RBOG 2024 Nr. 06
Der Umfang eines gemessenen Wegrechts richtet sich nach den Bedürfnissen des herrschenden Grundstücks im Zeitpunkt der Errichtung. Zu deren Eruierung sind Mittel aus der Zeit der Errichtung der Dienstbarkeit heranzuziehen.
Art. 738 Abs. 1 ZGB Art. 738 Abs. 2 ZGB Art. 737 ZGB Art. 739 ZGB Art. 18 Abs. 1 OR Art. 19 Abs. 1 OR
Zusammenfassung des Sachverhalts:
1.
Der Berufungskläger ist Eigentümer der Liegenschaft Y. und die Berufungsbeklagte Eigentümerin der nordöstlich davon liegenden Liegenschaft Z. Zugunsten der Liegenschaft Z. und zulasten der Liegenschaften X. und Y. ist im Grundbuch seit dem Jahr 1926 ein Fuss- und Fahrwegrecht eingetragen.
2.
Zwischen den Parteien ist der Umfang dieses Fuss- und Fahrwegrechts strittig. Die Berufungsbeklagte verlangte ein solches mit einer Breite von 10,00 m. Die Vorinstanz legte die Breite des Wegrechts gestützt auf ein Gutachten mit 6,00 m ab der nordöstlichen Grenze der Liegenschaft Y. fest. Der Berufungskläger will lediglich ein Fuss- und Fahrwegrecht mit einer Breite von 3,00 m anerkennen.
Aus den Erwägungen:
[…]
2.
2.1.
Zur Errichtung einer Grunddienstbarkeit bedarf es der Eintragung in das Grundbuch[1]. Art. 737 Abs. 1 ZGB hält fest, dass der Berechtigte befugt ist, alles zu tun, was zur Erhaltung und Ausübung der Dienstbarkeit nötig ist. Er ist nach Absatz 2 dieser Bestimmung jedoch verpflichtet, sein Recht in möglichst schonender Weise auszuüben. Der Belastete wiederum darf nach Art. 737 Abs. 3 ZGB nichts vornehmen, was die Ausübung der Dienstbarkeit verhindert oder erschwert.
2.2.
Soweit sich Rechte und Pflichten aus dem Eintrag deutlich ergeben, ist dieser gemäss Art. 738 Abs. 1 ZGB für den Inhalt der Dienstbarkeit massgebend. Im Rahmen des Eintrags kann sich der Inhalt der Dienstbarkeit aber auch aus ihrem Erwerbsgrund oder aus der Art ergeben, wie sie während längerer Zeit unangefochten und in gutem Glauben ausgeübt worden ist[2]. Der Sinn aller Äusserungen über den Inhalt einer Dienstbarkeit ist grundsätzlich durch Auslegung zu ermitteln. Art. 738 ZGB bestimmt als besondere Auslegungsnorm die Reihenfolge der für die Auslegung der eingetragenen Grunddienstbarkeit massgeblichen Kriterien: erstens Grundbucheintrag, zweitens Erwerbsgrund, drittens Art der längeren, gutgläubigen Ausübung[3].
Die Auslegung des Grunddienstbarkeitsvertrags erfolgt in gleicher Weise wie die sonstiger Willenserklärungen. Gemäss Art. 18 Abs. 1 OR bestimmt sich der Inhalt des Vertrags nach dem übereinstimmenden wirklichen Willen der Parteien. Nur wenn eine tatsächliche Willensübereinstimmung unbewiesen bleibt, ist der Vertrag nach dem Vertrauensgrundsatz auszulegen. Die empirische oder subjektive hat gegenüber der normativen oder objektivierten Vertragsauslegung Vorrang. Diese allgemeinen Auslegungsgrundsätze gelten vorbehaltlos unter den ursprünglichen Vertragsparteien, im Verhältnis zu Dritten dagegen nur mit einer Einschränkung, die sich aus dem öffentlichen Glauben des Grundbuchs[4] ergibt, zu dem auch der Dienstbarkeitsvertrag gehört. Bei dessen Auslegung können gegenüber Dritten, die an der Errichtung der Dienstbarkeit nicht beteiligt waren und im Vertrauen auf das Grundbuch das betroffene dingliche Recht erworben haben, individuelle persönliche Umstände und Motive nicht berücksichtigt werden, die für die Willensbildung der ursprünglichen Vertragsparteien bestimmend waren, aus dem Dienstbarkeitsvertrag selbst aber nicht hervorgehen und für einen unbeteiligten Dritten normalerweise nicht erkennbar sind. Im gezeigten Umfang wird der Vorrang der subjektiven vor der objektivierten Vertragsauslegung eingeschränkt[5].
2.3.
Innerhalb der Schranken des Gesetzes können die Vertragsparteien den Inhalt und den Umfang eines Wegrechts beliebig regeln[6]. Das Wegrecht kann aufgrund der Bestimmungen im Dienstbarkeitsvertrag gemessen sein, was immer dann der Fall ist, wenn es räumlich und/oder funktionell begrenzt ist[7]. Es steht den Parteien aber auch frei, ein ungemessenes Wegrecht zu vereinbaren, sodass sich sein Inhalt und sein Umfang nach den Bedürfnissen des berechtigten Grundstücks richten. Eine gewisse künftige Entwicklung wird bei einem ungemessenen Wegrecht somit nicht ausgeschlossen. Ändern sich die Bedürfnisse des berechtigten Grundstücks, darf dem Verpflichteten gemäss Art. 739 ZGB zwar eine Mehrbelastung nicht zugemutet werden. Bei der ungemessenen Dienstbarkeit ist dem Dienstbarkeitsbelasteten aber diejenige Mehrbelastung grundsätzlich zumutbar, die auf eine objektive Veränderung der Verhältnisse, wie etwa die Entwicklung der Technik, zurückgeht, nicht auf willentlicher Änderung der bisherigen Zweckbestimmungen beruht und die die zweckentsprechende Benutzung des belasteten Grundstücks nicht behindert oder wesentlich mehr als bisher einschränkt. Erst wenn die – verglichen mit dem früheren Zustand – gesteigerte Inanspruchnahme des belasteten Grundstücks zur Befriedigung der Bedürfnisse des herrschenden Grundstücks eine erhebliche Überschreitung der ungemessenen Dienstbarkeit bedeutet, liegt eine unzumutbare Mehrbelastung vor. Diesfalls muss die Zunahme aber derart stark sein, dass mit Sicherheit angenommen werden kann, sie überschreite die Grenze dessen, was bei der Begründung der Dienstbarkeit vernünftigerweise in Betracht gezogen worden sein könnte[8].
[…]
4.
4.1.
Ausgangspunkt des Entscheids ist der Grundbuchauszug, der auf den belasteten Liegenschaften X. und Y. ein Fuss- und Fahrwegrecht zugunsten der Liegenschaft Z. vorsieht. Mit der Vorinstanz ist festzuhalten, dass dieser Grundbucheintrag lediglich eine stichwortartige Kurzumschreibung umfasst und damit zu rudimentär ist, um daraus eine eindeutige Erkenntnis über Inhalt und Umfang der Dienstbarkeit zu gewinnen. Die im Grundbuchauszug zur Liegenschaft X. aufgeführte Dienstbarkeit, die das Fuss- und Fahrwegrecht zulasten der Liegenschaft Y., das heisst zulasten des Berufungsklägers, und zugunsten der Liegenschaft Z., das heisst zugunsten der Berufungsbeklagten festhält, ist gleichermassen rudimentär umschrieben.
4.2.
4.2.1.
Damit ist – unbestrittenermassen – der Erwerbsgrund als zweite Stufe zur Auslegung heranzuziehen, wobei es sich um eine objektivierte Auslegung nach Massgabe des Vertrauensprinzips handelt, weil sich im vorliegenden Verfahren nicht mehr die ursprünglichen Vertragsparteien gegenüberstehen.
Der Grunddienstbarkeitsvertrag aus dem Jahr 1926 zwischen den Eigentümern der Liegenschaften X. und Y. hat folgenden Inhalt:
"I. Der jeweilige Eigentümer von Parzelle X. gestattet dem jeweiligen Eigentümer von Parzelle Z. das Fuss- und Fahrwegrecht auf der nordwestlichen Seite von Parzelle X. # Die Parteien tragen die Kosten des Unterhalts des Weges je zur Hälfte. # Nachtrag siehe hinten.
II. Der jeweilige Eigentümer von Parzelle Y. gestattet den jeweiligen Eigentümern von Parzelle X. und Parzelle Z. das Fuss- und Fahrwegrecht auf der bestehenden Privatstrasse. # Der Unterhalt der genannten Strasse ist alleinige Sache der Eigentümer von Parzelle Z. und X. und zwar je zur Hälfte. # Nachtrag siehe hinten.
III. Für diese Dienstbarkeit ist die Zustimmung der Grundpfandgläubiger einzuholen. Die Dienstbarkeit wird hiermit zum Grundbucheintrag angemeldet. [… durchgestrichene Passagen…]
Nachtrag zu Absatz II & I: Die Bekiesung der Wege bzw. der Strasse hat mit einwandfreiem Strassenkies zu erfolgen und sie soll mindestens alle Frühjahre erfolgen."
Wie die Vorinstanz richtig feststellt, wurde nach dem Wortlaut des Erwerbsgrundes zugunsten der jeweiligen Eigentümer der Liegenschaft Z. einerseits zulasten der jeweiligen Eigentümer der Liegenschaft Y. das Fuss- und Fahrwegrecht auf der "bestehenden Privatstrasse" und andererseits zulasten der jeweiligen Eigentümer der Liegenschaft X. das Fuss- und Fahrwegrecht "auf der nordwestlichen Seite der Liegenschaft X. " eingeräumt. Bezüglich des Wegrechts zulasten der Liegenschaft Y. erhielten auch die jeweiligen Eigentümer der Liegenschaft X. das Fuss- und Fahrwegrecht auf der "bestehenden Privatstrasse" eingeräumt. Die Unterhaltskosten "des Weges"[9] sind gemäss Wortlaut von den jeweiligen Eigentümern der Liegenschaften Z. und X. je zur Hälfte zu tragen, währenddessen der Unterhalt auf der "genannten Strasse"[10] einzig von den beiden berechtigten Liegenschaften Z. und X. je zur Hälfte zu tragen ist.
4.2.2.
Es handelt sich demnach um zwei Wegrechte zugunsten der Liegenschaft Z. Die Vorinstanz hält zu Recht fest, dass die beiden Wegrechte nach dem Wortlaut einen direkten Zusammenhang aufweisen würden und im Sinn der objektivierten Auslegung nicht isoliert voneinander betrachtet werden könnten. Es seien auch die räumlichen Begebenheiten wie der Grenzverlauf einzubeziehen, aus denen erhelle, dass die Vertragsparteien bezweckten, von der A.-Strasse, das heisse von der Liegenschaft W. beziehungsweise der Strasse südlich (recte: südöstlich) der Liegenschaften Y. und X. eine Zufahrt zur Liegenschaft Z. beziehungsweise zu dessen Hauptgebäude entlang der nordwestlichen Seite der Liegenschaft X. über die Liegenschaft Y. zu gewährleisten. Dass für diese Zufahrt auch ein Wegrecht zulasten der Liegenschaft X. bestehe, ergebe sich daraus, dass die gemeinsame Grundstücksgrenze der Liegenschaften Z. und Y. zu schmal gewesen sei und noch immer sei, um eine Zufahrt mit Fahrzeugen über eine Kurve zu gewährleisten, ohne dass zusätzlich die Liegenschaft V. in Anspruch hätte genommen werden müssen. Die Kurve beziehungsweise Zufahrt habe folglich von der A.-Strasse über die "bestehende Privatstrasse" auf der Liegenschaft Y. über die Liegenschaft X. zum Betriebsgelände der Liegenschaft Z. erfolgen sollen.
Die Vorinstanz verweist weiter darauf, dass unbestrittenermassen bereits bei Begründung des Wegrechts im Jahr 1926 ein Baugewerbebetrieb auf der berechtigten Liegenschaft Z. ansässig war. Entsprechend habe unbestrittenermassen bereits damals ein Bedürfnis des berechtigten Grundstücks an der Zufahrt von auch grösseren, jedoch normal dimensionierten Fahrzeugen, wie damaligen Nutzfahrzeugen oder Lastwagen mit Baumaterial bestanden. Zu Recht hält die Vorinstanz fest, dass der Umstand, dass die Liegenschaft Z. auch bereits über den B.-Weg erschlossen war, unerheblich war, da offensichtlich das Bedürfnis nach einer (zusätzlichen) Zufahrt über die Liegenschaft Y. bestand, ansonsten kein Wegrecht hätte eingeräumt werden müssen.
4.2.3.
Laut Vorinstanz erachteten die Vertragsparteien die "bestehende Privatstrasse" als den Bedürfnissen des berechtigten Grundstücks angemessen. Insofern sei das Ausmass des Wegrechts aus Sicht der Vertragsparteien begrenzt beziehungsweise eindeutig definiert. Die Vorinstanz ging somit zulasten der Liegenschaft Y. von einem gemessenen Wegrecht aus. Dies bestätigte sie im Folgesatz mit der Formulierung, dass "im Gegensatz dazu" das Wegrecht zulasten der Liegenschaft X. nicht beschränkt worden sei und sich damit "als ungemessen" erweise.
Der Berufungskläger bestätigt diese Auffassung in der Berufungsschrift, als er ausführt, dass mit der Vorinstanz festzuhalten sei, "dass es sich um eine (räumlich) gemessene Dienstbarkeit" handle, auch wenn die Breite des Fahrwegs umstritten sei.
Die Berufungsbeklagte widerspricht der Auffassung der Vorinstanz und des Berufungsklägers nicht.
Damit ist übereinstimmend von einem gemessenen Wegrecht auszugehen, was im Zusammenhang mit dem Verbot der Mehrbelastung bei veränderten Bedürfnissen des berechtigten Grundstücks gemäss Art. 739 ZGB eine Rolle spielt. Während sich der Umfang bei ungemessenen Dienstbarkeiten einzig nach den Bedürfnissen des berechtigten Grundstücks richtet und im Fall von zunehmenden Bedürfnissen des herrschenden Grundstücks die Ausübung zur Befriedigung derselben im Prinzip zulässig bleibt, darf die Intensität der Ausübung bei gemessenen Grundstücken auch bei zunehmenden Bedürfnissen nicht über die festgesetzte Grenze hinaus ausgedehnt werden[11].
4.2.4.
Laut Vorinstanz ergibt sich aus dem Erwerbsgrund klar, dass sich die "bestehende Privatstrasse" an der nordöstlichen Seite der Liegenschaft Y. beziehungsweise zwischen den Gebäuden mit den Assekuranz M. (Liegenschaft X.) und N. (Liegenschaft Y.) befunden hat, wobei sich nicht eindeutig beantworten lasse, ob sich die "bestehende Privatstrasse" direkt an der gemeinsamen Grundstücksgrenze Y. / X. befunden habe.
Während der Berufungskläger im Rechtsmittelverfahren ausdrücklich davon ausgeht, dass sich beide Parteien darüber einig seien, dass die "bestehende Privatstrasse" unmittelbar entlang der gemeinsamen Grundstücksgrenze der Liegenschaften X. und Y. verlaufe und keinen Abstand zu dieser aufweise, widerspricht die Berufungsbeklagte dieser Auffassung nicht, präzisiert diesen Punkt aber dahingehend, dass die Freifläche zwischen der Strassenfläche und der Grundstücksgrenze ebenfalls zur Wegrechtsfläche gemäss Dienstbarkeitsvertrag gehöre. Da es sich bei der Dienstbarkeit um ein Fuss- und Fahrwegrecht handle, bestehe dieses aus einer Strassenfläche, welche das Fahrwegrecht umfasse, und aus einer Frei- oder Fussgängerfläche, welche das Fusswegrecht beinhalte.
Damit ist zwischen den Parteien unbestritten, dass sich die Dienstbarkeit direkt an die gemeinsame Grundstücksgrenze anschliesst.
4.3.
4.3.1.
Wie vorne ausgeführt, kam die Vorinstanz anhand der auf verschiedenen historischen Fotoaufnahmen erkennbaren "weissen Einlenker" zum Schluss, dass diese die bestehende Privatstrasse markieren würden. Da mit der "bestehenden Privatstrasse" und der "projektierten Strasse" dieselbe Strasse gemeint gewesen sei, sei es ohne Bedeutung, ob die Einlenker die "bestehende Privatstrasse" oder die nie gebaute "projektierte Strasse" markieren würden. Aus Sicht des Gerichts könne folglich auf die auf den Fotos ersichtlichen Einlenker als Ansatz der "bestehenden Privatstrasse" und damit deren grundsätzliche Breite abgestellt werden.
Somit ist auf die in den Fotoaufnahmen teilweise ersichtlichen "weissen Einlenker" von der A.-Strasse auf die (bekieste) Fläche zwischen den beiden Gebäuden auf den Liegenschaften X. und Y. näher einzugehen.
4.3.2.
Gemäss Vorinstanz sind diese auf der zum Begründungsakt zeitnächsten Fotoaufnahme von 1924 "nicht eindeutig erkennbar, ob vorhanden", jedoch auf den Fotoaufnahmen von 1935 und 1938 "erkennbar". Letzteres trifft laut Vorinstanz auch auf eine Aufnahme aus dem Jahr 1953 zu, nicht mehr aber auf eine aus dem Jahr 1984. Nach allgemeiner Verkehrsauffassung seien solche Einlenker Beleg für den Beginn beziehungsweise die Begrenzung einer Strasse, und es erscheine nicht abwegig, dass die genannten Einlenker im Begründungszeitpunkt die "bestehende Privatstrasse" markiert hätten.
4.3.3.
Der beigezogene Gutachter analysierte die ihm von der Vorinstanz zugestellten Dokumente. Zusätzliche beim Staatsarchiv des Kantons Thurgau angeforderte Akten, wie die Originalhandrisse aus den 1920er-Jahren, waren hingegen nicht mehr auffindbar. Der Gutachter stellte in der Folge fest, dass die Dienstbarkeit respektive die Privatstrasse auf keinem der vorliegenden Pläne klar ersichtlich sei. Auf dem Luftbild von 1935 seien erstmals die beiden Einlenker ab der A.-Strasse zur Parzelle Y. klar zu erkennen, jedoch sei keine eindeutige Abgrenzung zwischen der Privatstrasse und dem restlichen Platz auszumachen, da der gesamte Platz mit Kies erstellt sei. Normalerweise würden solche Einlenker nur erstellt, wenn eine weiterführende Strasse vorhanden sei. Auf der Fotoaufnahme aus dem Jahr 1938 seien die Einlenker ab der A.-Strasse gut zu erkennen, ebenso auf der Kopie der Handrisspause von 1959, auf der Kopie des Mutationsplans aus dem Jahr 1966 sowie auf der Kopie des Grundbuchplans. "Auch wenn Lage und Breite der Privatstrasse in keiner Akte klar ersichtlich oder eingezeichnet" sei, kam der Gutachter zur Schlussfolgerung, dass davon auszugehen sei, dass "die beiden Einlenker ab der A.-Strasse den Ansatz für die Privatstrasse auf Parzelle Y. bildeten". Mit Sicherheit könne die Breite der Privatstrasse nicht angegeben werden, doch aus jahrzehntelanger Erfahrung in der amtlichen Vermessung als Nachführungsgeometer käme er zu dieser Einschätzung.
Im Rahmen der Beantwortung der Ergänzungsfragen des Berufungsklägers bestätigte der Gutachter, dass keine grundbuchamtlichen Akten aus dem Jahr 1926 vorhanden seien. Er verfüge über keine eindeutigen Beweise, dass im Jahr 1926 die beiden Einlenker ab der A.-Strasse bereits bestanden hätten, da die Einlenker auf dem Foto von 1924 nicht klar zu erkennen seien. Diese seien erst auf dem Luftbild von 1935 klar zu erkennen. Abstand und Breite der Privatstrasse im Jahr 1926 könnten nicht mit Sicherheit bestätigt werden. Die ab 1935 klar ausgewiesene Lage und Geometrie der Einlenker seien starke Indizien, jedoch keine tatsächlichen Begebenheiten.
4.3.4.
Für den Berufungskläger ist die Aussage der Vorinstanz, wonach der Umstand, dass die Einlenker auf dem Foto von 1924 nicht eindeutig erkennbar seien, nicht bedeute, dass diese bei Begründung der Dienstbarkeit 1926/1927 nicht bereits bestanden hätten, wenn sie in den 1930er-Jahren ganz eindeutig vorhanden gewesen seien, eine unbewiesene, unhaltbare Mutmassung. Fakt und von der Vorinstanz eingestanden sei, dass auf dem Luftbild von 1924 weisse Einlenker nicht zu erkennen seien. Dies habe der Gutachter in Beantwortung der Ergänzungsfragen bestätigt. Dadurch sei der Schluss der Vorinstanz, dass das, was in den 1930er-Jahren eindeutig bestanden habe, auch 1926/1927 bereits vorhanden gewesen sein müsse, willkürlich und nicht haltbar. Zwischen der Errichtung der Dienstbarkeit und der ersten aussagekräftigen Luftaufnahme aus dem Jahr 1935 würden mehr als sieben Jahre liegen. In dieser Zeit könne ohne Weiteres das Setzen der Einlenker erfolgt sein. Die Vorinstanz hätte zum Schluss kommen müssen, dass sich die Breite der Wegrechtsfläche nicht mit dem erforderlichen Beweismass eines strikten Beweises feststellen lasse.
4.3.5.
Für die Berufungsbeklagte ist der Umstand, dass die Einlenker auf dem Luftbild von 1924 nicht so deutlich erkennbar sind wie auf den Aufnahmen von 1935 und 1938, nicht aussagekräftig. Einerseits handle es sich bei der Aufnahme von 1924 "nicht um ein Luftbild senkrecht von oben wie bei jener von 1935, sondern um eine Seitenansicht, worauf aufgrund des Sichtwinkels die Servitutsfläche weniger gut ersichtlich" sei. Andererseits sei "die Aufnahme von 1924 wesentlich unschärfer als diejenigen neueren Datums, was auch der technischen Entwicklung der Fotografie in den dazwischenliegenden 10 bis 15 Jahren geschuldet" sei. Ungeachtet dessen sei der östliche Einlenker nach ihrer Auffassung durchaus auch auf der Aufnahme von 1924 erkennbar. Dabei stützt sich die Berufungsbeklagte auf eine Vergrösserung der Aufnahme von 1924 mit roter Umrandung.
4.4.
4.4.1.
Gemäss Art. 157 ZPO bildet sich das Gericht seine Überzeugung nach freier Würdigung der Beweise. Dabei ist grundsätzlich der strikte oder volle Beweis der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit, das heisst der Beweis der vollen Überzeugung, zu erbringen, was dann gegeben ist, wenn das Gericht nach objektiven Gesichtspunkten von der Richtigkeit einer Sachverhaltsdarstellung überzeugt ist. Absolute Gewissheit wird dabei nicht verlangt. Es genügt, wenn das Gericht am Vorliegen der Tatsachenbehauptung keine ernsthaften Zweifel mehr hat oder allenfalls verbleibende Zweifel als leicht erscheinen[12]. Wo ein strikter Beweis der Natur der Sache nach nicht möglich oder nicht zumutbar ist und insofern eine Beweisnot besteht, wird eine überwiegende Wahrscheinlichkeit als ausreichend betrachtet[13]. In diesem Fall gilt der Beweis als erbracht, wenn für die Richtigkeit der Sachbehauptung nach objektiven Gesichtspunkten derart gewichtige Gründe sprechen, dass andere denkbare Möglichkeiten vernünftigerweise nicht massgeblich in Betracht fallen[14].
4.4.2.
Die Vorinstanz stützte sich in ihrem Entscheid zur Beurteilung der Strassenbreite auf die weissen Einlenker und dabei im Wesentlichen auf die historischen Fotoaufnahmen aus den Jahren 1924, 1935 und 1938 ab. Sie hielt fest, dass die weissen Einlenker auf den Fotos aus den Jahren 1935 und 1938 "erkennbar" seien; bei der Fotoaufnahme aus dem Jahr 1924 sei "nicht eindeutig erkennbar, ob vorhanden". Fotoaufnahmen oder Pläne zum Zeitpunkt der Errichtung der Dienstbarkeit im Jahr 1926 liegen keine vor.
Dies bestätigte der Gutachter in seiner Expertise, wenn er ausführt, dass in keinem der vorliegenden Pläne die Dienstbarkeit auf der Parzelle Y. respektive die Privatstrasse klar ersichtlich sei. Die beiden Einlenker ab der A.-Strasse zur Parzelle Y. seien erstmals auf dem "Luftbild Swisstopo von 1935" klar zu erkennen und auf der Fotoaufnahme von 1938 "gut zu erkennen". Er bekräftigte diese Aussagen im Rahmen der Beantwortung der Zusatzfragen, indem er ausdrücklich festhielt, er verfüge über keine eindeutigen Beweise, dass die beiden Einlenker im Jahr 1926 bereits bestanden hätten, da diese auf dem Foto von 1924 "noch nicht klar zu erkennen" seien. Erst auf dem Luftbild von 1935 seien die Einlenker klar zu erkennen.
4.4.3.
Damit ist für das Gericht erstellt, dass weder aufgrund des Grundbucheintrags oder des Dienstbarkeitsvertrags noch anhand der im Recht liegenden Fotoaufnahmen oder Pläne der Beweis für das Vorhandensein der weissen Einlenker im Zeitpunkt der Errichtung der Dienstbarkeit im Jahr 1926 erbracht werden konnte. Vielmehr ist mit dem Berufungskläger davon auszugehen, dass wohl in der Zeit zwischen der Errichtung der Dienstbarkeit und der ersten aussagekräftigen Luftaufnahme aus dem Jahr 1935 das Setzen der Einlenker erfolgt sein dürfte. Auch die von der Berufungsbeklagten in der Berufungsantwort abgebildete Vergrösserung der Aufnahme aus dem Jahr 1924 vermag daran nichts zu ändern.
Die Schlussfolgerung der Vorinstanz, "nach allgemeiner Verkehrsauffassung" seien solche Einlenker jedoch Belege für den Beginn beziehungsweise die Begrenzung einer Strasse, und es erscheine "nicht abwegig, dass im Begründungszeitpunkt die genannten Einlenker eben diese 'bestehende Privatstrasse' markiert" hätten, ist damit nicht haltbar. Ebenfalls nicht haltbar ist die Annahme der Vorinstanz, der Umstand, dass die Einlenker auf dem Foto von 1924 nicht eindeutig zu erkennen seien, bedeute nicht, dass diese bei Begründung der Dienstbarkeit 1926/1927 nicht bereits bestanden hätten, wenn sie doch in den 1930er-Jahren ganz eindeutig vorhanden gewesen seien. Folglich durfte die Vorinstanz auch nicht "auf die auf den Fotos ersichtlichen Einlenker als Ansatz der 'bestehenden Privatstrasse' und damit deren grundsätzliche Breite" abstellen.
Damit ist der Beweis der Breite des Wegrechts aufgrund der Fotografien und davon abgeleitet über die Einlenkergeometrie nicht gelungen, und es kann auch nicht auf die Folgerungen aus dem Gutachten abgestellt werden, da diese wiederum auf der Luftaufnahme von 1935 basieren.
Die Berufung ist in diesem Punkt begründet.
4.5.
Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung bestimmt sich der Inhalt des Eigentums und damit auch der beschränkten dinglichen Rechte aufgrund der geltenden schweizerischen Rechtsordnung in ihrer Gesamtheit. Dazu gehört neben dem privaten ebenso das öffentliche Recht des Bundes und der Kantone auf Gesetzes- und Verordnungsstufe, weshalb es zulässig ist, in die Beurteilung der Frage, welche Anforderungen an eine Dienstbarkeit zu stellen sind, damit sie die Bedürfnisse des berechtigten Grundstücks befriedigt, auch die öffentlich-rechtlichen Vorgaben oder die Empfehlungen der Vereinigung der Schweizerischen Strassenfachleute (VSS-Normen) zu berücksichtigen[15]. Der Berufungskläger beruft sich denn auch auf die – heute massgebende – VSS-Norm 40 050 "Grundstückzufahrten".
Die Parteien gehen allerdings von unterschiedlichen Breiten der Zufahrtstrasse gemäss dieser Norm aus. Der Berufungskläger geht von einer Grundstückszufahrt des Typs A mit einer Erschliessungsbreite von 3,00 m aus, während die Berufungsbeklagte von einer Grundstückszufahrt des Typs B mit einer Erschliessungsbreite von 5,00 m, einschliesslich lichte Breite von beidseits 0,20 m, somit insgesamt von 5,40 m ausgeht.
Zu beachten ist aber, dass es sich bei dieser Norm lediglich um Masse für Zufahrten handelt und damit das vorliegend bestehende Problem der Kurve beim Übergang des Weges von der Liegenschaft Y. auf die Liegenschaften X. und Z. nicht gelöst ist.
Damit ergeben sich keine Anhaltspunkte, wie die Streitfrage der Breite des Wegrechts zu lösen ist.
4.6.
4.6.1.
Im vorliegenden Fall ist – wie aufgezeigt[16] – von einem gemessenen Wegrecht auszugehen, weshalb die Intensität der Ausübung zur Befriedigung von zunehmenden Bedürfnissen des herrschenden Grundstücks nicht über die festgesetzte Grenze hinaus ausgedehnt werden darf. Damit ist darauf abzustellen, welche Bedürfnisse für das herrschende Grundstück im Zeitpunkt der Errichtung der Dienstbarkeit zu befriedigen waren.
Der Berufungskläger stellt im Eventualbegehren den Antrag, die Angelegenheit zur Abnahme der beantragten Beweise an die Vorinstanz zurückzuweisen. Er beantragte vor Vorinstanz, aber auch im Berufungsverfahren, mittels Fahrversuchen mit einem historischen Lastwagen aus der damaligen Zeit und einem solchen von heute zu ermitteln, ob die anerkannte Fläche von 3,00 m Breite eine hinreichende Zufahrt für den damaligen Erschliessungszweck des Gewerbebetriebs geboten habe. Seiner Auffassung nach hätte die Vorinstanz die Abklärung der damaligen Bedürfnisse des herrschenden Grundstücks zur Ermittlung des Zwecks der Dienstbarkeit vornehmen müssen.
4.6.2.
Die Berufungsbeklagte widersetzt sich diesem Eventualantrag nicht, hält sie doch ebenfalls fest, dass "die Streitsache entsprechend [diesem] Eventualantrag an die Vorinstanz zurückgewiesen werden" müsse, falls das Obergericht der Auffassung des Berufungsklägers folgen sollte.
4.6.3.
Da es sich vorliegend um ein gemessenes Wegrecht handelt und damit darauf abzustellen ist, welche Bedürfnisse des herrschenden Grundstücks im Zeitpunkt der Errichtung der Dienstbarkeit zu befriedigen waren, kommt lediglich der Fahrversuch mit einem historischen, für die Belieferung einer Zementwerkstatt normal dimensionierten, Lastwagen in Frage. Der Berufungskläger hat in der Klageantwort einen möglichen Lastwagen aus der damaligen Zeit als Beweis offeriert. Dabei ist, unter Berücksichtigung der beiden notwendigen Kurvenradien, einerseits ab der A.-Strasse auf die Liegenschaft Y. und andererseits ab den Liegenschaften Y. und X. auf die Liegenschaft Z. (oder umgekehrt), die für die Zufahrt notwendige Breite zu eruieren; dies ohne die Notwendigkeit, kreuzen zu können, da der zugefahrene Lastwagen die Liegenschaft Z. über den B.-Weg wieder verlassen kann (oder umgekehrt). Diese Breite, die gemäss Zugeständnis des Berufungsklägers im Minimum 3,00 m beträgt, entspricht dem Bedürfnis des herrschenden Grundstücks zur Zeit der Errichtung der Dienstbarkeit und ist damit vom belasteten Grundstück auch heute zu dulden.
Der als Alternative denkbare Schleppkurvennachweis, basierend auf den Längen-, Breiten- und Radeinschlagsdaten des historischen, normal dimensionierten Lastwagens, wurde von keiner Partei beantragt.
4.6.4.
Zusammenfassend wird die Streitsache somit an die Vorinstanz zurückgewiesen zur Abnahme des beantragten Beweises, nämlich des Fahrversuchs mit einem historischen, normal dimensionierten Lastwagen aus der Zeit der Einräumung des Fuss- und Fahrwegrechts.
[…]
Obergericht, 2. Abteilung, 12. Dezember 2023, ZBR.2023.4
[1] Art. 731 Abs. 1 ZGB
[2] Art. 738 Abs. 2 ZGB
[3] Petitpierre, Basler Kommentar, 7.A., Art. 738 ZGB N. 1
[4] Art. 973 Abs. 1 ZGB
[5] BGE 139 III 404 E. 7.1
[6] Art. 19 Abs. 1 OR
[7] Schmid/Hürlimann-Kaup, Sachenrecht, 5.A., N. 1209a
[8] BGE 139 III 404 E. 7.3 mit weiteren Hinweisen
[9] Gemeint ist der Weg auf der nordwestlichen Seite der Liegenschaft X.
[10] Gemeint ist die "bestehende Privatstrasse".
[11] Schmid/Hürlimann-Kaup, N. 1283; BJM 2013 S. 187
[12] BGE 140 III 610 E. 4.1; 130 III 321 E. 3.2
[13] Hasenböhler, in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung (Hrsg.: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger), 3.A., Art. 157 N. 29; Guyan, Basler Kommentar, 3.A., Art. 157 ZPO N. 7 ff., der die "überwiegende Wahrscheinlichkeit" als irreführend bezeichnet und deshalb von "hoher Wahrscheinlichkeit" spricht.
[14] BGE 140 III 610 E. 4.1
[15] BGE 139 III 404 E. 7.4.2
[16] E. 4.2.3.