RBOG 2000 Nr. 20
Der Vermittlungsvorstand muss nicht wiederholt werden, wenn nicht alle notwendigen Streitgenossen anwesend waren und die abwesenden die Klage später vorbehaltlos anerkennen
§ 20 aZPO (TG), § 115 aZPO (TG), § 135 aZPO (TG)
1. Die Berufungsklägerin verlangt die Aufnahme der Namen aller Miteigentümer ins Rubrum, ungeachtet ihres Verzichts auf eine Beteiligung am Verfahren. Bei einer Gutheissung der Grenzscheidungsklage im Sinn eines Gestaltungsurteils sowie bei der Einräumung eines Weg- oder Notwegrechts seien die Rechte aller Miteigentümer betroffen, welche eine notwendige Streitgenossenschaft bildeten. Diese Auffassung wird auch von den Berufungsbeklagten geteilt, doch machen diese geltend, sie hätten deswegen schon vor Vorinstanz einen Nichteintretensantrag gestellt, weil am Vermittlungsvorstand nicht sämtliche Miteigentümer anwesend und die nachträglichen Klageanerkennungen unzulässig gewesen seien. Die Vorinstanz entschied, das Urteil habe nach dem Ausscheiden der übrigen Prozessparteien nur noch auf den Namen der Berufungsklägerin und der Berufungsbeklagten zu lauten.
2. a) Nach § 20 ZPO müssen mehrere Personen gemeinsam als Kläger auftreten oder als Beklagte belangt werden, soweit ihnen das streitige Recht oder die streitige Verpflichtung gemeinsam zukommt. Für Passivprozesse besteht diese notwendige Streitgenossenschaft nur insoweit, als dingliche Rechte gegen Gesamthänder geltend gemacht werden oder sich als Gestaltungsklagen auf Aufhebung eines Rechtsverhältnisses richten, das mehrere Personen umfasst und mit Wirkung gegen alle aufgehoben werden muss (Vogel, Grundriss des Zivilprozessrechts, 6.A., 5. Kap., N 50 ff.). Bejaht wird die notwendige Streitgenossenschaft bei dinglichen Ansprüchen auf eine unteilbare Leistung gegenüber allen Miteigentümern, etwa bei der Einräumung einer Dienstbarkeit (Frank/Sträuli/Messmer, Kommentar zur Zürcherischen Zivilprozessordnung, 3.A., § 39 N 12; RBOG 1999 Nr. 23). Eine Gestaltungsklage stellt ihrer juristischen Natur nach auch die Grenzscheidungsklage gestützt auf Art. 669 ZGB dar (Haab/Simonius, Zürcher Kommentar, Art. 669 ZGB N 20 ff.; Walder, Zivilprozessrecht, 4.A., S. 241). Die Gestaltungsklage geht auf die urteilsmässige Anordnung einer Rechtsänderung, reicht also weiter als die Leistungsklage, indem sie dem Kläger das von ihm Verlangte ohne weiteres Zutun des Beklagten direkt verschafft; bei der Grenzscheidungsklage tritt diese Wirkung ex nunc ein (Walder, S. 240). Bei der Klage auf Einräumung einer Dienstbarkeit an einer Miteigentumsparzelle sowie einer dieselbe betreffenden Grenzscheidungsklage müssen wegen der Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung und Vollstreckung grundsätzlich alle Miteigentümer in den Prozess einbezogen werden. Anstelle einer Teilnahme am Prozess begnügt sich die Praxis allerdings mit einer Anerkennung des Klagebegehrens seitens eines Beteiligten, die vor Einleitung der Klage oder während des Prozesses abzugeben ist, oder mit einer zuhanden des Gerichts abgegebenen Erklärung, das Urteil - wie auch immer es lauten werde - für sich selbst als verbindlich anzuerkennen (BGE 74 II 217). Die notwendige Streitgenossenschaft reduziert sich damit auf diejenigen Beteiligten, welche das klägerische Rechtsbegehren nicht anerkennen (Frank/Sträuli/Messmer, § 39 N 13; Vogel, 5. Kap., N 54). Während die Klage im Allgemeinen wegen fehlender Passivlegitimation abzuweisen ist, wenn nicht alle Streitgenossen in den Prozess einbezogen werden, entfällt die Notwendigkeit übereinstimmenden Handelns im Prozess in den Fällen der Klageanerkennung (Vogel, 5. Kap., N 57 f.).
Die Klage der Berufungsklägerin wurde ursprünglich ordnungsgemäss gegen sämtliche im damaligen Zeitpunkt grundbuchamtlich ausgewiesenen Miteigentümer der fraglichen Strassenparzelle erhoben. Sie wurde anlässlich des Vermittlungsvorstands und während der Hängigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens von sämtlichen Miteigentümern ausser den Berufungsbeklagten vorbehaltlos anerkannt. Damit ist auch die Notwendigkeit eines gemeinsamen Handelns im Prozess definitiv entfallen. Mit der Klageanerkennung haben die Miteigentümer zum Ausdruck gebracht, dass sie sich so oder so mit dem Urteil abfinden werden. Die Vorinstanz hat deshalb die aus dem Prozess ausgeschiedenen Miteigentümer zu Recht nicht mehr im Rubrum aufgeführt und auch auf eine Mitteilung des Entscheids verzichtet. Im Fall einer Gutheissung der Grenzscheidungs- und/ oder Klage auf Einräumung eines Wegrechts im Berufungsverfahren würden die Miteigentümer durch das Grundbuchamt ohnehin von den unmittelbar durch Gestaltungsurteil bewirkten Rechtsänderungen erfahren. Ein schutzwürdiges Interesse der Berufungsklägerin, dass die heutigen Miteigentümer, welche gemäss § 23 ZPO an die Klageanerkennung allfälliger Rechtsvorgänger gebunden sind, gemäss einem gerichtlich einzuholenden aktuellen Grundbuchregisterauszug im Rubrum aufzuführen wären, ist daher nicht gegeben.
b) Die ordentliche Durchführung des Vermittlungsverfahrens im Sinn von §§ 113 ff. ZPO sowie das Vorliegen einer den Anforderungen von § 122 ZPO entsprechenden Weisung gehören zu den Prozessvoraussetzungen, ohne deren Vorhandensein dem angerufenen Gericht nicht gestattet ist, ein Sachurteil zu fällen (Frank/Sträuli/Messmer, § 108 N 1; Böckli, Zivilprozess-Ordnung für den Kanton Thurgau, Frauenfeld 1930, § 149 N 1). Entspricht der Inhalt einer Weisung oder die an die Stelle der Weisung tretende schriftliche Eingabe den gesetzlichen Anforderungen nicht, setzt der Gerichtspräsident dem Kläger oder den Parteien eine kurze Frist an, um den Fehler zu verbessern bzw. vom Friedensrichter verbessern zu lassen (§ 135 StPO). Der Gerichtspräsident bzw. das erkennende Gericht soll den Mangel einer Prozessvoraussetzung, sofern er überhaupt heilbar ist, verbessern (vgl. Frank/Sträuli/Messmer, § 108 ZPO N 19 und 22; Böckli, § 149 ZPO N 8 und § 163 ZPO N 3; RBOG 1970 Nr. 11). Hat die Vorinstanz den Mangel einer Prozessvoraussetzung übersehen und einen Sachentscheid gefällt, so hat die Rechtsmittelinstanz diese Unterlassung von Amtes wegen gutzumachen, wenn der Prozess an sie weitergezogen wird. Der Mangel einer Prozessvoraussetzung kann daher in zweiter Instanz auch von einer Partei gerügt werden, die selber keine Rechtsmittel ergriffen hat (vgl. Frank/Sträuli/Messmer, § 108 ZPO N 16 a und § 269 N 4). Zu einer Aufhebung des angefochtenen Urteils führen Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens nur dann, wenn der Mangel wesentlich war, d.h. wenn damit gerechnet werden muss, dass er auf die Urteilsbildung einwirkte (Böckli, § 282 ZPO N 2 lit. c).
§ 115 ZPO sieht vor, dass die Parteien zum Vermittlungsvorstand in der Regel persönlich erscheinen müssen, und dass eine Dispensation nur aus wichtigen Gründen zulässig ist. Zugeständnisse in tatsächlicher Hinsicht oder Erklärungen zum Rechtsbegehren, welche eine Partei unterschriftlich zu bekräftigen bereit ist, sind in das Protokoll und in die Weisung aufzunehmen (§ 119 Abs. 1 ZPO). Werden im Fall der notwendigen Streitgenossenschaft nicht alle Streitgenossen in den Prozess einbezogen, so ist dem Kläger Frist anzusetzen, gegen weitere Beteiligte Weisung einzureichen oder diese zu veranlassen, sich als Mitkläger am Prozess zu beteiligen oder Verzichtserklärungen beizubringen (Frank/Sträuli/Messmer, § 39 ZPO N 24 und § 108 ZPO N 19). Eine Klageanerkennung bzw. ein Vergleich ist auch nach dem oder ausserhalb des Vermittlungsvorstands möglich, wobei eine schriftliche Erklärung genügt (Böckli, § 147 ZPO N 1 und 2). Der Mangel der nicht ordentlichen Klageeinleitung führt in diesen Fällen nicht zur Nichtigkeit der Weisung, sondern, sofern der Mangel nicht in der dargestellten Weise beseitigt wird, zur Abweisung der Klage mangels Passivlegitimation (Frank/Sträuli/Messmer, § 39 ZPO N 24; Böckli, § 163 ZPO N 3).
Die Vorinstanz übersah den von den Berufungsbeklagten gerügten Mangel, dass anlässlich des Vermittlungsvorstands vom 6. April 1994 nicht sämtliche von der Berufungsklägerin genannten Miteigentümer anwesend waren, nicht. Auf die Wiederholung des Vermittlungsvorstands wurde demzufolge bewusst verzichtet, weil die Klage in der Zwischenzeit von den anlässlich des ersten Vermittlungsvorstands abwesenden Beklagten unterschriftlich anerkannt worden war. Weitere Klageanerkennungen erfolgten während der Rechtshängigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens. Aufgrund der ausdrücklichen, wenn auch ohne nähere Begründung erfolgten Abweisung des Nichteintretensantrags der Berufungsbeklagten ist deshalb davon auszugehen, dass die Vorinstanz bzw. der erstinstanzliche Gerichtspräsident den Mangel der Weisung bzw. der nicht ordentlichen Durchführung des Vermittlungsvorstands als im Sinn von § 135 ZPO geheilt betrachteten. Von dieser Auffassung abzuweichen, besteht auch für das Obergericht, welches gemäss § 233 Abs. 1 ZPO Verfahren und Entscheid der ersten Instanz nur im Rahmen der Berufungsanträge zu überprüfen hat, kein Anlass, verlangen doch auch die Berufungsbeklagten dies nicht bzw. ein Nichteintreten nur für den Fall einer Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils aus formellen Gründen. Da das Vermittlungsverfahren als Sühneversuch eine Einigung der Parteien anstrebt (§ 122 Abs. 1 ZPO) und diese im hier zu beurteilenden Fall zwischen der Berufungsklägerin und allen notwendigen Streitgenossen mit Ausnahme der Berufungsbeklagten in gültiger Weise zustande gekommen ist, käme die Wiederholung des Vermittlungsvorstands einem überspitzten Formalismus gleich, welcher unbestrittenermassen auch mit der Interessenlage der Berufungsbeklagten in Widerspruch stünde. Auf die Berufung ist demzufolge einzutreten.
Obergericht, 23. März 2000, ZBO.1999.45