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RBOG 2023 Nr. 26

Der Antrag auf Gütertrennung im zweiten mündlichen Vortrag in einer Eheschutzverhandlung ist verspätet; Änderung von RBOG 2002 Nr. 30.

Art. 230 Abs. 1 ZPO Art. 227 Abs. 1 ZPO Art. 271 ZPO Art. 176 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB


Zusammenfassung des Sachverhalts:

Die Berufungsbeklagte stellte im Rahmen eines Eheschutzverfahrens gegen den Berufungskläger im zweiten mündlichen Vortrag den Antrag auf Gütertrennung. Im Berufungsverfahren ist umstritten, ob dieser Antrag rechtzeitig erfolgte.

Aus den Erwägungen:

[…]

2.3.

Die Berufungsbeklagte führt in ihrer Berufungsantwort aus, die Vorinstanz habe sich im angefochtenen Entscheid mit dem Einwand, der Antrag auf Gütertrennung sei nicht rechtzeitig erhoben worden, auseinandergesetzt und diesen mit Verweis auf RBOG 2002 Nr. 30 zu Recht zurückgewiesen. In der Tat wäre es prozessökonomischer Unsinn, den Antrag auf Gütertrennung als verspätet zurückzuweisen und die Berufungsbeklagte damit zu zwingen, den "neuen" Antrag in einem weiteren Verfahren einzubringen. Nachdem der Berufungskläger im Rahmen der Einigungsverhandlung seine Zustimmung zur Gütertrennung – eher überraschend – verweigert habe, habe sich die Berufungsbeklagte veranlasst gesehen, den entsprechenden Antrag zu stellen, sodass das Gericht habe darüber entscheiden können. Dieses Vorgehen sei nicht zu beanstanden.

2.4.

2.4.1.

Gemäss Art. 271 ZPO ist das summarische Verfahren anwendbar für alle Massnahmen zum Schutz der ehelichen Gemeinschaft. Die Einleitung des Verfahrens erfolgt durch ein Gesuch[1], welches in den Formen von Art. 130 ZPO zu stellen ist[2], somit in Papierform oder elektronisch und unterzeichnet[3]. In einfachen oder dringenden Fällen kann das Gesuch mündlich beim Gericht zu Protokoll gegeben werden[4]. Nach Einreichung des Gesuchs hat das Gericht der Gegenpartei Gelegenheit zu geben, mündlich oder schriftlich Stellung zu nehmen[5]. Inhaltlich hat die Stellungnahme des Gesuchsgegners die Anträge, die vollständigen Tatsachenbehauptungen beziehungsweise Bestreitungen der Tatsachenbehauptungen und die Bezeichnung der Beweismittel zu enthalten. Die verfügbaren Urkunden sind einzureichen[6]. Das Gesetz enthält keine Vorrangigkeit der einen oder anderen Art. Die mündliche Stellungnahme erfolgt regelmässig im Rahmen der Verhandlung[7]. Im Gegensatz zur Regel von Art. 256 Abs. 1 ZPO ist die Verhandlung für Eheschutzmassnahmen obligatorisch, sofern der Sachverhalt aufgrund der Eingaben der Parteien nicht klar oder unbestritten ist[8]. Ein zweiter Schriftenwechsel, das heisst Replik und Duplik, sieht das Gesetz nicht vor, sodass diese an der Verhandlung stattfinden[9]. Das Eheschutzverfahren ist, was die Verhältnisse zwischen den Ehegatten betrifft, vom Dispositionsgrundsatz gemäss Art. 58 Abs. 1 ZPO beherrscht.

2.4.2.

Eine Klageänderung ist gemäss Art. 227 Abs. 1 ZPO zulässig, wenn der geänderte oder neue Anspruch nach der gleichen Verfahrensart zu beurteilen ist und mit dem bisherigen Anspruch in einem sachlichen Zusammenhang steht (lit. a) oder die Gegenpartei zustimmt (lit. b). Eine Klageänderung ist gestützt auf Art. 230 Abs. 1 ZPO in der Hauptverhandlung nur noch zulässig, wenn die Voraussetzungen nach Artikel 227 Absatz 1 gegeben sind (lit. a) und sie auf neuen Tatsachen oder Beweismitteln beruht (lit. b). Im summarischen Verfahren bilden Gesuch und Gesuchsantwort bereits das Hauptstadium, was eine Gesuchsänderung nach Erstattung einer schriftlichen Stellungnahme in sinngemässer Anwendung von Art. 230 ZPO regelmässig unzulässig macht[10].

2.5.

2.5.1.

Weder im Gesuch der Berufungsbeklagten um Eheschutz noch in der Stellungnahme des Berufungsklägers beantragte eine der beiden Parteien die Anordnung der Gütertrennung. Auch in den ersten Parteivorträgen anlässlich der mündlichen Eheschutzverhandlung stellte keine der Parteien einen entsprechenden Antrag. Dieser erfolgte durch die Berufungsbeklagte an der Eheschutzverhandlung erst "replicando bzw. im zweiten Parteivortrag".

Ein neuer, zusätzlicher Antrag stellt eine Klageänderung nach Art. 230 ZPO dar, welche ausserhalb der Offizialmaxime nur unter sehr eingeschränkten Voraussetzungen noch zulässig ist. Da es sich bei der Gütertrennung um eine vermögensrechtliche Anordnung zwischen den Parteien handelt, untersteht das diesbezügliche Verfahren der Dispositionsmaxime. Dies bedeutet, dass die Parteien über den Streitgegenstand verfügen können – und auch müssen – und das Gericht an die jeweiligen Parteianträge gebunden ist. Es darf einer Partei somit gemäss Art. 58 Abs. 1 ZPO nicht mehr und nichts anderes zusprechen, als sie verlangt, und nicht weniger, als die Gegenpartei anerkannt hat.

2.5.2.

Die Argumentation der Berufungsbeklagten, es wäre prozessökonomischer Unsinn, den Antrag auf Gütertrennung als verspätet zurückzuweisen und sie damit zu zwingen, den "neuen" Antrag in einem weiteren Verfahren einzubringen entspricht – worauf auch die Vorinstanz in ihrem Entscheid verwies – zwar der langjährigen Praxis des Obergerichts unter altem, kantonalem Recht in Verfahren betreffend vorsorgliche Massnahmen im Scheidungsprozess. So hielt das Obergericht in RBOG 2002 Nr. 30 fest, dass im Verfahren betreffend vorsorgliche Massnahmen im Scheidungsprozess auch noch in einer allfälligen Replik oder Duplik[11] zusätzliche Anträge gestellt beziehungsweise bereits gestellte Anträge modifiziert werden könnten. Ein solcher Antrag werde als eigenständiges Abänderungsgesuch qualifiziert. Dies ergebe sich schon aus Gründen der Prozessökonomie, da ansonsten die betreffende Partei die "neuen" Anträge im Rahmen eines weiteren Verfahrens einbringen müsste und auch könnte[12]. Das Novenrecht ging so weit, dass beispielsweise im zweitinstanzlichen Verfahren selbst "Vorbringen, welche diejenigen vor Vorinstanz nicht nur ergänzen, sondern ihnen allenfalls auch widersprechen", zulässig waren[13].

2.5.3.

Allerdings verhält es sich im vorliegend unter der Herrschaft der eidgenössischen Zivilprozessordnung stehenden Eheschutzverfahren nicht mehr so. Auch vor dem Hintergrund, dass im summarischen Verfahren Rechtsstreitigkeiten flexibel und rasch behandelt und entschieden werden müssen[14] und der Grundsatz der Prozessökonomie gilt, müssen die Novenschranke gemäss Art. 229 ZPO und die Einschränkungen einer Klageänderung nach Aktenschluss gemäss Art. 230 ZPO beachtet werden. Im ordentlichen – und sinngemäss auch im vereinfachten – Verfahren hat das Bundesgericht erkannt, dass die Parteien zweimal die Möglichkeit haben, sich unbeschränkt zu äussern, während sie danach nur noch unter den eingeschränkten Voraussetzungen von Art. 229 Abs. 1 ZPO gehört werden können[15]. Im summarischen Verfahren jedoch tritt laut bundesgerichtlicher Rechtsprechung der Aktenschluss grundsätzlich bereits nach einmaliger Äusserung ein, und es besteht kein Anspruch der Parteien darauf, sich zweimal zur Sache zu äussern. Nach einem Teil der Lehre gelte dies jedoch nicht ausnahmslos, sondern sie vertrete mit überzeugenden Gründen die Ansicht, Art. 229 ZPO sei dann analog anzuwenden, wenn – nach einfachem Schriftenwechsel – eine Verhandlung stattfinde oder ausnahmsweise ein zweiter Schriftenwechsel angeordnet werde. In diesem Fall werde das summarische Verfahren über die einmalige Anhörung hinaus erweitert[16].

Im vorliegenden Fall bedeutet dies, dass die Berufungsbeklagte den Antrag auf Anordnung der Gütertrennung spätestens im Rahmen ihres ersten Parteivortrags anlässlich der mündlichen Eheschutzverhandlung hätte stellen müssen. Der anlässlich der Eheschutzverhandlung (erst) im zweiten mündlichen Vortrag neu gestellte Antrag der Berufungsbeklagten betreffend Anordnung der Gütertrennung ist prozessual verspätet ins Eheschutzverfahren eingebracht worden. Einerseits fand vor der Eheschutzverhandlung bereits ein Schriftenwechsel statt. Andererseits wären neue Anträge analog zum Novenrecht zu Beginn der Verhandlung vorzubringen, können die Parteien doch bis zu diesem Zeitpunkt ihre Sachdarstellung unbeschränkt ergänzen[17]. Dass die Voraussetzungen für eine Klageänderung im Sinn von Art. 230 ZPO gegeben gewesen wären, wurde nicht behauptet.

Schliesslich hat die Berufungsbeklagte den an der Eheschutzverhandlung geäusserten Einwand des Berufungsklägers, dass der mündliche Antrag "im Rahmen einer Triplik" und somit verspätet gestellt worden sei, nicht bestritten, denn sie verzichtete darauf, dazu Stellung zu nehmen.

2.5.4.

Der anlässlich der Eheschutzverhandlung im zweiten mündlichen Vortrag gestellte Antrag der Berufungsbeklagten betreffend Anordnung der Gütertrennung ist somit als neues Gesuch zu qualifizieren. Gestützt auf Art. 176 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB oder Art. 185 Abs. 1 ZGB kann denn auch jederzeit ein neuer, entsprechend begründeter Antrag auf Anordnung der Gütertrennung mit einem neuen Gesuch beim gleichen Gericht eingereicht werden. Doch muss das (neue) Gesuch die formellen Voraussetzungen von Art. 252 Abs. 2 ZPO erfüllen.

Vorliegend wurde das neue Gesuch mündlich eingereicht. Die mündliche Verfahrenseinleitung ist jedoch nur als Ausnahme für einfache oder dringliche Fälle vorgesehen[18] und deshalb an hohe Anforderungen geknüpft[19]. Als einfach gelten Verfahren, die in tatsächlicher Hinsicht klar und in rechtlicher Hinsicht unkompliziert sind. Ein dringender Fall liegt vor, wenn eine Partei sofortigen Rechtsschutz beansprucht und keine Zeit für eine Eingabe in den Formen von Art. 130 ZPO zur Verfügung steht. Ist die gesuchstellende Partei anwaltlich vertreten, sind die Voraussetzungen für eine mündliche Verfahrenseinleitung kaum je erfüllt. Die Möglichkeit, das Gesuch mündlich bei Gericht zu Protokoll zu geben, ist daher auf nicht rechtskundig vertretene Parteien beschränkt und beispielsweise dann aktuell, wenn der Gesuchsteller in einer dringenden Angelegenheit keine Zeit hat, einen Anwalt beizuziehen. Dadurch hat der Gesetzgeber ermöglicht, das Verfahren laienfreundlich zu gestalten und zusätzlich zu beschleunigen[20].

Vorliegend hat die Berufungsbeklagte mit keinem Wort ausgeführt, wieso das neue Gesuch um Anordnung der Gütertrennung einen einfachen oder dringenden Fall darstellt und deshalb mündlich beim Gericht zu Protokoll gegeben werden kann. Derartige Gründe sind denn auch nicht erkennbar und liegen offensichtlich nicht vor. Es wäre für die Berufungsbeklagte denn auch ein Leichtes gewesen, in den Tagen nach der Eheschutzverhandlung ein entsprechendes formgültiges schriftliches Gesuch einzureichen.

2.6.

Im Ergebnis ist der erst im zweiten Vortrag der Eheschutzverhandlung gestellte Antrag auf Gütertrennung verspätet erfolgt. Zudem hätte das neue Gesuch mangels Vorliegen eines einfachen oder dringenden Falles nicht mündlich beim Gericht zu Protokoll gegeben werden dürfen.

Die Vorinstanz hätte somit auf dieses Gesuch nicht eintreten dürfen, weshalb die Berufung in diesem Punkt geschützt wird.

[…]

Obergericht, 1. Abteilung, 14. September 2023, ZBS.2023.7


[1]    Art. 252 Abs. 1 ZPO

[2]    Art. 252 Abs. 2 Halbsatz 1 ZPO

[3]    Art. 130 Abs. 1 ZPO

[4]    Art. 252 Abs. 2 Halbsatz 2 ZPO

[5]    Art. 253 ZPO

[6]    Kaufmann, in: Schweizerische Zivilprozessordnung (Hrsg.: Brunner/Gasser/Schwander), 2.A., Art. 253 N. 22

[7]    Art. 273 Abs. 1 ZPO

[8]    Art. 273 Abs. 1 Satz 2 ZPO

[9]    Sutter-Somm/Hostettler, in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung (Hrsg.: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger), 3.A., Art. 273 N. 7

[10] Willisegger, Basler Kommentar, 3.A., Art. 230 ZPO N. 21

[11] Mit Verweis auf den damals gültigen § 162 Abs. 1 ZPO TG

[12] RBOG 2002 Nr. 30

[13] Merz, Die Praxis zur thurgauischen Zivilprozessordnung, 2.A., S. 533

[14] BGE 139 III 82

[15] BGE 144 III 118

[16] BGE 144 III 118 f.; bestätigt in BGE 146 III 57, wonach im summarischen Verfahren der Aktenschluss grundsätzlich nach einmaliger Äusserung eintritt.

[17] Willisegger, Art. 229 ZPO N. 58 und Art. 230 ZPO N. 21

[18] Art. 252 Abs. 2 ZPO

[19] Mazan, Basler Kommentar, 3.A., Art. 252 ZPO N. 6

[20] Mazan, Art. 252 ZPO N. 6 f.; Botschaft zur Schweizerischen Zivilprozessordnung vom 28. Juni 2006, BBl 2006 S. 7350


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