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RBOG 2019 Nr. 17

Rechtliches Gehör bei Erlass einer Sistierungsverfügung durch die Staatsanwaltschaft


Art. 310 StPO, Art. 314 StPO, Art. 318 StPO, Art. 319 StPO, Art. 322 StPO


1. a) Mit Verfügung vom 25. Juli 2018 sistierte die Staatsanwaltschaft die Strafuntersuchung gegen X auf unbestimmte Zeit[1]. Am 23. Januar 2019 teilte die Staatsanwaltschaft dies der Beschwerdeführerin mit und entschuldigte sich, dass sie ihr die Sistierungsverfügung versehentlich nicht zugestellt habe. Selbstverständlich beginne die Rechtsmittelfrist ab Erhalt dieses Schreibens neu zu laufen.

b) Mit Rechtsverzögerungs- und Rechtsverweigerungsbeschwerde beantragte die Beschwerdeführerin sinngemäss, die Staatsanwaltschaft sei anzuweisen, das Strafverfahren gegen X gemäss ihren Strafanzeigen weiterzuführen.

2. a) Gemäss Art. 314 Abs. 1 lit. a StPO kann die Staatsanwaltschaft eine Untersuchung sistieren, wenn die Täterschaft oder ihr Aufenthalt unbekannt ist oder andere vorübergehende Verfahrenshindernisse bestehen. Vor der Sistierung erhebt die Staatsanwaltschaft die Beweise, deren Verlust zu befürchten ist. Ist die Täterschaft oder ihr Aufenthalt unbekannt, so leitet sie eine Fahndung ein[2]. Im Übrigen richtet sich das Verfahren nach den Bestimmungen über die Verfahrenseinstellung[3]. Die Sistierung stellt eine Zwischenverfügung dar, mit der erreicht wird, dass eine Untersuchung, die bloss vorübergehend nicht weitergeführt werden kann, einstweilen formell erledigt wird. Der Fall bleibt bei der sistierenden Behörde rechtshängig und muss später durch Einstellung, Anklage oder Strafbefehl erledigt werden[4].

b) Gegen die Anordnung der Sistierung durch die Staatsanwaltschaft kann Beschwerde gemäss Art. 393 ff. StPO er­hoben werden[5].

c) aa) Strittig ist, ob eine Vorankündigung an die Parteien nötig ist. Omlin argumentiert, da die Sistierungsnorm bloss eine Analogie zu den Bestimmungen über die Verfahrenseinstellung herstelle und nicht wie die Nichtanhandnahmeverfügung auf die Art. 319 ff. StPO verweise (Art. 310 Abs. 2 StPO), könne der dortige Umkehrschluss – wonach Art. 318 Abs. 1 StPO, der die Vorankündigung der Einstellungsverfügung an die Parteien regle, nicht anwendbar sei – nicht zum Tragen kommen. Dies rechtfertige sich auch deshalb, da das Verfahren bis zur Sistierung zu etwaigen Beweisergebnissen geführt haben könne, sodass den Parteien das rechtliche Gehör eingeräumt werden müsse. Entsprechend habe eine Sistierung den Betroffenen angekündigt zu werden[6]. Landshut/Bosshard stellen darauf ab, dass das Gesetz eine Pflicht zur Vorankündigung zwar nicht vorsehe. Sie halten dennoch fest, eine Anzeige im Sinn von Art. 318 Abs. 1 StPO könne auch bei einer Sistierung sinnvoll sein, da in der Regel bis zum Sistierungsentscheid Beweisabnahmen erfolgt seien und den Parteien das rechtliche Gehör betreffend das Beweisergebnis eingeräumt werden sollte[7].

bb) Die Lehrmeinung von Omlin überzeugt nicht, denn die Verweisungsnormen von Art. 314 Abs. 5 StPO (Sistierung) und Art. 310 Abs. 2 StPO (Nichtanhandnahme) sind gleichlautend. Beim Erlass von Nichtanhandnahmeverfügungen ist aber nach Rechtsprechung und Lehre in aller Regel keine Parteimitteilung nötig, beziehungsweise es bedarf keiner Vorankündigung. Dem Gehörsanspruch ist mit der bestehenden Beschwerdemöglichkeit genügend Nachachtung verschafft[8]. Ist eine Parteimitteilung bei beabsichtigtem Erlass einer Nichtanhandnahmeverfügung in der Regel nicht nötig, ist insgesamt nicht einzusehen, weshalb dies bei einer Sistierung – gerade mit Blick auf Art. 318 StPO – anders sein soll. Vielmehr wird bei einer Sistierung keine materielle Erledigung in einer pendenten Strafuntersuchung vorgenommen, sie erlangt auch keine materielle Rechtskraft und ist bei Wegfall des Sistierungsgrunds umgehend aufzuheben. Im Unterschied zur Wiederaufnahme gemäss Art. 323 StPO nach einer Nichtanhandnahme oder Einstellung ist die Sistierung von Amtes wegen aufzuheben, wenn der Grund der Sistierung nicht mehr besteht[9].

Haben aber die vorläufigen Ermittlungen – wie im vorliegenden Fall – einen das übliche Mass übersteigenden Umfang angenommen und / oder erfolgten Beweisabnahmen, ist das rechtliche Gehör zu gewähren, weshalb eine Parteimitteilung erfolgen muss[10]. Sind noch offene Beweisanträge vorhanden, hat entweder eine Parteimitteilung zu erfolgen oder es ist in der Sistierungsverfügung zu begründen, weshalb die beantragten Beweise nicht abgenommen wurden. Nur wenn keine Beweise abgenommen und keine Beweisanträge gestellt wurden, ist die Gewährung des rechtlichen Gehörs nicht zwingend. In diesem Fall genügt die Angabe des Sistierungsgrunds mit einer Kurzbegründung in der Sistierungsverfügung.

cc) Da die Beschwerdeführerin von Anfang an Beweisanträge stellte, indessen die Staatsanwaltschaft sich im angefochtenen Entscheid dazu nicht äusserte und die Beschwerdeführerin nicht über die geplante Sistierung informiert wurde, ist die Beschwerde zu schützen und die Sache entsprechend den dargelegten Vorgaben an die Staatsanwaltschaft zurückzuweisen.

d) Eine Sistierung steht in einem Spannungsverhältnis zum Beschleunigungsgebot, weshalb von einer vorläufigen Einstellung des Verfahrens nur sehr zurückhaltend Gebrauch zu machen ist, beziehungsweise eine Sistierung nur dann in Frage kommt, wenn die Gründe nach Art. 314 Abs. 1 lit. a – d StPO die Fortsetzung und den Abschluss der Voruntersuchung während längerer Zeit verunmöglichen[11]. Dabei steht der zuständigen Behörde ein Ermessensspielraum zu. Die Sistierungsverfügung soll daher Anhaltspunkte für den ungefähren Zeitpunkt der Wiederaufnahme aufführen. Wenn in der Sistierungsverfügung keine solchen Angaben geliefert werden können, muss eine Befristung erfolgen. Andernfalls entsteht der Eindruck, dass die Behörde ihre Bemühungen, das Verfahren vorwärts zu bringen, auf unbestimmte Zeit einstellt[12].

Entgegen der Formulierung der Staatsanwaltschaft – "Sis­tierung auf unbestimmte Zeit" – ist daher eine Sistierung nur zulässig bis zur Anhaltung und Zuführung des gestützt auf Art. 210 Abs. 2 StPO ausgeschriebenen X.

Obergericht, 2. Abteilung, 21. März 2019, SW.2019.14


[1] "Unbefristete Sistierung"

[2] Art. 314 Abs. 3 StPO

[3] Art. 314 Abs. 5 StPO

[4] Landshut/Bosshard, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung (Hrsg.: Donatsch/Hansjakob/Lieber), 2.A., Art. 314 N. 1

[5] Art. 314 Abs. 5 i.V.m. Art. 322 Abs. 2 StPO; Landshut/Bosshard, Art. 314 StPO N. 23; Omlin, Basler Kommentar, 2.A, Art. 314 StPO N. 44; Schmid/Jositsch, Schweizerische Strafprozessordnung, Praxiskommentar, 3.A., Art. 314 N. 12

[6] Omlin, Art. 314 StPO N. 34 mit Verweis auf BB.2012.42, Erw. 2 (Entscheid der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts vom 26. Juli 2012)

[7] Landshut/Bosshard, Art. 314 StPO N. 20a mit Verweis auf den gleichen Entscheid der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts

[8] Landshut/Bosshard, Art. 310 StPO N. 11; Omlin, Art. 310 StPO N. 19 und 21

[9] Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen vom 23. August 2017, AK.2017.212, Erw. 2.1

[10] Oberholzer, Grundzüge des Strafprozessrechts, 3.A., N. 1377; Landshut/Boss­hard, Art. 314 StPO N. 20a; Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen vom 23. August 2017, AK.2017.212, Erw. 2.2

[11] Landshut/Bosshard, Art. 314 StPO N. 4

[12] Landshut/Bosshard, Art. 314 StPO N. 4 mit Verweis auf BGE vom 1. Juni 2001, 1P.78/2001, Erw. 2d

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