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RBOG 2021 Nr. 12

Im Verfahren betreffend Wiederherstellung der Rechtsvorschlagsfrist vor der unteren Aufsichtsbehörde in Schuldbetreibungssachen ist Art. 97 ZPO sinngemäss anwendbar.


Art. 33 Abs. 4 SchKG, Art. 97 ZPO


1. Das Betreibungsamt stellte fest, der von der Beschwerdeführerin in einer Betreibung erhobene Rechtsvorschlag sei – unter Vorbehalt einer Wiederherstellung der versäumten Rechtsvorschlagsfrist – verspätet. Das Gesuch um Wiederherstellung der Frist wies der Einzelrichter des Bezirksgerichts als untere Aufsichtsbehörde in Schuldbetreibungssachen ab und auferlegte der Beschwerdeführerin eine Verfahrensgebühr von Fr. 150.00. Gegen die Auferlegung der Verfahrensgebühr erhob die Beschwerdeführerin Beschwerde.

2. Der Entscheid einer unteren Aufsichtsbehörde in Schuldbetreibungssachen betreffend Fristwiederherstellung kann innert zehn Tagen nach Eröffnung an die obere kantonale Aufsichtsbehörde weitergezogen werden[1]. Zuständig ist das Obergericht als obere kantonale Aufsichtsbehörde in Schuldbetreibungssachen[2]. Das Beschwerdeverfahren in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen richtet sich nach Art. 20a Abs. 2 SchKG. Soweit das SchKG keine Bestimmungen enthält, regeln die Kantone das Verfahren[3]. Das thurgauische Recht enthält keine Bestimmungen, welche das Beschwerdeverfahren konkretisieren. Gemäss steter Praxis des Obergerichts sind die Bestimmungen der ZPO, insbesondere des Beschwerdeverfahrens nach Art. 319 ff. ZPO, sinngemäss subsidiär anwendbar[4]. Mit der Beschwerde können die unrichtige Rechtsanwendung und die offensichtlich unrichtige Feststellung des Sachverhalts geltend gemacht werden[5].

3. a) Die Beschwerdeführerin rügt, dass ihr die Vorinstanz vorgängig nicht mitgeteilt habe, dass das Verfahren betreffend Wiederherstellung der Rechtsvorschlagsfrist nach Art. 33 Abs. 4 SchKG kostenpflichtig sei. Überdies sei sie von der Vorinstanz nicht über die Höhe der mutmasslichen Prozesskosten aufgeklärt worden. Hätte sie im Vorfeld davon Kenntnis gehabt, hätte sie mit grosser Wahrscheinlichkeit auf die Einreichung eines Fristwiederherstellungsgesuchs verzichtet und eine negative Feststellungsklage eingereicht.

b) Einleitend ist festzuhalten, dass die Vorinstanz zu Recht eine Verfahrensgebühr für das Verfahren betreffend Fristwiederherstellung erhob. Bei der Wiederherstellung der Frist zur Erhebung des Rechtsvorschlags geht es nicht um die Überprüfung einer allenfalls fehlerhaften behördlichen Verfügung; vielmehr liegt die verpasste Frist im Verantwortungsbereich der ersuchenden Partei. Entsprechend stellt das erstinstanzliche Verfahren zur Wiederherstellung der Rechtsvorschlagsfrist kein Beschwerdeverfahren nach Art. 17 ff. SchKG dar, welches der Überprüfung einer Amtshandlung der Schuldbetreibungs- und Konkursorgane dienen und damit eine Kostenlosigkeit rechtfertigen würde. Die Inanspruchnahme der unteren Aufsichtsbehörde unterliegt damit einer Gebührenpflicht[6]. Da es sich jedoch nicht um einen gerichtlichen Entscheid in betreibungsrechtlichen Summarsachen handelt, fällt eine Spruchgebühr nach Art. 48 GebV SchKG[7] ausser Betracht. Der Kostenspruch stützt sich vielmehr auf Art. 1 Abs. 2 GebV SchKG, wonach für eine nicht besonders tarifierte Verrichtung eine Gebühr bis zu Fr. 150.00 erhoben werden kann[8]. Die Aufsichtsbehörde kann höhere Gebühren festsetzen, wenn die Schwierigkeit der Sache, der Umfang der Bemühungen oder der Zeitaufwand es rechtfertigt[9]. Die vorliegend erhobene Verfahrensgebühr von Fr. 150.00 liegt daher auch ohne nähere Ausführungen in ihrer Höhe innerhalb des gesetzlich vorgesehenen Tarifrahmens und ist grundsätzlich nicht zu beanstanden.

c) aa) Das SchKG enthält keine Bestimmung, wonach das Betreibungsamt oder die Aufsichtsbehörde die betroffene Partei vorab über die Kostenpflichtigkeit eines Verfahrens oder die mutmassliche Höhe der Prozesskosten aufzuklären haben. Auch die Gebührenverordnung SchKG und das kantonale Recht kennen keine solche Norm. Es bleibt allerdings zu prüfen, ob Art. 97 ZPO, wonach das Gericht die nicht anwaltlich vertretene Partei über die mutmassliche Höhe der Prozesskosten aufzuklären hat, sinngemäss auf das Verfahren betreffend Fristwiederherstellung gemäss Art. 33 Abs. 4 SchKG anwendbar ist.

bb) Art. 33 Abs. 4 SchKG macht keine Vorgaben zum Verfahren[10]. Beim Fristwiederherstellungsverfahren nach Art. 33 Abs. 4 SchKG vor dem Einzelrichter des Bezirksgerichts als untere Aufsichtsbehörde in Schuldbetreibungssachen handelt es sich wie bereits erwähnt nicht um ein Beschwerdeverfahren gemäss Art. 17 ff. SchKG, weshalb die entsprechenden Bestimmungen nicht unbesehen übernommen werden können[11]. Dies betrifft vor allem die Kostenlosigkeit des Verfahrens und die Feststellung des Sachverhalts von Amtes wegen[12]. Eine analoge Anwendung der Bestimmungen zum betreibungsrechtlichen Beschwerdeverfahren erscheint aufgrund der Zuständigkeit der Aufsichtsbehörde – unter Vorbehalt der erwähnten Besonderheiten – allerdings naheliegend, wobei die Bestimmungen der ZPO aufgrund des Verweises in Art. 20a Abs. 3 SchKG auf das kantonale Recht gemäss obergerichtlicher Rechtsprechung sinngemäss subsidiär Anwendung finden. Im Ergebnis folgt das Verfahren betreffend Fristwiederherstellung vor der Aufsichtsbehörde – unter Vorbehalt der im SchKG enthaltenen Besonderheiten – den gleichen Regeln, wie wenn eine in der Sache zuständige richterliche Behörde um Fristwiederherstellung ersucht wird[13]. Entsprechend ist für das Verfahren betreffend Wiederherstellung der Rechtsvorschlagsfrist vor der unteren Aufsichtsbehörde in Schuldbetreibungssachen Art. 97 ZPO sinngemäss anwendbar.

d) aa) Gemäss Art. 97 ZPO klärt das Gericht die nicht anwaltlich vertretene Partei über die mutmassliche Höhe der Prozesskosten sowie über die unentgeltliche Rechtspflege auf. Zum Adressatenkreis dieser Aufklärungspflicht ist – anders als die Schlichtungs-, Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden[14] – auch die untere Aufsichtsbehörde in Schuldbetreibungssachen zu zählen, wird diese Aufsichtstätigkeit doch der einzelrichterlichen Zuständigkeit der Bezirksgerichte zugeteilt[15]. Für die untere Aufsichtsbehörde in Schuldbetreibungssachen gelten auch keine besonderen Kostenregelungen, wie zum Beispiel Art. 113 ZPO für das Schlichtungsverfahren oder § 63 KESV[16] für die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden, deren Tätigwerden in der Regel - im Unterschied zu den Gerichten - nicht vom Willen des Betroffenen abhängt. Zudem ist hier speziell, dass die untere Aufsichtsbehörde in Schuldbetreibungssachen – im Unterschied zur grundsätzlichen Kostenlosigkeit des Beschwerdeverfahrens[17] – eine Verfahrensgebühr erhebt. Insofern gebietet es sich umso mehr, eine nicht anwaltlich vertretene Partei darauf aufmerksam zu machen. Die Aufklärungspflicht bezweckt, dass auch ein Laie das Kostenrisiko eines Prozesses abschätzen kann[18]. Sinnvollerweise hat die Aufklärung zu Beginn des Verfahrens zu erfolgen, das heisst, bevor entsprechende Kosten angefallen sind[19].

Die Aufklärung über die Kosten sowie die unentgeltliche Rechtspflege hat von Amtes wegen zu erfolgen[20]. Kommt das Gericht seiner Aufklärungspflicht nicht nach, liegt ein Verfahrensmangel (und damit eine unrichtige Rechtsanwendung) vor[21]. Eine mit Verfahrenskosten belastete Partei, die selber prozessiert hat und nicht über das Kostenrisiko aufgeklärt worden ist, kann somit den Endentscheid anfechten und vor der Rechtsmittelinstanz vorab geltend machen, bei erfolgter richterlicher Aufklärung wären die Gerichtskosten zufolge eines Klagerückzugs nicht in diesem Ausmass angefallen, weshalb die Mehrkosten gemäss Art. 107 Abs. 2 ZPO dem Staat aufzuerlegen seien oder bei Mittellosigkeit gar rückwirkend die unentgeltliche Rechtspflege zu erteilen sei[22].

bb) Aus den Akten geht hervor, dass die Vorinstanz die Beschwerdeführerin nicht über die Kostenfolgen ihres Fristwiederherstellungsgesuchs aufgeklärt hat. Damit verletzte die Vorinstanz ihre Aufklärungspflicht nach Art. 97 ZPO. Es liegt ein Verfahrensmangel vor. Die Beschwerde ist deshalb zu schützen. Die Beschwerdeführerin brachte ausdrücklich vor, dass sie bei erfolgter Aufklärung über die Kostenfolgen mit sehr grosser Wahrscheinlichkeit auf die Einreichung eines Wiederherstellungsgesuchs verzichtet und direkt eine negative Feststellungsklage eingereicht hätte. Die erstinstanzlichen Gerichtskosten von Fr. 150.00 wären somit bei rechtmässiger Aufklärung der Beschwerdeführerin sehr wahrscheinlich nicht angefallen, weshalb sie gemäss Art. 107 Abs. 2 ZPO dem Kanton auferlegt werden.

Obergericht, 1. Abteilung, 27. September 2021, BS.2021.8/9


[1] Nordmann, Basler Kommentar, 2.A., Art. 33 SchKG N. 16; Art. 18 Abs. 1 SchKG

[2] § 59 Abs. 2 ZSRG (Gesetz über die Zivil- und Strafrechtspflege, RB 271.1)

[3] Art. 20a Abs. 3 SchKG

[4] RBOG 2013 Nr. 17 Erw. 2.b.aa

[5] Art. 320 ZPO

[6] Staehelin, Basler Kommentar, Ergänzungsband zur 2.A., Basel 2017, Art. 33 SchKG N. 16; vgl. Baeriswyl/Milani/Schmid, in: Kommentar zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs (Hrsg.: Kren Kostkiewicz/Vock), 4.A., Art. 33 N. 42

[7] Gebührenverordnung zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, SR 281.35

[8] Staehelin, Art. 33 SchKG N. 16; vgl. Baeriswyl/Milani/Schmid, Art. 33 SchKG N. 42

[9] Art. 1 Abs. 2 Satz 2 GebV SchKG; zum Ganzen SGGVP 2012 Nr. 80 (auch BlSchK 2013, S. 26 ff.)

[10] Baeriswyl/Milani/Schmid, Art. 33 SchKG N. 42; Journal des tribuneaux 2003 II S. 65 ff.

[11] Baeriswyl/Milani/Schmid, Art. 33 SchKG N. 42

[12] Vgl. Baeriswyl/Milani/Schmid, Art. 33 SchKG N. 42; Nordmann, Art. 33 SchKG N. 16; Staehelin, Art. 33 SchKG N. 16; SGGVP 2012 Nr. 80 Erw. 6.c (auch BlSchK 2013, S. 7 f.); EGVSZ 1998 Nr. 41 Erw. c

[13] Vgl. Art. 1 lit. d ZPO, wonach die Zivilprozessordnung das Verfahren vor kantonalen Instanzen für gerichtliche Angelegenheiten des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts regelt.

[14] Vgl. RBOG 2019 Nr. 21 Erw. 2.b

[15] Vgl. § 59 Abs. 1 ZSRG

[16] Kindes- und Erwachsenenschutzverordnung, RB 211.24

[17] Nach Art. 17 ff. SchKG

[18] Rüegg/Rüegg, Basler Kommentar, 3.A., Art. 97 ZPO N. 1; Sterchi, Berner Kommentar, Bern 2012, Art. 97 ZPO N. 1; Urwyler/Grütter, in: Schweizerische Zivilprozessordnung (Hrsg.: Brunner/Gasser/Schwander), 2.A., Art. 97 N. 1; Pesenti, Gerichtskosten (insbesondere Festsetzung und Verteilung) nach der Schweizerischen Zivilprozessordnung (ZPO), Basel 2017, N. 211; Wuffli/Fuhrer, Handbuch unentgeltliche Rechtspflege im Zivilprozess, Zürich/St. Gallen 2019, N. 755; vgl. Kuster, in: Schweizerische Zivilprozessordnung (Hrsg.: Baker & McKenzie), Bern 2010, Art. 97 N. 2

[19] Vgl. Rüegg/Rüegg, Art. 97 ZPO N. 3; Sterchi, Art. 97 ZPO N. 5; Pesenti, N. 222; Wuffli/Fuhrer, N. 758

[20] Rüegg/Rüegg, Art. 97 ZPO N. 1; Pesenti, N. 217 und 236; Wuffli/Fuhrer, N. 758; Schmid/Jent-Sørensen, in: Schweizerische Zivilprozessordnung, Kurzkommentar (Hrsg.: Oberhammer/Domej/Haas), 3.A., Art. 97 N. 4; vgl. Suter/von Holzen, in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung (Hrsg.: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger), 3.A., Art. 97 N. 16; vgl. Urwyler/Grütter, Art. 97 ZPO N. 1; a.M. Sterchi, Art. 97 ZPO N. 9 f., wonach es eher dem Charakter des Zivilprozesses entspreche, die Auskunft nur auf konkrete Anfrage einer nicht berufsmässig vertretenen Partei zu erteilen.

[21] Rüegg/Rüegg, Art. 97 ZPO N. 5

[22] Vgl. Rüegg/Rüegg, Art. 97 ZPO N. 5; Pesenti, N. 239; Urwyler/Grütter, Art. 97 ZPO N. 6; Schmid/Jent-Sørensen, Art. 97 ZPO N. 7, wonach die Gerichtskosten nach Treu und Glauben entsprechend anzupassen seien; Suter/von Holzen, Art. 97 ZPO N. 17, wonach ein gewisser Ausgleich durch eine tiefere Festsetzung oder gar Erlass der Gerichtskosten denkbar bleibt (vgl. Art. 107 Abs. 2 ZPO); a.M. Wuffli/Fuhrer, N. 762, wonach Art. 97 ZPO eine Ordnungsvorschrift darstellt, deren Missachtung keine Aufhebung der ergangenen Prozesshandlungen zur Folge hat; Kuster, Art. 97 ZPO N. 6, wonach eine Unterlassung durch das Gericht keine Konsequenzen nach sich zieht.

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