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TVR 2022 Nr. 26

Übernahme von Kosten für Kindesschutzmassnahmen durch die Fürsorgebehörde; Elternbeitrag und Mitwirkungspflicht


§ 8 SHG , § 25 SHG , § 37 SHV , Art. 289 Abs. 2 ZGB


Weil die Fürsorgebehörde nicht befugt ist, verfügungsweise einen Elternbeitrag festzusetzen, ist sie auch nicht berechtigt, die Eltern verfügungsweise zur Einreichung von Unterlagen zur Berechnung des Elternbeitrags zu verpflichten. Wer sozialhilferechtlich nicht unterstützt wird, dem obliegen auch keine Pflichten, die zwangsweise durchgesetzt werden könnten.


Die KESB entzog A und B das Aufenthaltsbestimmungsrecht über ihre Tochter K und platzierte sie in der Institution X (Tagessatz Fr. 376.--). Zudem wurde für die Tochter eine Beistandschaft errichtet. Gleichentags erteilte die Politische Gemeinde V eine subsidiäre Kostengutsprache betreffend die Finanzierung der Fremdplatzierung in X. Mit Entscheid vom 6. Juli 2022 wurden A und B von der Politischen Gemeinde V verpflichtet, die zur Berechnung des Elternbeitrags nötigen Unterlagen einzureichen, wobei im Entscheid festgehalten wurde, dass der Elternbeitrag separat vereinbart werde. Mit Rekurs beantragten A und B, dass auf die Erhebung eines Elternbeitrages zu verzichten sei. Das DFS trat auf den Rekurs nicht ein. Das Verwaltungsgericht weist die dagegen von A und B erhobene Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt. Auf die Erhebung von amtlichen Kosten wurde verzichtet, weil die Politische Gemeinde V nicht befugt war, A und B zur Einreichung von Unterlagen bezüglich ihrer finanziellen Verhältnisse zwecks Prüfung eines Elternbeitrags zu verpflichten.

 

Aus den Erwägungen:

 

2.6 Zusammenfassend ergibt sich somit, dass der von den Beschwerdeführern gestellte Antrag im Rekursverfahren, es sei auf die Festsetzung eines Elternbeitrags zu verzichten, nicht Gegenstand des Verfahrens war. Die von der verfahrensbeteiligten Gemeinde verfügte Pflicht zur Einreichung von Unterlagen haben die Beschwerdeführer im Rekursverfahren nicht angefochten. Die Vorinstanz ist somit zu Recht auf den Rekurs der Beschwerdeführer nicht eingetreten. Die Beschwerde ist daher abzuweisen.

 

3.

3.1 Im streitigen Verfahren trägt in der Regel der Unterliegende die Kosten (§ 77 VRG). Obwohl die Beschwerdeführer unterliegen, wird aber davon abgesehen, ihnen die Kosten des vorliegenden Verfahrens aufzuerlegen. Aus den nachstehend dargelegten Gründen ist nämlich der verfahrensbeteiligten Gemeinde der Vorwurf zu machen, ohne gesetzliche Grundlage eine Verfügung erlassen zu haben, welche die Beschwerdeführer erst zur Erhebung von Rechtsmitteln veranlasst hat.

 

3.2        

3.2.1 Die Eltern haben für den Unterhalt des Kindes aufzukommen, wozu auch die Kosten von Kindesschutzmassnahmen zählen (Art. 276 Abs. 2 ZGB). Die Fremdplatzierung (Art. 310 ZGB) stellt eine Kindesschutzmassnahme im Sinne der Art. 307 ff. ZGB dar (Schwenzer/Cottier, in: Geiser/Fountoulakis [Hrsg.], Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch I, 6. Aufl., 2018, Art. 273 N. 25), weshalb die diesbezüglichen Kosten zum Unterhaltsanspruch des Kindes gehören und folglich in erster Linie von den Eltern zu tragen sind (vgl. TVR 2007 Nr. 13 E. 2a; Affolter-Fringeli, Örtliche Zuständigkeit zur Finanzierung von Kindesschutzmassnahmen, in: Zeitschrift für Kindes- und Erwachsenenschutz, 2020, S. 265 sowie Urteil des Bundesgerichts 5D_118/2018 vom 2. Dezember 2018 E. 5.2.1). Entsprechend sieht auch das kantonale Recht vor, dass die Kosten von Kindesschutzmassnahmen in der Regel den Eltern auferlegt werden (§ 102 KESV). Wer allerdings nicht leistungsfähig ist, kann nicht zu Unterhalt verpflichtet werden (Affolter-Fringeli, a.a.O., S. 265; BGE 141 III 401 E. 4.1).

 

3.2.2 Bedarf es für den Vollzug von Kindesschutzmassnahmen Drittleistungen (z.B. Einrichtungen bei Fremdplatzierung), muss sichergestellt sein, dass die Massnahme auch finanziert oder jedenfalls vorfinanziert wird. Das Inkassorisiko kann nicht den (meist privaten) Dienstleistern überlassen werden (Affolter-Fringeli, a.a.O., S. 264). Die Vorleistungspflicht trifft zunächst die zuständige Fürsorgebehörde am Unterstützungswohnsitz des Kindes (TVR 2005 Nr. 36 E. 2c; Affolter-Fringeli, a.a.O., S. 261 ff.). Sie ist nach konstanter bundesgerichtlicher Rechtsprechung an den Entscheid der KESB gebunden und kann die Übernahme der Kosten der angeordneten Massnahme nicht verweigern. Vielmehr hat sie die Umsetzung der KESB-Massnahme durch vorläufige Übernahme der anfallenden Kosten sicherzustellen (Urteile des Bundesgerichts 8C_25/2018 vom 19. Juni 2018 E. 4.2 und E. 4.5 und 8C_358/2018 vom 22. Oktober 2018, je mit Hinweis auf BGE 135 V 134 und BGE 143 V 451; Affolter-Fringeli, a.a.O., S. 265).

 

3.2.3 Kommt das Gemeinwesen anstelle der Eltern für den Unterhalt des Kindes auf, so geht der Unterhaltsanspruch des Kindes mit allen Rechten auf das Gemeinwesen über (Art. 289 Abs. 2 ZGB; sogenannte Subrogation; BGE 143 III 177 E. 6.3.1; Kap. D.4.2 der SKOS-Richtlinien). Ex lege zedierte Ansprüche und der darauf bezogene Rechtsstreit sind aber weiterhin zivilrechtlicher Natur. Der auf Art. 289 Abs. 2 i.V. mit Art. 276 ZGB gestützte Anspruch ist daher im Streitfall in entsprechender Form, und zwar durch Unterhaltsklage (Art. 279 Abs. 1 ZGB) des Gemeinwesens gegen die Eltern in eigenem Namen und nicht durch hoheitliche Verfügung, geltend zu machen. Dem Zivilrichter obliegt es namentlich auch, über die Leistungsfähigkeit des belangten Elternteils zu befinden (Urteil des Bundesgerichts 5D_118/2018 vom 2. Dezember 2019 E. 5.2.1 mit Hinweisen; vgl. auch Urteil des Bundesgerichts 8D_4/2013 vom 19. März 2014 E. 5.3 f.). Im Verhältnis zu den die Unterhaltsbeiträge des Kindes schuldenden Eltern tritt das Gemeinwesen nicht als Inhaber der öffentlichen Gewalt, sondern als gewöhnlicher Gläubiger auf, ohne jegliche Verfügungsbefugnis (Urteil des Bundesgerichts 8D_4/2013 vom 19. März 2014 E. 5.3; TVR 2005 Nr. 36). Der Kostenersatzanspruch des Gemeinwesens muss jedoch nicht zwingend auf dem Klageweg geltend gemacht werden. Möglich ist auch eine aussergerichtliche Vereinbarung, welche zum Erreichen ihrer Gültigkeit jedoch von der zuständigen KESB genehmigt werden muss (Art. 287 Abs. 1 ZGB; Kap. D.4.2 lit. d der SKOS-Richtlinien).

 

3.3 Die verfahrensbeteiligte Gemeinde übernimmt die Kosten der Fremdplatzierung der Tochter K im Rahmen ihrer Vorleistungspflicht. Sie subrogiert damit gemäss Art. 289 Abs. 2 ZGB in den Unterstützungsanspruch der Tochter der Beschwerdeführer gegenüber ihren Eltern. Die Subrogation umfasst sowohl bereits erbrachte als auch laufende Leistungen, solange das Gemeinwesen solche erbringt. Aufgrund der vorstehenden Erwägungen ist erstellt, dass die verfahrensbeteiligte Gemeinde diesen Erstattungsanspruch nicht verfügungsweise geltend machen kann, sondern auf dem Zivilrechtsweg geltend zu machen hat, wenn keine Einigung mit den Beschwerdeführern erzielt werden kann. Dies wird denn auch von der verfahrensbeteiligten Gemeinde grundsätzlich anerkannt. Den vorstehenden Ausführungen kann aber auch entnommen werden, dass es Aufgabe des Zivilgerichts ist, die Leistungsfähigkeit der Eltern festzustellen. Auch wenn es nachvollziehbar ist, dass die verfahrensbeteiligte Gemeinde im Hinblick auf einen solchen Zivilprozess Abklärungen zur ihren Prozesschancen tätigen will, besteht dennoch keine gesetzliche Grundlage, die Beschwerdeführer mittels einer Verfügung zur Einreichung von Unterlagen bezüglich ihrer Leistungsfähigkeit zu verpflichten. Entgegen der von der verfahrensbeteiligten Gemeinde im Entscheid vom 6. Juli 2022 geäusserten Auffassung kann eine solche gesetzliche Grundlage auch nicht in der in § 37 SHV geregelten Meldepflicht oder der in § 6 SHV geregelten Möglichkeit der Auferlegung von Auflagen und Weisungen gesehen werden. Ebenso wenig in den in § 25 SHG geregelten Pflichten des Hilfsbedürftigen. Die Beschwerdeführer werden nämlich von der verfahrensbeteiligten Gemeinde nicht sozialhilferechtlich unterstützt, weshalb sie auch keine sozialhilferechtlichen Pflichten zu erfüllen haben.

 

3.4 Es ist somit festzuhalten, dass die verfahrensbeteiligte Gemeinde nicht berechtigt gewesen war, die Beschwerdeführer mit dem Entscheid vom 6. Juli 2022 zur Einreichung der nötigen Unterlagen zur Berechnung des Elternbeitrags zu verpflichten. Fehlerhafte Entscheide sind aber nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung in der Regel nicht nichtig, sondern nur anfechtbar. Nachdem sich die Beschwerdeführer mit ihrem Rekurs vom 9. Juli 2022 bei der Vorinstanz nicht dagegen zur Wehr gesetzt haben, Unterlagen zur Berechnung des Elternbeitrages einreichen zu müssen, haben sie auf eine Anfechtung der an sich unrechtmässigen Ziff. 2 des Dispositivs des Entscheids der verfahrensbeteiligten Gemeinde vom 6. Juli 2022 verzichtet. Als nichtig erweisen würde sich Dispositiv-Ziff. 2 des Entscheids erst dann, wenn der ihr anhaftende Mangel besonders schwer wäre, wenn er sich als offensichtlich oder zumindest leicht erkennbar erweisen würde, wobei das Erkenntnisvermögen eines Laien massgebend ist, und die Rechtssicherheit durch die Annahme der Nichtigkeit nicht ernsthaft gefährdet würde (BGE 145 III 436 E. 4; Häfelin/Müller/Uhlmann, Allgemeines Verwaltungsrecht, 8. Aufl., 2020, Rz. 1098). Der Mangel von Dispositiv-Ziff. 2 des Entscheids der verfahrensbeteiligten Gemeinde vom 6. Juli 2022 (sachliche Unzuständigkeit) erweist sich für einen Laien nicht als offensichtlich oder zumindest leicht erkennbar. Zudem erweist sich der Mangel auch in dem Sinne nicht als besonders schwer, als die verfahrensbeteiligte Gemeinde keinerlei Möglichkeiten gehabt hätte, Dispositiv-Ziff. 2 zwangsweise durchzusetzen oder die künftige Nichtbeachtung dieser Ziffer mit Nachteilen für die Beschwerdeführer zu verbinden. Zum einen hat die verfahrensbeteiligte Gemeinde nämlich den Beschwerdeführern im Falle der Nichtbeachtung dieser Anordnung keinerlei Nachteile angedroht (TVR 2020 Nr. 28), zum anderen ist auch nicht ersichtlich, worin solche Nachteile bestehen könnten, da die Beschwerdeführer sozialhilferechtlich gar nicht unterstützt werden. Es besteht somit keinerlei Veranlassung, die Nichtigkeit von Dispositiv-Ziff. 2 des Entscheids der verfahrensbeteiligten Gemeinde vom 6. Juli 2022 gerichtlich festzustellen. Hingegen wird aufgrund dieser Umstände auf die Erhebung von amtlichen Kosten verzichtet (§ 78 Abs. 2 VRG). Das Gesuch um unentgeltliche Prozessführung ist damit gegenstandslos.

 

Entscheid des Verwaltungsgerichts VG.2022.83/E vom 14. Dezember 2022


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