstandsgesuch. Der angefochtene Entscheid hat folglich keinen Bestand, weshalb offen gelassen werden kann, ob er nichtig oder bloss anfechtbar ist.

4. a) Die Vorinstanz wies das Ausstandsgesuch gegen X und Y als massiv verspätet ab. Die Generalstaatsanwaltschaft habe bereits im Januar 2017 die Vorinstanz darauf hingewiesen, dass sie sich anlässlich der Verhandlung des Tötungsdelikts von X begleiten lassen werde. Die Vorinstanz habe diese Eingabe nebst anderen Unterlagen an die Parteien weitergeleitet. Der Hinweis der Staatsanwaltschaft habe nicht anders verstanden werden können, als dass sich die Staatsanwaltschaft an der Hauptverhandlung von X unterstützen lassen werde. Wäre X bloss als Zuschauer an der Hauptverhandlung erschienen, wäre dieser Hinweis kaum erforderlich gewesen.

b) aa) Die Generalstaatsanwaltschaft kündigte in ihrer Eingabe vom 20. Januar 2017 nur die Begleitung durch X an; von Y war nicht die Rede. Insofern kann gestützt auf diese Eingabe höchstens das Ausstandsgesuch gegen X verspätet sein.

bb) Aus den Akten geht hervor, dass die Generalstaatsanwaltschaft der Vorinstanz im Januar 2017 mitteilte, dass sich der zuständige Staatsanwalt "anlässlich der Verhandlung des Tötungsdelikts zusätzlich von X begleiten lassen" werde. Diese Eingabe leitete die Vorinstanz im Januar 2017 an die Beschuldigten beziehungsweise deren Verteidiger und mithin an den Gesuchsteller weiter. Der Hinweis der Generalstaatsanwaltschaft, sie lasse sich an der Verhandlung des Tötungsdelikts von X begleiten, hätte den Gesuchsteller hellhörig werden lassen müssen. Eines solchen Hinweises hätte es nämlich nicht bedurft, wenn X bloss als Zuschauer an der Hauptverhandlung teilgenommen hätte. Folglich war klar, dass X als Begleitung der Generalstaatsanwaltschaft und nicht als Zuschauer an der Hauptverhandlung teilnehmen werde. Der Gesuchsteller hätte somit bei der Vorinstanz nachfragen müssen, wenn ihm der Hinweis der Generalstaatsanwaltschaft nicht verständlich erschien. Da er dies nicht tat, ist das Ausstandsgesuch gegen X an sich verspätet. Allerdings ist davon auszugehen, dass dem Gesuchsteller das Ausmass der Begleitung der Generalstaatsanwaltschaft durch X erst anlässlich der Hauptverhandlung betreffend das Tötungsdelikt bewusst wurde, als dieser am Parteitisch der Generalstaatsanwaltschaft sass. Erst in diesem Zeitpunkt muss bei ihm der Verdacht aufgekommen sein, die Generalstaatsanwaltschaft lasse sich durch die Polizei tatkräftig unterstützen. Das vom Gesuchsteller behauptete Ausmass der Unterstützung konnte er gestützt auf die Eingabe der Generalstaatsanwaltschaft im Januar 2017 nicht erahnen und wurde ihm auch nicht anderweitig angezeigt. Aus diesem Grund ist nebst dem Ausstandsgesuch gegen Y auch jenes gegen X inhaltlich zu prüfen.

cc) Unbesehen dieser Ausführungen ist das Ausstandsgesuch jedoch als verspätet abzuweisen, soweit der Gesuchsteller den Ausstandsgrund der Vorbefassung[10] geltend machen wollte. Sinngemäss brachte er vor, X und Y müssten als Gehilfen des Gerichts im Hauptverfahren nur schon deshalb in den Ausstand treten, weil sie bereits im Vorverfahren im Auftrag und auf Weisung der Staatsanwaltschaft ermittelt hätten. Dieser Umstand war dem Gesuchsteller seit Längerem bekannt; der Einwand der Vorbefassung der beiden Polizeibeamten wegen deren Ermittlungstätigkeiten im Vorverfahren ist daher verspätet. Die generelle Problematik der Vorbefassung im Hauptverfahren aufgrund von Untersuchungshandlungen im Vorverfahren ist hier somit nicht mehr zu prüfen. Ebenso wenig geht es bloss darum, dass der Polizeibeamte, der im Vorverfahren die Ermittlungen führte, den Staatsanwalt im Hauptverfahren beim Aufbereiten und Auffinden von Akten unterstützt, ohne gleichzeitig im Auftrag und auf Weisung des Gerichts zu ermitteln. Vielmehr ist hier über die Frage zu entscheiden, ob ein Polizeibeamter, der im Auftrag und auf Weisung des Gerichts im Hauptverfahren Beweiserhebungen durchführt und gleichzeitig die Staatsanwaltschaft unterstützt, als befangen erscheint.

5. a) aa) Als einzig möglicher Ausstandsgrund kommt hier Art. 56 lit. f StPO in Betracht. Demgemäss tritt eine in einer Strafbehörde tätige Person in den Ausstand, wenn sie aus anderen Gründen, insbesondere wegen Freundschaft oder Feindschaft mit einer Partei oder deren Rechtsbeistand, befangen sein könnte. Bei dieser Bestimmung handelt es sich um eine Generalklausel, die alle Ausstandsgründe erfasst, die in Art. 56 lit. a bis e StPO nicht ausdrücklich vorgesehen sind[11]. Die Ausstandsregeln gelten für sämtliche Personen, die in einem Justizverfahren mitwirken, mithin für Funktionsträger, die bei der Polizei, den Staatsanwaltschaften, den Übertretungsstrafbehörden und den Strafgerichten tätig sind. Die StPO selbst unterscheidet vom Gehalt der Garantie her nicht zwischen richterlicher und nichtrichterlicher Behörde. Dennoch drängt sich eine Differenzierung in der konkreten Anwendung vor allem mit Bezug auf die Generalklausel des Art. 56 lit. f StPO auf. Bei deren Anwendung sind situationsbedingte, graduelle und funktionsbedingte Unterschiede zum Richter zu berücksichtigen. Es ist den Umständen nicht angemessen, von Polizeibeamten bei Ermittlungshandlungen und Befragungen exakt die gleiche Zurückhaltung und Gelassenheit zu verlangen wie vom Richter. Nur der Richter ist und muss sodann ein "echter Mittler" sein; nur bei ihm soll der "Rechtsuchende sich im Recht geborgen fühlen"[12]. Der Anschein der Befangenheit beziehungsweise Voreingenommenheit ist nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung anzunehmen, wenn Umstände vorliegen, die geeignet sind, Misstrauen in die Unparteilichkeit eines Richters beziehungsweise einer bei einer Strafbehörde tätigen Person zu erwecken. Solche Umstände können namentlich in einem bestimmten Verhalten der Person begründet sein. Dabei ist nicht auf das subjektive Empfinden einer Partei abzustellen. Das Misstrauen in die Unvoreingenommenheit muss vielmehr in objektiver Weise begründet erscheinen. Es genügt, wenn Umstände vorliegen, die bei objektiver Betrachtung den Anschein der Befangenheit und Voreingenommenheit erwecken. Für die Ablehnung ist nicht erforderlich, dass die betreffende Person tatsächlich befangen ist[13]. Bei der Anwendung von Art. 56 lit. f StPO ist entscheidendes Kriterium, ob bei objektiver Betrachtungsweise der Ausgang des Verfahrens noch als offen erscheint[14]. Ganz allgemein gilt, dass im Interesse einer beförderlichen Rechtspflege im Zusammenhang mit Ausstandsbegehren gegen Justizbeamte eine Befangenheit nicht leichthin anzunehmen ist; gerade in Fällen mit komplexem Sachverhalt kann der Schutz eines Ausstandsgesuchs zu einer spürbaren Verlängerung des Verfahrens führen, die in ein Spannungsverhältnis zum Beschleunigungsgebot gemäss Art. 5 StPO tritt[15].

bb) Gemäss Art. 61 lit. a StPO leitet die Staatsanwaltschaft das Verfahren bis zur Anklageerhebung. Nach Erhebung der Anklage, mit der die Verfahrensherrschaft von der Staatsanwaltschaft an das zuständige Gericht übergeht[16], wird die Staatsanwaltschaft dagegen wie die beschuldigte Person und die Privatklägerschaft zur Partei[17]. Aus diesem Grund ist es nach Anklageerhebung ausschliesslich das Gericht, das der Polizei Weisungen und Aufträge erteilen kann, zum Beispiel bei Beweisergänzungen des Gerichts nach Art. 343 StPO[18]. Was für das Verhältnis zwischen Staatsanwaltschaft und Polizei im Vorverfahren gilt, hat nach Anklageerhebung auch für das Verhältnis zwischen Gericht und Polizei Geltung. Entsprechend stehen ab Anklageerhebung namentlich die Handlungen der Polizei unter der Leitung des Gerichts beziehungsweise des verfahrensleitenden Richters. Leitung bedeutet Verfahrensverantwortung. Diese kann aber ohne den Einbezug in die Ressourcensteuerung nicht wahrgenommen werden[19].

b) aa) Seit der Anklageerhebung im Januar 2015 haben X und Y im Auftrag und auf Weisung der Vorinstanz folgende Handlungen vorgenommen:

Y rapportierte der Vorinstanz auf deren Auftrag hin im November 2015 betreffend eine Geschwindigkeitskontrolle der Kantonspolizei Thurgau von 2010.

Da das Bundesgericht[20] die beiden verfahrensleitenden Staatsanwälte rückwirkend per 28. November 2013 in den Ausstand versetzte, war unter anderem der polizeiliche Ermittlungsbericht aus dem Jahr 2014 von X und Z (einem weiteren Ermittler), weitergeleitet durch Y, zu wiederholen. Nach einem entsprechenden Auftrag der Vorinstanz übermittelte die Polizei dieser den neuen Ermittlungsbericht, unterschrieben von X und Z. Dem Ermittlungsbericht war eine polizeiinterne Sitzung – folglich in Abwesenheit der Generalstaatsanwaltschaft – vorausgegangen.

Im Januar 2017 beauftragte die Vorinstanz Y, für eine bestimmte Zeit im Jahr 2010 Verbindungs- und Bewegungsprofile für Mitangeklagte und den Gesuchsteller zu erstellen. Im März 2017 übermittelte X den diesbezüglichen Bericht an die Vorinstanz. Er hielt einleitend fest, die Vorinstanz habe der Kantonspolizei den Auftrag erteilt, zusätzliche Verbindungs- und Standortauswertungen zu den Ermittlungen im Tötungsdelikt zu tätigen. Auftragsgemäss habe die Polizei die Verbindungen sowie Standorte von den Mitangeklagten und dem Gesuchsteller aus den vorhandenen Daten zusammengestellt. Betreffend einen Angeklagten hält der Bericht fest, da dieser eine "Orange-Nummer" benutzt habe, seien betreffend den fraglichen Zeitraum nur die Verbindungsdaten, nicht aber die Antennenstandorte bekannt. Im November 2017 ersuchte die Vorinstanz die Kantonspolizei um zusätzliche Abklärungen betreffend Antennenstandorte und Bewegungsprofile.

bb) aaa) X nahm anlässlich der Hauptverhandlung zum Ausstandsgesuch Stellung. Er sei nebst anderen Ermittlern der Kantonspolizei bis Juli 2014 mit dem Verfahren beschäftigt gewesen. Ab Juli 2014 habe er nur noch ganz vereinzelt damit zu tun gehabt. Im Juni 2016 habe die Generalstaatsanwaltschaft das Polizeikommando um Unterstützung ersucht. Dabei sei es darum gegangen, den neu mit dem Fall befassten Staatsanwalt bei der Einarbeitung zu unterstützen. Namentlich sei es um Recherchen in den bestehenden Akten und um Klärung von Fragen anhand der Akten im laufenden Verfahren gegangen. Er sei vom Polizeikommando zur Unterstützung des zuständigen Staatsanwalts angewiesen worden, worauf er diesen bei der Einarbeitung in die von der Vorinstanz zur Verfügung gestellten Akten sowie bei der weiteren Bearbeitung des Verfahrens unterstützt habe. Er habe zu den vom Staatsanwalt formulierten Fragen die möglichen Antworten aus den bestehenden Akten zusammengesucht. Dafür habe er jeweils das von der Vorinstanz zur Verfügung gestellte Aktendossier benutzt. Neue Ermittlungen habe er für die Generalstaatsanwaltschaft keine getätigt. Er sehe sich für diese als lebendes Inhaltsverzeichnis oder Lexikon. Ab Ende 2016 oder Anfang 2017 seien von der Vorin­stanz Aufträge zur Neuerstellung von diversen Berichten und zusätzlichen Auswertungen eingegangen. Diese Aufträge habe er zusammen mit weiteren Ermittlern zuhanden der Vorinstanz erledigt. Dabei habe es keine Zusammenarbeit mit der Generalstaatsanwaltschaft gegeben.

bbb) Y führte in seiner Stellungnahme zum Ausstandsgesuch aus, er habe seit dem 15. Januar 2015 keine Ermittlungshandlungen zuhanden oder im Auftrag der Generalstaatsanwaltschaft, sondern lediglich noch zuhanden oder im Auftrag der Vorin­stanz durchgeführt. Es habe sich dabei um zwei Nachtragsberichte gehandelt. Da damit Angaben von Y über anderweitige Unterstützung der Generalstaatsanwaltschaft während des erstinstanzlichen Hauptverfahrens fehlten, ersuchte ihn die Verfahrensleitung des Obergerichts um entsprechende Auskunft. Y erklärte, in seiner Funktion als Leiter der Ermittlungsgruppe "T" habe er nebst den beiden Nachtragsberichten seit Januar 2015 lediglich Koordinationshandlungen getätigt. Im Juni 2016 hätten X, Z und er den zuständigen Staatsanwalt sowie die Generalstaatsanwaltschaft im Polizeikommando über den Verlauf der Ermittlungen aufgeklärt. Ausserdem sei er im Januar 2017 an einer polizeiinternen Sitzung involviert gewesen, bei der die Überarbeitung der Ermittlungsberichte besprochen worden sei. Im Februar 2017 habe zwischen X, dem zuständigen Staatsanwalt und ihm eine weitere Besprechung im Polizeikommando stattgefunden. Dabei sei es um die Umsetzung des vom Polizeikommando beziehungsweise vom Polizeikommandanten bereits bewilligten Ersuchens der Generalstaatsanwaltschaft gegangen, diese durch X an der Hauptverhandlung zu unterstützen. Der Chef der Kriminalpolizei habe entschieden, dass X seine Unterstützungstätigkeit direkt mit dem Staatsanwalt abspreche. Dies sei dem Staatsanwalt damals so mitgeteilt worden. Y habe ab diesem Zeitpunkt keine anderen Tätigkeiten für die Generalstaatsanwaltschaft im Fall "T" ausgeführt.

Es ist damit nur schon fraglich, ob Y die Generalstaatsanwaltschaft nach Anklageerhebung überhaupt unterstützte. Diese Frage kann jedoch offen bleiben, da die Unterstützung der Generalstaatsanwaltschaft im Hauptverfahren durch die Kantonspolizei bei gleichzeitigen Ermittlungshandlungen im Auftrag und auf Weisung der Vorin­stanz keinen Ausstandsgrund darstellt.

c) aa) Bei der Prüfung, ob eine bei einer Strafbehörde tätige Person befangen ist, ist deren Funktion innerhalb der Behörde von Bedeutung. Hier geht es um ein Ausstandsgesuch der Polizeibeamten X und Y. An Polizeibeamte sind nicht dieselben Anforderungen zu stellen wie an einen Richter. Polizeibeamte werden durch ihre Ermittlungstätigkeit im Auftrag und auf Weisung des Gerichts nicht zu Gerichtsfunktionären oder gar zu gerichtlichen Sachverständigen. Ihnen gegenüber besteht somit nicht derselbe Anspruch auf Unparteilichkeit, Unvoreingenommenheit und Unbefangenheit wie gegenüber einem Richter oder gerichtlichen Sachverständigen[21]. Die im Auftrag und auf Weisung des Gerichts tätigen Polizeibeamten sind und bleiben Polizeifunktionäre; sie sind gleich wie im Vorverfahren Teil der Strafverfolgungsbehörde "Polizei"[22]. Mit der Ermittlungstätigkeit für das Gericht lösen sich die zwischen Staatsanwaltschaft und Polizei bestehenden Subordinationsbindungen nicht auf. Insofern unterscheidet sich die polizeiliche Ermittlungsarbeit im Hauptverfahren im Auftrag und auf Weisung des Gerichts nicht von jener im Vorverfahren im Auftrag und auf Weisung der Staatsanwaltschaft. Sie vermag den Entscheid des Gerichts nicht mehr und nicht weniger zu beeinflussen als die polizeiliche Ermittlungsarbeit im Vorverfahren. Die Ermittlungshandlungen der Polizei und mithin jene von X sowie Y im Hauptverfahren im Auftrag und auf Weisung des Gerichts sind von der Vorinstanz folglich gleich zu würdigen wie die Ermittlungstätigkeit der Polizei im Vorverfahren im Auftrag und auf Weisung der Staatsanwaltschaft, nämlich als Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörde "Polizei".

bb) Die Vorinstanz wies im angefochtenen Entscheid zu Recht auf einen Entscheid des Obergerichts vom 3. November 2016 hin, in dem dieses im Zusammenhang mit der Wiederholung des polizeilichen Schlussberichts zum Tötungsdelikt feststellte, der Schlussbericht sei unter Mitwirkung der Staatsanwaltschaft zu wiederholen. Das Obergericht erkannte im selben Entscheid auch, dass polizeiliche Ermittlungsberichte und insbesondere polizeiliche Schlussberichte nicht nur (neutral) rapportierten, strukturierten und zusammenfassten, sondern auch je nach Fall und nach dem Rapportierenden – einmal mehr und einmal weniger – werteten und würdigten[23]. Dies weiss auch die Vorinstanz, weshalb sie diesen Umstand in ihrer Beweiswürdigung und Entscheidfindung berücksichtigt.

cc) Hinzu kommt, dass die StPO dem Gericht eine Delegation von Ermittlungstätigkeiten während des Hauptverfahrens an die Staatsanwaltschaft ermöglicht. Ist die Erhebung eines Beweises in der Hauptverhandlung voraussichtlich nicht möglich, kann nach Art. 332 Abs. 3 StPO die Verfahrensleitung eine vorgängige Beweiserhebung durchführen, damit eine Delegation des Gerichts, in dringenden Fällen auch die Staatsanwaltschaft betrauen oder die Beweiserhebung rechtshilfeweise vornehmen lassen. Den Parteien ist Gelegenheit zu geben, an solchen Beweiserhebungen teilzunehmen. Rechtsstaatlich mag es nicht ganz unproblematisch erscheinen, dass die Staatsanwaltschaft im Hauptverfahren Untersuchungshandlungen durchführt, da sie selber Partei ist[24]. Allerdings sieht das Gesetz diese Möglichkeit nun einmal vor. Es gilt jedoch zu beachten, dass die Staatsanwaltschaft dadurch nicht zum eigentlichen Gerichtsfunktionär oder -gehilfen wird. Vielmehr wird das Gericht aufgrund seiner Unabhängigkeit sowie Unparteilichkeit und der Verfahrensverantwortung die Beweiserhebungen durch die Staatsanwaltschaft im Hauptverfahren nicht ohne entsprechende Würdigung übernehmen. Gleich verhält es sich auch bei Polizeibeamten, die im Auftrag und auf Weisung des Gerichts Ermittlungen durchführen.

dd) Die Polizei hatte während des Hauptverfahrens im Auftrag der Vorinstanz ohnehin kaum zusätzliche Abklärungen beziehungsweise Ermittlungen zu tätigen. Hauptsächlich ging es um die Elimination der aufgrund des Ausstands der beiden Staatsanwälte unverwertbar gewordenen Bereiche. Dass diese zusätzlichen Ermittlungstätigkeiten im Hauptverfahren dieselben Polizeibeamten erledigten, die auch im Vorverfahren für die Staatsanwaltschaft tätig waren, war allen Beteiligten bekannt und ist auch nicht zu beanstanden. Andernfalls müssten stets Polizeibeamte, die mit dem Verfahren bislang nichts zu tun hatten, im Hauptverfahren tätig werden, was weder sinnvoll noch notwendig erscheint.

ee) Der Vorinstanz ist die Stellung der beiden Polizeibeamten X und Y innerhalb der Strafverfolgungsbehörden bewusst. Sie wird auf deren Ermittlungsergebnisse daher nicht einfach unkritisch abstellen oder sie gar als eigenes Handeln betrachten, sondern diese entsprechend würdigen. Dies gilt hier umso mehr, als dieselben Polizeibeamten bereits im Vorverfahren für die Staatsanwaltschaft ermittelt haben und X die Generalstaatsanwaltschaft nun auch im Hauptverfahren beim Aufbereiten sowie Auffinden von Akten unterstützt. Dass die Vorinstanz die Polizeiarbeit sorgfältig und kritisch prüft, zeigt im Übrigen auch der Umstand, dass sie die Kantonspolizei im November 2017 zusätzlich zu den bereits getätigten Ermittlungen um weitere Abklärungen betreffend Antennenstandorte und Bewegungsprofile ersuchte.

ff) Die Generalstaatsanwaltschaft kann die Polizei im Hauptverfahren nicht mit weiteren Ermittlungstätigkeiten beauftragen; entsprechende Aufträge erfolgten hier unbestritten auch nicht. Es ist somit nicht ersichtlich, inwiefern X und Y in einen Interessenkonflikt geraten sollen, wenn sie Ermittlungen im Auftrag und auf Weisung der Vorinstanz durchführen und gleichzeitig die Generalstaatsanwaltschaft bei der Recherche in den bestehenden Akten sowie bei der Klärung von Fragen anhand der Akten – und nur der Akten – unterstützen. Es spricht nichts gegen einen aktenbasierten Support der Staatsanwaltschaft durch die Polizei im Hauptverfahren. Ein Ausstandsgrund ist nicht gegeben, weil Polizeibeamte durch Ermittlungen zuhanden des Gerichts nicht zu Gerichtsfunktionären oder gerichtlichen Sachverständigen werden und entsprechend den Garantien im Bereich der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit nicht zu genügen brauchen. Polizeibeamte, die im Hauptverfahren im Auftrag und auf Weisung des Gerichts Beweise erheben und gleichzeitig die Staatsanwaltschaft beim Aufbereiten sowie Auffinden von Akten unterstützen, erscheinen folglich nicht als befangen.

d) Der Ausgang des erstinstanzlichen Strafverfahrens erscheint bei objektiver Betrachtung somit nach wie vor offen. Das Ausstandsgesuch ist daher abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann.

Obergericht, 2. Abteilung, 25. Januar 2018, SW.2017.120

Das Bundesgericht wies eine von A erhobene Beschwerde am 26. November 2018 ab (1B_139/2018).


[1] BGE 141 IV 178 ff.

[2] Vgl. RBOG 2016 Nr. 26

[3] Art. 58 Abs. 2 StPO

[4] Art. 59 Abs. 1 lit. a und b StPO

[5] Art. 59 Abs. 2 StPO

[6] Art. 59 Abs. 3 StPO

[7] Art. 60 Abs. 1 StPO

[8] ZR 116, 2017, Nr. 7 S. 33 f.

[9] Vgl. Keller, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung (Hrsg.: Donatsch/Hansjakob/Lieber), 2.A., Art. 59 N 5

[10] Art. 56 lit. b StPO

[11] BGE 141 IV 179

[12] Keller, Art. 56 StPO N 6; Boog, Basler Kommentar, Art. 56 StPO N 9; BGE 137 I 232

[13] BGE 141 IV 179

[14] BGE vom 4. Januar 2018, 1B_434/2017, Erw. 5.2

[15] Riklin, Schweizerische Strafprozessordnung, Kommentar, 2.A., Art. 56 N 5

[16] Art. 328 StPO

[17] Art. 104 Abs. 1 lit. c StPO; BGE 141 IV 180

[18] Art. 15 Abs. 3 StPO; Guidon, Die Beschwerde gemäss Schweizerischer Strafprozessordnung, Zürich/St. Gallen 2011, N 43

[19] Uster, Basler Kommentar, Art. 16 StPO N 3; RBOG 2016 Nr. 26 Erw. 4.c.bb

[20] BGE 141 IV 178 ff.

[21] BGE 125 II 544 f.

[22] Art. 12 lit. a StPO

[23] RBOG 2016 Nr. 26 Erw. 4.c.bb

[24] Stephenson/Zalunardo-Walser, Basler Kommentar, Art. 332 StPO N 5

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