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TVR 2013 Nr. 26

Eine ausserordentlich Rente setzt einen Wohnsitz in der Schweiz voraus; Revisionstatbestand der zwischenzeitlichen Wohnsitznahme in der Schweiz


Art. 17 Abs. 1 ATSG, Art. 39 IVG, Art. 87 IVV


Aufgrund des überwiegenden Aufenthaltes des Beschwerdeführers in seinem Heimatland Serbien ist nicht von einer zwischenzeitlichen Wohnsitznahme in der Schweiz auszugehen. Ein Revisionstatbestand in Bezug auf die grundsätzliche Anspruchsberechtigung für eine ausserordentliche Rente ergibt sich daher nicht.


T leidet seit Geburt unter einer Makrocephalie und einem Hydrocephalus internus. Im Jahr 1991 reiste er im Rahmen des Familiennachzuges in die Schweiz ein und stellte Antrag auf Leistungen der Invalidenversicherung. Die IV-Stelle sprach ihm in der Folge eine Hilflosenentschädigung mittleren Grades sowie eine ausserordentliche Invalidenrente bei einem Invaliditätsgrad von 100% zu. Nach längeren Aufenthalten des Versicherten in Serbien hob die IV-Stelle die Hilflosenentschädigung sowie die Invalidenrente auf. Die dagegen erhobenen Beschwerden wies das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau als Versicherungsgericht mit Urteil vom 8. Juli 2009 ab. Dieser Entscheid ist unangefochten in Rechtskraft erwachsen.
Im Juli 2009 meldete sich T erneut bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Auf diese Neuanmeldung trat die IV-Stelle nicht ein.
Im Juni 2010 stellte T ein erneutes Leistungsbegehren. Mit Verfügung vom 10. November 2010 verneinte die IV-Stelle einen Rentenanspruch und am 31. Januar 2011 einen Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung. Eine gegen die Rentenverfügung erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht am 23. Februar 2011 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mangels Vorliegens eines Revisionstatbestandes ab. Auf eine Beschwerde gegen den abweisenden Entscheid betreffend Hilflosenentschädigung trat das Versicherungsgericht nicht ein.
Am 26. Oktober 2012 erfolgte eine Wiederanmeldung für eine Invalidenrente wegen Verschlechterung des Gesundheitszustandes. Mit Verfügung vom 25. Februar 2013 verneinte die IV-Stelle erneut einen Rentenspruch. Die dagegen erhobene Beschwerde weist das Versicherungsgericht ab.

Aus den Erwägungen:

2.2 In der Schweiz wohnende Personen, die von Geburt an invalid sind oder vor der Vollendung ihres 21. Altersjahres invalid geworden sind, aber keinen Anspruch auf eine ordentliche Invalidenrente haben, erhalten eine ausserordentliche Invalidenrente (Art. 39 Abs. 3 i.V. mit Art. 9 Abs. 3 IVG).

2.3 Der Anspruch auf eine ausserordentliche Rente der Invalidenversicherung setzt den Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt des Versicherten in der Schweiz voraus (Art. 39 Abs. 1 IVG i.V. mit Art. 42 AHVG). Gemäss dem Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Föderativen Volksrepublik Jugoslawien über Sozialversicherung steht jugoslawischen Staatsangehörigen ein Anspruch auf ausserordentliche Renten ebenfalls nur solange zu, wie sie ihren Wohnsitz in der Schweiz haben (Art. 7 lit. b des Abkommens).

3.
3.1 Die ausserordentliche Rente des Beschwerdeführers wurde mit Verfügung vom 18. Dezember 2008 per Ende des folgenden Monats aufgehoben. Auf die Neuanmeldung vom 27. Juli 2009 ist die Beschwerdegegnerin mit Verfügung vom 9. November 2009 nicht eingetreten. Am 16. Juni 2010 stellte der Beschwerdeführer erneut ein Leistungsgesuch. Mit Verfügung vom 10. November 2010 verneinte die IV-Stelle in der Folge einen Rentenanspruch. Dieser Entscheid wurde vom Versicherungsgericht mit Urteil vom 23. Februar 2011 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mangels Vorliegens eines Revisionstatbestandes geschützt. Am 26. Oktober 2012 erfolgte erneut eine Wiederanmeldung für eine Invalidenrente wegen Verschlechterung des Gesundheitszustandes. Mit Verfügung vom 25. Februar 2013 verneinte die Beschwerdegegnerin wiederum einen Rentenanspruch.

3.2 Wurde eine Rente oder eine Hilflosenentschädigung wegen eines zu geringen Invaliditätsgrades oder wegen fehlender Hilflosigkeit verweigert, so wird nach Art. 87 Abs. 4 IVV (in der bis 31. Dezember 2011 gültigen Fassung) eine neue Anmeldung nur geprüft, wenn die Voraussetzungen gemäss Abs. 3 dieser Bestimmung erfüllt sind. Danach ist im Revisionsgesuch glaubhaft zu machen, dass sich der Grad der Invalidität oder Hilflosigkeit der versicherten Person in einer für den Anspruch erheblichen Weise geändert hat. Tritt die Verwaltung auf die Neuanmeldung ein, so hat sie die Sache materiell abzuklären und sich zu vergewissern, ob die von der versicherten Person glaubhaft gemachte Veränderung des Invaliditätsgrades oder der Hilflosigkeit auch tatsächlich eingetreten ist; sie hat demnach in analoger Weise wie bei einem Revisionsfall nach Art. 17 Abs. 1 ATSG vorzugehen (vgl. AHI 1999 S. 84 E. 1b mit Hinweisen; vgl. auch AHI 2000 S. 309 E. 1b mit Hinweisen). Diese Bestimmung trifft auf den vorliegenden Fall zwar wörtlich nicht zu, nachdem hier nicht ein veränderter Invaliditätsgrad strittig ist. Gleichwohl sind die revisionsrechtlichen Gesichtspunkte zu beachten, wonach sich der wesentliche Sachverhalt erheblich verändert haben muss, damit neu wiederum eine ausserordentliche Invalidenrente zugesprochen werden könnte. Nachdem die Beschwerdegegnerin auf die Neuanmeldung des Beschwerdeführers vom 26. Oktober 2012 eingetreten ist, ist daher zu prüfen, ob eine massgebliche Tatsachenänderung vorliegt. Vergleichszeitpunkt bildet dabei die (ebenfalls im Rahmen einer Neuanmeldung ergangene und vom hiesigen Gericht mit Urteil vom 23. Februar 2011 geschützte) Verfügung der Beschwerdegegnerin vom 10. November 2010, worin der Anspruch des Beschwerdeführers auf eine ausserordentliche Rente mangels Wohnsitzes in der Schweiz verneint worden war.

4.
4.1 In seinem Entscheid vom 8. Juli 2009 hat das hiesige Gericht festgehalten, es sei unbestritten, dass sich der Beschwerdeführer häufig in Serbien aufhalte. Gemäss den Erhebungen der IV-Stelle habe er in den Jahren 2005 bis 24. März 2008 während rund 63% der Zeit im Ausland gelebt. Zudem würden auch alle anderen Umstände mit dem im Sozialversicherungsrecht üblichen Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGE 121 V 45 E. 2a und 121 V 204 E. 6b) ebenfalls auf eine Wohnsitzverlegung nach Serbien hinweisen. Üblicherweise befinde sich der Lebensmittelpunkt einer verheirateten Person denn auch am gemeinsamen Wohnort des Ehepartners und der Kinder. Dies umso mehr, wenn den Eltern noch eine Betreuungs- und Erziehungsfunktion über ihre Kinder zukomme. Der Beschwerdeführer sei zudem in der Schweiz nicht erwerbstätig. Ein Lebensmittelpunkt am Arbeitsort falle daher von Vorneherein ausser Betracht. Wenn der Beschwerdeführer vorbringe, dass seine Besuche in Serbien nicht dem Leben der ehelichen Gemeinschaft dienen würden, erstaune dies umso mehr, nachdem er seine Ehefrau nach erfolgter Scheidung erneut geheiratet habe und die Tochter im August 2005 auf die Welt gekommen sei. Auch eine gelebte Beziehung mit den beiden Kindern weise im Übrigen auf einen Lebensmittelpunkt in Serbien hin. Zudem lebe auch der Vater des Beschwerdeführers wieder in Serbien und offensichtlich habe sich der Beschwerdeführer auch zu Behandlungszwecken nach Serbien begeben. Dass Geld nach Serbien überwiesen werde, spreche im Weiteren ebenfalls nicht für einen Wohnsitz in der Schweiz, nachdem das Geld der Invalidenversicherung auf ein Schweizer Konto überwiesen werde und deshalb nach Serbien transferiert werden müsse. Offensichtlich bekomme der Beschwerdeführer in Serbien denn auch genügend Unterstützung und Pflege durch seine Familie, weshalb ein Verbleib bei der Mutter aus diesem Grund ebenfalls nicht ausschlaggebend sei. Die Schwester des Beschwerdeführers habe ausgeführt, dass es dem Beschwerdeführer in Serbien bei seiner Frau und den Kindern einfach besser gehe, was nachvollziehbar erscheine. Werde der Aufenthalt in der Schweiz jedoch einzig wegen der Invalidität gewählt, so könne in der Regel nicht angenommen werden, der Schwerpunkt der Beziehungen liege in der Schweiz (ZAK 1980, Heft 2, S. 129). Dass der Aufenthalt hier primär wegen den finanziellen Leistungen erfolgt sei, zeige sich auch aus der Aussage des Beschwerdeführers selber, dass er bereit sei, sich wegen der Rente in Zukunft häufiger in der Schweiz aufzuhalten. Einen anderen Grund für einen vermehrten Aufenthalt bringe er nicht vor. Dass der Beschwerdeführer hier Steuern bezahle und krankenversichert sei, sei eine logische Konsequenz seiner Anmeldung in A, spreche aber ebenfalls nicht für seinen Lebensmittelpunkt in A. Auch nicht die Tatsache, dass die Mutter des Beschwerdeführers offenbar nur wegen ihres Sohnes weiterhin in der Schweiz lebe. Der Beschwerdeführer sei denn auch erst im Alter von 17 Jahren in die Schweiz eingereist, habe in Serbien die Schule besucht und eine serbische Staatsangehörige geheiratet. Im Urteil vom 23. Februar 2011 wurde an dieser Sichtweise festgehalten und insbesondere ausgeführt, was der Beschwerdeführer gegen diese Betrachtungsweise vorbringe, vermöge an der Einschätzung nichts zu ändern und ein veränderter Sachverhalt liege nicht vor. Der Beschwerdeführer sei nach wie vor in Serbien verheiratet und seine Ehefrau sowie die minderjährigen Kinder würden dort leben. Ein Lebensmittelpunkt in der Schweiz könne auch nicht dadurch begründet werden, dass der Beschwerdeführer nun offensichtlich erkannt habe, dass die Invalidenleistungen wegfallen würden, sofern er in Serbien lebe und er sich deshalb nun vermehrt hier aufhalte. Damit habe er sich lediglich den rechtlichen Gegebenheiten angepasst. Mit der Schweiz verbinde den Beschwerdeführer zudem nichts weiter als seine Angehörigen, die hier lebten. Der Lebensmittelpunkt einer erwachsenen Person befindet sich aber vorab bei seiner Frau und den Kindern, und nicht bei seiner Mutter oder den Geschwistern. Der Beschwerdeführer sei in der Schweiz denn auch in keiner Weise verwurzelt. Weder habe er hier einer Arbeitstätigkeit nachgehen können, noch beherrsche er die deutsche Sprache in dem Ausmass, als dass er sich hier verständigen könnte. Dieser Umstand könne jedoch nicht primär auf die Behinderung zurückgeführt werden, nachdem er sich in seiner Muttersprache fliessend unterhalten könne, wie sich anlässlich der mündlichen Verhandlung gezeigt habe. Eine Integration in der Schweiz sei aber nie erfolgt. Hätte der Beschwerdeführer tatsächlich Interesse daran, hier zu leben und seinen Lebensmittelpunkt hierher zu verlegen, wäre er nach einem Aufenthalt von zwanzig Jahren sicherlich der deutschen Sprache mächtig. Der Beschwerdeführer möge zwar in gewisser Weise von seiner Familie hier getragen werden und deren Solidarität ist offensichtlich, dies vermöge aber nichts daran zu ändern, dass sein Lebensmittelpunkt bei seiner Ehefrau und den Kindern in Serbien liege. Daran habe sich seit der Verfügung vom 18. Dezember 2008 nichts geändert.

4.2 Auch in seiner Beschwerdeschrift vom 15. April 2013 vermag der Beschwerdeführer keine Änderung dieser Ausgangslage anzuführen. Seine Frau und die Kinder leben nach wie vor in Serbien und eine verbesserte Integration in der Schweiz wird in keiner Weise geltend gemacht oder belegt. Die Vorbringen in der Beschwerdeschrift stellen also lediglich eine andere Einschätzung des an sich gleich gebliebenen Sachverhaltes dar, was jedoch nicht von Bedeutung ist. Auch aus dem Umstand, dass dem Beschwerdeführer zwischenzeitlich vom Migrationsamt des Kantons Thurgau die Niederlassungsbewilligung entzogen worden ist, vermag er in keiner Weise etwas zu seinen Gunsten abzuleiten. Vielmehr ist sogar das Gegenteil der Fall, nachdem nunmehr offensichtlich auch die Ausländerbehörden davon ausgehen, dass der Beschwerdeführer zumindest in den Jahren 2005 bis 2007 mehrheitlich in Serbien gelebt hat. (…) Nachdem grundsätzlich kein Anspruch auf eine ausserordentliche Rente gegeben ist, wäre auch eine allfällige Verschlechterung des Gesundheitszustandes nicht weiter von Bedeutung.

4.3 Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass die Beschwerdegegnerin den Anspruch des Beschwerdeführers auf eine ausserordentliche Invalidenrente mangels Vorliegens eines Revisionstatbestandes in Bezug auf die grundsätzliche Anspruchsberechtigung nach wie vor zu Recht verneint hat.

Entscheid VV.2013.109/E vom 24. Juli 2013 (vgl. auch TVR 2013 Nr. 5)

Das Bundesgericht hat eine dagegen gerichtete Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit Urteil 9C_657/2013 vom 9. Januar 2014 abgewiesen.

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