Skip to main content

RBOG 2024 Nr. 34

Amtsgeheimnisverletzung durch die Zeugenaussage eines Beamten oder einer Beamtin ohne Ermächtigung der vorgesetzten Stelle (Fortsetzung von RBOG 2023 Nr. 45)

Art. 319 Abs. 1 lit. b StPO Art. 319 Abs. 1 lit. c StPO Art. 319 Abs. 1 lit. e StPO Art. 320 Ziff. 1 StGB § 76 Abs. 4 RSV Art. 141 Abs. 3 StPO Art. 21 StGB Art. 52 StGB


Zusammenfassung des Sachverhalts:

Der Beschwerdegegner erstattete dienstlich Strafanzeige gegen den Beschwerdeführer. Im daraufhin gegen den Beschwerdeführer eröffneten Strafverfahren wurde der Beschwerdegegner von der Staatsanwaltschaft zu Wahrnehmungen einvernommen, die er im Rahmen seiner Anstellung bei einem kantonalen Amt gemacht hatte. Der Beschwerdegegner holte vor der Einvernahme keine Ermächtigung nach § 76 Abs. 4 RSV ein. Der Beschwerdeführer erstattete gegen den Beschwerdegegner Strafanzeige wegen Amtsgeheimnisverletzung. Die von der Staatsanwaltschaft erlassene Nichtanhandnahmeverfügung hob das Obergericht auf und wies die Sache zur Eröffnung und Durchführung einer Strafuntersuchung an die Staatsanwaltschaft zurück (vgl. RBOG 2023 Nr. 45), nachdem das Bundesgericht die vom Beschwerdeführer gegen den ursprünglichen Nichteintretensentscheid des Obergerichts erhobene Beschwerde gutgeheissen und die Sache zu neuer Entscheidung an das Obergericht zurückgewiesen hatte. Die Staatsanwaltschaft zog daraufhin die Akten des Strafverfahrens gegen den Beschwerdeführer bei und eröffnete eine Strafuntersuchung gegen den Beschwerdegegner, wobei sie das Strafverfahren gegen den Beschwerdegegner später einstellte. Der Beschwerdeführer erhob dagegen Beschwerde.

Aus den Erwägungen:

[…]

2.

2.1.

Die Staatsanwaltschaft verfügt gemäss Art. 319 Abs. 1 StPO die vollständige oder teilweise Einstellung des Strafverfahrens, wenn kein Tatverdacht erhärtet ist, der eine Anklage rechtfertigt (lit. a), kein Straftatbestand erfüllt ist (lit. b), Rechtfertigungsgründe einen Straftatbestand unanwendbar machen (lit. c), Prozessvoraussetzungen definitiv nicht erfüllt werden können oder Prozesshindernisse aufgetreten sind (lit. d) oder nach gesetzlicher Vorschrift auf Strafverfolgung oder Bestrafung verzichtet werden kann (lit. e).

2.2.

2.2.1.

Art. 319 Abs. 1 lit. a StPO (kein Tatverdacht erhärtet) steht hier nicht zur Diskussion, da sachverhaltsmässig unbestritten und erstellt ist, dass der Beschwerdegegner von der Staatsanwaltschaft als Zeuge einvernommen wurde, ohne die Ermächtigung der vorgesetzten Stelle zur Zeugenaussage eingeholt zu haben. Unbestrittenermassen fehlen keine Prozessvoraussetzungen und liegen auch keine Prozesshindernisse vor, weshalb vorliegend auch Art. 319 Abs. 1 lit. d StPO nicht zu prüfen ist.

2.2.2.

Art. 319 Abs. 1 lit. b StPO (kein Straftatbestand erfüllt) kommt zur Anwendung, wenn das inkriminierte Verhalten, selbst wenn es nachgewiesen wäre, den objektiven und subjektiven Tatbestand einer Strafnorm nicht erfüllt[1]. Dies steht vorliegend mit Bezug auf das objektive Tatbestandselement des Geheimnisses wie auch hinsichtlich des subjektiven Tatbestandselements des Vorsatzes zur Debatte.

2.2.3.

Der Einstellungsgrund der Rechtfertigung gemäss Art. 319 Abs. 1 lit. c StPO ist nicht im (rechts)technischen Sinn eng auszulegen. Neben Rechtfertigungsgründen wie unter anderem des aussergesetzlichen Rechtfertigungsgrundes der Wahrung berechtigter Interessen führt auch das Vorliegen von Schuldausschlussgründen wie dem Rechts- oder Verbotsirrtum gemäss Art. 21 StGB zur Verfahrenseinstellung[2]. Da sich die Staatsanwaltschaft im angefochtenen Entscheid auf den Rechtfertigungsgrund der Wahrung berechtigter Interessen und den Verbotsirrtum stützt, hat sich das Obergericht auch mit Art. 319 Abs. 1 lit. c StPO auseinanderzusetzen.

2.2.4.

Art. 319 Abs. 1 lit. e StPO verweist auf Fälle, für welche die StPO die Einstellung oder aber insbesondere das StGB eine Strafbefreiung vorsieht. Dies macht das StGB unter anderem in Art. 52 StGB (fehlendes Strafbedürfnis)[3]. Nachdem die Staatsanwaltschaft die Einstellung auch mit Art. 52 StGB begründete, ist auch dieser Einstellungsgrund zu prüfen.

3.

Zunächst sind die Einstellungsgründe von Art. 319 Abs. 1 lit. b und c StPO (keine Strafnorm erfüllt beziehungsweise Rechtfertigungsgründe vorhanden) zu prüfen.

3.1.

3.1.1.

Ob einzustellen oder Anklage zu erheben ist, entscheidet sich auch in den Fällen von Art. 319 Abs. 1 lit. b und c StPO – wie im Fall von Art. 319 Abs. 1 lit. a StPO – nach dem Grundsatz "im Zweifel für die Anklageerhebung"[4]. Danach darf eine Einstellung grundsätzlich ausschliesslich bei klarer Straflosigkeit angeordnet werden. Bei der Beurteilung dieser Frage verfügt die Staatsanwaltschaft über einen gewissen Ermessensspielraum[5]. Dabei gilt nach der Praxis von Bundes- und Obergericht folgende Faustregel: Ist ein Freispruch wahrscheinlicher als eine Verurteilung, kann die Staatsanwaltschaft das Strafverfahren einstellen. Halten sich die Wahrscheinlichkeiten eines Freispruchs oder einer Verurteilung etwa die Waage, oder ist ein Freispruch genauso wahrscheinlich wie eine Verurteilung, ist Anklage zu erheben. Ist eine Verurteilung wahrscheinlicher als ein Freispruch, muss die Staatsanwaltschaft anklagen[6]. Bei zweifelhafter Beweis- oder Rechtslage hat nicht die Staatsanwaltschaft über die Stichhaltigkeit des strafrechtlichen Vorwurfs zu entscheiden, sondern das zur materiellen Beurteilung zuständige Gericht[7]. Der Grundsatz, dass im Zweifel nicht eingestellt werden darf, ist auch bei der Überprüfung von Einstellungsverfügungen zu beachten[8]. Auch das Vorliegen von Rechtfertigungs- oder Schuldausschlussgründen, das die Strafbarkeit ausschliesst, muss in diesem Sinn klar erstellt sein[9].

3.1.2.

Bei Art. 319 Abs. 1 lit. b StPO (keine Strafnorm erfüllt) ist bei Ermessensfragen und vor allem bei nicht durch die Literatur oder Rechtsprechung klar gelösten Streitfragen nach dem Grundsatz "im Zweifel für die Anklageerhebung" Anklage zu erheben. Gleich verhält es sich, wenn Auslegungs- oder Wertungsfragen zu beurteilen sind. Solche Fragen sind vom Strafgericht zu entscheiden[10]. Es kommt in der Praxis nicht selten vor, dass sich beschuldigte Personen auf Schuldausschluss- und/oder Rechtfertigungsgründe (Art. 14 ff. StGB) berufen. Hier können für die Staatsanwaltschaft in der Regel sowohl tatsächliche wie auch rechtliche Zweifel auftreten, zum Beispiel, weil unklar ist, ob sich die beschuldigte Person wirklich in einem Irrtum befand. Es ist zu beachten, dass die Schuldausschluss- und Rechtfertigungsgründe Ausnahmen von der Norm darstellen. Die Anklageerhebung muss in diesen Fällen wohl die Regel darstellen. Eine Einstellung kommt lediglich in Frage, wenn bei Anklageerhebung mit Sicherheit ein Freispruch anzunehmen ist. Es gilt auch hier der Grundsatz "im Zweifel für die Anklageerhebung"[11].

3.1.3.

Vor der Einschätzung über die Chancen einer Verurteilung oder eines Freispruchs hat die Staatsanwaltschaft die massgeblichen Sachverhalte genügend abzuklären und insbesondere auch die beschuldigte Person einzuvernehmen. Eine korrekte Einschätzung der Wahrscheinlichkeiten einer Verurteilung oder eines Freispruchs kann erst erfolgen, wenn keine erheblichen Details offen bleiben, die noch geklärt werden können und für die Entscheidung über die Einstellung oder die Anklageerhebung von Bedeutung sind[12].

3.2.

3.2.1.

Den Tatbestand der Verletzung des Amtsgeheimnisses nach Art. 320 Ziff. 1 StGB erfüllt, wer ein Geheimnis offenbart, das ihm in seiner Eigenschaft als Mitglied einer Behörde oder als Beamter anvertraut worden ist, oder das er in seiner amtlichen oder dienstlichen Stellung wahrgenommen hat. Die Verletzung des Amtsgeheimnisses ist auch nach Beendigung des amtlichen oder dienstlichen Verhältnisses strafbar. Der Täter ist laut Art. 320 Ziff. 2 StGB nicht strafbar, wenn er das Geheimnis mit schriftlicher Einwilligung seiner vorgesetzten Behörde offenbart hat.

3.2.2.

Bei Art. 320 StGB handelt es sich um ein echtes Sonderdelikt. Der Tatbestand setzt bestimmte objektiv-täterschaftliche Merkmale voraus und kann ausschliesslich von einem Behördenmitglied, einer Beamtin oder einem Beamten erfüllt werden.

3.3.

3.3.1.

Bereits im Entscheid des Obergerichts betreffend Nichtanhandnahme (RBOG 2023 Nr. 45 E. 4.1) wurde ausgeführt, dass der Beschwerdegegner ein Behördenmitglied beziehungsweise Beamter im Sinn von Art. 320 StGB ist. Es kann darauf verwiesen werden, zumal dies im Beschwerdeverfahren nicht strittig ist.

3.3.2.

Der objektive Tatbestand erfasst als Tatobjekt das Geheimnis und als Tathandlung das Offenbaren.

3.3.3.

Als Geheimnis gilt jede Tatsache, die lediglich einem beschränkten Personenkreis bekannt ist und an deren Geheimhaltung der Geheimnisherr ein berechtigtes Interesse hat. Der Tatbestand geht von einem materiellen Geheimnisbegriff aus. Entscheidend ist allein, dass es sich um eine Tat­sache handelt, die weder offenkundig noch allgemein zugänglich ist und bezüglich derer der Geheimnisherr nicht nur ein berechtigtes Interesse, sondern auch den ausdrücklich oder stillschweigend bekundeten Willen zur Geheimhaltung hat. Geschützt sind sowohl Dienst- als auch Privat­geheimnisse, und zwar unbekümmert darum, ob sie wahr oder falsch sind oder auch bloss Mutmassungen enthalten[13].

3.3.4.

Das Bundesgericht erkannte in seinem Rückweisungsentscheid, dem Nichteintretensentscheid des Obergerichts betreffend Nichtanhandnahme lasse sich entnehmen, dass das Bezirksgericht den vom Beschwerdegegner offenbarten Tatsachen in dem gegen den Beschwerdeführer durchgeführten und abgeschlossenen Strafverfahren Geheimnischarakter zugemessen habe. Das ergebe sich daraus, dass das Bezirksgericht eine Entbindungserklärung der zuständigen Behörde als notwendig erachtet habe[14]. Trotz dieser Erkenntnis des Bundesgerichts ist hier nunmehr zu prüfen, ob die vom Beschwerdegegner an der Einvernahme offenbarten Tatsachen Geheimnischarakter zukommt, weil es anders als im Entscheid des Obergerichts betreffend Nichtanhandnahme (RBOG 2023 Nr. 45) nicht mehr darum geht, ob überhaupt ein Strafverfahren gegen den Beschwerdegegner zu eröffnen ist, sondern ob die Staatsanwaltschaft das Verfahren zu Recht einstellte. Ausserdem ist der Geheimnischarakter der Aussagen im Beschwerdeverfahren umstritten.

3.3.5.

Das Bezirksgericht erklärte die Einvernahme des Beschwerdegegners im Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer als unverwertbar, weil er aussagte, ohne vom Amtsgeheimnis entbunden worden zu sein. Es stellt sich daher vorab die Frage, ob diese Einvernahme im hier zu beurteilenden Strafverfahren gegen den Beschwerdegegner überhaupt verwertbar ist.

3.3.5.1.

Gemäss Art. 141 Abs. 5 StPO werden die Aufzeichnungen über unverwertbare Beweise aus den Strafakten entfernt, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens unter separatem Verschluss gehalten und danach vernichtet.

Dass das Bezirksgericht das Einvernahmeprotokoll nach Art. 141 Abs. 5 StPO eigentlich hätte vernichten müssen und es mithin gar nicht mehr existieren dürfte, führt nicht dazu, dass es auch im Strafverfahren gegen den Beschwerdegegner nicht verwendet werden darf. Vielmehr ist massgebend, dass das Einvernahmeprotokoll nach wie vor vorhanden ist und es als zentrales Beweismittel im Strafverfahren gegen den Beschwerdegegner gilt.

3.3.5.2.

Laut Art. 170 Abs. 1 StPO können Beamtinnen und Beamte im Sinn von Art. 110 Abs. 3 StGB und ihre Hilfspersonen sowie Mitglieder von Behörden und ihre Hilfspersonen das Zeugnis über Geheimnisse verweigern, die ihnen in ihrer amtlichen Eigenschaft anvertraut worden sind oder die sie bei der Ausübung ihres Amtes oder ihrer Hilfstätigkeit wahrgenommen haben. Sie haben auszusagen, wenn sie einer Anzeigepflicht unterliegen oder von ihrer vorgesetzten Behörde zur Aussage schriftlich ermächtigt worden sind[15].

3.3.5.3.

Eine Anzeigepflicht besteht vorliegend nicht. Die RSV statuiert keine Anzeigepflicht. § 40 Abs. 1 ZSRG[16] in der bis 31. Dezember 2021 geltenden Fassung, die mit Blick auf den Tatzeitpunkt massgeblich ist, sieht soweit hier massgebend vor, dass Behörden und Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter, denen im Amt eine schwerwiegende Straftat bekannt wird, zur Anzeige verpflichtet sind. Weitergehende Anzeigepflichten aufgrund anderer Gesetze bleiben vorbehalten. Solche wurden hier weder konkret geltend gemacht noch sind sie ohne Weiteres ersichtlich[17].

3.3.5.4.

Eine schriftliche Ermächtigung zur Aussage liegt bislang ebenfalls nicht im Recht. In diesem Zusammenhang ist nach herrschender Lehre und bundesgerichtlicher Rechtsprechung unbestritten, dass Aussagen von Beamtinnen und Beamten und Mitgliedern von Behörden generell verwertbar sind, wenn anstelle der notwendigen schriftlichen lediglich eine mündliche Ermächtigung vorliegt; diese kann nachträglich schriftlich bestätigt werden[18].

Gibt eine Beamtin oder ein Beamter oder das Mitglied einer Behörde als Zeuge ein Amtsgeheimnis preis, ohne dazu berechtigt zu sein, so ist umstritten, ob die Aussage trotzdem verwertbar ist. Ein Teil der Lehre spricht sich für die Verwertbarkeit aus, was bedeutet, dass das Kriterium der Ermächtigung als Ordnungsvorschrift gemäss Art. 141 Abs. 3 StPO qualifiziert wird. Gemäss Art. 141 Abs. 3 StPO sind Beweise, bei deren Erhebung Ordnungsvorschriften verletzt worden sind, verwertbar. Um Ordnungsnormen handelt es sich bei Vorschriften, deren Funktion sich darin erschöpft, die äussere Ordnung des Verfahrens zu regeln. Das gilt für Normen, die Interessen schützen, die mit der Beweiserhebung als solcher nichts zu tun haben. Der andere Teil der Lehre geht von Unverwertbarkeit im Sinn von Art. 141 Abs. 2 StPO aus. Demgemäss dürfen Beweise, die Strafbehörden in strafbarer Weise oder unter Verletzung von Gültigkeitsvorschriften erhoben haben, nicht verwertet werden, es sei denn, ihre Verwertung sei zur Aufklärung schwerer Straftaten unerlässlich. Um eine Gültigkeitsvorschrift handelt es sich insbesondere, wenn eine Verfahrensvorschrift dazu bestimmt ist, die Grundlagen der prozessualen Subjektstellung der beschuldigten Person abzusichern. Ob im Einzelfall eine Gültigkeits- oder eine Ordnungsvorschrift vorliegt, bestimmt sich (sofern das Gesetz die Norm nicht selbst als Gültigkeitsvorschrift bezeichnet) primär nach dem Schutzzweck der Norm[19].

"Im Zweifel für die Anklageerhebung" ist hier einstweilen davon auszugehen, dass die Aussageermächtigung eine Ordnungsvorschrift darstellt. Dafür sprechen der Schutzzweck und die systematische Stellung der Norm im Gesetz. Die Norm bezweckt nicht, die prozessualen Rechte der beschuldigten Person abzusichern. Die Vorschrift betreffend Ermächtigung hat mit der Frage der Fairness der Beweiserhebung im Konkreten nichts zu tun, sondern dient dem Zweck, allfällige öffentliche Interessen zu schützen[20]. Daran ändert nichts, dass das Bezirksgericht die Einvernahme des Beschwerdegegners im Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer als unverwertbar erachtete. Damit ist vorliegend "im Zweifel für die Anklageerhebung" die Verwertbarkeit der Einvernahme des Beschwerdegegners im Strafverfahren gegen ihn zu bejahen.

3.3.6.

Der Beschwerdegegner argumentierte im Beschwerdeverfahren, er habe als Zeuge einvernommen nicht mehr Preis gegeben, als schon in der Strafanzeige und im Amtsbericht gestanden habe. Er machte damit sinngemäss geltend, kein Geheimnis offenbart zu haben.

Die Staatsanwaltschaft bezweckte mit der Einvernahme des Beschwerdegegners als Zeuge, mehr beziehungsweise anderes als das in der Strafanzeige und im Amtsbericht Festgehaltene in Erfahrung zu bringen. Dabei ist zu beachten, dass der Amtsbericht vom Beschwerdegegner selbst verfasst und unterzeichnet ist. Die Strafanzeige trägt die Unterschrift des Generalsekretärs des kantonalen Amts. Dennoch ist davon auszugehen, dass die Strafanzeige ebenfalls vom Beschwerdegegner geschrieben wurde, da auf der Vorderseite seine Kontaktdaten genannt sind. Die Staatsanwaltschaft stellte dem Beschwerdegegner Fragen, welche darauf abzielten, die Strafbarkeit des Beschwerdeführers zu eruieren. Anlass für die Einvernahme des Beschwerdegegners waren die Aussagen des Beschwerdeführers an seiner Einvernahme. Der Beschwerdeführer hatte damals die Tatvorwürfe bestritten und geltend gemacht, er sei zu seinem Tun aufgrund mündlicher behördlicher Auskunft beziehungsweise Absprache berechtigt gewesen, beziehungsweise es sei von der Behörde mündlich geduldet respektive sogar mit den Behörden beziehungsweise mit dem Beschwerdegegner so abgesprochen worden (alles sei immer in Absprache erfolgt). Das Schutz- und Pflegekonzept für das fragliche Naturschutzgebiet will er zudem nie erhalten haben. Die Einvernahme des Beschwerdeführers machte eine Einvernahme des Beschwerdegegners notwendig. Bei dieser ging es nicht mehr um die naturschutzrechtliche Rechtslage – diese war durch die Strafanzeige und den Amtsbericht des kantonalen Amts beziehungsweise des Beschwerdegegners hinlänglich bekannt –, sondern darum, was der Beschwerdeführer konkret gemacht hat und was nicht, und vor allem, was er mit dem Beschwerdegegner konkret besprochen beziehungsweise abgemacht oder gerade nicht abgemacht hat. Das alles sind amtliche Wahrnehmungen des Beschwerdegegners, die unter das Amtsgeheimnis fallen, und die nicht bereits Gegenstand von Strafanzeige und Amtsbericht waren. "Im Zweifel für die Anklageerhebung" ist damit davon auszugehen, dass der Beschwerdegegner ein Geheimnis offenbart hat und den objektiven Tatbestand der Amtsgeheimnisverletzung erfüllt.

3.4.

In subjektiver Hinsicht erwog das Obergericht im Nichtanhandnahmeentscheid, es sei Vorsatz erforderlich; Eventualvorsatz genüge. Das Behördenmitglied müsse im Wissen um den Geheimnischarakter die Tatsache offenbaren oder dies zumindest in Kauf genommen haben[21]. Wenn überhaupt, stellte sich hier allein die Frage, ob der Beschwerdegegner mit Blick auf seine Berechtigung zur Anzeigeerstattung respektive Zeugenaussage ohne vorherige Einholung der schriftlichen Einwilligung seiner vorgesetzten Behörde einem schuldausschliessenden Irrtum (Verbotsirrtum) unterlegen sei. Ob dem gegebenenfalls so gewesen sei oder nicht, habe das Strafverfahren zu weisen[22].

"Im Zweifel für die Anklageerhebung" musste der Beschwerdegegner entgegen seinen Ausführungen zumindest damit rechnen, dass es sich bei den von ihm an der Zeugeneinvernahme mitgeteilten amtlichen Wahrnehmungen um (Amts-)Geheimnisse handelt. Soweit er meinte, diese ohne ausdrückliche Einwilligung seiner vorgesetzten Behörde offenbaren zu dürfen, irrte er möglicherweise über die Rechtswidrigkeit der Zeugenaussagen ohne Entbindung vom Amtsgeheimnis und unterlag insofern gegebenenfalls einem Rechts- beziehungsweise Verbotsirrtum. Ein solcher betrifft jedoch nicht den subjektiven Tatbestand, der das Wissen und Wollen beziehungsweise die Inkaufnahme (Eventualvorsatz) der objektiven Tatbestandsmerkmale des Geheimnisses (Tatobjekt) und der Offenbarung (Tathandlung) umfasst.

3.5.

Es kann somit nicht gesagt werden, ein Freispruch mangels Erfüllung des Tatbestands der Amtsgeheimnisverletzung sei wahrscheinlicher als ein Schuldspruch. Insofern hätte keine Einstellung des Strafverfahrens gegen den Beschwerdegegner gestützt auf Art. 319 Abs. 1 lit. b StPO erfolgen dürfen.

4.

Weiter ist der Einstellungsgrund von Art. 319 Abs. 1 lit. c StPO zu prüfen, da sich die Staatsanwaltschaft im angefochtenen Entscheid auf den Rechtfertigungsgrund der Wahrung berechtigter Interessen und den Verbotsirrtum stützte.

4.1.

4.1.1.

Der aussergesetzliche Rechtfertigungsgrund der Wahrung berechtigter Interessen kann nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung lediglich angerufen werden, wenn die Tat ein notwendiges und angemessenes Mittel ist, um ein berechtigtes Ziel zu erreichen, die Tat also insoweit den einzigen möglichen Weg darstellt und offenkundig weniger schwer wiegt als die Interessen, die der Täter zu wahren sucht[23].

4.1.2.

Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Zwar ist mit der Staatsanwaltschaft davon auszugehen, dass die Zeugenaussage bezweckte, das Vorliegen eines nicht unbegründeten Straftatverdachts gegen den Beschwerdeführer genauer zu eruieren und insofern der Wahrung eines öffentlichen und somit grundsätzlich berechtigten Interesses diente. Auch war die Zeugenaussage gemäss dem damaligen Verfahrensstand wohl notwendig und angemessen. Dagegen kann aber nicht gesagt werden, dieses Ziel habe nicht auch durch vorherige Entbindung vom Amtsgeheimnis erreicht werden können, da die Strafanzeige habe schlussfolgern lassen, dass gesetzliche oder verwaltungsinterne Mittel bereits ausgeschöpft worden seien. Damit verknüpfte die Staatsanwaltschaft in unzulässiger Weise die Frage, ob die Einholung einer schriftlichen Ermächtigung der vorgesetzten Behörde nach Art. 320 Ziff. 2 StGB für den Beschwerdegegner unerreichbar war, mit der ganz anderen, hierfür nicht massgeblichen Frage, ob das kantonale Amt praktisch keine andere Wahl mehr hatte, als Strafanzeige einzureichen, um dem rechtswidrigen Verhalten des Beschwerdeführers Einhalt zu gebieten. Solange der Beschwerdegegner nicht – vergeblich – versucht hat, eine schriftliche Ermächtigung der vorgesetzten Behörde nach Art. 320 Ziff. 2 StGB i.V.m. § 76 Abs. 4 Satz 1 und Abs. 5 RSV einzuholen, kommt die Berufung auf den aussergesetzlichen Rechtfertigungsgrund der Wahrung berechtigter Interessen nicht in Betracht. Der Beschwerdegegner hat es nicht versucht, weil er es wohl schlicht vergass. Im Übrigen hätte er die Ermächtigung wahrscheinlich problemlos erhalten, nachdem er im Namen des kantonalen Amts bereits Anzeige erstattet hatte und eine Strafverfolgung offensichtlich im Interesse des kantonalen Amts war. Da die ohne Entbindung vom Amtsgeheimnis erfolgte Zeugenaussage nicht den einzigen möglichen Weg darstellte, kann das kumulative Erfordernis offengelassen werden, ob das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung des Beschwerdeführers dessen Interesse an der Geheimhaltung überwog. Nicht massgeblich ist damit auch, ob eine Verletzung der Geheimhaltungsinteressen des Beschwerdeführers deshalb als vermindert erscheint, weil diesen Interessen durch die generelle Pflicht der Strafbehörde zur Wahrung des Amtsgeheimnisses Rechnung getragen wurde. Diese Argumentation verkennt, dass das Amtsgeheimnis auch zwischen Verwaltungs- und Strafbehörden gilt[24]; zumal im Fall hier die Geheimhaltungspflicht des Beschwerdegegners nicht im Sinn von § 76 Abs. 4 Satz 2 RSV aufgrund einer gesetzlichen Auskunfts- oder Anzeigepflicht entfallen war[25].

4.2.

4.2.1.

Ein Verbotsirrtum liegt nach Art. 21 StGB vor, wenn der Täter nicht weiss oder nicht wissen kann, dass er sich rechtswidrig verhält. Der Täter handelt beim Verbotsirrtum vorsätzlich, das heisst in richtiger Kenntnis aller objektiven und subjektiven Tatbestandselemente, er meint aber – subjektiv – im Recht zu sein beziehungsweise hält sein Tun versehentlich für erlaubt[26]. Bei einem Verbotsirrtum handelt der Täter zwar objektiv rechtswidrig, aber nicht schuldhaft und ist deshalb freizusprechen[27]. War der Irrtum hingegen vermeidbar, kann das Gericht nur auf eine mildere Strafe erkennen[28]. Die Rechtsprechung verlangt vom Täter in aller Regel, sein Verhalten auf dessen Rechtmässigkeit zu überprüfen, wenn er selbst daran zweifelt oder hätte zweifeln müssen[29]. Der Massstab für die Vermeidbarkeit eines Irrtums ist in dem Sinn individualisiert, dass jeweils zu prüfen ist, ob gerade dem konkreten Täter aufgrund seiner persönlichen Verhältnisse, Erfahrung, Intelligenz, Ausbildung etc. die Vermeidbarkeit einer Pflichtverletzung vorgeworfen werden kann[30].

Das Bundesgericht stellt hohe Anforderungen an die Unvermeidbarkeit des Verbotsirrtums. Leitlinie der Abgrenzung soll danach sein, ob sich auch ein gewissenhafter Mensch hätte in die Irre führen lassen, oder aber, ob der Täter hinreichenden Anlass gehabt hätte, die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens zu erkennen oder in Erfahrung zu bringen, sei es durch eigenes Nachdenken, eine Gewissensanspannung, eine gewissenhafte Überlegung oder ein Erkundigen bei Behörden oder vertrauenswürdigen Personen[31]. Entscheidend ist mithin also nicht, was der Täter weiss beziehungsweise wusste, sein Rechtsbewusstsein also, sondern, was er wissen konnte beziehungsweise hätte wissen können[32]. Unvermeidbar ist der Verbotsirrtum, wenn der Täter in einem früheren Verfahren wegen des gleichen oder eines ähnlichen Verhaltens (rechtskräftig) freigesprochen worden ist, oder wenn sein Handeln durch eine Weisung der vorgesetzten Behörde gedeckt ist, oder wenn die zuständige Amtsstelle das entsprechende Verhalten stets geduldet hat. Als unvermeidbar gilt auch, wenn der Rechtsunkundige sich auf die Auskunft eines eigens beigezogenen Anwalts verlässt, allerdings nur unter dem Vorbehalt, dass es um eine komplexe Rechtsfrage geht und die Prüfung eine lückenlose war, das heisst, sich auch auf diejenigen rechtlichen Gesichtspunkte erstreckte, die richtig zu erkennen selbst dem Laien möglich ist[33].

4.2.2.

Nachdem das Obergericht die Sache zur Eröffnung und Durchführung einer Strafuntersuchung an die Staatsanwaltschaft zurückgewiesen hatte, zog diese die Akten des Strafverfahrens gegen den Beschwerdeführer bei. Darin befindet sich namentlich das Zeugen-Einvernahmeprotokoll des Beschwerdegegners. Die Staatsanwaltschaft ermahnte den Beschwerdegegner zu Beginn der Einvernahme zur Wahrheit, belehrte ihn über die Straffolgen des falschen Zeugnisses sowie darüber, dass er die Aussage verweigern könne, wenn er sich damit selbst oder eine ihm nahestehende Person derart belastete, dass straf- oder zivilrechtliche Konsequenzen drohten. Die Staatsanwaltschaft machte den Beschwerdegegner jedoch nicht auf sein Zeugnisverweigerungsrecht infolge eines Amtsgeheimnisses aufmerksam. Es ist jedoch fraglich, inwieweit die Orientierungspflichten der Staatsanwaltschaft von Art. 177 Abs. 3 StPO bei Art. 170 StPO überhaupt gelten, handelt es sich angesichts der Strafandrohung in Art. 320 StGB doch um eine Zeugnisverweigerungspflicht und nicht um ein Recht[34].

Auch in der Vorladung zur Einvernahme fehlt ein Hinweis auf das Amtsgeheimnis beziehungsweise ein Gesuch um Ermächtigung zur Aussage[35].

4.2.3.

Das Versäumnis der Staatsanwaltschaft ist wohl eine entscheidende Mitursache dafür, dass der Beschwerdegegner es versäumte, sich bei der vorgesetzten Stelle schriftlich vom Amtsgeheimnis entbinden zu lassen. Demgegenüber kann dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers entgegen der Ansicht des Beschwerdegegners rechtlich kein Vorwurf gemacht werden, an der Einvernahme nicht auf die fehlende Ermächtigung hingewiesen zu haben. Als Verteidiger des Beschwerdeführers stand er dazu rechtlich nicht in der Pflicht. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aber ging es sowohl der Staatsanwaltschaft als auch dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers und dem Beschwerdegegner schlicht unter. Dafür machte sich aber wohl ausschliesslich der Beschwerdegegner strafbar, weil Art. 320 StGB ein echtes Sonderdelikt ist. Dementsprechend war es Sache des Beschwerdegegners als Geheimnisträger, den schriftlichen Entscheid der vorgesetzten Behörde beziehungsweise die schriftliche Einwilligung zur Offenlegung des Amtsgeheimnisses einzuholen, da es in seinem Interesse liegt, zu verhindern, dass er sich strafbar macht[36]. Aus diesem Grund lässt sich allein aus dem Umstand, dass die Staatsanwaltschaft den Beschwerdegegner strafprozessrechtlich auf das Zeugnisverweigerungsrecht beziehungsweise die Zeugnisverweigerungspflicht zufolge Amtsgeheimnisses bei Fehlen einer schriftlichen Ermächtigung der vorgesetzten Behörde hätte hinweisen müssen, "im Zweifel für die Anklageerhebung" noch nicht zwingend ein unvermeidbarer Verbotsirrtum des Beschwerdegegners ableiten. Die Beurteilung, ob dies allein wegen des Versäumnisses der Staatsanwaltschaft oder in Kombination mit dem weiteren Umstand, dass der Beschwerdegegner womöglich (auch) deshalb irrte, weil er in der Strafanzeige bereits implizit eine Ermächtigung oder Zustimmung zur Zeugenaussage erkannt haben soll, beziehungsweise, ob das grundsätzliche Verständnis innerhalb des kantonalen Amts respektive von dessen Generalsekretär so war, obliegt dem Strafgericht, und nicht der Staatsanwaltschaft. Andernfalls wäre der Grundsatz "im Zweifel für die Anklageerhebung" verletzt.

Die Klärung dieser Fragen macht eine staatsanwaltschaftliche Einvernahme des Beschwerdegegners als beschuldigte Person unabdingbar. Bevor eine Einstellung allenfalls in Frage kommt, hat die Staatsanwaltschaft den Beschwerdegegner somit zu seinem Rechtsbewusstsein und zum grundsätzlichen Verständnis betreffend die Entbindung vom Amtsgeheimnis im kantonalen Amt zu befragen. Denn der Massstab für die Vermeidbarkeit eines Irrtums ist – wie erwähnt – in dem Sinn individualisiert, dass jeweils zu prüfen ist, ob gerade dem konkreten Täter aufgrund seiner persönlichen Verhältnisse, Erfahrung, Intelligenz, Ausbildung etc. die Vermeidbarkeit einer Pflichtverletzung vorgeworfen werden kann[37].

4.2.4.

Zusammenfassend ist nicht klar erstellt, dass der Beschwerdegegner einem unvermeidbaren Verbotsirrtum unterlag. Vielmehr halten sich die Wahrscheinlichkeiten eines Freispruchs zufolge eines unvermeidbaren Verbotsirrtums und einer Verurteilung, weil der Verbotsirrtum eben doch nicht vermeidbar war, in etwa die Waage. Diesfalls hat nach dem Grundsatz "im Zweifel für die Anklageerhebung" nicht die Staatsanwaltschaft über die Stichhaltigkeit des Verbotsirrtums zu entscheiden, sondern das zur materiellen Beurteilung zuständige Gericht. Vorbehalten bleiben neue, andere Erkenntnisse nach der Einvernahme des Beschwerdegegners.

5.

Schliesslich ging die Staatsanwaltschaft von einem fehlenden Strafbedürfnis nach Art. 52 StGB aus, weshalb sie auch den Einstellungsgrund von Art. 319 Abs. 1 lit. e StPO bejahte.

5.1.

5.1.1.

Nach Art. 8 Abs. 1 StPO sehen Staatsanwaltschaft und Gerichte von der Strafverfolgung ab, wenn das Bundesrecht es vorsieht, namentlich unter den Voraussetzungen der Art. 52, 53 und 54 StGB.

5.1.2.

Die Staatsanwaltschaft sieht gemäss Art. 319 Abs. 1 lit. e StPO i.V.m. Art. 52 StGB von einer Strafverfolgung, einer Überweisung an das Gericht oder einer Bestrafung ab, wenn Schuld und Tatfolgen geringfügig sind. Beide Voraussetzungen müssen kumulativ erfüllt sein. Die Bestimmung erfasst relativ unbedeutende Verhaltensweisen, welche die Schwere und Härte einer Strafe nicht verdienen. Die Regelung von Art. 52 StGB ist zwingender Natur. Sind die Voraussetzungen erfüllt, muss die Behörde das Strafverfahren einstellen beziehungsweise von einer Überweisung absehen[38].

5.1.3.

Mit der Regelung von Art. 52 StGB beabsichtigte der Gesetzgeber nicht, dass in allen Bagatellstraftaten generell auf eine strafrechtliche Sanktion verzichtet wird. Eine Strafbefreiung kommt lediglich bei Delikten in Frage, bei denen keinerlei Strafbedürfnis besteht. Auch bei einem Bagatelldelikt kann daher eine Strafbefreiung wegen Geringfügigkeit von Schuld und Tatfolgen nur angeordnet werden, wenn es sich von anderen Fällen mit geringem Verschulden und geringen Tatfolgen qualitativ unterscheidet. Das Verhalten des Täters muss im Quervergleich zu typischen unter dieselbe Gesetzesbestimmung fallenden Taten insgesamt – vom Verschulden wie von den Tatfolgen her – als unerheblich erscheinen, sodass das Strafbedürfnis offensichtlich fehlt. Die Behörde hat sich mithin am Regelfall der Straftat zu orientieren[39].

5.1.4.

Die Würdigung des Verschuldens des Täters richtet sich nach den in Art. 47 StGB aufgeführten Strafzumessungskriterien. Es sind aber nicht ausschliesslich die in Art. 47 Abs. 2 StGB aufgeführten konkretisierenden Umstände zu berücksichtigen; in die Entscheidung über die Geringfügigkeit der Schuld fliessen vielmehr sämtliche relevanten Strafzumessungskomponenten mit ein, mithin auch die Täterkomponenten wie das Vorleben, die persönlichen Verhältnisse oder das Nachtatverhalten[40]. Das gesamte Spektrum der Strafzumessungserwägungen ist somit bei der Entscheidung über die geringfügige Schuld zu berücksichtigen[41]. Dabei soll die Staatsanwaltschaft nach dem Grundsatz "im Zweifel für die Anklageerhebung" lediglich in ganz offensichtlichen Fällen die Möglichkeit haben, ein Verfahren gar nicht an die Hand zu nehmen oder gegebenenfalls einzustellen[42]. Im Zweifelsfall ist sie zur Anklage verpflichtet[43].

5.1.5.

Der Begriff der Tatfolgen umfasst nicht nur den tatbestandsmässigen Erfolg, sondern sämtliche vom Täter verschuldeten Auswirkungen der Tat. Diese müssen stets gering sein. Schwerwiegendere Folgen können nicht durch andere, zugunsten des Betroffenen wirkende Komponenten ausgeglichen werden[44].

5.2.

Vorliegend kann nicht mit Sicherheit gesagt werden, die Tatfolgen und das Verschulden seien im Vergleich zu anderen Fällen von Amtsgeheimnisverletzungen durch eine Beamtin, einen Beamten oder ein Behördenmitglied ohne Entbindung vom Amtsgeheimnis evident geringfügig. Würde man den Vorbringen des Beschwerdeführers in seiner Beschwerdereplik folgen, wonach der Beschwerdegegner mit seinen Aussagen private Details Preis gegeben habe, was aufgrund der Einvernahme nicht völlig abwegig erscheint, so liegen vergleichsweise geringfügige Tatfolgen nicht sofort auf der Hand. Auch ein geradezu geringfügiges, im Vergleich zu anderen Amtsgeheimnisverletzungen vernachlässigbares Verschulden kann, bevor die Staatsanwaltschaft den Beschwerdegegner nicht persönlich einvernahm, nicht angenommen werden. Eine Einstellung des Strafverfahrens gestützt auf Art. 319 Abs. 1 lit. e StPO kommt daher einstweilen nicht in Frage.

6.

Zusammenfassend kann die Einstellung des Strafverfahrens nicht bestätigt werden. Vielmehr hat die Staatsanwaltschaft zunächst den Beschwerdegegner einzuvernehmen. Danach muss sie unter Berücksichtigung seiner Aussagen und der vorstehenden Erkenntnisse nochmals unter Beachtung des Grundsatzes von "im Zweifel für die Anklageerhebung" darüber befinden, ob sie das Strafverfahren einstellen kann oder Anklage erheben muss.

[…]

Obergericht, 2. Abteilung, 4. Juli 2024, SW.2024.18


[1]    Heiniger/Rickli, Basler Kommentar, 3.A., Art. 319 StPO N. 9

[2]    Heiniger/Rickli, Art. 319 StPO N. 11

[3]    Landshut/Bosshard, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung (Hrsg.: Donatsch/Lieber/Summers/Wohlers), 3.A., Art. 319 N. 27

[4]    "In dubio pro duriore"

[5]    BGE 138 IV 186 E. 4.1

[6]    RBOG 2013 Nr. 29 E. 2.c.aa; vgl. BGE 143 IV 241 E. 2.2.1; Urteil des Bundesgerichts 6B_968/2021 vom 31. Januar 2022 E. 2.3.2

[7]    BGE 143 IV 241 E. 2.2.1; BGE 138 IV 86 E. 4.1; Urteil des Bundesgerichts 6B_968/2021 vom 31. Januar 2022 E. 2.3.2

[8]    BGE 143 IV 241 E. 2.2.1; BGE 138 IV 186 E. 4.1; BGE 138 IV 86 E. 4.1

[9]    Urteile des Bundesgerichts 7B_68/2023 vom 7. November 2023 E. 4.3.3; 1B_534/2012 vom 7. Juni 2013 E. 2.1

[10]  Landshut/Bosshard, Art. 319 StPO N. 20

[11]  Landshut/Bosshard, Art. 319 StPO N. 22

[12]  RBOG 2013 Nr. 29 E. 2.c.bb

[13]  Oberholzer, Basler Kommentar, 4.A., Art. 320 StGB N. 8; Trechsel/Vest, in: Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar (Hrsg.: Trechsel/Pieth), 4.A., Art. 320 N. 3

[14]  Urteil des Bundesgerichts 6B_968/2022 vom 19. Dezember 2022 E. 3.3

[15]  Art. 170 Abs. 2 lit. a und b StPO

[16]  Gesetz über die Zivil- und Strafrechtspflege, RB 271.1

[17]  Vgl. RBOG 2023 Nr. 45 E. 4.4.2.3

[18]  Donatsch, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung (Hrsg.: Donatsch/Lieber/Summers/Wohlers), 3.A. Art. 170 N. 13; Urteil des Bundesgerichts 1C_268/2018 vom 12. Juli 2019 E. 3.8; Urteil des Bundesstrafgerichts SK.2022.6 vom 13. Dezember 2022 E. 1.2.2.2.c S. 10

[19]  Urteil des Bundesstrafgerichts SK.2022.6 vom 13. Dezember 2022 E. 1.2.2.2.c S. 9 f. mit weiteren Hinweisen

[20]  Vgl. Urteil des Bundesstrafgerichts SK.2022.6 vom 13. Dezember 2022 E. 1.2.2.2.c S. 10

[21]  Mit Verweis auf Oberholzer, Art. 320 StGB N. 11

[22]  RBOG 2023 Nr. 45 E. 4.3

[23]  BGE 134 IV 216 E. 6.1; Urteil des Bundesgerichts 6B_1162/2019 vom 30. Juni 2020 E. 2.2.1; RBOG 2020 Nr. 22 (2. Teil) E. 4.a.cc

[24]  RBOG 2023 Nr. 45 E. 4.4.2.4, wonach das Amtsgeheimnis demgegenüber zwischen der Polizei, der Staatsanwaltschaft und den Gerichten, die mit der gleichen Angelegenheit befasst sind, nicht gilt.

[25]  RBOG 2023 Nr. 45 E. 4.4.2.3

[26]  Niggli/Maeder, Basler Kommentar, 4.A., Art. 21 StGB N. 7; vgl. BGE 129 IV 238 E. 3.1; Urteil des Bundesgerichts 6B_1008/2021 vom 9. November 2021 E. 1.3.2

[27]  Niggli/Maeder, Art. 21 StGB N. 24; vgl. auch Urteil des Bundesgerichts 6B_358/2020 vom 7. Juli 2021 E. 4.2

[28]  Vgl. Art. 21 Satz 2 StGB

[29]  BGE 129 IV 6 E. 4.1; 120 IV 208 E. 5.b; Urteil des Bundesgerichts 6B_1008/2021 vom 9. November 2021 E. 1.3.2

[30]  Niggli/Maeder, Art. 21 StGB N. 23a

[31]  Niggli/Maeder, Art. 21 StGB N. 18a

[32]  Niggli/Maeder, Art. 21 StGB N. 19 und 19a

[33]  Niggli/Maeder, Art. 21 StGB N. 23

[34]  Jositsch/Schmid, Schweizerische Strafprozessordnung, Praxiskommentar, 4.A., Art. 177 N. 7; Donatsch, Art. 177 StPO N. 28; Vest, Basler Kommentar, 3.A., Art. 170 StPO N. 4

[35]  Donatsch, Art. 170 StPO N. 10

[36]  Donatsch, Art. 170 StPO N. 10; Vest, Art. 170 StPO N. 7

[37]  Niggli/Maeder, Art. 21 StGB N. 23a

[38]  Trechsel/Keller, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar (Hrsg.: Trechsel/Pieth), 4.A., Art. 52 N. 1

[39]  BGE 135 IV 130 E. 5.3.2; Urteile des Bundesgerichts 6B_477/2022 vom 25. August 2022 E. 2.2.1; 6B_45/2016 vom 13. Juni 2016 E. 2.4; vgl. auch BGE 146 IV 297 E. 2.3; 138 IV 13 E. 9

[40]  BGE 135 IV 130 E. 5.4

[41]  Riklin, Basler Kommentar, 4.A., Art. 52 StGB N. 15; BGE 135 IV 130 E. 5.4

[42]  Wohlers, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Handkommentar (Hrsg.: Wohlers/Godenzi/Schlegel), 4.A., vor Art. 52 ff. N. 3; vgl. BGE 137 IV 219 E. 8

[43]  Simmler/Selman, StGB, Annotierter Kommentar (Hrsg.: Graf), Bern 2020, Art. 52 N. 2

[44]  BGE 135 IV 130 E. 5.3.2


JavaScript errors detected

Please note, these errors can depend on your browser setup.

If this problem persists, please contact our support.